Profilbild von milkysilvermoon

milkysilvermoon

Lesejury Star
offline

milkysilvermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit milkysilvermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.08.2024

Familiäre Abgründe

Kleine Monster
0

Für Pia Reiserer ist es ein Schock: Ihr Sohn Luca (7) soll Alena, eine Mitschülerin, sexuell belästigt haben. Das Gespräch mit der Klassenlehrerin wühlt die Mutter sehr auf und bringt die Schatten ihrer ...

Für Pia Reiserer ist es ein Schock: Ihr Sohn Luca (7) soll Alena, eine Mitschülerin, sexuell belästigt haben. Das Gespräch mit der Klassenlehrerin wühlt die Mutter sehr auf und bringt die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit wieder zum Vorschein. Können Kinder bösartig sein? Was ist ihnen zuzutrauen?

„Kleine Monster“ ist ein Roman von Jessica Lind.

Die Struktur ist sehr klar: Drei Teile mit insgesamt 61 kurzen Kapiteln umfasst der Roman. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Pia auf zwei Zeitebenen: einerseits in der Gegenwart, andererseits aus der Kindheit der Protagonistin. Die Handlung findet in und um St. Pölten in Österreich statt.

Die Sprache ist überwiegend ungekünstelt, gleichzeitig aber atmosphärisch dicht und eindringlich. Neben authentischen Dialogen und anschaulichen Beschreibungen beweist die Autorin vor allem in den emotionsgeladenen Passagen, dass sie vortrefflich mit Worten umgehen kann.

Protagonistin Pia ist mit großer psychologischer Tiefe angelegt. Ihre Gedanken und Gefühle erhalten viel Raum. Sie offenbaren schon früh, dass Pia ein unverarbeitetes Trauma erlitten hat und nach wie vor darunter leidet. Auch die anderen Figuren wirken lebensnah und vielschichtig, bleiben aber etwas blasser, was der Story geschuldet ist.

Zu was sind Kinder fähig? Und wie gut kennen wir unsere Söhne und Töchter? Diese zwei interessanten Fragen wirft der Roman immer wieder auf und bietet damit viel Stoff zum Nachdenken. Anders als der Klappentext vermuten lässt, geht es dabei jedoch weniger um den besagten sexuellen Übergriff, sondern um ein Drama, das sich in der Kindheit der Protagonistin ereignet hat. Die Herausforderungen der Mutterschaft und bedenkliche Familiendynamiken werden darüber hinaus ebenfalls beleuchtet. Diese und weitere Themen machen den Roman zu einer gleichsam bewegenden wie beklemmenden Lektüre.

Das Rätseln darüber, was genau im Klassenzimmer vorgefallen ist und was damals vor vielen Jahren passiert ist, sorgt für Spannung und verstärkt den Lesesog. Wegen einiger Redundanzen zieht sich der Mittelteil dennoch ein wenig. Der dritte Teil hingegen wird für meinen Geschmack zu kurz abgehandelt. Der Schluss ist insgesamt etwas unbefriedigend, da viel im Verborgenen bleibt, und inhaltlich nicht ganz rund.

Das ungewöhnliche, kreative Cover passt in mehrfacher Hinsicht hervorragend zum Buch. Das gilt ebenso für den Titel, wenn man ihn auch in metaphorischem Sinne versteht.

Mein Fazit:
Obwohl mich der Roman nicht in jedem Detail überzeugt hat, ist „Kleine Monster“ von Jessica Lind eine fesselnde und aufwühlende Lektüre, die mich gut unterhalten hat.

Veröffentlicht am 22.08.2024

Die Möglichkeit einer Heimat

Als wir Schwäne waren
0

Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was ...

Mit neun Jahren kommt Reza aus dem Iran nach Deutschland. Er gehört einer persischen Familie an: der Vater ein Poet, die Mutter Soziologin. Ihre akademischen Abschlüsse werden jedoch nicht anerkannt, was den Vater zu einem Job als Taxifahrer zwingt. In einer Wohnung im Plattenbau in Bochum leben sie als drei Ausländer unter vielen.

„Als wir Schwäne waren“ ist ein Roman von Behzad Karim Khani.

Der Roman setzt sich - nach dem Prolog - aus drei Teilen zusammen. Sie bestehen jeweils aus kurzen, teils sehr knappen Kapiteln.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Reza. Geschildert werden seine Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener. Trotz der chronologischen Erzählweise wirkt der Roman in den ersten beiden Teilen auf mich wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Das liegt möglicherweise an den thematischen und zeitlichen großen Sprüngen zwischen den Kapiteln.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman dennoch überzeugt. Der Stil ist geprägt von kurzen Sätzen, einer reduzierten Sprache und treffenden Bildern. Dabei wird viel Atmosphäre und Zeitgeist vermittelt, etliche Assoziationen werden geweckt. Kein Wort ist dabei zu viel, keins zu wenig.

Im Mittelpunkt des Romans steht die dreiköpfige Familie. Nicht nur Rezas Innenleben wird anschaulich dargestellt, sondern auch die Ansichten und Gefühlslage der Eltern werden deutlich. Diese und weitere Figuren wirken lebensnah. Dem Roman ist anzumerken, dass der Autor autobiografische Elemente verarbeitet hat.

An der Lektüre hat mich gereizt herausfinden, wie Migranten Deutschland empfinden und welche Schwierigkeiten das Ankommen bereitet. Zwar begegnet Reza hin und wieder Alltagsrassismus. Dieser wird jedoch nur am Rande thematisiert. Das mag auch damit zu tun haben, dass seine Familie im Ghetto lebt und der Junge viel mehr Zeit mit anderen Ausländern als mit Deutschen verbringt, obwohl er es aufs Gymnasium schafft. Wieso er eine riesige Wut auf Deutschland entwickelt, warum er trotz des höheren Bildungswegs zwischenzeitlich abrutscht und weshalb er der Ansicht ist, im Ausland mehr Glück zu haben, all das wird leider nur in Ansätzen erklärt. Zwar mag dies damit begründet sein, dass der Lebenslauf exemplarisch für so viele Migrantenbiografien stehen soll. Diese und sonstige Leerstellen auf den nur knapp 190 Seiten machten es für mich allerdings schwierig, alles nachzuvollziehen und zu verstehen.

Auf inhaltlicher Ebene geht es stattdessen zumeist um Gewalt und Kriminalität. Dennoch hat die Geschichte auch ihre witzigen Momente, wobei ich nicht sicher bin, ob die Komik an all diesen Stellen beabsichtigt ist.

Gut gefallen hat mir, wie toll das ungewöhnliche Cover und der Titel miteinander harmonieren. Der Schwäne-Vergleich klingt nicht nur poetisch, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.

Mein Fazit:
Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben, der zwar einige Fragen offen lässt, aber durchaus lesenswert ist.

Veröffentlicht am 14.08.2024

Eine Odyssee nach Gringolandia

Solito
0

Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner ...

Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner Tante aufgewachsen. Nun aber hält ihn seine Familie bereit dafür, die riskante illegale Migrantenroute in die Vereinigten Staaten zu nehmen. Mit einem Schleuser, aber ohne die Begleitung von ihm vertrauten Personen soll der Junge tausende Kilometer quer durch Mittelamerika und über die US-amerikanische Grenze bewältigen. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht…

„Solito“ ist ein Memoir von Javier Zamora.

Das autobiografische Buch besteht aus neun Kapiteln, die anhand der Tage in weitere Abschnitte untergliedert sind. Das erzählte Geschehen umfasst die Zeit vom 16. März 1999 bis zum 11. Juni 1999, wobei es eine Art Nachtrag vom 5. April 2021 gibt.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Javier, streng chronologisch und mit kindlicher Erzählstimme. Letzteres hat die Folge, dass die mitunter sehr detaillierten Schilderungen zwar anschaulich und atmosphärisch, jedoch Syntax und Vokabular recht einfach gehalten sind. Nur an einigen wenigen Stellen fallen starke Bilder und sprachlich beeindruckende Beschreibungen auf. Auch das angehängte Glossar kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ungerechtfertigte Häufung spanischer Begriffe und Wendungen leider das Verständnis des Textes und das Lesevergnügen trübt.

Besonders gelungen ist die Figurenzeichnung, was den Protagonisten Javier und seine Familienmitglieder angeht. Andere Personen bleiben größtenteils etwas eindimensional und zum Teil schablonenhaft, was ich allerdings der kindlichen Perspektive zuschreibe und nicht als Manko empfunden habe.

Aus inhaltlicher Sicht halte ich das Memoir für ein wichtiges Zeitdokument, um die Herausforderungen und Probleme von Flüchtlingen und Migranten zu illustrieren. Das Buch macht nachdenklich, rüttelt auf und bietet viel Diskussionsstoff. Es stellt daher einen bedeutsamen gesellschaftlichen Beitrag zur Thematik dar und steht exemplarisch für die Geschichte vieler anderer illegaler Auswanderer.

Auf den fast 500 Seiten gibt es die eine oder andere Länge. Überwiegend hat mich das Geschilderte aber gut unterhalten und emotional bewegt. Obwohl von Anfang an klar ist, dass letztlich die Bemühungen für Javier erfolgreich waren, ist der Text immer wieder spannend und fesselnd.

Trotz des recht großen Umfangs habe ich an mehreren Stellen den Kontext vermisst. Zu viele Fragen bleiben am Ende offen. Unter anderem geht für mich nicht eindeutig genug hervor, weshalb zunächst seine Eltern und schließlich Javier diese Tortur auf sich nehmen mussten. So fehlt mir auch nach der Lektüre jegliches Verständnis dafür, ein noch so junges Kind alleine auf diese gefährliche Route zu schicken.

Das reduzierte Cover sticht angenehm aus der Masse hervor. Es passt hervorragend zum Inhalt. Der prägnante Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Zwar hat mich „Solito“ in sprachlicher Hinsicht enttäuscht und weist inhaltliche Lücken auf. Das Memoir von Javier Zamora ist dennoch absolut lesenswert und eine besondere Lektüre.

Veröffentlicht am 09.08.2024

Der kleine Suchtrupp

Taumeln
0

Seit zwei Jahren ist Hannah Auerbach verschwunden. Eine Leiche wurde bisher nie gefunden. Lebt sie noch? Luisa, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, geht mit sieben weiteren Personen Woche für Woche auf ...

Seit zwei Jahren ist Hannah Auerbach verschwunden. Eine Leiche wurde bisher nie gefunden. Lebt sie noch? Luisa, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, geht mit sieben weiteren Personen Woche für Woche auf die Suche nach der Vermissten in den Wald. Jeder und jede von ihnen trägt dabei ein Päckchen mit sich herum…

„Taumeln“ ist ein Roman von Sina Scherzant.

Die Struktur erschließt sich schnell: Der Roman besteht aus 43 kurzen Kapiteln. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive, chronologisch, aber mit diversen Rückblicken.

Der Schreibstil ist schnörkellos und unauffällig, zugleich jedoch atmosphärisch und eindringlich. Dialektale Einschübe und umgangssprachliche Ausdrücke machen die Dialoge sehr authentisch.

Das Personal des Romans ist interessant und vielschichtig angelegt. Vor allem Luisa steht im Vordergrund. Deren Eltern und die anderen Mitglieder des Suchtrupps nehmen ebenfalls viel Raum ein. Die Figuren werden lebensnah und mit psychologischer Tiefe.

Die Vermisstensuche bietet ein reizvolles Setting. Auf inhaltlicher Ebene geht es jedoch weniger um das Klären eines Kriminalfalls. Tatsächlich bleibt die Geschichte diesbezüglich Antworten schuldig. Vielmehr ergründet der Roman, was das Verschwinden mit den Angehörigen macht und wem das Mitgefühl gelten sollte. Wann muss man loslassen? Wie schafft man das? Diese Fragen stellt die Geschichte. Verschiedene menschliche Schicksale und Probleme werden darüber hinaus beleuchtet.

Auf den rund 300 Seiten ist die Geschichte nicht durchweg spannend. Das Erzähltempo ist eher langsam und es gibt durchaus ein paar Längen. Dennoch hat mich der Roman gut unterhalten und immer wieder berührt.

Das düstere, etwas kryptische Cover entspricht nicht meinem Geschmack, passt thematisch allerdings gut. Den prägnanten Titel empfinde ich als treffend.

Mein Fazit:
Mit „Taumeln“ hat Sina Scherzant einen tief schürfenden Roman geschrieben, der interessante Fragen aufwirft. Eine bewegende Lektüre.

Veröffentlicht am 05.08.2024

Das Dornröschen und der Prinz

Anna O.
0

In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten ...

In der Nacht auf den 30. August 2019 auf einer Farm in Oxfordshire (England): Die Leichen von Douglas Bute (26) und Indira Sharma (25) werden tot in ihren Betten aufgefunden. Die Spuren auf dem blutbeschmierten Tatmesser weisen auf deren beste Freundin Anna Ovigly (25) hin. Ist sie die Täterin? Doch die junge Frau fällt kurz nach den Morden in einen Tiefschlaf und kann keine Auskunft geben. Der Londoner Schlafforscher Dr. Benedict Prince soll die Verdächtige vier Jahre nach der Tat wecken und so die Aufklärung des Falls unterstützen…

„Anna O.“ ist ein Psychothriller von Matthew Blake.

Die durchdachte Struktur des Thrillers ist nicht unkompliziert: Er besteht aus 82 kurzen Kapiteln, die sich über fünf Teile erstrecken. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven: der von Ben, Lola, Bloom, Emily und Clara. Dazwischen eingestreut sind Einträge aus Annas Notizbuch, Chatverläufe, E-Mails und Auszüge aus Akten. Die Handlung umfasst insgesamt etwa fünf Jahre und spielt an unterschiedlichen Orten.

In sprachlicher Hinsicht ist der Thriller unspektakulär, aber anschaulich und dank vieler Dialoge lebhaft. Fachbegriffe werden erklärt. Leider sind die verschiedenen Perspektiven stilistisch so ähnlich, dass es nicht authentisch wirkt.

Das Personal ist recht umfangreich, aber dennoch nachvollziehbar. Die Figuren bleiben, dem Genre angemessen, undurchsichtig und geheimnisvoll. Die Charaktere sind recht klischeefrei und interessant angelegt.

Inhaltlich ist der Thriller sehr facettenreich und komplex. Das Resignationssyndrom und die Schlafforschung bilden einen originellen und interessanten Hintergrund. Diesbezüglich wird die fundierte Recherche des Autors immer wieder deutlich. Medizinische, juristische und politische Zusammenhänge werden gut erklärt. Diese Themen machen die Geschichte besonders. Auch aktuelle Bezüge werden aufgegriffen.

Während mich die Grundidee des Thrillers sehr angesprochen hat, empfinde ich die Umsetzung als weniger gelungen. Erstens: Die Story ist inhaltlich überfrachtet. Das sorgt dafür, dass die Auflösung nicht alle losen Fäden wieder aufnehmen kann und alle offenen Fragen beantwortet werden. Zweitens: Zwar kann die Handlung mit mehreren Wendungen punkten und ein Plottwist sorgt zum Ende hin für einen zusätzlichen Überraschungseffekt. Die vielen Zufälle machen das Geschehen allerdings unrealistisch. Zudem ergeben sich mehrere Logikbrüche.

Das kreative Cover und der prägnante Titel, der mit dem Original identisch ist, heben sich auf positive Weise von anderen Büchern des Genres ab.

Mein Fazit:
„Anna O.“ von Matthew Blake ist ein ungewöhnlicher und interessanter Thriller. Trotz inhaltlicher Schwächen in der Umsetzung hat mich die Geschichte gut unterhalten.