Gute Gründe für diesen Roman gibt es viele
Gute GründeUnd schon wieder eine sehr positive Überraschung aus dem neuen pola-Verlag! Obwohl "Gute Gründe" inhaltlich ein Roman ist, der es dem Leser durchaus schwer macht - mir fällt gerade eigentlich kein gängiges ...
Und schon wieder eine sehr positive Überraschung aus dem neuen pola-Verlag! Obwohl "Gute Gründe" inhaltlich ein Roman ist, der es dem Leser durchaus schwer macht - mir fällt gerade eigentlich kein gängiges belastendes Thema ein, das dieses Buch aussparen würde, denn von Suizid über Krebs, Demenz, Depression und toxischer Liebe ist alles dabei - bedrückt der Text nicht bzw. nicht in dem Ausmaß, in dem man es erwarten würde.
Dies liegt an der durch und durch authentischen, sympathischen und bis ins letzte Detail nachvollziehbaren Erzählerin Yael, die in ihrem Leben bereits durch so manches Tal geschritten ist. Ihr psychisches Leiden und die geschilderten Verletzungen lösen daher keinerlei Verwunderung aus; die große Überraschung indes ist, wie sie mit ihrer Situation umgeht. Auch wenn es innerhalb des Romans immer wieder schmerzhafte Rückblicke und auch gegenwärtige, beängstigende Herausforderungen gibt, die auch den Leser sehr mitnehmen, werden der Erzählton und auch die Handlung von Humor und Optimismus bestimmt. Yaels ein- bis zweizeiligen Kommentare, die treffgenaue Selbstreflexionen oder bissige Perspektivwechsel beinhalten, ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman und sind ein gelungenes Beispiel für gut getimten "Comic Relief". Allerdings braucht es etwas bis man sich in die Erzählstruktur eingefunden hat, gerade zu Beginn sind die Sprünge in die Vergangenheit nicht immer leicht einzuordnen, die Handlung springt nicht chronologisch sondern in Episoden zurück, und in diesem Netz der Erinnerungen muss man sich erst einmal etwas zurecht finden.
Auf der Handlungsebene gelingt es Nadine J. Cohen fast durchgängig Leichtigkeit zu generieren, auch weil sie Yael eingängig konzipierte und außerordentlich sympathische Nebenfiguren an die Seite stellt: von der stylishen Psychologin mit ihrer nicht sonderlich feinfühligen Sprechstundenhilfe über Shirley und die Damen im Frauenschwimmbad bis hin zu ihrer "no-nonsense"-Schwester passen hier alle zusammen und sorgen im Erzählfluß immer wieder für überraschende und lustige Situationen, die Yael mehr und mehr aus ihrer Isolation herauslösen und ihren stetigen und langsamen Heilungsprozess sinnvoll bereichern. Aber nicht nur der Weg aus psychischen Belastungen spielt in "Gute Gründe" eine Rolle, ein wesentlicher Fokus, der mir persönlich sehr gut gefallen hat, ist auch die Auseinandersetzung mit der Frage, was es im heutigen Australien bedeutet, jüdisch zu sein und Traditionen zu leben bzw. zu modifizieren. Gerade wenn es um Yaels Kindheit und ihr Familienleben geht, wird deutlich, wie tief diese Wurzeln reichen und wie schwer es ist, sich von ihnen zu lösen - dabei ist der Roman definitiv kein religiöses Traktat - es geht eher darum, wie man den ein oder anderen Aspekt in das eigene Leben integriert.
"Gute Gründe" ist ein sehr unterhaltendes Buch mit einer wundervollen Erzählerin, das aber beständig die Schattenseiten, Traumata, den Kummer und den Schmerz anspricht. Leser, die die Auseinandersetzung damit nicht scheuen, werden eine stärkende und bereichernde Lektüre vorfinden und sicherlich das ein oder andere Mal lächeln müssen.