Dieses Buch hat mich wirklich bewegt
BrunnenstraßeNatürlich gibt bereits der Klappentext einen kleinen ersten Einblick, dass es sich bei der hier vorliegenden Autobiographie der bekannten Schauspielerin Andrea Sawatzki um harten Tobak handelt. Dass mich ...
Natürlich gibt bereits der Klappentext einen kleinen ersten Einblick, dass es sich bei der hier vorliegenden Autobiographie der bekannten Schauspielerin Andrea Sawatzki um harten Tobak handelt. Dass mich die Schilderungen der Kindheit der Autorin dann allerdings tatsächlich derart bewegen und mitnehmen würden, hatte ich zugegebenermaßen nicht unbedingt erwartet! Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt Andrea Sawatzki einigermaßen harmonisch, und das trotzdem ihre Mutter alleinerziehend und erwerbstätig war, was damals gegen Mitte und Ende der 60ger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht unbedingt zu den üblichen Lebensmodellen zählte. Hervorgegangen aus einer langjährigen Affäre, die ihre Mutter mit einem verheirateten Mann hatte, bekennt sich dieser erst dann zu Frau und Tochter als seine erste Gattin stirbt. So bekommt unsere Protagonistin also erst einen Vater als sie bereits acht Jahre alt ist. Doch soll sich dieses traditionelle Familienleben nun alles andere als idyllisch gestalten, denn bei Günther Sawatzki, einem freiberuflichen Journalisten, wird schnell eine frühe Form von Alzheimer diagnostiziert. Nicht mehr arbeitsfähig muss er gezwungenermaßen das Haus hüten, Andreas Mutter kommt die Rolle der Familienernährerin zu, und die bald zehnjährige Tochter muss sich gezwungenermaßen um den kranken Vater kümmern. Dass sie dabei schnell an ihre Grenzen stößt, liegt wohl in der Natur der Sache. Günther Sawatzki wird aggressiv, schlägt seine Tochter, hat seine einfachste Körperhygiene nicht mehr im Griff, die Tochter versucht, dies alles mit ihm zu meistern, während die Mutter ihren Job Tag und Nacht als Krankenschwester erledigt. Andrea fällt in der Schule ab, da ihr der Vater nachts den Schlaf raubt, sie hat alles andere als eine normale Kindheit und Jugend, das halbwüchsige Kind ist mit dieser Aufgabe NATÜRLICH hoffnungslos überfordert. Aus heutiger Sicht denkt man, "und das ist niemandem aufgefallen? Wo waren Nachbarn, Lehrer und andere Wegbegleiter der Familie?" Aber die Mutter und Tochter sind Meister im Vertuschen, Andrea wohl eher gezwungenermaßen, um den Ansprüchen und Erwartungen ihrer Mutter gerecht werden will, die um nichts in der Welt den schwerkranken geliebten Ehemann in ein Heim geben möchte. Die spätere Schauspielerin lässt uns in dieser Autobiographie auf extrem offene und bewundernswerte Art und Weise daran teilhaben, wie sie um ihre Kindheit und Jugend betrogen wurde, ja wie sie verständlicherweise sogar den Tod des Vaters herbei sehnte, um endlich ein normales Leben in Freiheit nur mit ihrer Mutter führen zu können. In kurzen gut strukturierten Kapiteln, die einen das Buch nur schwer aus der Hand legen lassen, schildert Andrea Sawatzki, die eben nicht nur über schauspielerische, sondern auch schriftstellerische Fähigkeiten verfügt, die Jahre ihrer Kindheit und Jugend, die so massiv und leider vor allem negativ durch ihren Vater beeinflusst waren. Danke an die Autorin für diese Offenheit und ein großartiges Buch, das ich hiermit unbedingt empfehlen möchte!