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Veröffentlicht am 18.09.2022

Ein verzwickter, spannender Fall

Das Kind der Lügen
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"Das Kind der Lügen" von Helga Glaesener entführt ins Hamburg der späten Zwanziger Jahre. Angefüllt mit viel Atmosphäre, Düsternis und behutsam eingearbeitetem historischem Kontext begleiten wir die Polizistin ...

"Das Kind der Lügen" von Helga Glaesener entführt ins Hamburg der späten Zwanziger Jahre. Angefüllt mit viel Atmosphäre, Düsternis und behutsam eingearbeitetem historischem Kontext begleiten wir die Polizistin Paula bei ihren Ermittlungen in einem äußerst verzwickten Entführungsfall, in dem ein Kind samt Kindermädchen spurlos verschwunden ist, die Mutter eine recht fragwürdige Person zu sein scheint, und vom Chauffeur über dessen Bruder und die einstigen Pflegeeltern der Mutter des Kindes ein ganzer Katalog an Verdächtigen infrage kommt. Bei der Untersuchung des Falls kommt es zu spannungsreichen, bedrohlichen Situationen und auch die Gefühlsebene und das Zwischenmenschliche kommt nicht zu kurz - hat Paula zu ihrem Kollegen Martin doch eine recht komplizierte Beziehung.

Das Audiobook wird äußerst lebendig, abwechslungsreich und mit gutem Gespür für die Spannungsmomente von Christiane Marx vorgetragen. Zeitweise kann man sich völlig in der Welt von Paula verlieren, allerdings habe ich die Lesung in der zweiten Hälfte auch manches Mal als etwas zu melodramatisch und übertrieben affektiert empfunden.

Meiner Hörfreude hat dies allerdings kaum einen Abbruch getan. Der Roman ist ein wunderbares Buch für graue Autofahrten im Herbst, allerdings muss man der Handlung schon sehr konzentriert folgen, um den Faden nicht zu verlieren. Ich kannte den ersten Band um die Ermittlerin Paula nicht, habe dies aber überhaupt nicht als Problem empfunden. Ich werde mir nun gern auch den ersten Band anhören und sollten weitere folgen, würde ich mich darauf freuen.

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Veröffentlicht am 14.08.2022

Menschen im Hotel

Hotel Portofino
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m „Hotel Portofino“ kann man ein paar unterhaltsame Tage mit interessanten Twists, Liebe, Intrigen, Betrug und politischen Zwistigkeiten unter der warmen Sonne der italienischen Riviera verbringen. Im ...

m „Hotel Portofino“ kann man ein paar unterhaltsame Tage mit interessanten Twists, Liebe, Intrigen, Betrug und politischen Zwistigkeiten unter der warmen Sonne der italienischen Riviera verbringen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Hotelbetrieb des Ehepaars Ainsworth und ihrer Kinder, der von einer sehr überschaubaren Anzahl von Mitarbeitern am Laufen gehalten wird, und die vorübergehende Heimat für eine mehr oder weniger illustre Gästeschar bildet. Der Roman transportiert einen in die goldenen 1920er Jahre, die mit einigen Referenzpunkten aus Literatur und Zeitgeschichte gut kontextualisiert werden.

Handlungs- und figurentechnisch erinnert der Roman sehr an eine Soap Opera. Zahlreiche Figuren bevölkern das Hotel Portofino, die Handlungsstränge sind mal mehr, mal weniger stark miteinander verknüpft, episodenhaft werden Ereignisse angerissen, die dann aber im weiteren Verlauf kaum noch eine Bewandtnis haben. So bleibt der Roman in Figurenzeichnung und Handlungskomplexität doch ziemlich an der Oberfläche. Oftmals fühlte ich mich an flüchtige Begegnungen in einer Hotellobby erinnert, in denen man Personen nur kurz begegnet, Small Talk hält und sich der nächsten zuwendet. Ein wenig entbehrt der Roman durch sein Interesse an all den Figuren, die er in seine Handlungsstruktur einbindet, eines roten geordneten Fadens. Es scheint zeitweise einfach mit zu vielen Figuren jongliert worden zu sein, obwohl eine merkwürdige Disbalance herrscht, denn es gibt realistisch gesehen einfach zu wenig Dienstboten. Dazu schleicht sich der „Downton Abbey“-Effekt ein: das Verhältnis zwischen Untergebenen und Vorgesetzen gestaltet sich oft zu freundschaftlich und zu sehr auf Augenhöhe.
Das grundsätzliche Überangebot an Figuren führt auch zu einem Überfluss an Handlungsteilen, die alle irgendwie nicht richtig zu Ende gedacht oder geführt werden. Der Schluss ist dazu genau so gestaltet, wie man es von Staffelenden von TV-Serien kennt. Zwar erhalten einige Figuren eine Art von Ende für ihren Handlungsstrang, dieser ist aber so strukturiert, dass im Grunde eine Fortsetzung fast schon notwendig scheint. Für einen Roman fand ich diese Art des Endes sogar eher ärgerlich.

Insgesamt habe ich den Roman gern gelesen, ich wurde gut unterhalten, es gab immer wieder Handlungsteile, die meine Aufmerksamkeit gefangen nahmen, oft dümpelte ich aber auch träge durch die Wärme der italienischen Sommertage und wartete auf den nächsten kühleren Handlungstwist, der tatsächlich auch zwei- bis dreimal eingelöst wurde. „Hotel Portofino“ ist ein Sommerurlaubsbuch, das nicht viel fordert, aber auch nicht alle Versprechungen einlöst, für ein paar vergnügliche Lesestunden mit Ferienfeeling jedoch durchaus geeignet ist.

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Veröffentlicht am 08.08.2022

"Manntje, Manntje, Timpe Te"

Fischers Frau
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„Manntje, Manntje, Timpe Te“ – so magisch wie diese Formel aus dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, welches, aufgezeichnet von den Gebrüdern Grimm, zum vielzitierten Bezugsrahmen wurde, wenn es um ...

„Manntje, Manntje, Timpe Te“ – so magisch wie diese Formel aus dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, welches, aufgezeichnet von den Gebrüdern Grimm, zum vielzitierten Bezugsrahmen wurde, wenn es um die Unersättlichkeit menschlicher Gier nach Reichtum und Ruhm geht, ist auch diese Geschichte von Karin Kalisa.

Und ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert und froh ich darüber bin. Dazu muss man wissen: Kalisas vorheriger Roman „Bergsalz“ gehört für mich zu den schwächsten und ärgerlichsten Leseerlebnissen des Jahres 2020. Da ich eine Verfechterin mehrfacher Chancen bin, habe ich mich trotzdem an „Fischers Frau“ gewagt und wurde überreichlich belohnt: mit einer wunderbar gesponnen Geschichte, üppigen Farben, sanfter Liebe, einem fantasievollen Blick in eine mehr oder weniger erdachte Historie, einer wärmenden Reise durch Europa, die auch den Weg zur Selbstwerdung ebnet, mit Sprachästhetik und viel Lesevergnügen zwischen Ostsee und Adria.

Karin Kalisa konzentriert sich mit jeder Faser ihres Erzählens auf ihr Thema: ihre Protagonistin Mia Sund, die durch die Entdeckung eines Fischerteppichs ominöser Herkunft aus ihrer Vergangenheit und ihrem Schneckenhaus gelockt wird und mit sehr viel (unwissenschaftlicher) Begeisterung an der Chronik der Entstehung dieses Teppichs strickt und schließlich als Geschichte in der Geschichte ihre Gedanken zu Nina, des Fischers Frau, präsentiert. Mia Sunds Bemühungen führen quer durch ein atmosphärisch sehr stimmungsvoll gezeichnetes Europa und zeigen auf recht unwiderstehliche Weise, wie eng Erzähl- und Handwerkskunst verbunden sind und verleihen diesem Unterhaltungsroman eine unerwartet tiefgehende Komponente.

Die Sprache, die Kalisa verwendet, ist üppig, fast schon ausschweifend und sich ihrer selbst sehr bewusst. So manches Mal werden kleine Reflexionen über die Bedeutung von Wörtern eingeflochten oder ein Wort mehrfach wiederholt – so als ob man es schmecken wollte. Das wirkt sehr sinnlich, ist für mich an mancher Stelle aber stilistisch einfach zu viel, auch wenn es sich um eine durchaus angebrachte Spiegelung der Detailverliebtheit der Teppichkunst handelt und so ein in gewisser Weise märchenhafter Grundton erzielt wird.

Neben diesen sprachlichen Verschwurbelungen habe ich mich mit den doch recht häufigen grammatikalischen Ungenauigkeiten schwergetan, die offensichtlich nicht gründlich genug korrigiert wurden, und vor allem auch mit einigen erzählerischen Ungenauigkeiten. So werden einige Sachverhalte und Personen völlig selbstverständlich als bekannt vorausgesetzt, obwohl sie bis zu diesem Punkt noch gar nicht erwähnt wurden. In anderen Erzählteilen erscheint es so, als ob gar ein ganzer erklärender Absatz fehlte und wie die Großmutter (!!!) von Liz Elms ein Leben lang ledig bleiben konnte (wir sprechen hier immer noch von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Land – außerdem wird das „ledig“ hier in den Kontext unerwiderter Liebe gesetzt, sodass suggeriert wird, die Oma hätte für immer den Männern entsagt), erschließt sich mir leider überhaupt nicht.

Insgesamt ist „Fischers Frau“ jedoch ein Roman, der das Erzählen, das mündliche Überliefern, das Handwerk zelebriert, ein schönes Buch, in dem man sich verlieren kann und der einem schöne Lesestunden zu schenken vermag.

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Veröffentlicht am 03.08.2022

Die Absurdität des Nordirlandkonflikts

Amelia
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„Amelia“ hat mich einiges an Kraft gekostet. Der Roman hat mich nicht gefesselt, über weite Strecken gelangweilt, mitunter ziemlich abgestoßen und angewidert und seine ständigen überzogenen Gewaltexzesse ...

„Amelia“ hat mich einiges an Kraft gekostet. Der Roman hat mich nicht gefesselt, über weite Strecken gelangweilt, mitunter ziemlich abgestoßen und angewidert und seine ständigen überzogenen Gewaltexzesse und Alkoholabstürze gingen mir irgendwann nur noch auf die Nerven. Der Roman ist im Wesentlichen eine Groteske, in der schlaglichtartig Schicksale (nicht nur das der Titelfigur Amelia) während der Jahre des Nordirlandkonflikts beleuchtet werden. Es gibt keine wirklich geordnete Handlung, der Roman springt von einem absurden Ereignis zum nächsten surreal anmutenden Erlebnis. Diese lockere Handlungsstruktur und die Tatsache, dass die Figuren allesamt zwischen Gewaltstürmen, Traumata, wahnhaften Momenten und Traumsequenzen oszillieren, verhindern, dass die Charaktere der Figuren wirklich ausformuliert werden, ein anhaltendes Interesse an ihnen oder gar eine Bindung zum Leser entsteht.
Amelia ist sprachlich sicherlich Kunst, allerdings muss man dafür derbe Sprache und das Obszöne zu schätze wissen und es mögen, dass viele Aspekte durch die sprachliche Haltung der Erzählinstanz ins Lächerliche gezogen werden. Ich tue das nicht, kann hier allerdings anerkennen, dass ein anderes Sprachregister für diese Mär der Grausamkeit wohl kaum geeignet gewesen wäre.

Insgesamt erscheint mir der gesamte Roman als eine Parabel der Unsinnigkeit von Gewalt und Hass, als eine schonungslose Enthüllung der Absurdität des Nordirlandskonflikts, der so viele Menschen tötete, verstört und zerstört zurückließ und nach seinem Abklingen bei den Betroffenen ein Vakuum und eine durchgreifende Orientierungslosigkeit zurückließ. Den Roman kann sicherlich nur jemand richtig wertschätzen, der sich mit den Untiefen des Konflikts und der jüngeren nordirischen Geschichte seit den 1960er Jahren auskennt – er wird wahrscheinlich in jedem einzelnen Kapitel den Bezug zu einer tatsächlichen Entwicklung der blutigen Auseinandersetzungen erkennen. Aber auch wenn man nur in groben Zügen in die Geschichte eingeweiht ist, macht der Roman die Sinnlosigkeit der Geschehnisse deutlich und stellt so eine Mahnung und Warnung dar. In dieser Hinsicht ist der Roman ein anspruchsvolles und literarisches Meisterstück, da er beim konstanten Rückbezug auf diese Deutungshypothese (gerade im letzten Drittel) ein spannendes Interpretationsfeld bietet. Aber auch wenn ich dies alles anerkenne: gefallen hat mir dieser Roman trotzdem nicht.

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Veröffentlicht am 01.08.2022

Hat die Liebesheirat ausgedient?

Liebesheirat
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Studien besagen, dass Vernunftehen gar keine schlechte Option sind, nach ein paar Jahren Eheleben haben sich beide Formen sowieso aneinander angeglichen. Eine „Liebesheirat“ klingt zwar romantisch, aber ...

Studien besagen, dass Vernunftehen gar keine schlechte Option sind, nach ein paar Jahren Eheleben haben sich beide Formen sowieso aneinander angeglichen. Eine „Liebesheirat“ klingt zwar romantisch, aber sie ist eine sehr moderne Erfindung und erwiesenermaßen als Konzept nicht erfolgreicher als die Vernunftehe – im Gegenteil.

Um eine „Liebesheirat“ geht es in Monica Alis fabelhaftem neuen Roman, der mich auf allen Ebenen auf hohem Niveau bestens unterhalten hat, weil er viele aktuelle Themen wie Alltagsrassismus, Leben zwischen Angepasstheit und Tradition in der Diaspora, Vorurteile, Identitätskrisen und Identitätssuchen, Altersunterschiede in Beziehungen, fälschliche Annahmen, herablassendes weißes Verhalten, Altern, Sterben und Liebe auf leichtfüßige und – ja, das geht – äußerst humorvolle Weise in sich vereint.

Monica Ali erschafft mit ihrer Protagonistin Yasmin eine zunächst ungemein pflegeleichte und angepasste Tochter, deren Lebensentwurf auf überkommenen Hypothesen beruht, an denen sie auch ihre Zukunft auszurichten versucht. Mit ihrem gutaussehenden, erfolgreichen und gutsituierten Verlobten Joe steuert sie der perfekten Liebesheirat entgegen, die ihr als Modell von ihren Eltern vorgelebt wurde. Als Joe einen Fehler macht, seine übergriffige Mutter Harriet sich immer weniger zurücknimmt, Yasmins Vater den Dauerstreit mit ihrem Bruder Arif eskalieren lässt und ihre Mutter eine Auszeit nimmt, gerät Yasmins sorgsam gehegtes Lebenskonstrukt aus den Fugen und zwingt sie in eine späte Revolution.

All das wird mit viel Verve und Spannung absolut nachvollziehbar und glaubhaft mit viel Liebe für das Detail und dem rechten Sinn für Tempo und Handlungsstruktur geschildert. Monica Ali kann einfach richtig gut erzählen und sich perfekt in ihre Figur Yasmin einfühlen. Die Innensichten, der Drang über die Stränge zu schlagen, sich auszutoben, zu revoltieren und sich dabei aber selbst zu hassen, sind wunderbar gelungen und erinnern stark an das Durchleben einer zu späten Pubertät mit dem dazugehörigen Ablösungsprozess und der neuzugewinnenden Erkenntnis. Ausgezeichnet gelingt Ali auch das Spiel mit der Sympathielenkung. Bei fast allen Figuren wandert man durch ein Wechselbad der Empfindungen – schwankend zwischen dem Wunsch, die jeweilige Figur einfach schütteln und zu ihrem Besten zwingen zu wollen, dann wieder überwältigt von dem Gefühl, sie einfach nur tröstend in den Arm nehmen zu müssen.

Hinzu kommt der perfekte Titel des Romans – die Liebesheirat, die als Topos schon ein Klischee in der Literatur ist, wird hier auf humorvolle und zärtliche Art sehr gefällig hinterfragt – ob sie sich bewährt, werde ich aber nicht verraten.

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