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Veröffentlicht am 20.05.2021

Gelungene Fortsetzung

Morgan's Hall
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„...Du fürchtest dich vor diesen Wäldern, habe ich recht? Du hast hier etwas erlebt, dass du nicht verstehst...“

War es wirklich nur ein Traum, in dem James mit Phil auf Greystoke Grove ist? Oder ruft ...

„...Du fürchtest dich vor diesen Wäldern, habe ich recht? Du hast hier etwas erlebt, dass du nicht verstehst...“

War es wirklich nur ein Traum, in dem James mit Phil auf Greystoke Grove ist? Oder ruft der Traum bei James alte Erinnerungen hervor? Ganz klar ist ihm das nicht.
Aber momentan hat er sowieso andere Problem. Er muss sich aus den Fängen seines Schwiegervater Joseph Wulf lösen und das möglichst, bevor Olivia aus der Klinik zurück ist.
Währenddessen besucht John seinen ehemaligen Rivalen Clark im Gefängnis. Vor ihm sitzt ein gebrochener Mann.
Und auf Morgan`s Hall wartet Liz sehnsuchtsvoll auf den Anruf von James.
Auch der vierte Band der Reihe lässt an Spannung keine Wünsche offen. Der Schriftstil passt sich gekonnt der Situation an, mal gefühlvoll, mal romantisch. An anderen Stellen dominiert Wut und Hass.
Nach einen kurzen Rückblick auf die Vergangenheit kommen schnell die gegenwärtigen Probleme zum Zug. James weiß endlich, was er will. Er will Elisabeth. Doch davon stehen eine Menge an Hürden. Selbst John, sein Ziehvater, ist gegen die Verbindung. Nicht zuletzt weisen Phils fast philosophische Gedanken in die richtige Richtung.

„...Jeder Einzelne von uns ist für den weiteren Verlauf unser aller Leben verantwortlich. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber das Handeln erzeugt immer eine Reaktion des anderen – so subtil sie auch sein mag...“

James kommt hinter ein gut gehütetes Geheimnis aus Wulfs Vergangenheit. Er erpresst ihn damit, um so seine Freiheit zu erreichen. Doch wirklich glücklich ist er nicht. Deutlich wird sein innerer Konflikt. Ist es richtig, Wulf straffrei davonkommen zu lassen?
Im Gespräch zwischen John und Clark gibt es einen kurzen Rückblick in die Kindheit. Es war nur eine Entscheidung, die für Feindschaft statt für Freundschaft gesorgt hat. Clark formuliert das so:

„...Es geht immer ums Gewinnen. Das ist die Quintessenz unseres Lebens...“

Mir gefallen die Naturbeschreibungen. Besonders als Elizabeth sich an den Golden Lake zurückzieht, um Ruhe zu finden, findet die Autorin sehr schöne Metapher.

„...Das Seeufer wurde von Sträuchern gesäumt, deren zierliche Blätter Blumen aus Eis glichen. Der Himmel, der sich allmählich von der Nacht verabschiedete, trug ein magisches Königsblau...“

Abschied und Tod spielen in diesem Teil eine besondere Rolle. Bewegende Gedanken werden zwischen Cole. Clarks Sohn, und John darüber beim Tode von Clark ausgetauscht. Und es fallen Entscheidungen, die die Zukunft prägen werden.
Spannend bleibt es, die Entwicklung einiger Charaktere zu verfolgen. Mancher wächst über sich hinaus, andere zeigen plötzlich völlig ungewohnt negative Seiten an sich.
Das Buch hat mir erneut ausgezeichnet gefallen. Es sind die vielschichtigen zwischenmenschlichen Probleme, die für einen hohen Spannungsbogen sorgen. Auf der einen Seite geht es um Macht und Rache, auf der anderen um Liebe und Mut. Dabei können die Positionen unerwartet wechseln.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.05.2021

Wer ist hier der Mörder?

Krabbenchanson - Die Inselköchin ermittelt
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„...Wie im Zeitraffer. So hatten sich die letzten zweiundsiebzig Stunden für Louise angefühlt. Eintausend Kilometer in drei Tagen hatte sie zurückgelegt […] Zurückgelassen hatte sie ein Leben, das in tausend ...

„...Wie im Zeitraffer. So hatten sich die letzten zweiundsiebzig Stunden für Louise angefühlt. Eintausend Kilometer in drei Tagen hatte sie zurückgelegt […] Zurückgelassen hatte sie ein Leben, das in tausend Scherben zerbrochen war...“

Louise reist zu ihrer Patentante Fine auf die Nordseeinsel Pellworm. Sie will zur Ruhe kommen und die letzten Wochen reflektieren. Auf einem Spaziergang lernt sie Chiara kennen. Die junge Frau zeichnet düstere Bilder. Am nächsten Tag wird sie tot am Meer gefunden. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Louise zweifelt daran.
Die Autorin hat einen spannenden Krimi geschrieben. Das Buch nur als Krimi zu bezeichnen, greift allerdings zu kurz. Es steckt einerseits voller Informationen über die Landschaft und die Geschichte der Insel Pellworm, andererseits enthält es mehrere Kochrezepte speziell mit Krabben.
Der Schriftstil ist abwechslungsreich. Mit schönen Sprachbildern wird die Gegend beschrieben.

„...Eine kleine Herde Schafe, von denen nur die wolligen Körper und die Köpfe zu sehen waren, die Beine waren im Morgennebel verschwunden, sahen erschrocken auf...“

Bei ihren Spaziergängen fällt Louise ein Kreuz am Wegesrand auf. Dahinter steckt eine Geschichte, die nie aufgeklärt wurde. Die Folgen bekommt Louise mit, wenn sie dem Vater der Toten auf der Insel begegnet.
Louise ist eigentlich eine Sterneköchin. Was in Frankreich passiert war, wo sie ein Restaurant geführt hatte, erfahre ich als Leser so nach und nach. Natürlich weiß man auf der kleinen Insel schnell über sie Bescheid. Deshalb bekommt sie auch das Angebot, für den Sänger Jeff Storm, der in seinem Elternhaus wohnt, das Essen zum Geburtstag auszurichten. Allerdings wird er seinen Geburtstag nicht überleben. Dieses Mal geht die Polizei von einem Unfall aus.
Louise aber beginnt zu recherchieren, auch in der Vergangenheit, und stößt auf einige Ungereimtheiten. Dass sie sich damit in Lebensgefahr bringt, ahnt sie nicht. Gut gefällt mir, wie dabei ab und an Vergleiche zum Kochen gezogen werden.

„...Stopp, Louise. Nicht alles in einen Topf werfen, auch wenn dabei, wenn die Zutaten von guter Qualität waren, etwas Spannendes herauskommen konnte...“

Ich mag es, wie gekonnt historische Fakten in die Geschichte eingebunden werden. Schiffsunglücke gehören zur Historie.

„...Das Wasser macht einfach, was es will. Heute sieht es aus wie blankgeputztes Silber, morgen siehst du nur noch eine schwarze Wand. Du weißt nicht, wo es anfängt und wo es aufhört. Es kann alles verschlingen...“

Ab und an serviert mir die Autorin eine Prise Platt. Damit hat Louise, die zwar zweisprachig aufgewachsen ist, allerdings so ihr Problem.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eine schöne Kombination aus akribischen Ermittlungen und persönlichen Lebensbeschreibungen, gewürzt mit leckeren Essen und lokalen Besonderheiten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
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  • Handlung
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Veröffentlicht am 19.05.2021

Fesselnder Roman

Der Choral der Hölle
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„...Orang Alijeh ruht nur kurz, er wird sich erneut erheben, viel schrecklicher als zuvor. Und dann wird nichts und niemand vor seinem Zorn sicher sein...“

Diese Worte fallen im Jahre 1680 nach dem Ausbruch ...

„...Orang Alijeh ruht nur kurz, er wird sich erneut erheben, viel schrecklicher als zuvor. Und dann wird nichts und niemand vor seinem Zorn sicher sein...“

Diese Worte fallen im Jahre 1680 nach dem Ausbruch eines Vulkans auf Krakatau. Die Einheimischen in Batavia nennen ihn Orang Alijeh. Doch es sollten 203 Jahre vergehen, bis sich die Worte bewahrheiten.
Im Jahre 1883 macht sich Leonhard Mahler auf den Weg nach Batavia. Er hofft, dort Unterkunft und Arbeit bei seinem Onkel zu erhalten. Die Reise verdient er sich als Matrose im Kesselraum des Schiffes.
In Batavia werden Bimo und Femke als Taschendiebe erwischt. Ludger Mahler aber lässt Bimo auf unauffällige Art gehen. Trotzdem hofft er auf den Dank des Bestohlenen. Er soll ihm die Türen zu Johan Van Leuwen, einem gerissenen Geschäftsmann, öffnen.
In Anjer tritt mit Tuah ein Einheimischer seine Stelle als Leuchtturmwärter an.
Der Autor hat einen fesselnden historischen Roman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Der Schriftstil ist ausgereift und abwechslungsreich. Gekonnt beschreibt der Autor die Schiffsreise von Leonhard, aber auch das alltägliche Leben in Batavia. Scheinbar geht alles seinem üblichen Gang.
Die Niederländer bilden sich ein, ein Segen für die Inseln zu sein. Das klingt dann so:

„...Sonst würde er wissen, dass die Einheimischen hier ohne unser Zutun völlig verwildern würden. Sie benötigen die Führung einer starken Hand...“

Ludger hat einen raffinierten Plan und hofft auf das große Geld. Worum es genau geht, erfahre ich erst einige Zeit später. Da aber ist fast schon nichts mehr wie zuvor.
Der erste, der ahnt, dass sich was Außergewöhnliches anbahnt, ist der Leuchtturmwärter. Er spürt ein Schwanken der Luft und sieht ein wie gefrorenes spiegelglattes Meer. Nur wenigen Minuten später aber ist alles vorbei.
Nach dem ersten Ausbruch begibt sich eine Wissenschaftlerdelegation in die Nähe des Vulkans. Sie sind sich nicht sicher, glauben aber, dass der Ausbruch so gut wie überstanden ist.
Währenddessen geht auf Java das Leben normal weiter. Leonhard ist mittlerweile angekommen und wird von seinem Onkel sofort mit Arbeit eingedeckt. Ein Zirkus ist in der Stadt erschienen und unterhält die Leute.
Sehr anschaulich wird die Lage im Moment des zweiten Ausbruchs und der nachfolgenden Naturkatastrophe beschrieben. Genau zu dem Zeitpunkt hat sich die Handlung nach Anjer verlagert. Jeder ist dort damit beschäftigt, sein Leben zu retten. Eine Flutwelle nie gekannten Ausmaßes rollt auf den Strand zu. Vom Leuchtturm aus sieht Tuah das so:

„...Das Meer, Sekunden vorher noch ruhig und spiegelglatt, war jetzt in einem nie gekannten Aufruhr. Es verhielt sich völlig unnatürlich, schwappte wild auf und ab und wirkte wie ein wahrer Hexenkessel...“

Wissenschaftliche Fakten werden geschickt in die Geschichte integriert, so die Vorgänge beim Ausbruch eines Vulkans und die Zusammensetzung und Verwendung von Bimsstein.
Einige Fotos veranschaulichen das Geschehen.
Ein Personenregister und ein informativen Nachwort ergänzen die Geschichte.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es verfügt über einen hohen Spannungsbogen und schildert die Katastrophe realistisch.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Wenn die Technik die Regie übernimmt ...

Countdown zum Untergang
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„...Ancos ist erwacht. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Die Server sind runtergefahren und Ancos hat sich gewehrt und die Kontrolle übernommen. Er hat uns ausgesperrt und ist wieder hochgefahren...“

Ancos ...

„...Ancos ist erwacht. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Die Server sind runtergefahren und Ancos hat sich gewehrt und die Kontrolle übernommen. Er hat uns ausgesperrt und ist wieder hochgefahren...“

Ancos ist ein Computersystem, was Nanopartikel steuert. Als sich die Erfinder einige technische Parameter nicht mehr erklären konnten, haben sie beschlossen, einen Server kurzzeitig vom Netz zu nehmen. Das löste eine Katastrophe am Berliner Flughafen mit mehr als 4000 Tausend Toten aus. Wenige Stunden später setzt der zweite Band der Geschichte ein.
Der Autor hat erneut eine fesselnde Geschichte geschrieben. Sie hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Der Schriftstil passt sich den Gegebenheiten an. Das betrifft selbst die Schriftgröße.
Für die Verantwortlichen gilt es, die Ergebnisse zu analysieren. Jeder von ihnen zieht Konsequenzen für sein privates Leben. Die öffentliche Meinung stellt die Forscher Terroristen gleich und inszeniert in den sozialen Medien eine Hetzjagd ohnegleichen. Andrea sorgt dafür, dass ihre Schwester Stephanie untertauchen kann. Sie ahnt Andreas psychische Verfassung:

„...Eine Welle der Übelkeit überkam sie und flackernde Punkte tanzten vor ihren Augen. Die Panik traf sie aufs Neue wie ein Vorschlaghammer...“

In sogenannten Randnotizen, die in kleineren Schrift und serifenloser Schriftart gedruckt sind, kommen die politisch Verantwortlichen zu Wort.

„...Milliarden flossen in die Erforschung der Schwarmintelligenz. Der Fehler war jedoch, dass niemand auf die Idee kam, das viel naheliegendere Thema, die Schwarmblödheit, zu erforschen...“

Diese sarkastische Bemerkung bezieht auf die Spezies Mensch, speziell Politiker. Ganz Europa war sich einig. Ab sofort kommt man ohne Nanotechnologie aus. Das gesamte System wird komplett stillgelegt von denen, die es entwickelt haben. Nur wenige ahnen, dass damit die nächste Stufe der Katastrophe vorprogrammiert ist.
Einer, der die Gefahren sieht, ist ein österreichischer Oberstleutnant. Er ordnet für den Tag der Abschaltung eine Übung an. Er rechnet mit zwei Szenarien: Einerseits könnte es technische Probleme geben, andererseits könnte es zu Unruhen in der Bevölkerung kommen, weil mit Versorgungsengpässen zu rechnen ist. Was dann wirklich passiert, schockiert ihn für sein Leben.
Da jedes Kapitel einem anderen Protagonisten zugeordnet ist, habe ich einen guten Einblick in die Gedankenwelt und die Gefühle der einzelnen Personen. Stephanie resümiert in einer Stunde der Ruhe:

„...Zusammen waren sie in den Olymp der Technologieunternehmer aufgestiegen und wie Ikarus von der Sonne von ihrer eigenen Überheblichkeit verbrannt worden. Zurückgeblieben war nichts als ein Trümmerfeld...“

In kursiver Schrift erhalte ich einen Einblick in das Verhalten von Ancos.

„...Er reagierte instinktiv und schützte sich, legte alle verfügbare Energie in den Verteidigungsschlag...“

Neben den technischen Raffinessen und zwischenmenschlichen Fragen klingt ab und an ein feiner Sarkasmus an wie hier von einem Wiener Reporter:

„...Das Europäische Parlament hat entschieden – ab sechzehn Uhr wird das Ende der Nanosysteme eingeläutet. […] In nicht einmal fünfzehn Jahren ging von hier eine technische Revolution um die Welt und wurde gleichermaßen an die Wand gefahren. Ich bin schon gespannt, ob mein Automechaniker fähig sein wird, mein E – Mobil zu reparieren!...“

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Fast schlagwortartig folgen die Kapitel aufeinander und zeigen den Weg zur Katastrophe auf.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Bewegende Familiengeschichte

Viktor
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„...Ich vergegenwärtigte mir, was ich wusste: Namen konnten eine jüdische Abstammung verraten. So weit klar. Eine jüdische Abstammung war nichts, worauf man sich etwas einbilden konnte. Ebenfalls klar...“

Mit ...

„...Ich vergegenwärtigte mir, was ich wusste: Namen konnten eine jüdische Abstammung verraten. So weit klar. Eine jüdische Abstammung war nichts, worauf man sich etwas einbilden konnte. Ebenfalls klar...“

Mit obigen Wissen wächst Geertje van Berg in den Niederlanden auf. Die Fragen nach der Vergangenheit werden in der Familie kurz und bündig abgehakt. Der Kontakt zu jüdischen Nachbarn wird weitestgehend eingeschränkt. Nur die Reaktion der Mutter zeigt ab und an, dass etwas unter der Oberfläche schlummert, das tunlichst nicht hervorgeholt werden soll.
Als Studentin 1994 macht sich Geertje auf die Suche nach ihren Wurzeln. Und sie stößt bei ihrer Recherche auf das angeblich schwarze Schaf der Familie: Viktor
Die Autorin hat einen bewegenden Roman geschrieben. Die Geschichte wird abwechselnd in Gegenwart und Vergangenheit erzählt. Beide Teile haben ihren ganz eigenen Reiz.
Der Schriftstil ist ausgefeilt und angenehm zu lesen.
Die Familie Rosenbaum gehört in Wien zur gehobenen Gesellschaftsschicht. Anton ist Anwalt, Ernst Zahnarzt. Antons Sohn Viktor aber schlägt aus der Reihe. Er hat nicht studiert und auch keine Ausbildung absolviert. Aber schon als Kind fällt er dadurch auf, dass er sich für andere einsetzt. So verteidigt er Bubi, der von anderen als Jude gehänselt und bedrängt wird. Bubi stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Die Familie Rosenbaum nimmt sich ab sofort des Jungen an.
Nach und nach wird deutlich, wie der Antisemitismus in Wien Einzug hält. Viktor hat einen Vorteil: groß, blond, hellhäutig. Sein Aussehen nutzt er bewusst, um sich normal bewegen zu können. Er hat einen Blick für gute Gelegenheiten.
Ab und an werden in tiefgründigen Gesprächen fast philosophische Sätze eingeflochten:

„...Aber wenn die Natur verstummt, heißt es Obacht geben. Sie spürt Gefahren früher als der Mensch. Die Natur ist unsere einzige Wahrsagerin, sie weiß Dinge, ehe wir sie wissen...“

An anderen Stellen dominiert ein feiner Humor:

„..“Nichts, gar nichts“, antwortete Viktor, „und mir geht es ausgezeichnet, danke der Nachfrage. Deinem Auto allerdings ...dem ist es schon mal besser gegangen. Und das Gleiche gilt für die Fensterfront des Café Landtmann, fürchte ich.“...“

Die Familie versucht alles, um den Repressionen zu entgegen. Doch selbst ein Wechsel zum Katholizismus ist keine Lösung. Als die Entscheidung ansteht, wer noch das Land verlassen darf, zeigt sich Viktors Großmut.
In der Gegenwart hinterfragt Geertje das Verhalten der Menschen. Das geht so weit, dass sie von denjenigen, die ihre Familie versteckt hatten, wissen will, ob sie so gehandelt haben, weil sie Juden oder weil sie Katholiken waren. Das Verhalten ihre Familie beschreibt sie so:

„...Für meine Familie ist der Krieg nie wirklich zu Ende gegangen; sie leben gewissermaßen noch immer untergetaucht...“

Es sind immer wieder einzelne Sätze, die ausdrücken, was in den Köpfen der Menschen fest verankert ist. So erklärt Geertjes Mutter:

„...Nicht solange eine lebende Seele, auch wenn es sich um einen Rabbiner handelt, per Knopfdruck im Computer sehen kann, wer als Jude registriert ist. Das letzte Mal, als die Verwaltung hierzulande in dieser Hinsicht so gut funktionierte, hat es Zehntausende das Leben gekostet...“

Das Buch ist sehr vielschichtig. Nicht auf alle Aspekte kann ich hier eingehen. So, wie damals in Wien die Meinungen in der Familie auseinander gingen, so zeigt es sich in der Gegenwart wieder. Geertje aber fällt für sich eine Entscheidung. Sie bekennt sich zur jüdischen Religion, ändert ihren Vornamen und bringt sich aktiv in die Gemeinde ein.
Besonders heftig fand ich Antons kursiv wiedergegebene Erinnerungen an seine Inhaftierung und die Fahrt nach Dachau. Auch Viktors Gerichtsverhandlung wird kursiv von einem Gerichtsreporter aufgezeichnet. Erstaunlich, wie gekonnt Viktor bis zuletzt seine Gegner auf die Schippe nimm.

„...Die Wahrheit ist ein Feuer, das die Menschen verzehrt. Wir brauchen Lügen, um die Wirklichkeit ertragen zu können...“

So charakterisiert Ernst die Zeitverhältnisse und fasst für sich ein ganz persönliche Entscheidung.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich mag Viktors Humor, der aus jeder noch so schlimmen Situation das Beste herausholt. Und Geertje ist ein Beispiel dafür, wie die nachfolgenden Generationen geprägt wurden.


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