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Veröffentlicht am 16.07.2025

Auf wackeligem Fundament

Die Unbehausten
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Der Bundesstaat New Jersey im Osten der USA vor der ersten Amtszeit von Donald Trump: Journalistin Willa Knox und ihr Mann Iano, promovierter Politikwissenschaftler und als Dozent an einer Uni tätig, sind ...

Der Bundesstaat New Jersey im Osten der USA vor der ersten Amtszeit von Donald Trump: Journalistin Willa Knox und ihr Mann Iano, promovierter Politikwissenschaftler und als Dozent an einer Uni tätig, sind ratlos. Sie sind in ihren Fünfzigern und haben ihr Leben lang gearbeitet. Doch sie verfügen nicht über genug finanzielle Mittel, um die dringend notwendigen Reparaturen an ihrem maroden, einsturzgefährdeten Haus, das sie geerbt haben, ausführen zu lassen. Zudem haben sie gerade mehrere Mäuler zu stopfen: den pflegebedürftigen Großvater Nick, den verschuldeten und jüngst verwitweten Sohn Zeke, ihr Enkelkind im Säuglingsalter und ihre Tochter Tig, eine Studienabbrecherin. Was soll aus ihnen allen nur werden? Schon 150 Jahre zuvor steht auf diesem Areal ein wenig stabiles Haus. In ihm lebt Naturkundelehrer Thatcher Greenwood mit seiner Frau, den die Freundschaft zu einer Naturforscherin in Schwierigkeiten bringt…

„Die Unbehausten“ ist ein Roman von Barbara Kingsolver, der im Original bereits 2018 und nun auch in Deutschland erschienen ist.

Erzählt wird die Geschichte in 18 Kapiteln, aus personaler Perspektive und auf zwei Zeit- und Handlungsebenen: Da ist einerseits Willa im gegenwartsnahen Strang und andererseits Thatcher im Jahr 1874. Das offensichtlichste der verbindenden Elemente ist der Wohnort. Beide Ebenen werden abwechselnd erzählt. Als kreativ empfunden habe ich, dass jeweils der letzte Satz eines Kapitels auch die Überschrift des nächsten ist.

Die Figuren sind mit psychologischer Tiefe dargestellt. Das Personal des Romans ist jedoch recht umfangreich. Die Namen der Charaktere muten darüber hinaus zum Teil ungewöhnlich an. Gerade zu Beginn kann es herausfordernd sein, die Charaktere zuzuordnen. Diese Verwirrung klärt sich jedoch schnell.

Neben den fiktiven Figuren greift der Roman auf eine historische Persönlichkeit zurück. Ich fand es sehr interessant, von der Biologin Mary Treat zu erfahren, deren Arbeit leider zu wenig Beachtung findet. Auch sie ist ein Bindeglied zwischen Willa und Thatcher.

Auch was die Themen angeht, ist die Geschichte komplex, facettenreich und tiefgründig. Das Buch ist zugleich Familien-, Gesellschafts- und historischer Roman.

Eine zentrale Rolle spielen gesellschaftliche und politische Umbrüche, vor allem bedenkliche Tendenzen. Diesbezüglich werden Parallelen zwischen dem 19. Jahrhundert und der Neuzeit herausgearbeitet. Obwohl die Autorin zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht alle Auswüchse des Trumpismus kennen konnte, wirkt die Analyse von Populismus und Demagogentum erstaunlich treffend und aktuell.

Der Niedergang der politischen Kultur, Demokratie und toleranten Werte spiegelt sich metaphorisch im verfallenden Haus wider. Mit ihrem Roman rüttelt die Autorin am Fundament des American Dream, das offenbar wackeliger ist als gedacht.

Darüber hinaus ist der Roman als Kritik am Kapitalismus und dessen ausbeuterischen Strukturen zu lesen. Es geht um soziale Ungerechtigkeiten, finanzielle Not, Ausbeutung der Umwelt, Wirtschaftswachstum um jeden Preis und ähnliche Themen.

Der Text, übersetzt von Dirk van Gusteren, brilliert mit lebensnahen, interessanten Dialogen. Davon abgesehen, ist die Sprache allerdings unauffällig.

Auf den rund 600 Seiten enthält die Geschichte erstaunlich wenige Längen und Redundanzen. Obwohl sich die Autorin gerade auf der historischen Ebene einige künstlerische Freiheiten gestattet, wirkt die Handlung stimmig.

Die sparsame Gestaltung des Covers fügt sich gut zu der deutschen Ausgabe von „Demon Copperhead“, besitzt ansonsten aber keine Aussagekraft. Der deutsche Titel, der nahe am englischsprachigen Original („Unsheltered“) bleibt, wirkt sprachlich veraltet, aber passt inhaltlich gut.

Mein Fazit:
Zwar kommt Barbara Kingsolver mit der Geschichte um Willa und Thatcher nicht an ihren preisgekrönten Roman „Demon Copperhead“ heran. Dennoch ist auch „Die Unbehausten“ eine gehaltvolle wie unterhaltsame Lektüre, die ich bedenkenlos weiterempfehlen kann.

Veröffentlicht am 15.07.2025

Der Zahn der Zeit

Ja, nein, vielleicht
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Die Autorin ist seit Längerem geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus. Zwar geht sie nun auf die 60 zu, aber sie könnte sich zufrieden und frei fühlen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr, und das wortwörtlich: ...

Die Autorin ist seit Längerem geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus. Zwar geht sie nun auf die 60 zu, aber sie könnte sich zufrieden und frei fühlen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr, und das wortwörtlich: Ein wackeliger Zahn führt ihr das Altern und die eigene Vergänglichkeit vor Augen. Da quartiert sich ihre Schwester Paula bei ihr ein. Und sie begegnet im Supermarkt zufällig Friedrich, ihrem Jugendfreund. Die Begegnung bringt sie ins Grübeln: Sollte sie noch einmal eine Liebesbeziehung eingehen?

„Ja, nein, vielleicht“ ist ein Roman von Doris Knecht.

Erzählt wird die Geschichte - mit Rückblenden, aber in chronologischer Reihenfolge - im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Protagonistin. Sie besteht aus 39 kurzen Kapiteln.

Der Schreibstil ist wunderbar unaufgeregt, aber keineswegs trocken oder hölzern. Die Dialoge wirken lebensnah, die Beschreibungen sind auf den Punkt und anschaulich.

Auch die Protagonistin macht einen authentischen Eindruck. Die Figur ist mit viel psychologischer Tiefe ausgestattet. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr nachvollziehbar geschildert. Gut gefallen hat mir außerdem, dass die Protagonistin mit ihren Fehlern, Ängsten und Zweifeln durch und durch menschlich ist.

Auf nur wenig mehr als 200 Seiten ist der Roman erstaunlich facettenreich und inhaltlich umfassend. Es geht um weitaus mehr als eine bloße Liebesgeschichte. Der Roman beschäftigt sich mit den Themen Familie und Freundschaft. Auch Verletzungen, andere negative Erfahrungen und Erinnerungen spielen eine Rolle. Zu guter Letzt bietet der Roman Einblicke ins Schreiben und die Verlagswelt. Diese Mischung klingt wild, fügt sich aber erstaunlich gut zusammen. Sie bietet viele Anknüpfungspunkte und Stoff zum Nachdenken.

Trotz des ruhigen Erzähltempos und ein paar Gedankenschleifen habe ich mich alles in allem prima unterhalten gefühlt. Die Geschichte hat nur wenige Längen.

Der grellbunte Stil des Covermotivs sagt mir persönlich zwar nicht zu. Der Titel passt jedoch sehr.

Mein Fazit:
Wieder einmal ist Doris Knecht ein lesenswerter Roman gelungen. „Ja, nein, vielleicht“ ist eine kluge Geschichte mit Anspruch, die sich nicht auf bloße Zerstreuung stützt. Erneut hat mich die Autorin nicht enttäuscht.

Veröffentlicht am 05.07.2025

Wenn es plötzlich früher dunkel ist

Der Sonnendieb
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Eichhörnchen ist irritiert und verunsichert: War es nicht gestern zur Zahnputzzeit noch hell? Warum ist heute schon dunkel zu dieser Stunde? Aufgeregt läuft Eichhörnchen zu Vogel, seinem besten Freund. ...

Eichhörnchen ist irritiert und verunsichert: War es nicht gestern zur Zahnputzzeit noch hell? Warum ist heute schon dunkel zu dieser Stunde? Aufgeregt läuft Eichhörnchen zu Vogel, seinem besten Freund. Er weiß bestimmt, was los ist.

„Der Sonnendieb“ ist ein Bilderbuch, das für Kinder ab vier Jahren empfohlen wird.

Beim „Sonnendieb“ handelt es sich um den vierten Band der Jahreszeiten-Reihe, die sich in allerdings auch in beliebiger Reihenfolge lesen lässt. Nach Herbst, Frühjahr und Winter geht es diesmal um den Sommer.

Warum wird es abends früher dunkel und morgens später hell? Wieso werden die Tage zum Ende des Sommers wieder kürzer? Diese beiden Fragen stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Sie werden kindgerecht, unterhaltsam und mit viel Humor beantwortet.

Auf zwölf Doppelseiten wird zunächst die Geschichte erzählt. Auf einer weiteren Doppelseite wird erklärt, was es mit nachtaktiven Tieren auf sich hat und wieso es zu den jeweiligen Jahreszeiten unterschiedlich lange hell ist.

Im Fokus der Geschichte stehen Eichhörnchen und Vogel, zwei liebenswerte Charaktere. Gut gefallen hat mir, dass keine ungewöhnlichen, sondern aus dem Alltag von Kindern vertraute Tiere ausgewählt wurden. Neben den beiden bekannten Protagonisten gibt es diesmal eine weitere tierische Figur: Fledermaus. Auch sie haben wir schnell ins Herz geschlossen.

Der Text von Alice Hemming ist altersgerecht formuliert, was Syntax und Vokabular angeht. Die Dialogform funktioniert, wie schon in den Vorgängerbänden, wunderbar. Das Verhältnis von Text- und Bildanteilen ist ausgewogen und gut auf die Zielgruppe abgestimmt.

Die farbenfrohen, aber nicht zu grellen Illustrationen von Nicola Slater sind wieder einmal voller liebevoller Details, die für zusätzliches Komik sorgen und zum längeren Betrachten einladen. Auch für erwachsene Vorleser bieten sie immer wieder Anlass zum Schmunzeln. Sie wirken zudem modern.

Das Covermotiv des großformatigen Bilderbuchs passt super zur Reihe und zur Geschichte. Der einprägsame Titel erschließt sich sofort und fügt sich ebenfalls hervorragend ein.

Mein Fazit:
Erneut können Alice Hemming und Nicola Slater überzeugen. Mit „Der Sonnendieb“ ist ihnen wieder einmal ein gleichsam witziges wie lehrreiches Bilderbuch zum Thema Jahreszeiten gelungen. Auch der vierte Band mit Eichhörnchen und Vogel ist sehr empfehlenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Thema
Veröffentlicht am 04.07.2025

Neue Hoffnung am Meer

Strandgut
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Earlon Bronco (70), genannt Bucky, hat seit dem Tod seiner Frau Maybellene vor knapp einem Jahr seine Lebensfreude verloren. In Chicago erlebt der frühere Soulsänger einen traurigen Alltag. Da erreicht ...

Earlon Bronco (70), genannt Bucky, hat seit dem Tod seiner Frau Maybellene vor knapp einem Jahr seine Lebensfreude verloren. In Chicago erlebt der frühere Soulsänger einen traurigen Alltag. Da erreicht ihn eine unerwartete Einladung zu einem Musikfestival im englischen Scarborough. Bucky, der noch nie vorher am Meer war, lässt sich darauf ein. An der britischen Küste trifft er Dinah, eine Mittfünfzigerin.

„Strandgut“ ist ein Roman von Benjamin Myers.

Der Roman gliedert sich in drei Teile, die sich aus zahlreichen Abschnitten zusammensetzen. Eingeleitet wird er von einem kurzen Prolog. Erzählt wird auf zwei zeitlichen Ebenen.

Der Schreibstil ist atmosphärisch und geprägt von schönen Sprachbildern. Anschauliche Beschreibungen und lebensnahe Dialoge wechseln sich ab.

Die Charaktere wirken nahbar, authentisch und sympathisch. Insbesondere Bucky und Dinah, zwei interessante Figuren, stehen im Mittelpunkt des Romans.

In inhaltlicher Hinsicht beschäftigt sich die Geschichte mit großen Emotionen. Thematisch geht es um Freundschaft, Neuanfänge, Erinnerungen und Verluste. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Musik. Allerdings behandelt der Roman auch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

Auf den fast 300 Seiten bietet die Geschichte ein wenig Dramatik und viele berührende Passagen. Die Handlung ist größtenteils schlüssig und unterhaltsam, wenn auch ohne größere Überraschungen.

Der englischsprachige Originaltitel („Rare singles“) gefällt mir aufgrund seiner Zweideutigkeit sehr. Auch die metaphorische Formulierung der deutschen Ausgabe passt für mich gut, vor allem in Verbindung mit dem stimmungsvollen, hübschen Covermotiv.

Mein Fazit:
Mit „Strandgut“ ist Benjamin Myers erneut ein empfehlenswerter Roman gelungen, den ich gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 02.07.2025

Vom Aufwachsen im totalitären China

Himmlischer Frieden
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Lai, ein schüchternes und ängstliches Mädchen, wächst in eher einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein Intellektueller, redet kaum, ihre Mutter ist distanziert. Auch ihr kleiner Bruder und ihre Großmutter ...

Lai, ein schüchternes und ängstliches Mädchen, wächst in eher einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein Intellektueller, redet kaum, ihre Mutter ist distanziert. Auch ihr kleiner Bruder und ihre Großmutter gehören zu ihrem direkten Umfeld. Schon als Kind lernt sie die Härte des chinesischen Regimes kennen…

„Himmlischer Frieden“ ist der Debütroman von Lai Wen.

Vier Teile mit insgesamt 39 Kapiteln, an die sich ein Epilog anschließt: Die Struktur des Romans ist ebenso sinnvoll wie schlüssig. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lai. Die Handlung umspannt im Wesentlichen die Jahre 1970 bis 1989 und spielt in China.

Der Schreibstil ist eindrücklich, unaufgeregt und dank etlicher authentischer Dialoge anschaulich. Teilweise ist zudem eine poetische Note erkennbar.

Im Fokus steht Lai, eine realitätsnah gezeichnete Figur. Auch die übrigen Charaktere wirken lebensecht.

Nicht zufällig trägt die Protagonistin denselben Namen wie das Pseudonym der Autorin, denn der Roman hat autobiografische Züge und beinhaltet einige Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend. Er beschreibt einen nicht geringen Teil ihres Lebens, nämlich das Aufwachsen und Erwachsenwerden im totalitären China der 1970er- und 1980er-Jahre. Vorwiegend geht es dabei um zwischenmenschliche Beziehungen, zunehmend aber auch um das Eindringen der Politik in den Alltag. Freundschaften, familiäre Verbindungen und Liebe nehmen breiten Raum ein.

Anders als es der Titel vermuten lässt, spielt die blutige Niederschlagung des friedlichen Aufstands im Jahr 1989 auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking nur eine sehr kleine Rolle. Dieses historische Ereignis taucht erst zum Schluss des Romans auf.

Auf den rund 550 Seiten ist die Geschichte durchaus bewegend und regt zum Nachdenken an. Allerdings weist sie einige Längen auf.

Das reduzierte, künstlerisch anmutende Covermotiv ist sowohl hübsch als auch inhaltlich passend. Der Titel, der sich am englischsprachigen Original („Tiananmen Square“) orientiert, weckt meiner Ansicht nach jedoch falsche Erwartungen.

Mein Fazit:
„Himmlischer Frieden“ Lai Wen ist ein besonderer, lesenswerter Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch interessante Einblicke bietet.