Interessante Trauermetapher
Was uns bleibt ist jetztMeg Wolitzer ist in der Buchbranche keine Unbekannte und hat sich stets sehr wandelbar präsentiert, denn Jugendbücher kann sie genauso anbieten wie Romane. Dennoch habe ich bislang noch nie etwas von ihr ...
Meg Wolitzer ist in der Buchbranche keine Unbekannte und hat sich stets sehr wandelbar präsentiert, denn Jugendbücher kann sie genauso anbieten wie Romane. Dennoch habe ich bislang noch nie etwas von ihr gelesen, bis jetzt zu „Was uns bleibt ist jetzt“, das schon 2015 veröffentlicht wurde, was ich aber jetzt geschenkt bekommen habe. Jugendbücher sind zwar zuletzt für mich ein Genre geworden, wo viel zusammenkommen muss, damit ich mich gut unterhalten fühle und vor allem den Eindruck einer oberflächlichen Lektüre abschütteln kann (denn man wird eben älter), aber schon der Titel sowie der Klappentext ließen erahnen, dass es tiefsinniger wird.
Das Buch hat einen flotten Schreibstil anzubieten, was auch wirklich gut ist, denn als Leser wird man zunächst etwas verwirrt zurückgelassen, denn es wird bewusst offen gelassen, was Jam passiert ist, aber auch die anderen Jugendlichen, die mit ihr den besonderen Kurs an der neuen Schule besuchen, haben ein traumatisches Ereignis durchgemacht, was zunächst nicht ergründet wird. Inhaltlich hat das gepasst, denn es geht schließlich darum, dass Mrs. Q die fünf Schüler ausgewählt hat, weil sie eben noch in der absoluten Verdrängungsphase sind und dort sanft herausgeholt werden müssen. Dennoch sorgt das beim Lesen für Momente, wo man sich wünscht, dass man nun endlich zum Kern vordringt. Bei Jam bekommen wir durch die Perspektive die meisten Einblicke, was passiert ist und auch wenn es stilistisch manchmal verwirrend ist, wenn Jam vom neuen Alltag zu Reeve und der verlorenen Liebe abdriftet, so passt auch hier wieder die Stilistik, denn die Hauptfigur lebt eben nicht im Hier und Jetzt, sondern wird von der Vergangenheit angezogen.
Ein wichtiges Element sind schließlich die Tagebücher, die Mrs. Q ausgeteilt hat. Ich würde diese Tagebücher mal als übernatürliches Element einordnen. Natürlich ist „Was uns bleibt ist jetzt“ nicht auf einmal ein Fantasy-Jugendbuch, dafür ist das Tagebuch zu sehr eine Metapher für Verarbeitungsprozesse, aber dennoch hat mich die Idee erstmal skeptisch gemacht, denn ja, so ist es einfach nicht möglich. Ich konnte mich mit dem Verlauf des Buchs aber immer mehr auf die Idee einlassen, eben auch weil sie so konsequent aufgezeigt wurde und weil die Metapher wirklich passend war. Durch Verluste träumt man sich in die Vergangenheit herein, man kreiert einen vermeintlich perfekten Moment, um dann nach und nach zu merken, dass es vielleicht gar nicht so perfekt war und dann wiederum wird man auch damit konfrontiert, dass die Gegenwart nicht auf einen wartet und man zu sehr in der Vergangenheit verbringend verpasst, die Gegenwart zu lieben und neues Glück zu finden. Wir erleben zwar auch die Geschichten der anderen vier durch Erzählungen, doch bei Jam ist es natürlich am deutlichsten, wenn sie an Reeves Seite zurückkehrt, dann aber zunehmend merkt, dass sie die Grenzen des Moments nicht so sehr reizen, dass es ihr zu wenig ist, dass sie das volle Leben will. Wir bekommen auch ein gegenteiliges Beispiel geboten, wo die Vergangenheit zu sehr reizt und das fand ich auch wichtig, so ein Gegengewicht zu schaffen, denn nicht alle schaffen das weitermachen.
Am Ende hat die Geschichte auch einen richtigen Sog entwickelt, denn man wollte nun natürlich wissen, welche Erkenntnisse Jam für sich gewinnen kann, wie sie endgültig abschließen kann. Deswegen kam es wirklich aus dem Nichts, dass es noch einen Twist rund um Jam gibt. Das fand ich sehr gut gemacht, auch weil es nicht zu erahnen war. Die kleinen Hinweise, die vielleicht gestreut waren, die konnte man genauso auf den regulären Trauerprozess schieben. Das war echt das größte Highlight neben der generellen Thematik. Der Sog sorgt umgekehrt aber auch dafür, dass dieser befürchtete oberflächliche Eindruck sich an einigen Stellen doch noch einschleicht. Es wird ein halbes Jahr erzählt, das ist nicht wenig Zeit, aber massig viel ist es eben auch nicht, weswegen mir manche Beziehungen da etwas zu schnell geknüpft wurden. Sei es Jam mit Sierra oder mit Griffin. Bei ihm war es auch so, dass ich seine Geschichte etwas unfertig fand. Während ich bei den anderen einen Abschluss gesehen habe, so hat er vermeintlich auch einen gemacht, aber wirklich dabei war man nicht, weswegen Griffin auch meine persönliche Enttäuschung auf der Charakterebene darstellt. Das sind aber nur Kleinigkeiten, weil ich die Darstellung zu Trauma und Verarbeitung richtig stark fand.
Fazit: „Was uns bleibt ist jetzt“ ist ein sehr gut ausgearbeitetes Jugendbuch, das sich mit einer gewöhnungsbedürftigen, aber doch sehr passenden Metapher mit Verlust und Verarbeitung auseinandersetzt und dabei eine nachvollziehbare innere Reise abbildet. Ein toller Wendepunkt am Ende bildet ein gutes I-Tüpfelchen und merzt einige oberflächliche Eindrücke aus.