Geschichte voller Geheimnisse
Der Zwilling von Siam„...Der König ist ein guter Diplomat und will sich keiner westlichen Großmacht ausliefern. Die Engländer haben sich ja bereits Malaya zu eigen gemacht. Die Franzosen Indochina. Siam liegt genau dazwischen ...
„...Der König ist ein guter Diplomat und will sich keiner westlichen Großmacht ausliefern. Die Engländer haben sich ja bereits Malaya zu eigen gemacht. Die Franzosen Indochina. Siam liegt genau dazwischen und wir Deutschen sorgen mit unsrem Wirken für Neutralität...“
Wir schreiben das Jahr 1892. Emilie reist mit ihrem Vater nach Siam, um dort an der königlichen Schule zu unterrichten. Außerdem wird sie in Bangkok ihre Zwillingsschwester Marie wiedertreffen, die in Siam verheiratet ist. Bei ihrer Ankunft allerdings erfahren sie, dass Marie bei einem Unfall mit der Kutsche ums Leben gekommen ist. Es gibt keine Leichen, weder von Marie noch von dem Pferd.
Emilie kann und will sich damit nicht abfinden. Sie hinterfragt das Leben ihrer Schwester. Dabei steht ihr Johannes, ihr Schwager, zur Seite. Beide ahnen nicht, dass sie in ein Wespennest stechen und sich selbst in Gefahr bringen, zumal Emilies Gerechtigkeitsempfinden sie Dinge sagen lässt, die man von einer Frau so nicht gewohnt ist..
Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Er passt sich den Gegebenheiten an. So werden die Gefühle der Protagonisten sehr gut herausgearbeitet. Der Vater scheint fast am Tode der Tochter zu zerbrechen. Bei Emilie ist der Zweifel am Geschehen in jeder Zeile spürbar. Franz, Maries Mann, versucht den Tod seiner Frau zu verdrängen.
Detailliert wird die Landschaft beschrieben. Dabei malt die Autorin mit Worten Bilder.
„...Die Wasseradern wirkten im Licht der Sonne wie silbern schimmernde Pinselstriche in einem Landschaftsgemälde, dem die Strohhüte der Arbeiter ockerfarbene Tupfer verliehen...“
Gekonnt eingeflochten in die Handlung werden die politischen Verhältnisse. Der König will sein Land fit für die Zukunft machen. Den Eisenbahnbau legt er in die Hand deutscher Ingenieure. Die allerdings sollen mit Engländern zusammenarbeiten. Das birgt ungeahnten Zündstoff. Einer der leitenden Ingenieure ist Franz. Außerdem legt der König viel Wert auf Bildung. Nicht nur die königlichen Abkömmlinge, auch die Kinder des Adels werden in der königlichen Schule unterrichtet. Fremdsprachen bilden einen der Schwerpunkte. Das Lehrerkollegium ist international zusammengesetzt.Die Arbeit in der Schule macht Emilie viel Freude. Diese Stunden sind für sie auch Zeiten der Ruhe und Entspannung.
Bei den Nachforschungen zum Tode der Schwester erfährt Emilie Dinge über Marie, die ein völlig anderes Bild der Schwester zeichnen, als sie in Erinnerung hat. Sie fragt sich, was diese Veränderungen bewirkt hat.
Einer der stilistischen und inhaltlichen Höhepunkte des Buches ist für mich das Gespräch zwischen Emilie und dem jungen Kronprinzen. Der wirkt für sein Alter reif und ausgeglichen. Eine seiner Aussagen hat bis heute Gültigkeit.
„...Ohne Habgier wären alle Länder dieser Welt frei...“
Ein weitere fast philosophischer Exkurs ist ins Geschehen eingebettet. Es geht um Wahrheit oder Lüge. In diesem Fall darf ich Emilies Gedanken dazu verfolgen. In dem Moment ahnt weder Emilie noch ich als Leser, wie oft das Thema praktisch im Laufe des Buches von Bedeutung ist. Viele Geheimnisse werden erst nach und nach entschlüsselt.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Autorin versteht es, eine komplexe Geschichte voller Geheimnisse mit hohem Spannungsbogen zu erzählen und dabei exakt recherchierte historische Fakten einzubinden.