Dankenswerter Weise habe ich von Martin Schörle sein Buch "»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«: Zwei Theaterstücke" als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen. Über die Anfrage habe ich mich sehr gefreut und gern möchte ich mich hier nochmal bedanken für die Möglichkeit dieses außergewöhnliche Buch lesen und rezensieren zu dürfen. Selbstverständlich hat dies keinen Einfluss auf meinen im folgenden geschilderten ganz persönlichen Eindruck des Buches genommen.
Bisher habe ich privat noch kein Buch mit Theaterstücken gelesen. Lediglich in der Schule habe ich mich mit Klassikern wie Woyzeck befasst. Es war deshalb eine ungewohnte und sehr interessante Leseerfahrung für mich. Besonders schön finde ich, dass zu Beginn in der Beschreibung des Autors gesagt wird, dass er sich mit diesem Buch den Traum erfüllt, seine Theaterstücke zu veröffentlichen. Es ist toll, wenn man den Mut hat, sich seine Träume zu erfüllen und einen Weg findet dies zu schaffen.
Da es sich um zwei für sich abgeschlossene Theaterstücke handelt, werde ich meinen Eindruck jeweils einzeln schildern. Die Hauptfragen, die mich jedoch beim Lesen begleitet haben, waren: Kann ich mir das Stück gut auf der Bühne vorstellen, könnte es das Publikum fesseln? Und spricht es mich als Leser des reinen Textes an?
»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten«
In diesem ersten Theaterstück erlebt der Leser einen Bürotag des "Vollblutverwaltungsgenies" Fredenbek mit. Wer jetzt jedoch vermutet, dass es sich um lustige und sarkastische Darstellungen handelt, wie sie bei Baumann & Clausen zu finden sind, irrt. Dieses Stück geht weit darüber hinaus. Denn Fredenbek vermag nicht mehr zu trennen zwischen Büroalltag und seinem Leben. Seinen ganzen Lebenszweck definiert er über das erfolgreiche Erledigen seiner täglichen Arbeitsroutine. "Problematisch wird's nur an den Wochenenden und im Urlaub. Wenn meine Frau verreisen will, mutieren Urlaube mit einer ununterbrochenen Abwesenheit von der Dienststelle von mehr als einer Woche zu ernsthaften Krisen."
Beginnt dieses Theaterstück sehr amüsant und herrlich überspitzt, bleibt das Lachen schnell im Hals stecken. Fredenbek gerät immer mehr zu einer tragischen Figur, die vollkommen neben der Realität lebt und darüber auch seine sozialen Kontakte einbüßt. Und so verfasst er gedanklich für sich selbst einen Nachruf :"Wir verneigen uns vor einem Mann, der sein eigener Freund sein musste, weil da niemand war, der sein Freund hätte sein können."
Der Schreibstil ist sehr eigen und hat eine individuelle Note. Es wird deutlich, dass Martin Schörle Freude an Sprache hat und mit Fredenbek eigene berufliche Erfahrungen verschriftlicht hat. Vieles hat einen allzuwahren Kern. Durch die übertriebene Darstellung wird es jedoch leicht gemacht die versteckte Kritik anzunehmen und sich zwischen dem Lachen zu fragen, ob man nicht selbst ungewollt manchmal etwas zu sehr mit der Arbeit verheiratet ist. Außerdem wäre ich ohne den angenehmen Schreibstil vermutlich bei so mancher Beschreibungen leicht genervt oder sogar abgestoßen gewesen, konnte so jedoch milde darüber hinwegsehen und Mitleid mit der Figur des Fredenbek entwickeln.
Als Leser des reinen Textes konnte mich dieses Theaterstück mit leichten Einschränkungen, durchaus überzeugen. Stelle ich mir vor, es als Theaterstück auf der Bühne aufgeführt zu erleben, bin ich mir dessen nicht so sicher. Über einiges muss man länger nachdenken, so dass ich vermutlich nicht in den vollen Genuss gekommen wäre, wenn ich Fredenbeks Monolog lediglich gehört und nicht gelesen hätte.
»Einladung zum Klassentreffen«
In diesem zweiten Theaterstück verfolgt der Leser ein Telefonat zwischen Carsten und Marina. Beide telefonieren nach zwanzig Jahren erstmals wieder anlässlich eines bevorstehenden Klassentreffens miteinander. Eine Geschichte, die zunächst mit einem bissigen, aber sehr realitätsnahen, Austausch über die gemeinsamen Klassenkameraden und deren momentane Leben beginnt. Schnell konzentrieren sich Carsten und Marina jedoch auf die gemeinsame Vergangenheit und unterhalten sich bald auf einer sehr emotionalen Ebene. "Ich rede hier mit dir... wie ich mit niemandem rede. Du bist mir so nah und vertraut."
Besonders charmant finde ich die Idee, das Publikum des Gespräches geschickt in das Theaterstück einzubinden. Auch hier wird, wie bei Fredenbek, mit einer Übertreibung gearbeitet, die einen allzuwahren Kern hat. Ich konnte über die Szenen herzhaft lachen und ungläubig den Kopf schütteln, denn ja, so abwegig ist das Verhalten der 'Lauscher' nicht.
Mich hat dieses Stück sprachlich und emotional mehr angesprochen und war deshalb überzeugender für mich. Es war ein leichtes sich in Marina und Carsten hineinzuversetzen. Sehr schön ist auch die Botschaft, dass es diesen einen Menschen gibt, bei dem gleich wieder eine Nähe und Verbundenheit da ist, auch wenn einiges an Raum und Zeit dazwischenstehen.
Als Leser des reinen Textes konnte mich dieses zweite Theaterstück komplett überzeugen. Es war sehr angenehm dem Dialog zu folgen, ein leichtes mit den beiden warm zu werden und viele Überlegungen durchaus nachvollziehbar. Stelle ich mir vor, es als Theaterstück auf der Bühne aufgeführt zu erleben, wäre ich begeistert gewesen. Genau solche Stücke mit leisen Tönen, aus dem Leben gegriffen, emotional und dennoch mit einer Portion Humor, machen einen Theaterbesuch zum Erfolg.
»Gesamteindruck«
Insgesamt hat mir das Buch "»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«: Zwei Theaterstücke" von Martin Schörle gut gefallen. Es war ein ganz neues, kurzweiliges Leseerlebnis, an dem ich Freude hatte. Da mich Fredenbek und damit das erste Stück, nicht ganz überzeugen konnte, vergebe ich lediglich vier Punkte.
Eine Leseempfehlung kann ich auf jeden Fall aussprechen. Interessant könnte das Buch sein für alle begeisterten Theaterbesucher oder Laien-Schauspieler und für Leser, die sich gern mal an ungewöhnliches wagen.