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Veröffentlicht am 19.05.2020

Simon Leyland - der Liebhaber der Sprache(n)

Das Gewicht der Worte
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Die Handlung von Das Gewicht der Worte zu beschreiben, fällt mir sehr schwer, denn ich habe selten einen Roman gelesen, für den die Handlung so sekundär war. Eigentlich passiert, abgesehen von einer dramatischen ...

Die Handlung von Das Gewicht der Worte zu beschreiben, fällt mir sehr schwer, denn ich habe selten einen Roman gelesen, für den die Handlung so sekundär war. Eigentlich passiert, abgesehen von einer dramatischen ärztlichen Fehleinschätzung, mit der der Protagonist nicht fertig werden kann, nichts, außer Dingen, die an Alltäglichkeit und Normalität kaum zu überbieten sind.

Der ärztliche Fehler überschattet quasi den ganzen Roman, und es ist furchtbar anstrengend zu erleben, wie wenig es Simon Leyland, der Hauptfigur, gelingt, sich von diesem Ereignis zu lösen - für mich sprengt das ein wenig die Glaubwürdigkeit des gesamten Textes. Anstatt darüber zu jubilieren, ein zweites Leben geschenkt bekommen zu haben, und die Leichtigkeit und Freude zu feiern, wird auf über 500 Seiten ein melancholisches Porträt der Vergangenheit, Introspektion und Freundschaft ausgebreitet, dessen Ziel nicht wirklich erkennbar ist. Von der Handlung bin ich also alles andere als begeistert, ich hatte an ihr schon nach spätestens 150 Seiten das Interesse verloren, da sich die Gedankenwelt Simons auch nur so graduell entwickelt, dass es manchmal kaum spürbar ist. Außerdem werden viele Ereignisse mehrfach vom Protagonisten berichtet, weil er die immer gleichen Themen mit unterschiedlichen Figuren bespricht und dann noch das Erlebte in Briefen an seine verstorbene Frau verarbeitet. So entsteht zeitweise der Eindruck eines unendlichen Zirkels.

Man mag sich nun fragen, warum ich diesen Roman in seiner Gänze dennoch gelesen habe. Ganz einfach: mir ist selten ein Buch untergekommen, dass sprachlich und stilistisch so sensibel und sinnhaft mit Sprache umgeht, Wörter und Syntax so umfassend versteht und so sanft und umsichtig in Szene zu setzen vermag. Das ist die Stärke und das Alleinstellungsmerkmal dieses Werks und deshalb hat es für mich Gewicht. Allerdings würde ich es nicht noch einmal lesen wollen.

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Veröffentlicht am 19.05.2020

Der Liebe auf der Spur

Der Kuss
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Zu Kurzgeschichten haben viele Leser/innen (und auch ich) ein eher zwiegespaltenes Verhältnis: man muss sich auf die verdichtete Art der Erzählung einlassen und kaum ist man in der Geschichte und bei der ...

Zu Kurzgeschichten haben viele Leser/innen (und auch ich) ein eher zwiegespaltenes Verhältnis: man muss sich auf die verdichtete Art der Erzählung einlassen und kaum ist man in der Geschichte und bei der Figur angekommen, naht auch schon das Ende. Dieses sollte den Leser im Idealfall nicht so schnell wieder loslassen und zum weiteren Nachdenken anregen. Genau diese Enden sind es, die den Reiz von Kurzgeschichten für mich ausmachen.

Umso glücklicher bin ich, dass Tina Harf in Der Kuss dies in fast allen Fällen wirklich ausgezeichnet gelingt. Egal ob Pauline, Amelie, Marlene, Josephine oder Marie: wenn der letzte Satz der jeweiligen Geschichte gelesen ist, hat sich der Blick nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für die Leserin geweitet.

Alle in diesem Band veröffentlichten Geschichten befassen sich mit Aspekten weiblicher Liebeserfahrung, die sehr unterschiedlich sind, aber dennoch Anknüpfungspunkte für eigene Erfahrungen bieten und so zum Mitfühlen einladen. Meine Lieblingsgeschichten sind die erste und die letzte des Bandes, da in beiden Erzählungen etwas Märchenhaftes mitschwingt. Den stärksten Nachhall hat bei mir jedoch Amelies Liebe, ihr Lieben und ihre Gedanken bilden eine richtig gute Kurzgeschichte mit viel Diskussionspotential.

Allen Geschichten gemeinsam ist, dass sie zeitweise Momente und Themen beschreiben, die mir unangenehm sind und ein Gefühl von „lieber nicht“ auslösen, aber wunderbarer Weise sind alle Erzählungen durch einen optimistischen Grundton verbunden, der nicht zuletzt durch Tina Harfs treffsichere und stilistisch ansprechende Prosa zur Geltung kommt. Hier wird eine wirklich gute Sprache passend eingesetzt.

Der Kuss ist eine lohnenswerte und kurzweilige Geschichtensammlung über die Liebe aus der Sicht von Frauen für Frauen, die ich so schnell nicht vergessen werde. Das Cover gehört für mich jetzt schon zu den schönsten des Jahres und die Widmung der Sammlung ist die beste, stimmigste und klarste, die ich je gesehen habe. Ein Buch, das „Für die Liebe“ geschrieben wurde, sollte man lesen.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Dating-Potpourri mit kurzer Wirkungsspanne

Thirty
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Die 29-jährige Bella Edwards (ja, die Figur heißt wirklich so – man kann sich kaum gegen Twilight-Assoziationen wehren) hat nicht nur Pech im Job, sondern auch in der Liebe. Vor lauter Verzweiflung flieht ...

Die 29-jährige Bella Edwards (ja, die Figur heißt wirklich so – man kann sich kaum gegen Twilight-Assoziationen wehren) hat nicht nur Pech im Job, sondern auch in der Liebe. Vor lauter Verzweiflung flieht sie aus London und reist zu ihrer Freundin nach New York, die ihr eine Dating-Aufgabe stellt: dreißig Verabredungen in den letzten dreißig Tagen bis zu Bellas dreißigstem Geburtstag.

Was thematisch als gute Grundidee für einen Chick Lit-Roman beginnt, lässt leider ziemlich schnell nach. Die vielen Dates, die im Medium einer Mail an die beste Freundin geschildert werden, verlieren rasch an Reiz, zumal auch einige Begegnungen darunter sind, die man nur mit sehr viel gutem Willen überhaupt als „Date“ bezeichnen würde. Hinzu kommt, dass leider einige dieser Verabredungen sprachlich und inhaltlich recht zielgenau aufs Ordinäre zusteuern. Von diesen Passagen abgesehen, habe ich oftmals herzlich lachen müssen, denn einige Szenen glänzen durch hervorragende Situationskomik und sind höchst unterhaltsam. Doch auch wenn mir der Humor zeitweise gut gefallen hat, funktioniert der Roman insgesamt (bis auf die ersten beiden Kapitel) nicht für mich. Das Problem ist, dass die Handlung sich letztlich nicht wirklich entscheiden kann, was sie sein will. Zum größten Teil ist der Roman Chick Lit, wenn auch recht durchschnittliche. Als sich schließlich der Traummann als verheiratete Enttäuschung entpuppt, muss man als Leser bangen, dass nun sämtliche Chick Lit-Konventionen über Bord geworfen werden. Diese Angst erweist sich zwar glücklicherweise als unbegründet, gerettet wird die Lage jedoch nur über eine sehr krude Kehrtwende zur Selbstfindungsthematik, die in Anbetracht der Figurenkonzeption von Bella nicht überzeugt und auch nur wenige Seiten anhält.

Thirty bietet komische und unterhaltsame Momente in einem nicht wirklich ausbalancierten Chick Lit-Roman und ist sicherlich ein netter Zeitvertreib. Aber: Chick Lit geht deutlich besser.

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Veröffentlicht am 07.05.2020

Erwachsenwerden in düsteren Zeiten

Mohnschwestern
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Mohnschwestern hat ein wunderschönes Cover, das mich ebenso wie der Klappentext sofort angesprochen hat. Der Klappentext entspricht jedoch nicht ganz dem, was im Roman geschieht, da u.a. angedeutet wird, ...

Mohnschwestern hat ein wunderschönes Cover, das mich ebenso wie der Klappentext sofort angesprochen hat. Der Klappentext entspricht jedoch nicht ganz dem, was im Roman geschieht, da u.a. angedeutet wird, dass ein wesentlicher Teil der Handlung sich um den Versuch der Liebenden, einander wiederzufinden, dreht.

Die Haupthandlung des Romans spielt in den Jahren 1943/44 und ist den Erlebnissen der jungen Lotte gewidmet. Lotte will Lehrerin werden, ist mit dem Soldaten Hans verlobt, der wie Lottes Vater an der Front ist, und lebt mit ihrer Mutter und ihren Brüdern in Darmstadt. Ihr mehr oder weniger geordnetes Leben gerät aus den Fugen als sie Wilhelm kennenlernt und sich in ihn verliebt. Durch ihren Bruder Fritz, der sich gegen das Regime auflehnt, lernt sie außerdem neue Freunde kennen, während sich die alte Freundschaft mit ihrer Kindheitsfreundin Hedwig aufzulösen scheint. Die Liebe von Lotte und Wilhelm steht von Beginn an unter keinem guten Stern…

In einer Nebenhandlung begleitet man Hazel, die an einem gebrochenen Herzen leidet, der es aber durch eine glückliche Fügung vergönnt ist, ihre alte Jugendliebe wiederzutreffen.

Die Hazel-Handlung ist gut geschrieben und hat mich sehr angesprochen. Ich finde diese Teile sehr wichtig, da sie zum einen die düstere Handlung um Lotte auflockern und zum anderen einen Bezug zum Leser schaffen. So wird betont, dass die Vergangenheit stets auch eine Relevanz für das Jetzt hat. Am Ende hätte ich mir eventuell gewünscht, dass es eine nähere Beziehung zwischen Hazel und Mathilda gegeben hätte, aber für mich hat der Erzählstrang um Hazel auch so funktioniert.

Die Lotte-Handlung ist hochspannend, fast schon atemlos. Viele Dinge sind hier gut gemacht, wie z.B. die Darstellung der ideologischen Verblendung anhand verschiedener Figuren, die Erschaffung der düsteren und bedrohlichen Atmosphäre und vor allem in weiten Teilen auch Lottes Entwicklung. Für mich ist Mohnschwestern vor allem ein coming-of-age-Roman mit vielen der klassischen Elemente (Magda als Mentorin, Revolte und Unabhängigkeit, mehr oder weniger unglückliche Liebeserfahrung usw.) und Lottes Entwicklung unter dem Eindruck der auf sie einwirkenden Ereignisse bietet interessante Lesestunden.

Ermüdend für mich ist allerdings die häufige Analyse und Erörterung von Lottes Gefühlslage und die überaus starke Fokussierung auf ihre Perspektive, die man so ausgeprägt auch in Kinder- und Jugendliteratur findet. Daher hatte ich insgesamt für den Großteil des Romans oft den Eindruck, dass die Zielgruppe eher junge Erwachsene/Heranwachsende sind. Viele Dinge, die offensichtlich sind oder schon einmal erwähnt wurden, werden wiederholt oder erklärt. Immer wieder wird auf die Unnahbarkeit Wilhelms und sein Geheimnis eingegangen oder auf die Enttäuschung über Hedwig. Ich hätte mir an einigen Stellen einen Wechsel zwischen verschiedenen Fokalisierungsinstanzen gewünscht, da ich Lottes gedankliches Kreisen um die immer gleichen Fragen anstrengend fand. Wilhelms Figurenzeichnung leidet meiner Meinung nach sogar unter Lottes Perspektive, da er dem Leser zwar mysteriös erscheint, für mich aber als Figur so schemenhaft bleibt, dass ich keine Nähe zu der Liebesgeschichte von Lotte und Wilhelm aufbauen konnte. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum mich der Roman emotional nicht in letzter Konsequenz berührt hat. Die Beziehung Lottes zu ihren Brüdern, vor allem zu Otto, ist da sehr viel intensiver dargestellt.
Darüber hinaus erschien es mir so, als ob in der Figur von Lotte alle Erfahrungen und Geschehnisse der Zeit auf einmal gebündelt werden sollten. Da wäre für mich etwas weniger mehr gewesen: das war schon sehr viel auf einmal für eine Figur.

Mein Lesevergnügen wurde durch zu viele, sich wiederholende Erklärungen und eine eher unbefriedigende Liebesgeschichte getrübt, dennoch sind die Mohnschwestern ein durchaus gelungener Entwicklungsroman für eher junge Leser mit einer spannenden und interessanten Handlung, einigen gut verpackten Lerneffekten, schönen Popkultur-Bezügen in den modernen Teilen und einer großen Nachwirkung, der Geschichte erlebbar macht.

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Veröffentlicht am 06.05.2020

Schmetterlinge und Liebesbomben - aber reicht das?

Wie uns die Liebe fand
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Vorab muss ich leider wieder einmal den Klappentext kritisieren, den ich nun immer und immer wieder gelesen habe, um mir darüber klar zu werden, was zwischen mir und Madame Nan schiefgelaufen ist. Zusammengefasst ...

Vorab muss ich leider wieder einmal den Klappentext kritisieren, den ich nun immer und immer wieder gelesen habe, um mir darüber klar zu werden, was zwischen mir und Madame Nan schiefgelaufen ist. Zusammengefasst verhält es sich wohl so: der Klappentext hat mir suggeriert, dass Madame Nan sich mit 92 Jahren in Monsieur Boberschram verliebt und dass diese Tatsache zu allerlei Tohuwabohu und Verwirrungen führt. Diese Idee fand ich im Zeitalter der "Golden Ager" und des allgemein verbreiteten Jugendwahns so rasend ansprechend, dass ich mich wirklich wahnsinnig auf dieses freche und ungewöhnliche Thema gefreut habe. ABER: was dann kam, hat leider meine Erwartungen sehr enttäuscht.


Tatsächlich handelt der Roman nämlich nicht von der 92-jährigen, sondern von der 52-jährigen Madame Nan, die sich im Jahr 1979 in Monsieur Boberschram verliebt. Daneben werden allerlei (amouröse) Ereignisse im Dorf Bois-de-Val geschildert und es gibt ein paar Rückblicke in die 40er-Jahre. Die 92-jährige wird hier auf das erzählende Ich reduziert. Das Erleben ist ausschließlich der jüngeren Version vorbehalten (scheinbar ist der Ofen mit 92 doch schon mehr oder weniger aus) und dass ist dann leider auch der Grund, dass dieser Roman nichts Besonderes, sondern lediglich netter Durchschnitt ist.


Von der Art her hat mich viel an Joanne Harris Chocolat erinnert (ein Roman, der vermutlich auch eher nur noch wegen der Verfilmung in Erinnerung ist), nur dass hier die Menschen nicht durch Schokolade verändert, sondern durch Voodoo-Liebesbomben betört werden. Sobald diese ihre Wirkung entfalten, kommt es zu Schmetterlingsstürmen. Wenn man magischen Realismus mag, dann freut einen dieser Umstand sicherlich sehr, wenn man kein Freund dieser Richtung ist, dann hat man es mit dem Roman schwer, denn ein wesentlicher Teil ist den Liebesbomben gewidmet. Auch sonst hat mich die meines Erachtens sehr belanglose Handlung leider nicht mitgerissen. Für meinen Geschmack war das Konstrukt insgesamt etwas zu artifiziell und oberflächlich. Dies führe ich zum einen darauf zurück, dass mir das gesamte Zeitkolorit des Jahres 1979 fehlte. Zwar gibt Tochter Chloé immer wieder ihren gerade erwachenden Feminismus zum Besten, aber das reicht mir nicht - vor allem nicht aus der Perspektive von heute. Der Teil, der 1979 spielt, ist nur deshalb in jenem Jahr angesiedelt, damit Madame Nan die 40er-Jahre erleben konnte. Zum anderen erschließt sich mir nicht, warum der Roman eine 92-jährige Erzählfigur braucht. Auch wenn auf der letzten Seite eine melancholische Note über das Ende des Lebens erreicht wird, spielt das Alter der Erzählerfigur ansonsten keine Rolle und prägt ihre Erzählstimme auch nur marginal. Überhaupt - die Erzählstimme. Ich bin ein großer Fan von authentischen und lebendigen Erzählstimmen, zu Madame Nans Stimme habe ich keine Nähe aufbauen können. Der gesamte Schreibstil war mir emotional zu distanziert und vor allem zu albern, sodass immer wieder der Eindruck entstand, dass viele Dinge ins Lächerliche gezogen werden. Ich finde Humor bei der Erzählinstanz immer großartig, aber hier war es für mich einfach nicht stimmig. Ich bin mir bewusst, dass all die Aspekte, die ich hier kritisiere, durchaus auch von der Autorin für ihren Roman so gewollt sein können: der spöttische, alberne Grundton des Schreibstils, die Magie, die überzogenen Figuren, aber es hat für mich nicht funktioniert und mich leider nicht berührt.

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