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Veröffentlicht am 06.06.2023

Wenn der Hund spricht und Alice im Wunderland dich berät

Wie Sisi sich verwirrte
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Was hatte ich bei dem Cover, dem Titel und dem Klappentext erwartet? Eine humorvolle, komödiantische, spritzige Auseinandersetzung einer Frau in den besten Jahren mit ihrem Alter, ihrer Vergangenheit und ...

Was hatte ich bei dem Cover, dem Titel und dem Klappentext erwartet? Eine humorvolle, komödiantische, spritzige Auseinandersetzung einer Frau in den besten Jahren mit ihrem Alter, ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft. Bekommen habe ich stattdessen eine unglücklicherweise recht behäbige, alberne (aber nicht im lustigen Sinne), unrealistische und vor allem grenzenlos naive Jagd nach einem Job bzw. Lebensinhalt. Selbst als Satire gelesen verfängt der Text kaum. Sprachlich ist er nichts Besonderes, er liefert keine Situationskomik oder gut getimten Pointen. Inhaltlich wandert er von einem mehr oder weniger aus der Luft gegriffenen verzweifelten Berufswunsch zum nächsten – meist ist durch die Überschrift schon klar, dass die nächste Pleite droht.

Neben den bereits genannten Schwachpunkten gleitet die Handlung ständig in abstruse Traumsequenzen ab. Träume in Romanen sind an sich schon eine heikle Angelegenheit – oftmals wirkt es so, als suche man nach einem Ausweg aus einem etwas verfahrenen Handlungskonstrukt – wenn sie dann aber noch mit einem sprechenden Hund (!) und als immer wiederkehrender Begleiterin/Ratgeberin Alice im Wunderland (!!) gepaart werden, kommt man als Leser schon mal an seine Grenzen, zumal die Handlung an sich leider auch recht langatmig ist und die Kapitel in ihrer Ausrichtung auf das Ausprobieren eines weiteren ungeeigneten Jobs sich auch vom Aufbau mehr oder weniger ähneln. Allein die Namensverwandtschaft der Protagonistin mit der österreichischen Kaiserin schafft bedauerlicherweise noch keinen mitreißenden und überzeugenden Roman.
So bleibt der Text möglicherweise ein netter Zeitvertreib für Leute, deren Humor durch die Umtriebigkeit und Unreife der Hauptfigur und die überzogenen Szenen, in denen sich Sisi wiederfindet, getroffen wird, aber ein must-read oder eine Leseempfehlung ist er ganz sicher nicht.

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Veröffentlicht am 26.05.2023

Ein Sommer in den 50ern

Gidget. Mein Sommer in Malibu
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Frederick Kohners Geschichte eines Sommers in den 50er Jahren fängt auf perfekte Weise Zeitgeist, Summerfeeling, Freiheit und Aufbruchstimmung ein. Überraschend modern in Sprache und Ereignissen ist der ...

Frederick Kohners Geschichte eines Sommers in den 50er Jahren fängt auf perfekte Weise Zeitgeist, Summerfeeling, Freiheit und Aufbruchstimmung ein. Überraschend modern in Sprache und Ereignissen ist der kurze Roman auch die Betrachtung einer Emanzipation, eines Coming-of-Age und des Zaubers des Glaubens an die erste Verliebtheit. Gidget, die Titelfigur, für die Kohners Tochter Pate stand, stellt sich im Kreise einer männlichen Surfercrew im wahrsten Sinne des Wortes auf eigene Füße, testet ihre Grenzen aus und lernt ihre Unsicherheiten und das Erwachsensein kennen.

Der Roman fesselt den Leser von den ersten Zeilen an. Überaus überzeugend, authentisch und glaubhaft gelingt es dem Autor, die jugendliche Sprache der Ich-Erzählerin auf die Seiten zu bannen. Gidgets Stimme ist lebendig, ehrlich und fast hörbar. Ihre Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen und Wünschen, ihre Pläne und Ränke, um ihre Ziele zu erreichen sind für eine Fünfzehnjährige absolut passend und nachvollziehbar. Großartig ist vor allem die Darstellung des Konflikts zwischen angestrebter weiblicher Reife, z.B. wenn Gidget eifersüchtig versucht, die Nummer Eins im Leben ihres Schwarms zu werden, und kindlich-naivem, überfordertem Verhalten, wenn ihr nach dem ersten Kuss bereits der Satz „Ich liebe dich“ auf den Lippen brennt. Sie ist mittendrin im atemlosen Sommer ihres Lebens – auch wenn sie die Geschichte angeblich für später aufzeichnet – und der Leser ist es mit ihr. Neben der sehr lebhaften und lebensechten Erzählerin fängt der Text auf feinste Weise das Lebensgefühl eines endlosen, kalifornischen Sommers am Malibu Beach ein. Lange sonnendurchflutete Tage, warme Nächte, Gemeinschaft, Surfen und Parties prägen den Erzählfluss – wie Gidget fühlt man auch als Leser die Anziehungskraft von Malibu Beach.

Ein wunderbarer, sommerlicher, jugendlicher und gar nicht mal so leichter (wenn man etwas tiefer blickt) Sommerroman, der allein schon durch seine vorwitzige, weibliche Erzählfigur ein Klassiker sein sollte.

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Veröffentlicht am 11.05.2023

Die Melodie der Wahrheit

Melody
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"Melody" hat mir sehr viel Freude bereitet. In eleganten Sätzen und gehobener Atmosphäre wird der Leser in das Mysterium der verschwundenen Melody, einst Verlobte des überaus erfolgreichen Dr. Stotz, eingeführt. ...

"Melody" hat mir sehr viel Freude bereitet. In eleganten Sätzen und gehobener Atmosphäre wird der Leser in das Mysterium der verschwundenen Melody, einst Verlobte des überaus erfolgreichen Dr. Stotz, eingeführt. Dieser steht am Ende seines Lebens und engagiert den jungen Juristen Tom, um die Zeugnisse seines Lebens in eine sinnvolle und vor allem präsentable Form zu bringen - auf den ersten Blick ein typischer Fall von erwünschter positiver Selbstinszenierung. In zahlreichen Sitzungen zwischen Wein und anderen Spirituosen, untermalt von hervorragender italienischer Küche, enthüllen Tom und Dr. Stotz das Rätsel um Melody Schicht für Schicht.

Die augenscheinliche Obsession des alten Mannes mit seiner spurlos verschwundenen Liebe hat mich sehr fasziniert. Die wie ein Krimi anmutende Handlung ist spannend - auch wenn sie in einem vermeintlich ruhigen Gewand daherkommt. Der Leser kann nicht umhin, selbst Vermutungen zum Verbleib Melodys anzustellen - nicht zuletzt, weil man auch von Dr. Stotz in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. An der Seite von Tom erfährt man dennoch auch Frustration, denn erfahren kann man über Melody immer nur so viel, wie Dr. Stotz preiszugeben bereit ist. Dass die krimiartige Handlung auch den ein oder anderen Twist aufbietet, ist natürlich ein absoluter Bonus - zumal der Roman so durchkomponiert ist, dass ihm auch im letzten Drittel nicht die Luft ausgeht.

Die Figuren sind insgesamt erstaunlich problemfrei - geschuldet ist dies sicherlich der Tatsache, dass das gesamte Personal des Romans sich im Luxusbereich bewegt. Auch wenn Dr. Stotz unheilbar krank ist, echte Empathie oder gar Trauer kommen im Angesicht dieses bedrückenden Umstands nicht auf. Es ist ein fait accompli über den es sich offensichtlich nicht zu diskutieren lohnt. Das wäre denn auch mein einziger Kritikpunkt an dem Roman: eine rechte Identifikation oder Involviertheit mit den Figuren kommt nur schwer zustande. Selbst der eher durchschnittlich anmutende Tom interessierte mich als Charakter nur mäßig. Einzig die große Unbekannte - Melody - sticht aus diesem Kreis reizvoll heraus, sie ist Dreh- und Angelpunkt des eigentlichen Anliegens des Textes: der Frage nach der persönlichen Wahrheit. Denn eins wird in "Melody" deutlich: Wahrheit ist immer das, was ich dafür halte.

Insgesamt, ganz besonders aufgrund dieser spannenden Diskussion des Wahrheitsgedanken, eine sehr empfehlenswerte und unterhaltende Lektüre, gut geschrieben und fein unterhaltend.

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Der weibliche Körper und die Marginalisierung weiblicher Stimmen

Ein Geist in der Kehle
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Die Lyrikerin Doireannn Ní Ghríofa beschreibt in ihrem autofiktionalen Erstlingswerk, wie sie während der Still- und Kleinkindzeiten ihrer Kinder über das Leben und Dichten der Irin Eibhlìn Dubh stolpert, ...

Die Lyrikerin Doireannn Ní Ghríofa beschreibt in ihrem autofiktionalen Erstlingswerk, wie sie während der Still- und Kleinkindzeiten ihrer Kinder über das Leben und Dichten der Irin Eibhlìn Dubh stolpert, welches sie in der Folge nicht mehr loslässt. Fast obsessiv fühlt sich die junge Mutter zu der Frau aus dem 18. Jahrhundert hingezogen, besonders weil über diese so wenig bekannt ist. Die Erzählerin beginnt eine Spurensuche, die zwischen Imaginiertem und Fakten angesiedelt ist, dreht jede noch so kleine Porzellanscherbe um und lernt in dem Prozess immer mehr über sich selbst, den Fluch und Segen von Weiblichkeit und Mutterschaft.

„Ein Geist in der Kehle“ ist unbestritten ein innovatives und sehr kluges Buch. Das durch den Roman refrainartig hallende „Dies ist ein weiblicher Text“, das auch recht werbewirksam auf dem Cover vermerkt ist, umschreibt das Anliegen der Autofiktion: es ist eine Studie weiblicher Beschränkung, Marginalisierung und Pflichtverbundenheit, die sehr deutlich den Fokus auf die Tatsache richtet, wie viele weibliche Stimmen und Texte uns im Verlauf der Jahrhunderte wohl verloren gegangen sind. Frauen waren eher den mündlichen Überlieferungen (wie z.B. bei Märchenerzählungen) als der Verschriftlichung verbunden – nicht zuletzt aus Mangel an (Frei-)Zeit und Bildung. Auf diese Unstimmigkeit richtet die Autorin ihr Augenmerk und verbindet sie mit der Wahrnehmung ihrer selbst, während der sie feststellt, dass sie aus sehr viel Körper und Körperlichkeit besteht. Für sie ist z.B. das Gebären und das Stillen auch eine Form des weiblichen Textes. Sie misst der Funktionstüchtigkeit ihres weiblichen Körpers viel Bedeutung bei, reflektiert über das Ende ihrer Fruchtbarkeit und ihres Lebens.

All diese Gedanken sind in Episoden der Selbstbeschreibung, kleinerer und größerer Ereignisse und natürlich in die Forschung zu Eibhlìn Dubh eingebunden. Sie bilden den roten Faden des Textes, können aber leider nicht verhindern, dass man sich als Leser über weite Teile des Romans langweilt. Die fortdauernde und nicht immer ganz schlüssig verbundene Introspektion und Selbstreflexion ermüden und können nur selten fesseln – zumal der Gedanke weiblicher Marginalisierung und Sprachlosigkeit überhaupt nicht neu ist. So gerät der Text zum Denkmal einer möglicherweise zu Unrecht vergessenen Dichterin und zum Ausdruck der Selbstbespieglung einer Frau, die einen nicht unerheblichen Teil ihres Selbstwerts an ihrer Funktionsfähigkeit als nährende Mutter bindet.

Sprachlich ist der Roman gelungen. Doireann Ní Ghríofas lyrisches Talent scheint auf jeder Seite durch, es hat seinen eigenen melodischen Fluss, der von den Übersetzern grundsätzlich gut eingefangen wurde. Allerdings muss man die Übersetzer/das Lektorat bei diesem Roman ganz ausdrücklich kritisieren. Ich finde es gelinde gesagt unsäglich und unerträglich, einem aus dem Englischen übersetzten literarischen Text die deutsche Gendermanie aufzuzwingen. Im Englischen gendert man nicht – es ist eine germanische Sprache, die ebenso wie das Deutsche übrigens – inklusiv ist. „Reader“ sind alle Leser – egal welchen Geschlechts. Und so findet sich im Original des Romans, der ja sogar eine sehr ausdrückliche Beschäftigung mit Weiblichkeit und ihren Implikationen ist, folgende Passage: „I know I should be grateful to the many translators and scholars…“ Ich sehe hier kein Gendern, kein „male and female translators and scholars“ (diese Möglichkeit hat das Englische ja durchaus!). Trotzdem macht die deutsche Übersetzung daraus: „Ich weiß, dass ich den vielen Übersetzer:innen und Wissenschaftler:innen dankbar sein sollte…”. Nicht nur, dass das so im Original tatsächlich nicht steht, hier wird eine durchaus fragwürdige deutsche Formulierung genutzt und einem literarischen Text eine Lesart aufgezwungen, die so schlichtweg nicht gegeben ist. Das ist ärgerlich, überflüssig und äußerst störend – zumal dies nicht das einzige Bespiel ist. Egal, ob Anhänger des Genderns oder nicht: beim literarischen Übersetzen sollte doch der Ursprungstext bestimmen, wie gelesen wird.

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Veröffentlicht am 15.02.2023

Das kleine bisschen Weihnachtsglück

Andere Sterne
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„Andere Sterne“ ist die etwas andere Weihnachtsgeschichte, die den Traum von Weihnachten dennoch sehr eindrücklich einfängt. Ronja wünscht sich ein paar einfache Dinge: dass ihr Vater weniger trinkt, nicht ...

„Andere Sterne“ ist die etwas andere Weihnachtsgeschichte, die den Traum von Weihnachten dennoch sehr eindrücklich einfängt. Ronja wünscht sich ein paar einfache Dinge: dass ihr Vater weniger trinkt, nicht in Bars geht, sich um sie kümmert, eine Arbeit hat und ihr Geborgenheit schenkt. All diese Dinge sollten mehr oder weniger selbstverständlich sein, doch Ronjas Vater scheitert regelmäßig daran und so sind sie und ihre Schwester auf sich selbst gestellt.

Ingvild H. Rishoi ist eine nachdenklich stimmende, berührende, völlig kitschfreie und sehr moderne Weihnachtserzählung gelungen, die nicht nur das heutige Oslo überzeugend in Szene setzt, sondern auch auf wenigen Seiten das Seelenleben einer Grundschülerinnen, die täglichen Herausforderungen im Umgang mit dem immer wieder hinweggleitenden und unzuverlässigen Vater und die Sehnsucht nach dem kleinen bisschen Glück sehr stimmungsvoll darstellt. Besonders auch die Darstellung der Hilfsbereitschaft verschiedener Männerfiguren ist ihr geglückt, unterläuft sie damit doch auch gängige Handlungskonzeptionen und Lesererwartungen. Ebenso gelungen ist auch der verantwortungsvolle Zusammenhalt des Schwestern-Duos – in Abwesenheit von elterlicher Fürsorge spendet man sich gegenseitig Trost und Nähe.

Für mich ist „Andere Sterne“, das mit seinem wunderbaren Schluss bei mir Erinnerungen an H.C. Andersens „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ weckte, eine sehr gelungene zeitgenössische Erzählung für einen ganz besonderen Blick auf den Zauber von Weihnachten.

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