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Veröffentlicht am 14.08.2018

Eine besondere WG

Alle für einen
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„...Nach ihrem Verständnis war Unordnung kein Zeichen fehlender Disziplin, sondern Ausdruck geistiger Unabhängigkeit...“

In der Villa Zucker gibt es Probleme. Eigentlich sollte sie von ihren Besetzern ...

„...Nach ihrem Verständnis war Unordnung kein Zeichen fehlender Disziplin, sondern Ausdruck geistiger Unabhängigkeit...“

In der Villa Zucker gibt es Probleme. Eigentlich sollte sie von ihren Besetzern schon lange gekauft sein, aber die Verhandlungen ziehen sich hin. Plötzlich ist nichts mehr sicher.
Die Autorin hat einen amüsanten Gegenwartsroman geschrieben. Nach einem Immobilienbetrug haben die Betrogenen Villa Zucker besetzt.Bei diesem Buch handelt es sich um den dritten Teil der Geschichte. Obwohl ich die anderen Bände nicht kenne, war ich schnell in der Handlung drin. Wichtige Informationen werden mir im Laufe des Geschehens geliefert.
In der WG lebt die 71jährige Rosa mit ihrer Tochter Ellen und der 14jährigen Enkelin Kim, Hans Seefeld, momentan Physiklehrer, aber eigentlich Major der Bundeswehr, und Konrad, der 30 Jahre seines Lebens im Knast verbracht hat. Jeder von ihnen hat seine Stärken und Schwächen. Das Eingangszitat stammt von Rosa. Kim ist mit Samu befreundet, der eine finnische Mutter und einen japanischen Vater hat. Allerdings lebt seine Mutter nicht mehr. Außerdem gehört zu ihnen seit kurzem Tarik, der nur deshalb dem Jugendknast entgangen war, weil er Seefeld als außerfamiliären Betreuer akzeptiert hat. In Samus Familie lebt Mardi, ein junger Schwarzafrikaner ohne Familie, den Samus Vater aufgenommen hat.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Er passt sich variabel dem Handlungsverlauf an. Es gibt ernste Phasen, aber auch amüsante Abschnitte. Die Personen werden gut charakterisiert. Die Beschreibung Seefelds liest sich aus Mittmanns Mund so:

„...Er ist zwar schwierig im Umgang, weil er viel denkt und wenig redet und man deshalb oft nicht weiß, woran man mit ihm ist.Aber das er heimlich verschwindet, um einem unbequemen Versprechen zu entkommen, das glaube ich niemals...“

Doch nicht nur Seefeld verschwindet. Auch Tarik geht nach der Entlassung seines Vaters und den damit verbundenen familiären Problemen eigene Wege und ist nicht mehr auffindbar. Kim, Mardi und Samu wollen ihn allerdings helfen und setzen alle Hebel in Bewegung, um ihn zu finden. Dabei bekommen sie völlig unerwartete Hilfe.
Währenddessen hat Rosa die Idee, einen Basar für die Flüchtlingshilfe zu organisieren. Ihr Freund Roland Stettin hat ihr das in seinem Heimatort vorgemacht. Während Rosa kein Typ für Haus- und Gartenarbeit ist, bringt sie sich in die Organisation des Basars voll ein. Der Ruhepunkt in der Hektik es Alltags ist Konrad. Er sogt für das Essen und ist immer ansprechbar. Dass er selbst Kummer hat, kann er lange gekonnt überspielen.
Der Roman zeigt, wie jeder sich nach seinen Fähigkeiten einbringt. Freundschaft, Zusammenarbeit und Toleranz helfen, die auftretenden Fragen zu klären. Doppersen, Insolvenzverwalter und als solcher für die Villa zuständig, bekommt schnell zu spüren, dass er die WG gründlich unterschätzt hat und dass die sich nicht über den Tisch ziehen lassen. Für Ellen ergibt sich beim Beobachten des Gesprächs folgendes Bild:

„...Ellen blickte Mittmann überrascht an, aber der gehörte nun auch zur Fraktion der Pokergesichter. Vermutlich eine branchenübergreifende Berufskrankheit bei Soldaten, Anwälten und Kriminalbeamten...“

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist schön zu lesen, wie jede Generation zeitweise ihren eigenen Weg geht, aber bei gemeinsamen Sorgen alle zusammenstehen.

Veröffentlicht am 12.08.2018

Ungewöhnlicher Schriftstil

Das Sacher
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„...Der Tod, geschmeidig, etwas zu dünne Glieder im schwarzen Anzug, eine erkaltete Zigarette im Mundwinkel, streifte umher, durchaus nicht ziellos.
Sie, die Liebe, bewegte sich kokett am Lärm und Schmutz ...

„...Der Tod, geschmeidig, etwas zu dünne Glieder im schwarzen Anzug, eine erkaltete Zigarette im Mundwinkel, streifte umher, durchaus nicht ziellos.
Sie, die Liebe, bewegte sich kokett am Lärm und Schmutz der großen Stadt vorbei ins goldene Licht des Vestibüls im Hotel de l`Opera, das in wenigen Jahren „Sacher“ heißen würde...“

Wir schreiben den 28. November 1892. Im Hotel l`Opera kommen Martha und Maximilian Aderhold an. Das junge Paar hatte vor wenigen Tagen einen Verlag in Berlin gegründet.
Im gleichen Hotel wohnen Prinz und Prinzessin von Traunstein. Die junge Prinzessin und Martha wechseln einen Blick.
Eine Etage obendrüber sitzt Franz Sacher am Bett seines Sohnes. In wenigen Stunden wird er seinen Sohn und Anna Sacher ihren Mann verlieren.
Die 11jährige Marie Stadler arbeitet im Hotel. Sie wird an diesem Abend verschwinden. Alle Suche bleibt ergebnislos.
Die Autorin hat einen beeindruckenden historischen Roman geschrieben. Die obige Einführung stellt die wichtigsten Personen der Handlung vor. Doch das Besondere des Buches ist nicht nur der Inhalt, sondern vor allem der Schriftstil. Der hat mich sofort in seine Bann gezogen.
Das Eingangszitat stammt aus dem Prolog. Es stellt zwei Protagonisten vor, die wie eine roter Faden immer wieder im Handlungsverlauf auftauchen, dann eher wie Zuschauer wirken und doch unsichtbar, aber entscheidend in die Handlung eingreifen. Liebe und Tod sind die wesentlichen Akteure der Geschichte.
Anna Sacher gelingt das Unwahrscheinliche. Sie darf als Frau das Hotel weiterführen. Sie wird es einige Jahre später umbenennen. Welchen Rang sie in Wien erreicht, kommt in dem folgenden Zitat zum Ausdruck:

„...Russisch, Polnisch, Tschechisch, Serbisch, Ungarisch, Österreichisch, Jiddisch. Wien war der Schmelztiegel. Und im Sacher kam zusammen, was sich im Vielvölkerstaat Österreich argwöhnisch auf Abstand hielt....“

Über die Verstrickungen und komplexen Beziehungen zwischen Martha, Maximilian und den Ehepaar von Traunstein möchte ich nicht näher eingehen. Sie ermöglichen aber der Autorin, die historischen Veränderungen zu thematisieren. Bis 1918 darf ich die Lebensläufe der Protagonisten verfolgen. Deutlich wird, wie sich diese Generation von den Anschauungen der Eltern abkoppelt und eigene Wege geht.
Die Autorin gliedert das Buch in drei große Abschnitte: der Tod, das Leben, die Liebe. Dazwischen werden ab und an ein paar Jahre ausgespart. Es ist eine Ironie der Handlung, dass gerade im letzten Teil der Tod die Hauptrolle spielt, denn es sind die Jahre des Ersten Weltkrieges.
Politische Diskussionen spielen genauso eine Rolle wie das Thema Literatur.
Der Schriftstil ist sehr detailliert. Handlungsschritte folgen logisch aufeinander. Dialoge sind gekonnt ausgearbeitet und vielschichtig. Manchmal sind es fast philosophische Inhalte, die besprochen werden. Das folgende Zitat steht als Beispiel dafür:

„...Der Frieden scheint niemanden zu interessieren, wenn Frieden ist...“

Es ist eine Zeit voller Widersprüche. Genau das wird durch den Handlungsverlauf deutlich. Ewiggestrige treffen auf junge Leute mit neuen Gedanken. Die Frauen wollen eigene Wege gehen und stellen sich gegen alte Zöpfe. Die Jahrhundertwende birgt Hoffnung und trägt doch schon den Keim des Krieges in sich.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ein Zitat möge meine Rezension beenden, dessen erster Satz bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat:

„...Kein Problem hat sich je durch einen Krieg gelöst! Und die europäischen Staaten stehen sich wie Raubtiere gegenüber...“

Veröffentlicht am 09.08.2018

Glasklare Analyse

Eiszeit
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„...Die große Aufgabe dieses Jahrhunderts scheint mir zu sein, Feindbilder abzubauen und sich Realitäten zu stellen, statt mit einer westlichen Werteideologie Kreuzzüge anzuzetteln, die nirgendwo auf der ...

„...Die große Aufgabe dieses Jahrhunderts scheint mir zu sein, Feindbilder abzubauen und sich Realitäten zu stellen, statt mit einer westlichen Werteideologie Kreuzzüge anzuzetteln, die nirgendwo auf der Welt im Sinne von Menschenrechten und Menschlichkeit irgendetwas gebracht haben...“

Die Autorin analysiert in beeindruckender Art das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Dabei hinterfragt sie das Verhalten beider Seiten und zeigt auf, wo die eigentlichen Probleme liegen. In sechs Abschnitten widmet sie sich den wichtigsten Feldern der Weltpolitik.
Sie beginnt mit der Entwicklung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dabei geht sie auf das Chaos unter Jelzin ein und zeigt, wie und warum sich die Politik Putins in den letzten Jahren geändert hat.

„...Bei uns besteht derzeit die Neigung, nur einen Teil der Geschichte zu erzählen und die Elemente wegzulassen, die nicht in das Bild vom friedlichen Westen und vom aggressiven Russland passen...“

Genau diese Elemente stellt die Autorin in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Einer der Schwerpunkte ist dabei die Osterweiterung der NATO. Die Vorgänge in Georgien und der Ukraine werden detailliert auseinander genommen. Sie weist mit Quellenangaben nach, wie der Wunsch nach Aufnahme von außen gekonnt stimuliert wurde.
Das Thema Syrien nimmt ebenfalls einen weiten Raum ein. Auch hier wird belegt, dass die Massenmedien nur einen Teil der Wahrheit erzählen.
In einem Kapitel setzt sich die Autorin mit der Frage auseinander, wer wen bedroht. Sie vergleicht die Rüstungsausgaben, die Stärke des Militärs und die Militärbasen.
Sehr gekonnt spielt die Autorin mit dem Worten Aktion und Reaktion. Mehr und mehr wird dabei deutlich, dass das Verhalten Russlands eine Reaktion auf die Aktionen der NATO sind.
Ihre Schlussfolgerung klingt hart:

„...Der Westen ist zu echten Kompromissen nicht mehr in der Lage, weil er die eigene Weltsicht für alternativlos hält. Das hat was von missionarischen Eifer, der schon immer das beste Rezept war, um große Katastrophen herbeizuführen...“

Doch die Autorin analysiert nicht nur die Situation. Sie bezieht historische Vergleiche ein und macht Vorschläge, wie ein Aufeinander – zu – gehen aussehen könnte. Ein Vorbild dafür ist für sie die damalige Entspannungspolitik von Willy Brandt.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

Veröffentlicht am 07.08.2018

Klasse Krimi

Das letzte Schweineohr
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„...Diese total fanatischen Frauen existieren doch überall auf der Welt. Die, die selbst beim Tanzen versagt haben und daher jetzt alles dafür geben, dass ihre kleinen Lieblinge im Rampenlicht stehen...“

Linn ...

„...Diese total fanatischen Frauen existieren doch überall auf der Welt. Die, die selbst beim Tanzen versagt haben und daher jetzt alles dafür geben, dass ihre kleinen Lieblinge im Rampenlicht stehen...“

Linn nimmt an einem Tanzkurs teil. Dabei hört sie, wie sich eine Mutter aufregt, dass ihre Tochter nur in der zweiten Reihe tanzen darf. Kira, die Tanzlehrerin, bleibt bei ihrer Meinung. Wenige Tage später kommt Linn dazu, wie Kira fast erhängt gefunden wird. Die schnelle Reaktion sorgt dafür, dass sie noch lebt und ins Krankenhaus kommt.
Die Autorin hat erneut einen unterhaltsamen Krimi geschrieben.
Linn ist Deutsche und lebt nun in Kanada in einer WG. Dort arbeitet sie in einem Cafè. Dummerweise stolpert sie aber gern in Kriminalfälle. Bas, Polizist und ihr Freund, ist davon nicht begeistert.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Dazu trägt auch bei, dass es eben nicht nur um die Ermittlung des Täters geht, sondern dass ich auch Linns alltägliches Leben in der WG verfolgen darf. Außerdem erfahre ich in den vielen gut ausgearbeiteten Gesprächen eine Menge über die Unterschiede des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und Kanada. So wusste ich nicht, dass viele Krankenkassen in Kanada keine Medikamente bezahlen. Das kann bei chronischen Erkrankungen richtig teuer werden. Deshalb war es für Kira auch ein Schock, als bei ihr Prädiabetes diagnostiziert wurde.
Schnell stellt sich heraus, dass Kira keinen Selbstmord begangen haben kann. Die Verletzungen weisen auf Fremdeinwirkungen hin. Die Zahl der möglichen Täter ist von Anfang an sehr hoch. Dazu gehören die übereifrigen Mütter, ein Nachbar, dem das Tanzstudio schon lange ein Dorn im Auge ist, und Gloria, Kiras Partnerin. Das sind bei weitem noch nicht alle.
Die Geschichte durchzieht ein feiner Humor. Dafür sorgen Engelchen und Teufelchen, die sich gedanklich auf Linns Schultern befinden und ihr Verhalten oft gegensätzlich kommentieren. Auch das folgende Zitat steht für die amüsanten Stellen:

„...Es sind immer die Männer, die uns an den Rand des Wahnsinns treiben...“

Immer wieder gern lese ich Linns geschickte Art, Menschen Informationen zu entlocken. Sie geht auf jeden ganz speziell ein, zeigt Verständnis und durchbricht so das Schweigen.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eine gekonnte Kommunikation aus spannender Ermittlung, Leben in einer WG und Wissensvermittlung über Kanada.

Veröffentlicht am 02.08.2018

Der Autor und sein Werk

Mit Michael Ende am Schreibtisch
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„...Die kleine Dryade wohnt gerne im Garten der Casa Liocomo, dem Haus Einhorn. Für einen Baumgeist ist der Olivenhain in den Albaner Bergen bei Rom ein wahres Paradies. Die kleine Dryade mag Geschichten ...

„...Die kleine Dryade wohnt gerne im Garten der Casa Liocomo, dem Haus Einhorn. Für einen Baumgeist ist der Olivenhain in den Albaner Bergen bei Rom ein wahres Paradies. Die kleine Dryade mag Geschichten und ihr Nachbar, ein gemütlicher Herr mittleren Alters, kann wunderbar erzählen...“

Mit diesen Worten beginnt ein Buch, dass sich dem Leben und Schaffen von Michael Ende widmet, denn der ist der Nachbar der kleinen Dryade.
Dabei lässt mich der Autor des Buches auch am Schaffensprozess des Schriftstellers teilhaben. Ich darf ihm beim Schreiben quasi über die Schulter schauen.
Michaels Elternhaus war ein Haus der Gegensätze. Das betraf nicht nur den Charakter der Eltern, sondern auch ihre Lebenseinstellung. Während die Mutter eher Realistin war, lagen die Schwerpunkte des Vaters in seiner Malerei. Unter den Nazis bekam er Berufsverbot.
Gekonnt wird dargestellt, wie Michaels Lebensgeschichte Eingang in sein Werk fand, insbesondere in „Die unendliche Geschichte“. Tod und Gewalt der Nazizeit, seine Erfahrungen der Bombennächte spiegeln sich im Leben der Protagonisten wider.
Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Die Parallelität zwischen den einzelnen Lebensstationen und der Entstehung der Bücher wird anschaulich herausgearbeitet. Gleichzeitig ist das Buch damit eine minimale Zusammenfassung von „Die unendliche Geschichte“, „Lukas, der Lokomotivführer“ und „Momo“. Wichtig dabei ist, dass begründet wird, warum er manche Dinge so und nicht anders geschrieben hat. Auch die Schwierigkeiten im Schaffensprozess werden nicht ausgeklammert. Das folgende Zitat zeigt seine Einstellung:

„...Das Kind, das ich einmal war, lebt heute noch in mir...“

Mit der Art seiner Literatur war der Autor seiner Zeit voraus. Das brachte ihm einerseits einige Literaturpreise, andererseits scharfe Worte mancher Literaturkritiker. Auch den Umgang mit den Fans musste er erst lernen.
Der Film zum Buch wird zum Desaster. Die Verfremdungen kann und will der Autor nicht mittragen. Noch schlimmer trifft es seine Frau Ingeborg.
Eine Auflistung der Bücher von Michael Ende und umfangreiche Anmerkungen ergänzen das Buch.
Die Biografie hat mir sehr gut gefallen. Sie zeigt nicht nur das Auf und Ab im Leben des Schriftstellers, sondern ermöglicht einen Einblick in seine ganz persönliche Gedankenwelt.