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Veröffentlicht am 11.07.2022

Einhörner ohne Pink und Glitzer

Skandar und der Zorn der Einhörner
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A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind ...

A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind die Fabeltiere unbeherrschte, blutrünstige und streitsüchtige Wesen, die nur durch die Bindung an einen Reiter einigermaßen zu zähmen sind. Skandar findet sich nach einer mysteriös anmutenden Begegnung im Adlernest, dem Ausbildungscamp für Reiter, wieder und muss es zusammen mit seinen drei Freunden und deren Einhörnern mit dem skrupellosen Weber aufnehmen.

Auch wenn Steadman weder das Fantasygenre noch den Schulroman neu erfindet, so gelingt es ihr doch einen überaus faszinierenden und spannenden Roman für eine junge Leserschaft zu erschaffen. Die von ihr erdachte Welt ist ebenso schlüssig und begeisternd wie das Spiel mit den Elementen Luft, Erde, Wasser und Feuer und einer weiteren geheimnisvollen Kraft, allein schon weil die Einhörner eine radikale Neukonzeption erfahren. Skandar und seine Freunde stehen einem übermächtigen Feind gegenüber, der sehr viel mehr Schichten aufweist, als zunächst gedacht und die Identität des Webers wird fast bis zum Ende geheim gehalten, so dass der Roman die Leser zu zahlreichen Mutmaßungen und Grübeleien über Zusammenhänge animiert. Actionreichen Episoden wie das Rennen um den Chaos-Pokal oder die Luftschlachten laden zum Mitfiebern ein und der Identifikationsgrad mit der Gruppe der jungen Helden ist enorm hoch.

Der Roman ist flüssig, aber nicht zu einfach geschrieben. Auch wenn der Text ein paar Längen aufweist und auch ein paar Male ein Zusammenhang sich nicht ganz so deutlich erschließt, erwartet einen bei der Lektüre doch ein hochgradig spannendes Lesevergnügen, das sehr gern in die zweite Runde gehen darf und für Kinder ab zehn Jahren sehr gut zum Vorlesen (auch Erwachsene kommen hier auf ihre Kosten) oder auch Selbstlesen geeignet ist.

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Veröffentlicht am 08.07.2022

Die Sünden der Jugend

Ein französischer Sommer
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Lavendel, Pinienduft, glitzerndes azurblaues Meer, Pastis, Croissants, Bistros und Savoir-vivre – all das vereint “Ein französischer Sommer”. Der Roman versprüht eine geballte Ladung französischen Sommercharmes ...

Lavendel, Pinienduft, glitzerndes azurblaues Meer, Pastis, Croissants, Bistros und Savoir-vivre – all das vereint “Ein französischer Sommer”. Der Roman versprüht eine geballte Ladung französischen Sommercharmes und wird so vom Setting her zur atmosphärisch überaus angemessenen Sommerlektüre, die ich zumindest in der ersten Hälfte gern gelesen habe – weil die Grundstimmung einfach so entspannt und fließend war.

Mit der jungen Leah, die in eigentlich nichts so richtig auf die Reihe bekommt, reisen wir an die französische Riviera, um dem alternden Schriftsteller Michael zu assistieren, der offensichtlich eine aus bedauernder Nostalgie gespeiste Affinität zu der jungen Frau zu entwickeln scheint. Die Handlung hätte nun spannungsgeladen, mit leidenschaftlichen Unterströmungen und amourösen Verwicklungen auf den Höhepunkt zu steuern können – leider tut sie es aber nicht so wirklich. Zwischen zahlreichen Rückblenden in Michaels Jugendzeit, die ihn als affektierten, egoistischen und wenig ehrenhaften Selbstdarsteller entlarven, und den sonnengetränkten Stunden an der Côte d’Azur schaukelt die Handlung mitunter träge dahin, Schwung wird durch die allgegenwärtigen Alkoholexzesse, den anscheinend zum guten Ton gehörenden Drogenkonsum und die ein oder andere mehr oder weniger erotische Szene in den Ablauf gebracht. Zum Ende hin scheint der Roman sich dann daran zu erinnern, dass er auch noch irgendwie über die Ziellinie muss und das ist dann leider der Punkt an dem der (zugegebenermaßen) bisher recht milde Spannungsbogen aus dem Takt gerät. Auf den letzten Seiten wird nun eine politisch-tragische Intrige erschaffen, die irgendwie so gar nicht zum Rest des Romans passen will. Nichts gegen Griechenland, aber hatten wir nicht schon genug Sommer auf den französischen Seiten? Die Handlungsentwicklung hat mich am Ende so gar nicht mehr überzeugt, sie wirkt wie ein Nachgedanke, der unbefriedigend ausgeführt wird bzw. so, als ob die Autorin unbedingt etwas über diese griechische Episode schreiben wollte, aber nicht genügend Stoff für eine eigenständige Geschichte gehabt hätte. Ich muss gestehen, dass der Schluss nicht nur aus diesem Grund unerquicklich ist, auch insgesamt hat er mir missfallen. Für ein geschlossenes Ende bleibt zu viel in der Luft hängen, für eine literarisch ansprechende Schlussnote nimmt er zu wenig Bezug auf die in der Handlung und den Figuren angelegten Möglichkeiten.

Die Figuren haben nämlich in ihrer egoistischen und hedonistischen Art, mit der sie Unsicherheiten und Fehlentscheidungen zu verschleiern suchen, durchaus Potenzial, auch wenn mir keine einzige der Figuren sympathisch war. Leahs unreifes Dümpeln durchs Leben hat mir dabei sicherlich mehr zu schaffen gemacht, als Michaels selbstverliebte und mitunter verschlagene Art, die aber interessant zu beobachten war, vor allem auch, weil man im alternden Michael Spuren des jüngeren suchen konnte.

Insgesamt ist der Roman eine recht gefällige Sommerlektüre für Frankophile, ich hätte mir jedoch mehr konsequente Stringenz in der Handlungsführung gewünscht und eine über den Konsum von Alkohol und Drogen hinausgehende Definition von Jugend.

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Veröffentlicht am 15.06.2022

Zwei raffinierte Krimis zum Preis von einem

Der Tote aus Zimmer 12
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Wenn ein Kriminalroman gut gemacht ist, dann ist das ein feine Sache und „Der Tote aus Zimmer 12“ von Anthony Horowitz ist eine richtig feine Sache - schon allein weil es hier zwei ganz famose und intelligente ...

Wenn ein Kriminalroman gut gemacht ist, dann ist das ein feine Sache und „Der Tote aus Zimmer 12“ von Anthony Horowitz ist eine richtig feine Sache - schon allein weil es hier zwei ganz famose und intelligente Krimis zum Preis für einen gibt, denn zur Aufklärung des eigentlichen Kriminalfalls bedarf es der Lektüre des Romans „Atticus unterwegs“ von Alan Conway. Leider gibt es weder den Autor noch den Krimi in der Realität, weshalb Anthony Horowitz ganz flugs einfach mal einen Roman im Roman erschaffen hat, der dem Leser in voller Länge präsentiert wird, und sich nicht minder spannend als die Aufklärung des eigentlichen Verbrechens liest.

Aber zurück zum Ausgangspunkt: Die Lektorin Susan wird von einem wohlhabenden Hoteliers-Ehepaar beauftragt, das Verschwinden ihrer Tochter Cecily aufzuklären. Diese scheint durch die Lektüre von „Atticus unterwegs“ herausgefunden zu haben, dass in einem acht Jahre zurückliegenden Fall der falsche Täter verurteilt wurde, während der wahre Mörder noch auf freiem Fuß ist. Susan ist prädestiniert in diesem Fall zu ermitteln, denn sie war die Lektorin der Romanreihe des mittlerweile verstorbenen Alan Conways – und so beginnt eine hochspannende, äußerst vergnügliche, unterhaltsame und völlig unvorhersehbare Mörderjagd, die auch gewiefte und erfahrene Krimileser herausfordert. Hier passt einfach alles, denn alles ist schlüssig, vieles vernetzt, jeder hat etwas zu verbergen, alle sind verdächtig und das Setting, ein gediegenes Landhotel mit einer sehr überschaubaren Anzahl von Personen, gereicht jedem cosy crime zur Ehre. Hinzu kommt das fantastische und überaus gelungene Spiel mit dem Kriminalroman im Kriminalroman, der als Wegweiser zur Lösung dienen mag. In diesem eingebetteten Roman wird der Leser in die Welt eines verblassenden glamourösen Hollywood-Stars und die 1950er Jahre entführt. „Atticus unterwegs“ strotz vor schlauen und gelungenen Anspielungen auf das goldene Zeitalter der Krimiliteratur und kann so in vielerlei Hinsicht als eine fast liebevolle Hommage an Agatha Christie gewertet werden. In der Geschichte um Atticus finden sich zahlreiche wunderbare Anspielungen, die hier um des Lesevergnügens willen nicht aufgelistet werden sollen, aber alle schließlich im Roman von Susan aufgeklärt werden (am Schluss vielleicht ein bisschen zu komprimiert auf einen Schlag, vermutlich auch in dem Anliegen die Gewitztheit des Autors Horowitz unter Beweis zu stellen – diese ist absolut unbestritten). Da man als Leser weiß, dass der Roman im Roman die Lösung des Rätsels beinhaltet, begibt man sich mit viel Eifer auf eine hinreißende Schnitzeljagd, nimmt mit Begeisterung die möglichen Querverbindungen wahr und versucht dem Mörder in „Atticus unterwegs“ auf die Schliche zu kommen, während man zugleich mit Susan Cecilys Verschwinden entschlüsseln und den noch freien Mörder zu enttarnen versucht. Die Schilderung von Susans Aufklärungsarbeit wirkt wie ein moderner, augenzwinkernder Kommentar auf „Atticus unterwegs“, aber auch auf Agatha Christie & Co. Auch wenn Susan sich immer wieder gegen bestimmte Elemente des klassischen Kriminalromans wehrt, werden genau diese Aspekte eingebunden und umgesetzt – ein großer Spaß mit ungemein hohem Unterhaltungswert.

„Der Tote aus Zimmer 12“ ist ein im besten Sinne altmodisch wirkender, aber ungemein moderner, raffinierter, kurzweiliger Roman, von leichter Hand geschrieben und mit sehr viel mehr literarischem Anspruch als das Genre des Kriminalromans oftmals verheißt. Eine absolut lohnenswerte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Es ist still auf dem Land

Nebenan
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Gerade kehre ich von „Nebenan“ zurück – sehr schön war es dort, leise, still, ruhig, melancholisch, manchmal auch bedrückend, bedeutungsvoll und wunderbar. „Nebenan“ ist eigentlich nur der Alltag zweier ...

Gerade kehre ich von „Nebenan“ zurück – sehr schön war es dort, leise, still, ruhig, melancholisch, manchmal auch bedrückend, bedeutungsvoll und wunderbar. „Nebenan“ ist eigentlich nur der Alltag zweier Frauen, die miteinander fast nichts zu tun haben, aber über ganz fein gesponnene Linien doch durch Berührungspunkte verbunden sind – so wie es in kleinen Orten und auf dem Land wohl häufiger der Fall ist. Astrid, Ärztin in der Kleinstadt, mit erwachsenen Söhnen und pensioniertem Ehemann, fehlt Freundschaft und auch Nähe zu ihrem früheren Leben. Die atmosphärisch dichten Einblicke in ihre Gefühlswelt und auch ihre Ängste, ihre Sorgen um ihre alternde Tante Elsa, die sich anscheinend sukzessive aus dem Leben verabschiedet, sind authentisch und nachvollziehbar eingefangen. Ebenso wie die Lebenswelt und der Kummer Julias, der aus Hamburg zugezogenen Keramikerin, die sich verzweifelt nach einem Kind sehnt, das aber trotz aller medizinischer Hilfe nicht kommen will. Ohne es von der anderen zu wissen, werden beide sehr stark von einem leerstehenden Klinkerhaus angezogen, dessen Bewohner spurlos verschwunden sind.

Trotz dieses und weiterer leicht mysteriös oder bedrohlich anmutender Vorfälle, ist „Nebenan“ kein Krimi. Im Gegenteil, alle Fäden, bei denen man sich im Regelfall Lösung und Aufklärung wünscht, werden offengelassen, denn es geht dem Roman nicht um Klärung, um Abschluss. Stattdessen ist „Nebenan“ ein fast schon poetischer Schwebezustand, eine Lebensbeschreibung von Menschen und ihrem sterbenden Ort, vom schon verlorenen Kampf gegen die Landflucht und den Leerstand in Innenstädten, von der Einsamkeit im Leben und dem Unwissen, was Nebenan passiert, vom zunehmenden Verlust von Bindungen und der Sehnsucht danach. Diese Fülle an Themen, zu denen sich auch noch der Klimawandel und der unerfüllte Kinderwunsch gesellen, könnte einen Roman sehr leicht überfrachten, zu beladen wirken. Gerade dies ist hier nicht der Fall. „Nebenan“ steuert mit leichter Hand und unendlicher Eleganz durch diese Gewässer, ist sprachlich so ausgereift, in seinen Bildern so zart und empathisch, dass es eine Freude ist. Der Text bietet nicht nur zahlreiche Interpretationsmomente, er erreicht den Leser auch emotional. Kristine Bilkau gelingt es auf eindrucksvolle Art und Weise Alltag zu erzählen, denn eigentlich passiert „Nebenan“ nicht viel bis nichts und trotzdem liest man mit großer Spannung immer weiter. Die großen Stärken des Romans sind – neben dem Jonglieren mit so vielen relevanten Themen – die atmosphärischen Beschreibungen und die klugen und berückenden Innenperspektiven. Der graue, trübe, leere Ort in Schleswig-Holstein im Januar und die Wärme und Freiheit des Sommers werden ebenso erlebbar, wie akute Bedrohungen und Enttäuschungen, Gedankenkarussels und nostalgische Momente im Leben der Frauen.

Für mich ist „Nebenan“ ein absolut lesenswerter, sprachlich wunderbarer, Roman, der allerdings nur für Menschen geeignet ist, die gut damit umgehen können, dass es im Leben still ist und für die meisten Themen keine Lösung gibt.

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Veröffentlicht am 21.05.2022

Besorgniserregende Zukunfts(?)vision

Every (deutsche Ausgabe)
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Der Nachfolger vom „Circle“ ist „Every“ – ein Konzern, der alles und jeden überwacht und trackt, der das Leben „verbessert“, in dem er Romane von ungewünschten Handlungsverläufen oder politisch inkorrekten ...

Der Nachfolger vom „Circle“ ist „Every“ – ein Konzern, der alles und jeden überwacht und trackt, der das Leben „verbessert“, in dem er Romane von ungewünschten Handlungsverläufen oder politisch inkorrekten Wortlauten befreit, der das Konsumverhalten optimiert – gern auch unter dem Deckmantel des Klimaschutzes – und die Menschen durch öffentliche Zurschaustellung ihres Fehlverhaltens – und sei es noch so klein – zu einer überlegeneren Version ihrer selbst machen will. Delaney Wells will diese Form der Unfreiheit und Überwachung nicht länger hinnehmen und bewirbt sich bei „Every“, um die Firma von innen heraus zu zerstören.


Hatte ich beim „Circle“ vor einigen Jahren schon das ungute Gefühl, dass alles, was Dave Eggers als (hoffentlich) dystopisches Szenario entwirft, gar nicht so weit ab von einer möglichen, zukünftigen Realität ist, so habe ich bei „Every“ den Eindruck, dass die Welt sich bereits unaufhaltsam in die hier aufgezeigte Richtung bewegt. Natürlich übertreibt Dave Eggers mit seinen Ideen und Darstellungen, selbstverständlich sind einige Einfälle, wie die von „Thoughts Not Things“ so abstrus, dass sie kaum je umgesetzt werden könnten – allerdings: in „Every“ finden sich auch viele Ansätze, die leider gar nicht so unwahrscheinlich klingen. In der Fülle, in der Eggers sie in seinem Roman detailliert vorstellt, muss man fast schon Angst vor der Kreativität des Autors selbst bekommen….


Eggers legt all diese fantastisch anmutenden Ansätze in die Hand seiner Figur Delaney, die hofft, irgendwann eine Idee zu präsentieren, mit der die Öffentlichkeit nicht mehr einverstanden ist, sodass „Every“ an seinen eigenen Taktiken zugrunde geht. Das Perfide an all diesen Innovationen ist, dass sie so, wie Delaney sie präsentiert, auch immer eine gute Seite zu haben scheinen, die sogar so weit reicht, dass man sich selbst durchaus bei der ein oder anderen Idee fragt, ob diese nicht vielleicht in modifizierter Version umgesetzt werden sollte.


Gleichzeitig hält Eggers uns einen schonungslosen Spiegel vor. In eindringlicher und überspitzer Art und Weise konfrontiert er den Leser mit einer Gesellschaft, der Entscheidungen abgenommen werden (dafür gibt es jetzt ein Programm), die zu regelmäßigem Sport verpflichtet ist (dafür gibt es ein Monitoring-Programm), ein Schlafziel zu erreichen hat (dafür gibt es ebenfalls ein Programm) und die z.B. ihren Wortschatz erweitern muss (auch dafür gibt es ein Programm). Die Menschen sind vollkommen abhängig von ihren Smart Devices, arbeiten sich täglich durch unzählige Likes, Smiles, Frowns und Kommentare und leben für ihre virtuelle Präsenz und ihr Social Media-Image. So viel Nähe an der jetzigen Zeit, vor allem auch was Shitstorms und Public Shaming angeht, gibt es selten.


Auch wenn Eggers Anliegen sehr durchsichtig ist und seine Kritik an großen Internet-Konzernen plakativ und überdeutlich daherkommt, kann man sich dem Roman nicht entziehen. Die Parallelen, die sich zu unserer Lebenswelt bereits finden, sind nicht von der Hand zu weisen – es reicht, dass das Szenario nicht vollkommen abwegig ist, um zumindest einen Denkprozess in Gang zu setzen. Dadurch entsteht trotz einiger Längen, in denen Delaneys Mission sich immer wieder im Kreis zu drehen scheint, ein spannendes und faszinierendes Porträt des „Every“-Konzerns – Eggers entwirft hier ein bis in die letzte Kleinigkeit durchdachtes Firmenuniversum, dessen Erschaffung ihm spürbar Freude bereitet. Auch wenn sich der Text bisweilen in Details verliert, wird der Nervenkitzel hochgehalten – lediglich im letzten Viertel gerät die Spannungskurve etwas aus dem Takt. Bei all der von „Every“ propagierten Transparenz erscheinen die Figuren vielfach undurchsichtig genug, um zusätzlich für Anspannung beim Leser zu sorgen. Insgesamt ein sehr spannender, lesenswerter und auf eine beunruhigende Weise unterhaltender Zukunftsroman, bei dem die Frage bleibt, wieviel von der Zukunft schon unsere Gegenwart ist.

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