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Veröffentlicht am 15.02.2025

Wer gräbt, kann nicht antworten

Tomke gräbt
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Es ist schönes Wetter und die Familie hält sich im Garten auf, als Sohn Tomke mit Schaufel und Schippe anrückt. Wortlos beginnt er, ein großes Loch zu buddeln. Auf Nachfragen und Spekulationen reagiert ...

Es ist schönes Wetter und die Familie hält sich im Garten auf, als Sohn Tomke mit Schaufel und Schippe anrückt. Wortlos beginnt er, ein großes Loch zu buddeln. Auf Nachfragen und Spekulationen reagiert der Junge nicht.

„Tomke gräbt“ ist ein Bilderbuch für Kinder ab drei Jahren.

Erzählt wird die Geschichte auf zwölf Doppelseiten. Die Zeichnungen dominieren dabei. Die Gestaltung ist abwechslungsreich. Die Spekulationen der Umstehenden sind zum Teil amüsant und sorgen für einige Lacher, beispielsweise die Dinofalle.

Die Illustrationen von Julia Dürr wirken modern, aber nicht lieblos. Sie sind bunt, ohne zu grell und aufdringlich zu sein. Zudem bieten sie etliche Details zum Entdecken und ergänzen den Text auf gelungene Weise.

Beim Text von Lena Hach fällt die einfache Syntax auf. Die Sätze sind kurz. Auch das Vokabular wurde an die Altersgruppe angepasst.

Spielen, aktiv sein, Dinge tun - nur zum Selbstzweck, ohne Ziel und Intention: Diese Selbstvergessenheit kennen viele Kinder. Protagonist Tomke ist also - zumindest in dieser Hinsicht - ein ganz normales Kind und dient als Identifikationsfigur. Dass er sich nicht erklären mag und die anderen ignoriert, wirkt sehr authentisch.

Die Botschaft, dass es absolut in Ordnung ist, etwas auch ohne konkreten Sinn zu tun, halte ich für begrüßenswert und kindgerecht. Allerdings ist der Text so spärlich, dass er dies nicht ausdrücklich erklärt. Ohne zusätzliche Erläuterungen erschließt sich leider nicht, was dort eigentlich vor sich geht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Tomke sein Verhalten am Ende durch das Sammeln in ähnlicher Form wiederholt. Tatsächlich denke ich jedoch, dass vor allem die erwachsenen Vorleser hier inhaltlich am meisten mitnehmen können. Sie haben die Selbstvergessenheit, anders als Kinder, schließlich oft verlernt.

Der prägnante Titel passt ebenso prima zur Geschichte wie das Covermotiv. Beides rundet das Leseerlebnis gut ab.

Mein Fazit:
„Tomke gräbt“ ist ein Bilderbuch mit einer schönen Botschaft, das mich besonders in optischer Hinsicht überzeugt hat.

Veröffentlicht am 07.02.2025

Milo und die kleine Spinatfrau

Als der Wald erwachte
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Es ist Frühling geworden im Wald. Die Blätter sprießen, die Tiere erwachen aus dem Winterschlaf. Doch die kleine Spinatfrau wütet und zetert herum. In ihrer üblen Laune bemerkt sie den Menschenjungen Milo, ...

Es ist Frühling geworden im Wald. Die Blätter sprießen, die Tiere erwachen aus dem Winterschlaf. Doch die kleine Spinatfrau wütet und zetert herum. In ihrer üblen Laune bemerkt sie den Menschenjungen Milo, der gerade mit seiner Mutter im Wald unterwegs ist, zu spät. Bevor sie fliehen kann, hat er sie in seine Tasche gesteckt, um sie zu entführen…

„Als der Wald erwachte“ ist ein Bilderbuch, das sich an Kinder ab vier Jahren richtet.

Die Geschichte erstreckt sich über zwölf Doppelseiten. Jede enthält eine große Illustration und einen längeren Textanteil.

Sowohl Tiere und Pflanzen als auch Menschen und fiktive Wesen tauchen als aktive Figuren auf. Die alte Eiche fungiert als Erzählerin. Im Fokus stehen jedoch Milo und die Spinatfrau.

Der Text von Martin Widmark und Emma Karinsdotter setzt auf einfache Satzkonstruktionen. Das Vokabular ist perfekt auf die Altersgruppe abgestimmt: nicht zu kompliziert und speziell, aber auch nicht zu simpel und redundant. Allerdings bleibt der Text an manchen Stellen etwas unkonkret. Zum Beispiel wird nicht erklärt, was eine Spinatfrau eigentlich sein soll oder warum der Wald Spinat genannt wird.

Die ganzseitigen Illustrationen von Emilia Dziubak zeugen von viel Liebe fürs Detail. Sie wirken zugleich märchenhaft und atmosphärisch, aber auch modern und glaubwürdig. Allerdings sind die meisten Zeichnungen sehr dunkel geraten. Schwarz und andere düstere Farben dominieren, was zwar zur Geschichte passt, aber jüngere Kinder ängstigen könnte.

Auf der inhaltlichen Ebene geht es vor allem um Tod, Trauer und Einsamkeit. Diese Themen werden auf pädagogisch sinnvolle Weise dargestellt. Das Bilderbuch bietet einen willkommenen Anlass, um mit Kindern über Gefühle und Sorgen ins Gespräch zu kommen. Die Botschaft der Geschichte lautet, dass man auch nach einem Verlust nicht alleine sein muss und neue Freunde finden kann. Das Erleben von Zusammenhalt, Gemein- und Freundschaft wird als Weg aus der Trauer und der Traurigkeit aufgezeigt. Gegebenenfalls muss dies beim Vorlesen noch etwas ausführlicher erläutert werden.

Das Covermotiv gibt einen guten Vorgeschmack auf die Geschichte. Der deutsche Titel passt leider nicht ganz so ideal wie das schwedische Original („Den lilla spenatgumman“).

Mein Fazit:
„Als der Wald erwachte“ ist ein hübsches Bilderbuch mit einer ebenso wichtigen wie begrüßenswerten Botschaft. Da die Geschichte recht düster daherkommt, würde ich sie erst ab viereinhalb bis fünf Jahren empfehlen.

Veröffentlicht am 06.02.2025

Ein Sohn ist immer ein Risikofaktor

Sehr geehrte Frau Ministerin
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Sie sind drei Frauen und wohnen in Essen: Eva Patarak, Verkäuferin in einem Kräuterladen, die ihren Sohn Philipp alleine großgezogen hat, Silke Aschauer, die kinderlose Studienrätin, die Latein unterrichtet ...

Sie sind drei Frauen und wohnen in Essen: Eva Patarak, Verkäuferin in einem Kräuterladen, die ihren Sohn Philipp alleine großgezogen hat, Silke Aschauer, die kinderlose Studienrätin, die Latein unterrichtet und der es vor allem die römische Geschichte angetan hat, und die namenlose Bundesministerin der Justiz, die ihre Familie höchstens an den Wochenenden sieht und sich mit den Details der Gesetzgebung, Hassbriefen und Wahlkampfterminen herumschlagen muss. Was verbindet sie?

„Sehr geehrte Frau Ministerin“ ist ein Roman von Ursula Krechel.

Der Roman besteht aus drei Teilen, deren Fokus jeweils auf einer der Protagonistinnen liegt. Erzählt wird non-linear, wobei die Perspektive wechselt, sogar bisweilen innerhalb eines Absatzes. Die Handlung spielt vorwiegend, aber nicht ausschließlich in Essen und umfasst einen nicht näher definierten Zeitraum.

Besonders in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman beeindruckt. Sprachspielereien und Neologismen sind nur ein paar Beispiele dafür, wie wortgewaltig der Text ist. Die lateinischen Einschübe werden nicht immer übersetzt, sind im Kontext aber dennoch verständlich. Nur an wenigen Stellen wirkt der Text übertrieben kunstvoll.

Die interessanten Figuren werden lebensnah und mit psychologischer Tiefe gezeichnet. Sie sind allerdings recht speziell und bieten wenig Identifikationspotenzial. Die titelgebende Ministerin erhält nicht so viel Raum wie die beiden anderen Protagonistinnen.

Auf der inhaltlichen Ebene enthält die Geschichte etliche feministische Aspekte, die zum Nachdenken anregen und gesellschaftskritische Impulse setzen. Dargestellt wird beispielsweise, dass körperliche Leiden von Frauen in der Medizin schnell abgetan werden. Zudem geht es um Misogynie, die Schwierigkeiten alleinerziehender Mütter, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, toxische Männlichkeit, Femizide, sonstige Gewalt gegen Frauen, Cybermobbing und derartiges mehr. Wie brandaktuell diese Themen sind, zeigen die jüngsten Ereignisse in Deutschland.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das Verhältnis zwischen Müttern und Söhnen. Dabei wird immer wieder eine Brücke ins alte Rom gebaut, insbesondere zu Nero und dessen Mutter Agrippina. Diese wiederkehrenden Exkurse sind zwar durchaus erhellend, in Gänze allerdings ein wenig zu ausführlich und damit langatmig geraten.

Auf den 360 Seiten ist der Roman also nicht nur facettenreich und tiefgründig, sondern auch sehr komplex. Das ist einerseits eine Stärke, überfrachtet ihn andererseits jedoch etwas.

Immer wieder konnte mich die Geschichte überraschen, auch dank ihrer raffinierten Erzählstruktur. Das Ende ist absolut stimmig. Einige lose Fäden bleiben jedoch übrig.

Mein Fazit:
„Sehr geehrte Frau Ministerin“ von Ursula Krechel ist ein vielschichtiger Roman, der gesellschaftlich relevante und besonders feministische Themen mit überzeugender Sprachgewalt zu verbinden weiß. Eine empfehlenswerte, jedoch nicht sehr eingängige Geschichte, die ein aufmerksames und geduldiges Lesepublikum voraussetzt.

Veröffentlicht am 31.01.2025

Alles andere als eine Ballkönigin

Dancing Queen
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Schwer verletzt und orientierungslos: So findet sich Paulina Almada (35), Mitarbeiterin eines Versicherungsbüros, nach einem Verkehrsunfall in ihrem demolierten Auto am Rande von Buenos Aires wieder. Was ...

Schwer verletzt und orientierungslos: So findet sich Paulina Almada (35), Mitarbeiterin eines Versicherungsbüros, nach einem Verkehrsunfall in ihrem demolierten Auto am Rande von Buenos Aires wieder. Was ist passiert? Wer ist die 15-Jährige auf dem Rücksitz? Langsam kehren Paulinas Erinnerungen zurück.

„Dancing Queen“ ist der Debütroman von Camila Fabbri.

Unterteilt in 27 Kapitel, wird die Geschichte im Präsens und in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Paulina erzählt. Dabei gibt es zwei Ebenen, die sich abwechseln: einerseits die gegenwärtigen Ereignisse, andererseits die Rückblenden zu Geschehnissen aus ihrem Leben vor dem Unfall. Die Handlung spielt Anfang der 2020er-Jahre in Buenos Aires und in der Provinz, die an die Hauptstadt angrenzt.

Die Sprache des Romans ist schnörkellos, nüchtern und klar. Dennoch gibt es einige sehr treffende Sprachbilder. Zudem transportiert der Schreibstil viel Atmosphäre. Auffällig ist der sarkastische Unterton.

In inhaltlicher Hinsicht ist der nur etwa 170 Seiten dünne Roman erstaunlich vielschichtig und facettenreich. Es geht um romantische Beziehungen, Einsamkeit, Kinderwunsch, sexuelle Gewalt und einiges mehr. Dazwischen sind feministische Anklänge zu finden. Damit greift die Geschichte viele Themen auf, die Frauen in ihren Dreißigern bewegen, und bietet Impulse zum Nachdenken.

Als nicht ganz altersgerecht, eher unreif habe ich jedoch die Protagonistin empfunden. Paulina wirkt durchaus lebensnah gezeichnet. Ihre spröde, launische, oft distanzierte, Gleichgültigkeit ausstrahlende, unhöfliche und fast unverschämte Art sowie ihre innerliche Widersprüchlichkeit machen es mir allerdings schwer, einen Zugang zu ihr zu finden. Auch ihre beinahe exzessive Vorliebe für Pornografie ist ein wenig befremdlich. Mitunter hatte ich den Eindruck, dass sie psychologische Hilfe benötigt.

Besonders die Kapitel nach dem Unfall sorgen für Spannung. Andere Passagen, vor allem in der ersten Hälfte des Romans, konnten mich weniger abholen. Der Abschluss des Romans bleibt etwas diffus und lässt viel Raum für eigene Interpretationen.

Wie die Autorin in einem Interview erklärte, soll der Titel ironisch gemeint sein. Für mich funktioniert er leider nicht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die deutsche Version - anders als das spanischsprachige Original („La Reina del Baile“) - den eingangs zitierten ABBA-Song aufgreift. Das Covermotiv passt hingegen ganz gut.

Mein Fazit:
Mit „Dancing Queen“ hat mich Camila Fabbri nicht jeglicher Hinsicht überzeugt. Ein ungewöhnliches und eigenwilliges Debüt, das mich, offen gestanden, ein wenig ratlos zurücklässt.

Veröffentlicht am 30.01.2025

Gedichte gegen den Hass und das Patriarchat

BILLIE »Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden«
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Mit ihren zwei Schwestern und drei Brüdern verbringt Sibylla Schwarz, genannt Billie, eine unbeschwerte Kindheit in Greifswald. Doch der Dreißigjährige Krieg macht vor Pommern nicht Halt. Während die Stadt ...

Mit ihren zwei Schwestern und drei Brüdern verbringt Sibylla Schwarz, genannt Billie, eine unbeschwerte Kindheit in Greifswald. Doch der Dreißigjährige Krieg macht vor Pommern nicht Halt. Während die Stadt unter der Besetzung leidet, entdeckt die 14-Jährige ihre Liebe zur Dichtkunst - und zu der hübschen Pfarrerstochter Judith Tanck. Beides kann sie in große Schwierigkeiten bringen…

„Billie“ ist der Debütroman von Stefan Cordes.

Die Geschichte basiert auf der historischen Persönlichkeit Sibylla Schwarz, einer interessanten und leider zu Unrecht vielen unbekannten Dichterin. Der Roman setzt ihr nicht nur ein Denkmal, sondern bringt sie einem breiteren Publikum nahe. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich sehr gut nachvollziehen. Sowohl die Protagonistin als auch die weiteren Figuren wirken authentisch.

Unterteilt in 144 kurze Kapitel, wird die Geschichte in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Billie erzählt. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahre und spielt an wechselnden Orten, vorwiegend in Greifswald.

Auf den knapp 380 Seiten wird Billies Leben auf unterhaltsame, berührende und fesselnde Weise beschrieben. Unerwartete Geschehnisse sorgen dafür, dass beim Lesen keine Langeweile aufkommt. Zugleich spart der Roman an Übertreibungen und unnötiger Dramatisierung.

Die fundierte Recherche ist der Geschichte immer wieder anzumerken. Nur an wenigen Stellen weicht sie von den tatsächlichen Fakten ab. Von der sorgfältigen Quellenarbeit zeugt auch das Nachwort („Was aus ihnen wurde“), das den eigentlichen Roman perfekt ergänzt.

Mit dem Vokabular, das behutsam an das 17. Jahrhundert angepasst wurde, und einem poetischen Unterton passt die Sprache des Romans hervorragend zur Geschichte. Zugleich ist es gelungen, einen ganz eigene, unverwechselbare Erzählstimme zu schaffen. Gut gefallen hat mir auch, dass sich die Zitate aus dem Werk der Dichterin sehr harmonisch und organisch in den Gesamttext einfügen.

Ausgesprochen gelungen empfinde ich das ungewöhnliche Covermotiv. Es zeigt Erato, Billies Lieblingsmuse.

Mein Fazit:
Mit „Billie“ hat mich Stefan Cordes in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Ein unbedingt empfehlenswerter Roman, der mehr als nur Unterhaltung bietet und schon jetzt einen Platz unter meinen Jahreshighlights ergattert hat