Die Hüterinnen des Meeres
Der Ruf des MeeresDie Hüterinnen des Meeres
„Wenn man wüsste – wenn man IMMER wüsste – wann etwas zum letzten Mal im Leben kommt, würde man anders damit umgehen. Man würde es genießen. Man würde innehalten. Man würde sich ...
Die Hüterinnen des Meeres
„Wenn man wüsste – wenn man IMMER wüsste – wann etwas zum letzten Mal im Leben kommt, würde man anders damit umgehen. Man würde es genießen. Man würde innehalten. Man würde sich diesen Moment durch nichts rauben lassen.“
Für Whitney Monroe war der Krebstod ihrer geliebten Mutter vor fünf Jahren ein einschneidendes Erlebnis, das sie zugleich auch zur Vollwaise machte. Für die geschiedene Frau Ende dreißig ist die Zeit ihrer permanenten Wanderschaft zu Ende. Durch die Gründung eines erfolgreichen und gut gehenden Restaurants gemeinsam mit ihrer Cousine Denise scheint sie endlich ihren Lebensmittelpunkt und die Erfüllung all ihrer Träume in Michigan gefunden zu haben. Doch Whitneys Expandierungspläne und die Eröffnung eines zweiten Lokals werden durch üble Machenschaften blockiert. Als sie plötzlich ein Hilferuf aus ihrer Heimat North Carolina hinsichtlich ihres kranken Stiefvaters Clyde Franczyk erreicht, beschließt Whitney, zu den Outer Banks zu reisen, wo Clyde auf Roanoke Island in einem alten Hotel am Meer lebt, das Whitneys Mutter ihr hinterlassen hatte. Clyde wurde ein Wohnrecht auf Lebenszeit eingeräumt und obgleich er sich nicht mehr selber hinreichend versorgen kann, weigert er sich vehement, das Haus zu verlassen. Whitneys Verbitterung gegenüber ihrem egoistischen und besitzergreifenden Stiefvaters ist groß und es kostet sie enorme Überwindung, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Doch angesichts der prekären Lage ihres Restaurants in Michigan und der damit verbundenen finanziellen Probleme ist sie gezwungen, sich mit ihrem Erbe auseinander zu setzen und über einen etwaigen Verkauf des Hauses zu entscheiden. Dass ihr hierbei weder von Seiten Clydes, noch der anderen Mieter des Hauses Wohlwollen entgegengebracht wird, ist vorprogrammiert…
Lisa Wingate erzählt in diesem Buch die Geschichte einer Familie, die viele Schicksalsschläge hinnehmen musste. Ihre Protagonistin Whitney Monroe trauert immer noch um ihre verstorbenen Eltern, sie hat starke Bindungsängste und besitzt einen ruhelosen Geist. Ihr Drang zur Perfektion treibt sie zu immer größeren Leistungen an, sie läuft Gefahr, sich selber zu verausgaben. Withneys Großmutter Ziltha Benoit weilt ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden, man darf sie jedoch anhand vieler Rückblenden in die Vergangenheit näher kennen lernen. Die Tochter aus gutem Hause wurde sehr früh Witwe und musste ihren einzigen Sohn alleine großziehen. Zilthas schwierige Persönlichkeit und ihre nörgelnde Arroganz verhinderten zusammen mit ihrer mangelnden Zuneigung zu ihrer Enkeltochter Whitney jegliche Annäherung. Als zweite Protagonistin dieses Buches spielt Alice Lorring, die Zwillingsschwester Zilthas, eine bedeutende Rolle. Alice war ein so genannter „Federal Writer“ und wurde gemeinsam mit vielen anderen Schreibern von Präsident Roosevelt damit beauftragt, durch das Land zu reisen und die Geschichten vieler Menschenleben zu Papier zu bringen. In einem zweiten Erzählstrang beschäftigt Lisa Wingate sich mit Alices Geschichte, die eng mit den Ereignissen der Gegenwart verwoben ist und viele überraschende Wendungen und Erkenntnisse bereithält. Die Autorin verwendet kursiv gedruckte Briefe von Alice an ihre Schwester Ziltha als Stilmittel, um ihre Leser an deren Schicksal teilhaben zu lassen. Zwar konnte mich die Charakterzeichnung von Whitney nicht vollständig überzeugen, umso mehr schaffte Lisa Wingate dies jedoch mit der Figur der Alice Lorring.
Der etwas zähe Einstieg in die Handlung und die Darstellung der Whitney Monroe bildeten gemeinsam mit der Tatsache, dass dem Glauben nur sehr wenig Raum gegeben wurde, meine einzigen Kritikpunkte. Da diese Geschichte ab der Hälfte des Buches jedoch an Fahrt aufnimmt und man als Leser in die Geschichte der alteingesessenen und berühmten Familie Benoit regelrecht hineingezogen wird, werden diese Schwächen zusammen mit dem flüssigen Schreibstil Lisa Wingates wieder ausgeglichen.
Fazit: „Der Ruf des Meeres“ war eine Geschichte, die es erst ab der Hälfte des Buches schaffte, mich in seinen Bann zu ziehen. Dennoch war ich fasziniert von den Ereignissen in der Vergangenheit, die Lisa Wingate auf sehr interessante Art und Weise nach und nach enthüllt. Die Volksgruppe der Melungeons und deren Geschichte bilden das zentrale Thema dieses Buches und regen dazu an, sich näher mit ihrer Identität und ihrer ethnischen, sprachlichen, kulturellen und geographischen Herkunft zu beschäftigen.