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Veröffentlicht am 17.03.2022

Ein Thriller im Gewand eines Fantasyromans

Schattenelfen - Die Blutkönigin
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Erster Eindruck:

Was bringt mir der neue Bestseller des deutschen Fantasyautors Bernhard Hennen? Als Verfasser eines eigenen Fantasyromans und einiger Kurzgeschichten auch in diesem Genre interessierten ...

Erster Eindruck:

Was bringt mir der neue Bestseller des deutschen Fantasyautors Bernhard Hennen? Als Verfasser eines eigenen Fantasyromans und einiger Kurzgeschichten auch in diesem Genre interessierten mich Schreibstil und Aufbau beinah mehr als die Handlung. Ich gestehe, dass ich anfangs so wenig angetan war, dass ich überlegte, das Buch aus der Hand zu legen. Doch mein Durchhalten hat sich gelohnt: Romantisches wie auch Gewalt und Brutalität machen diese Fantasy zum Thriller. Von amerikanischen Autorinnen und Autoren bin ich eine solche Mischung auf dem hohen Niveau der „Schattenelfen“ nicht gewohnt.



Inhalt ohne Spoiler:

Elfen sind niedliche geflügelte Geschöpfe, die über Blüten schweben und magischen Staub streuen, um die Natur in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen? Mitnichten! Langollion ist eine Idylle der Freiheit und des Wohlstands im Reich Albenmark und daher das Ziel aller ‚Albenkinder‘, Zentauren, Kobolde, Trolle und anderer Bewohner. Alles wird jedoch nur aufrecht erhalten durch die Intrigen der jahrhundertealten Elfenfürstin Alathaia und ihrer Kinder, die für sie spionieren und meucheln. Ihre Gegnerin ist die Elfenkönigin Emerelle, die die übrigen Länder mit eiserner Hand regiert, und beide sind Meisterinnen in Verrat und Hinterlist. Doch in diesem Schachspiel um die Vorherrschaft in der Albenmark und mit reichlich vielen Bauernopfern verfolgt noch ein anderes Wesen seine perfiden Pläne. Und so werden die Elfen Laurelin und Adelayne zum Spielball der Mächtigen, bestimmen aber letztendlich auch das Schicksal des ganzen Landes.



Schreibstil:

Hennen überzeugt durch einen lebendigen, handlungsgetriebenen Schreibstil. Dialoge, Gedanken und Handlung wechseln einander ausgewogen ab. Seine abwechslungsreiche Sprache harmoniert mit dem Setting, passt sich ständig der jeweiligen Umgebung an und gibt die hervorstechenden Charakterzüge der gerade im Mittelpunkt stehenden Figur treffend wieder. Thrillermäßig geschrieben, lässt der Roman den Leser nach einer dramatischen, jedoch wegen des Wechsels zwischen Elfen, Trolle und Tieren chaotisch wirkenden Eingangssequenz nicht Atem holen. Gefühlte hundert kurze Kapitel aus der jeweiligen Sicht der zahlreichen, aber nicht nur der wesentlichen Figuren offenbaren dem Leser aus ebenso vielen Blickwinkeln das Leben bei Hofe oder in der Wildnis. Nach einem Zehntel des Romans führt der Autor die Handlungsstränge so weit zusammen, dass die Geschichte dahinter verständlich wird. Dennoch spart er wichtige Details auf, um sie später häppchenweise preiszugeben. Orte und Handlungen präsentieren sich so plastisch, dass man sich hineinversetzt glaubt. Die interessant gestalteten Figuren sind dreidimensional, der Leser sieht sie vor sich, fühlt, hofft und bangt mit ihnen. Was verwundert, ist, dass Hennen zahlreiche Figuren, die ganze Handlungsstränge beherrschen und denen er oft genug mehrere Kapitel widmet, sterben lässt, nachdem der Leser lange mit ihnen gelebt hat. So erhalten die Intrigen eine weitere Betonung.



Fazit:

Durchhalten ist angesagt! Die ersten 80 der beinahe 800 Seiten füllt Hennen mit der Vorstellung einiger Figuren und der Albenmark. Obwohl hier schon reichlich Handlung einfließt, erschließen sich dem Leser die Handlungsstränge erst danach, wenn sie sich einander annähern. Dann geht es rasant vorwärts. Jedes Kapitel eröffnet einen neuen Blickwinkel und fesselt. Als Leser fiebert man nicht nur dem Fortschreiten der Handlung entgegen, sondern fragt sich auch, wann man endlich die Figuren wiedertrifft, die einen ein paar Kapitel vorher fasziniert haben. Hennen präsentiert einen hervorragend geschriebenen Thriller im Gewand bester, packender epischer Fantasy!

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Fünf Sterne für eine Welt ohne Männer

Die andere Hälfte der Welt
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Für Eilige:

Die Leseprobe hatte mich neugierig gemacht: Eine Welt ohne Männer! Geht es Christina Sweeny-Baird um die Überbevölkerung, das Problem, das Dan Brown in Inferno angeprangert hat? Beugt sie ...

Für Eilige:

Die Leseprobe hatte mich neugierig gemacht: Eine Welt ohne Männer! Geht es Christina Sweeny-Baird um die Überbevölkerung, das Problem, das Dan Brown in Inferno angeprangert hat? Beugt sie sich am Ende wie er dem Mainstream? Nein, das hat sie nur einmal angerissen: Der Klimawandel bildet sich zurück, da die Weltbevölkerung im Jahr 2025 auf 55% des bis dahin aktuellen Umfangs zurückgeht. Doch diese Betrachtung ist nicht Gegenstand des Romans. Das Werk lebt von den Gefühlen der Betroffenen, von den Gefühlen der Frauen und von ihren Schicksalen. Wie aber passt das mit dem lockeren, selbstironischen Schreibstil zusammen? Ist die 'andere Hälfte' eine Anspielung auf die 'bessere Hälfte'? Die Ernsthaftigkeit greift ebenso schnell Raum, wie der Leser begreift, dass sich die Welt im Krieg befindet: im Krieg gegen ein tödliches Virus.



Inhalt:

Im Einzelnen eine Handlung wiederzugeben, fällt mir bei diesem Buch schwer. Sweeny-Baird verfolgt das Schicksal eines halben Dutzends Frauen, die ihre Ehemänner, ihre Söhne und Väter verlieren. Wie gehen sie damit um - versinken sie in Verzweiflung oder in blindem Aktivismus? Oder stellen sie sich der Situation und arbeiten an einer neuen Weltordnung? Die Welt wird anders mit nur einem Zehntel der Männer. Politik, Wirtschaft, Bildung - alles ändert sich für die Gesellschaften. Evakuierungsprogramme, Arbeitszwang, Rationalisierung - alles ändert sich für die Frauen und die wenigen verbliebenen Männer. Manche Schicksale werden erst am Ende des Romans zusammengeführt: im Licht einer neuen Weiblichkeit mit gestiegenem Selbstbewusstsein, mit Erfahrung in neuen Berufen und mit dem eisernen Willen, die Rasse Mensch nicht aussterben zu lassen.



Schreibstil:

Ein Buch aufgeteilt in gefühlte 100 Kapitel, alle erzählt aus der Ich-Perspektive. Das machte es mir anfangs schwierig zu erkennen, wer die Erzählerinnen dieser Kapitel waren und welche Rolle sie spielten. Raffiniert führt die Autorin im Verlauf des Protokolls die Schicksale, Aufgaben und Gefühle der Frauen zusammen, denn nur wenige Männer schildern ihre Situation. Mit dem Verlauf der Pandemie ändert Sweeny-Baird den Schreibstil. Von der anfänglichen Leichtfüßigkeit und Selbstironie bleibt Schritt für Schritt immer weniger übrig. Die Sprache kennzeichnet paassend die jeweiligen Charaktere, indem sie die Gefühle und Stimmungen treffend formuliert: Verzweiflung klingt anders als Zuversicht und Durchhaltewillen, Resignation anders als Hilfrsbereitschaft, Aggression anders als Verständnis und Aufopferung. Das nimmt dem in Protokollform (Person, Tag der Pandemie seit dem Ausbruch, Ort der jeweiligen Protagonistin) strukturierten Buch jeglichen Anschein nüchterner Berichterstattung, man will, man muss weiterlesen! Die Maschen, in denen die Schicksale miteinander verwoben sind, werden immer enger. Die Gefühle wirken stets authentisch, wodurch die Dramatik betont wird, ohne reißerisch zu wirken. Bilder aus der Kriegs- und Nachkriegszeit machen Die andere Hälfte der Welt sowohl nachvollziehbar als auch dringlich mahnend.



Fazit:

Nachdem man sich etwa ab Kapitel drei über die Struktur des Buches klargeworden ist, will man es nicht mehr aus der Hand legen. Packend geschrieben bietet es eine Perspektive fernab von heutiger Umweltzerstörung und Überbevölkerung. Einfach eine neue Weltordnung des Matriarchats. Für mich als Leser haben die geschilderten Konsquenzen einer männermordenden Pandemie Hand und Fuß. Trotz aller Dramatik und trotz des sich ändernden Rollenverständnisses hin zur weiblichen Vorherrschaft ist das Buch keine verbittert klingende Abrechnung mit der Dominanz der Männer in Beruf, Wirtschaft und Politik. Es ist eine Alternative, die es gilt ernsthaft und geschlechterneutral zu betrachten. Dadurch, dass die Autorin die ganze Welt in den Fokuss rückt, wird das Buch neben einem Roman zu einer Kritik an unserer heutigen Gewohnheit, nichts als System zu betrachten, sondern alles in manchmal widerstreitenden Subsystemen optimieren zu wollen: Das System als ganzes, die Welt an sich bleibt ohne diese Sicht auf der Strecke. Aber egal, welchen Aspekt der Leser in den Vordergrund stellt: Sweeny-Bairds Die andere Hälfte der Welt ist eine packende und lesenswerte Lektüre.

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Spannung trotz fehlenden Tiefgangs

Das Reich der Macht
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Erster Eindruck

Thriller leben von Hektik, da ist Die Welt der Macht keine Ausnahme. Wie setze ich eine Handlung um Menschenhandel, Prostitution und politische Ränkespiele um? Mit der Beschreibung von ...

Erster Eindruck

Thriller leben von Hektik, da ist Die Welt der Macht keine Ausnahme. Wie setze ich eine Handlung um Menschenhandel, Prostitution und politische Ränkespiele um? Mit der Beschreibung von Gewalt und einer passenden derben Sprache.



Inhalt ohne Spoiler

Während ein chinesischer Minister mit seinen Vertrauten Intrigen zum Wohle Chinas und zu seinem eigenen spinnt, setzt Amerikas Präsident Jack Ryan senior alles daran, seine Geheimdienste möglichst im Vorfeld jedes Vorgehen gegen die Vereinigten Staaten aufdecken zu lassen. Zur selben Zeit bekämpft Jack Ryan junior in den USA einen chinesischen Mädchenhändlerring. Irgendwann laufen die Handlungsfäden zusammen.



Schreibstil

Thriller leben von Hektik, ihnen ist immanent, dass der Leser nicht zum Atemholen kommen, sondern das Buch in einem Rutsch durchlesen soll. Auch Marc Cameron als Nachfolgeautor des 2013 verstorbenen Tom Clancy hält sich strikt an diese Regel. Egal, wer in der komplexen Handlung im jeweiligen Kapitel das Heft in der Hand hält, er trägt dazu bei, dass sich die Ereignisse überschlagen. Die Sprache, deren sich die Figuren befleißigen, passt zum Setting, in dem sie sich bewegen. Jack Ryan jr. und seine Kameraden vom Campus, einer privaten Geheimorganisation zum Wohle Amerikas, befleißigen sich eines derben Jargons mit nicht nur gelegentlichem Griff zur Fäkalsprache. Wen wundert’s, sind doch ihre bösen Gegenspieler recht gewalttätig, und da helfen keine frommen Sprüche. Gesitteter geht es in den Teppichetagen sowohl in Peking wie auch in Washington zu. Während der intrigante chinesische Minister auch Tötungsbefehle in wohlgesittete Worte zu kleiden weiß, bedient sich Jack Ryan sr. als Präsident nicht nur seinem persönlichen Bodyguard gegenüber eines sehr jovialen Tons. Neben diesen sprachlichen Feinheiten beeindruckt auch die Menge an statistischer Information über Menschenhandel, Wirtschaftsdaten und andere, was eine gründliche Recherche vermuten lässt – überprüft habe ich die Angaben nicht.



Fazit

Wegen der massenhaften Klischees kann ich mich der Erwartung nicht erwehren, die ich auch mit den Büchern von Dan Brown über die Abenteuer Professor Dr. Robert Langdons verbinde: Hat man eines gelesen, kennt man alle. Dennoch hält einen die Spannung im Griff. Gelungen ist die Beschreibung der unterschiedlichen Settings, hier entsteht Kopfkino. Einen weiteren Pluspunkt heimst der Thriller ein für die eingestreute Statistikinformation. Abstriche mache ich jedoch wegen der Klischees und der fehlenden Tiefe bei der Darstellung der Figuren. Zudem ist die Handlung mit reichlich vielen Beteiligten auf so viele Ebenen verteilt, dass ich recht schnell nicht mehr einzelne Figuren verfolgt habe, sondern nur noch die handelnden Institutionen. Wer Thriller mag und vor der ausgeprägten Darstellung von Gewalt und vor derber Ausdrucksweise nicht zurückschreckt, ist mit Die Macht der Welt gut bedient. Zarteren oder anspruchsvolleren Gemütern kann ich das Buch nicht empfehlen.

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Ein Krimi, der unter die Haut geht

Tatort Dangast
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Erster Eindruck

Nachdem der Leser den Mord an Marietta Großkopf sozusagen als Augenzeuge miterlebt, lenkt die Autorin seinen Blick auf die Ermittlertruppe des Kommissariats in Varel. Alles andere als ...

Erster Eindruck

Nachdem der Leser den Mord an Marietta Großkopf sozusagen als Augenzeuge miterlebt, lenkt die Autorin seinen Blick auf die Ermittlertruppe des Kommissariats in Varel. Alles andere als nüchtern gehen die Kriminaler mit dem Fall um. Nicht nur, weil Mord ohnehin aufwühlt, sondern auch wegen ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen, persönlichen Erwartungen und wegen ihrer unterschiedlichen Charaktere. Grässliche Tierquälerei auf Ponyhöfen lässt nicht nur wegen der räumlichen Nähe Verbindungen zwischen den Verbrechen vermuten und lassen den Leser nicht unberührt. Durch den klaren Schreibstil behält er in der komplexen Handlung stets den Überblick.



Inhalt

Ein Mord und die Vergewaltigung des Opfers wollen aufgeklärt werden in dem sonst eher beschaulichen Örtchen Dangast. Die Kollegen des Kommissariats im nahe gelegenen Varel treibt jedoch nicht nur die Suche nach Zeugen um, sondern auch ihre persönlichen Befindlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart sowie die Sorge um die Gesundheit ihrer Teamleiterin, der Hauptkommissarin Christin Kim. Verstümmelung und Tötung von Ponys auf einem Pferdehof steigern ihre Betroffenheit und stacheln sie bei ihren Ermittlungen an, denn ein Zusammenhang ist nicht auszuschließen, sodass bald beide SoKos zusammenarbeiten. Bringen sie ein zweiter Mord und ein Mordversuch durch neue Erkenntnisse in ihrer Arbeit voran?



Schreibstil

Gitte Jurssen lässt den Leser teilhaben an den Stimmungen ihrer Figuren. Metaphern wie „ein Gesicht wie Regenwetter“ binden ihn ein in die Gefühlswelt derer, die ermitteln, spekulieren oder betroffen sind. Persönliche Probleme, Selbstzweifel, Karriereabsichten, Ressentiments und Sympathien spiegeln sich in ihren offengelegten Gedanken ebenso wieder wie in dem, was sie sagen und vor allem, wie. Beinahe idyllische Bilder versetzen den Leser in die norddeutsche Landschaft, die von Wasser, Deich und Wiesen bestimmt wird. In sprachlich sympathischem Kontrast dazu steht der Ruhrpottdialekt Renas, die wie andere Figuren die Mitglieder des Westerndorfs Cheyenne als „Spinner“ betrachtet. Wie die Einbeziehung von Hund Kobold in den Alltag der Polizisten zeigen Feinheiten das Einfühlungsvermögen der Autorin, die ihre Eindrücke dem Leser unaufdringlich zu eigen macht. Die dazu gehörenden Formulierungen offenbaren die Handschrift einer Frau, die ihren Lesern Gefühle aufzeigt, anstatt trotz ihrer klaren, geradlinigen Sprache die Sachverhalte und Abläufe kriminalistischer Spurensuche nüchtern vorzutragen. Wo sich Gefühle Bahn brechen, dürfen gern einmal ein paar Kraftausdrücke fallen. Auf weitere schriftstellerische Kunstgriffe hofft der Leser nicht vergebens, wie die zahlreichen Twists und die überraschende Widerlegung des nur scheinbaren Pleonasmus vom „Gesang von Melodie“ beweisen. Noch ein tiefer Griff in die schriftstellerische Trickkiste gelingt Jurssen dadurch, dass sie mit der Aufnahme von Motiv und Tatvorbereitung aus Tätersicht eine zusätzliche Handlungsebene öffnet, die den Roman aus dem Subgenre Ermittlerkrimi in die nächstweitere literarische Ebene hebt.



Fazit

Wer sich für Regionalkrimis erwärmt, wird Tatort Dangast – Ein Mord und der Gesang von Melodie lieben. Gitte Jurssens weitgehend schnörkellose Sprache hält den Leser unter Spannung, da sie vernunftbetonte Ermittlungsarbeit mit den Gefühlen der Beteiligten vereint. So behält der Leser mehrere Aspekte im Fokus und verwehrt sich jegliche Lesepause. Dass sie Dangast und seine Umgebung liebt, wie die Autorin in ihrem Kurzporträt im Nachspann verrät, vermittelt sie glaubhaft durch ihren detailverliebten Schreibstil. Nach etwa einem Drittel des Romans legt sich der Leser auf einen konkreten Verdacht fest, bis er bei der Aufklärung eines besseren belehrt wird. Und dass letztendlich die Ermittlungen ins Ausland führen, bereichert den Roman, ohne die relative „Idylle“ eines Regionalkrimis zu trüben.

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Glaubensbekenntnis schwach umgesetzt.

Origin
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Für Eilige:

Endlich wieder ein Religionsthriller von Dan Brown! Nachdem er sich in »Inferno« mit der Überbevölkerung auseinandergesetzt hat, packt er mit »Origin« ein weiteres heißes Eisen an: den Glaubenskrieg ...

Für Eilige:

Endlich wieder ein Religionsthriller von Dan Brown! Nachdem er sich in »Inferno« mit der Überbevölkerung auseinandergesetzt hat, packt er mit »Origin« ein weiteres heißes Eisen an: den Glaubenskrieg zwischen religiöser Schöpfungsgeschichte und Darwins Abstammungstheorie. Auf den ersten Blick eine emotionale Achterbahnfahrt, auf den zweiten basierend auf einer banalen und lauwarm vorgebrachten These. Dazu kommt, dass Brown nach »Inferno« ein zweites Mal einknickt und sich nach seiner Provokation dem Mainstream beugt und sich für das Motiv seines Romans entschuldigt, indem er die These relativiert und so verwässert.



Inhalt:

Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Edmond Kirsch, Milliardär und Superhirn, lädt Hunderte Prominente ins Guggenheim-Museum nach Bilbao ein, um in einer weltweit ausgestrahlten Präsentation die Fragen nach Herkunft und Bestimmung der Menschheit zu beantworten. Während der Einleitung wird Kirsch vor aller Augen ermordet. Professor Dr. Robert Langdon, früherer Dozent von Kirsch, beschließt, mit der Museumsdirektorin Ambra Vidal Kirschs Vermächtnis umzusetzen und die Präsentation der Weltöffentlichkeit vorzustellen. Da sie als Verlobte des spanischen Thronfolgers die besondere Aufmerksamkeit von Königshaus und Öffentlichkeit genießt, wird aus der Suche nach dem Filmmaterial eine Verfolgungsjagd, bei der Langdon und Vidal vom Mörder Kirschs, der Guardia Real und der Polizei Barcelonas gehetzt werden.



Schreibstil:

Genretypisch ist der Schreibstil geprägt von Hektik. Wieder nimmt Brown dem Leser den Atem, baut gekonnt Spannungsbögen auf, setzt seine Protagonisten und ihre Verfolger unter Zeitdruck und zwingt sie zu ständiger Bewegung. Während ich mich als Autor von Fantasy und Kurzgeschichten gegen den Vorwurf des »Info-Dumping« wehren muss, breitet Brown seitenlang Beschreibungen von Orten, Bau-, Kunst- und literarischen Werken aus. Details erzeugen Kopfkino, ihr Wissen bringt Langdon und Vidal voran. Relevant ist auch die Aussage, Spaniens Bevölkerung spalte sich in die älteren Erzkonservativen und in die Jüngeren, die sich von der Kirche im Sinne von Glauben und Institution abwenden. Der Thriller lebt von inhaltlicher Hetze. Die Sprache ist unspektakulär. Unspektakulär, weil farblos, sind auch die Hauptfiguren. Weder Langdon noch Vidal sind dreidimensional, eine Charakter­entwicklung findet nicht statt. Und was nützt es, der Figur ein Handicap anzuhängen – Langdons Klaustrophobie –, wenn es keinen Einfluss auf die Handlung hat? Wenigstens zeigt Ambra Vidal Gefühle in Form von Zweifeln an der Liebe des Thronfolgers und ihrer eigenen!



Spoileralarm!

Nach vier Fünfteln des Buches stagniert die Handlung. Die angekündigte Sensation entpuppt sich als Banalität: Kirschs ausschweifende und langatmige Präsentation versandet in der trivialen Erkenntnis, das Leben verdanke seine Entstehung der zufälligen Konstellation von Elementen und Naturgesetzen, und die Prognose werde in zahllosen Science-Fiction-Werken dargelegt und vom Technologiefortschritt eingeholt. Gott brauche es nicht. Nachdem er die These Kirschs präsentiert hat, entschuldigt sich Brown dafür, indem er Langdon versöhnliche Worte sprechen lässt: Religion sei Orientierung für Gläubige und daher weder schlecht noch überflüssig. Wer hinter den Morden und Intrigen steht und die Hauptfiguren gehetzt hat, erkennt der Leser schon einige Kapitel vor Schluss. Dass Brown dem realen spanischen Königshaus eine erfundene Familiengeschichte und nicht-existente Angehörige andichtet, ist ein weiterer Malus des Romans.



Fazit:

Der siebte Roman von Brown. Der einzige, der mich nicht überzeugt. Meinem Lieblings-Thrillerautor gebe ich schwache drei der üblichen fünf Sterne: Für die anfängliche Neugier, für die interessanten Details über Barcelona und Gaudí und für die Lebendigkeit auf den ersten 500 der 670 Seiten. Seit ich Kirschs „Erkenntnis“ kenne, frage ich mich, ob sie fünf Morde und einen von Langdon indirekt zu Tode gebrachten Mörder rechtfertigt.

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