Sehr realistisch
Im Schatten der Wende„...Es klang wie das Summen eines Bienenschwarms. Das scheint eine Menschenmenge zu sein, deren Ausmaß sich Falck nicht vorstellen konnte. Kein Geschrei, keine Bewegung. Das machte es nur noch schlimmer….“
Es ...
„...Es klang wie das Summen eines Bienenschwarms. Das scheint eine Menschenmenge zu sein, deren Ausmaß sich Falck nicht vorstellen konnte. Kein Geschrei, keine Bewegung. Das machte es nur noch schlimmer….“
Es ist der 9. Oktober 1989, als der Polizist Tobias Falck zu einem Einsatz nach Leipzig abkommandiert wird. Die Situation ist hochgefährlich. Was wird in den nächsten Minuten geschehen? Falck wusste es nicht. Wir wissen es heute. Eine Eskalation wurde vermieden.
Der Autor hat einen fesselnden Krimi geschrieben. Die Geschichte spielt zuerst vor der Wende, dann im Dezember 1989. Außer einem kurzen Abstecher nach Leipzig findet das Geschehen stets in Dresden statt.
Der Schriftstil ist ausgefeilt. In jeder Zeile ist außerdem spürbar, dass der Autor weiß, wovon er schreibt.
Im Mittelpunkt steht Tobias Falck. Er hat sich bewusst für den Beruf des Polizisten entschieden.Er ist in diesem Land groß geworden und verhält sich ihm gegenüber loyal. Sehr schnell fällt auf, dass der junge Mann viel Empathie hat und nicht nur nach Vorschrift agiert. Gleichzeitig hat er einen Blick für Details. Er kann gut analysieren und sieht schnell Zusammenhänge. Seine Vorschläge sind durchdacht. Allerdings wird seine Initiative gern ausgebremst, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dresden hat gerade andere Probleme, als den Tod eines ABV hochzuspielen. Unfall hört sich da gut an.
Trotzdem darf er undercover in Gegenden von Dresden ermitteln, von deren Existenz er bisher kaum etwas geahnt hat. Er wird mit Menschen konfrontiert, die sich bewusst aus dem System ausgeklinkt haben.
„...Erstaunt stellte er fest, wie gut ihm das Lügen gelang. So viel gelogen, wie in den letzten zwei Tagen, hatte er in seinem ganzen Leben nicht...“
Nach dem Einsatz wird Tobias zur Weiterbildung geschickt, um ab Dezember beim Kriminaldauerdienst Dresden zu arbeiten. Schmidt, sein neuer Chef, bringt die aktuelle Lage auf den Punkt:
„...Es gibt niemanden mehr, der dir sagt, was zu tun ist. Und draußen tanzen dir die Leute auf der Nase rum…“
Die Kriminalitätsrate in Dresden ist rasant gestiegen. Und da steht plötzlich Frau Hauptkommissarin Sybille Sudermann aus dem Westen vor der Tür und behauptet, in Dresden einen Auftragskiller ausfindig machen zu müssen. Jetzt bekommt die Geschichte fast amüsanten Charakter, denn die Frau ist schockiert, was sie antrifft und findet die Methoden des Ostens sehr skurril. Natürlich gibt es Missverständnisse und Vorurteile.
„...“Das denke ich nicht nur, das habe ich gesehen, mit eigenen Augen! Bananen, Kaffee und Tittenmagazine, das kaufen die Ossis als Erstes im Westen!…“
Plötzlich sind die Fälle, die Tobias Anfang des Jahres bearbeitet hat, wieder aktuell. Es gibt Tote und alte Namen tauchen auf. Sehr geschickt verknüpft der Autor hier die freizügigen Ermittlungsmethoden des Ostens mit dem Sicherheitsdenken der Hauptkommissarin.
Immer wieder aber sind die aktuellen politischen Verhältnisse und ihre Folgen ein Thema. Das betrifft auch neue Formen der Kriminalität.
„...“Das geht schnell. Heroinabhängig ist man im Prinzip vom ersten Mal an“, sagte sie leise. „Die Szene ist sehr mobil. Hier öffnet sich gerade ein gigantischer Markt….“
Die Verhältnisse ändern sich rasant. Sybille prophezeit den Kollegen, dass Dresden spätestens in drei Wochen den ersten Puff und einen Straßenstrich haben wird. Es sind die Schatten der Freiheit.
Am Ende sind alle Fälle gelöst. Falck war meist derjenige, der den richtigen Riecher hatte.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Kriminalfälle sind spannend und realistisch, die damaligen Befindlichkeiten werden gekonnt auf den Punkt gebracht. Das könnte ich mit einer Menge an Zitaten belegen. Eines zum Abschluss möge genügen:
„...Die denken nur an die vielen Dinge, die sie kaufen wollen. Dass sie nichts geschenkt bekommen, das wollen sie nicht hören...“