Wie viel Gewalt verträgt die Liebe?
HingabeBénédicte Belpois` Debütroman „Hingabe“ (Originaltitel: „Suiza“) erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das eines Tages aus einem Heim in der Schweiz flieht, weil es das Meer sehen will und in einem ...
Bénédicte Belpois` Debütroman „Hingabe“ (Originaltitel: „Suiza“) erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das eines Tages aus einem Heim in der Schweiz flieht, weil es das Meer sehen will und in einem entlegenen Dorf in Galizien landet. Das Mädchen nennt sich Suiza (spanisch für Schweiz). Suiza hat eine lange Reise per Anhalter hinter sich und wird von der Frau, die sie ausgehungert und verdreckt auf ihrem Grundstück findet, an den Kneipenbesitzer Alvaro weitervermittelt. Alvaro nutzt ihre Arbeitskraft aus, nimmt aber wie selbstverständlich auch andere Dienste in Anspruch. Suiza gilt als dumm und wehrt sich nicht. Sie sieht naiv und kindlich aus, verfügt aber über eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf Männer. So verfällt ihr auch der reiche Bauer Tomás López Gabarre, als er sie zum ersten Mal bei Alvaro sieht. Vor aller Augen macht Tomás seinen Besitzanspruch geltend und nimmt Suiza mit. Am Anfang sind ihre Begegnungen von einer befremdlichen Mischung aus Sex und Gewalt bestimmt. Erst allmählich entwickelt sich eine Liebesbeziehung, in der auch Suiza als Person eine Rolle spielt. Auch bei Tomás gibt es Altlasten, die einer solchen Beziehung im Weg stehen. Tomás ist mit knapp 39 Jahren nach fünf Jahren Ehe seit sechzehn Jahren Witwer. Er ist ein grobschlächtiger, nicht empathiefähiger Mann, der nichts über die Liebe weiß und nur mit Prostituierten zurechtkommt. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine Liebesbeziehung, zumal Tomás gleich zu Beginn von seiner Krebsdiagnose erfährt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Die beiden Partner bewegen sich allmählich aufeinander zu, vor allem weil Tomás Ratschläge für den Umgang mit Suiza von seiner Amme Agustina, seinen Helfern Ramón und dem gesellschaftlich ausgegrenzten schwulen Lope sowie dem Ladenbesitzer Luis erhält. Im Laufe der Geschichte wird alles besser, weil Suiza und vor allem Tomás sich verändern, aber kann das ein gutes Ende nehmen, wenn sich zugleich Tomás Gesundheitszustand unaufhaltsam verschlechtert?
Belpois erzählt eine Geschichte von Sex und Liebe, von Besitzansprüchen und Gewalt inklusive Vergewaltigungen, wobei der Anteil von Gewalt in dieser Beziehung ebenso irritierend ist wie die Tatsache, dass Frauen „genommen“ oder weitergereicht werden, ohne dass man sie groß nach ihrer Meinung fragt. Der Roman ist beeindruckend in seiner sprachlichen Qualität und Zeichnung all seiner Figuren. Er hat mir gut gefallen, auch wenn ich auf dieses Ende nicht vorbereitet war.