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Veröffentlicht am 16.03.2023

Wenn dich die Vergangenheit nicht loslässt

Liebewesen
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Ihre Mitbewohnerin Mariam hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lio zu verkuppeln. Tatsächlich lernt die junge Biologin über eine Dating-App den Radiomoderator Max kennen. Sie gehen eine Beziehung ein, ziehen ...

Ihre Mitbewohnerin Mariam hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lio zu verkuppeln. Tatsächlich lernt die junge Biologin über eine Dating-App den Radiomoderator Max kennen. Sie gehen eine Beziehung ein, ziehen sogar zusammen. Doch beide haben psychische Probleme, die nicht behandelt werden. Und dann wird Lio ungewollt schwanger…

„Liebewesen“ ist der Debütroman von Caroline Schmitt.

Meine Meinung:
Der Aufbau ist schlüssig und funktioniert prima. Der Roman umfasst 30 kurze Kapitel, wobei sich diese auf zwei Teile erstrecken. Die Handlung bezieht sich auf einen Zeitraum von etwa drei Jahren. Es gibt zwischendurch jedoch einen großen Zeitsprung. Vor allem in der ersten Hälfte sind einige Rückblenden zu finden. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lio.

Die Sprache des Romans hat mich komplett überzeugt. Sie ist bildstark, eindringlich und sehr direkt, aber weder vulgär noch blumig. Der Schreibstil ist modern, ein wenig lakonisch und kreativ, jedoch nicht zu experimentell oder gar gewöhnungsbedürftig. Vor allem in den Dialogen und in Lios Gedanken blitzt immer wieder Wortwitz hervor. Die Beschreibungen sind auf den Punkt, manchmal schonungslos. Die Autorin versteht es, in ihrer teils verdichteten Erzählweise mit wenigen Sätzen viel Inhalt und Stimmung zu vermitteln.

Die Figuren wirken außerordentlich authentisch und sind psychologisch sorgfältig ausgestaltet. Obwohl Protagonistin Lio keine klassische Sympathieträgerin ist, lassen sich ihre Gedanken und Emotionen wunderbar nachvollziehen. Man kommt ihr sehr nahe und entwickelt Verständnis für ihr Verhalten. Auch Max ist kein ganz einfacher Charakter, wird aber lebensnah und glaubhaft dargestellt.

Inhaltlich ist die Geschichte erschütternd und aufwühlend. Es geht um weit mehr als eine ungewollte Schwangerschaft. Das Thema Liebe spielt durchaus eine Rolle, allerdings keine zentrale. Die Beziehung zwischen Lio und Max fördert mehrere Traumata zutage, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte. Eindrücklich wird geschildert, wie sich Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter auswirken, welche Folgen das Aufwachsen in dysfunktionalen Familien hat und wie sich erlebte Strukturen fortsetzen können. Mich hat die Geschichte sehr bewegt.

Einen klassischen Spannungsbogen gibt es nicht. Dennoch hat der Roman auf mich einen großen Lesesog ausgeübt. Die Geschichte ist keineswegs durchsichtig, sondern bietet immer wieder überraschende Enthüllungen und Entwicklungen.

Das Cover, das ein Kunstwerk abbildet, erregt Aufmerksamkeit. Es gefällt mir optisch, passt thematisch aber höchstens im übertragenen Sinn. Ganz glücklich bin ich damit daher nicht. Auch der Titel und das Marketing sind meiner Ansicht nach etwas irreführend und damit nicht optimal. Darüber kann ich jedoch hinwegsehen.

Mein Fazit:
Mit „Liebewesen“ ist Caroline Schmitt ein beeindruckendes und ergreifendes Debüt gelungen, das ich wärmstens empfehlen kann. Ein inhaltlich wie sprachlich starker Roman, der auf weitere Werke hoffen lässt und schon jetzt zu meinen Lesehighlights 2023 zählt.

Veröffentlicht am 09.03.2023

Was mit Ana Sardá geschah

Kathedralen
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Ana Sardá ist tot. Die 17-Jährige wird übel zugerichtet aufgefunden. In der religiösen Familie ist das Entsetzen groß. Für die Schwester der Toten, Lía, markiert die Gewalttat endgültig den Bruch mit der ...

Ana Sardá ist tot. Die 17-Jährige wird übel zugerichtet aufgefunden. In der religiösen Familie ist das Entsetzen groß. Für die Schwester der Toten, Lía, markiert die Gewalttat endgültig den Bruch mit der Kirche. Sie wandert ins Ausland aus. Doch auch 30 Jahre später bewegt sie noch immer eine Frage intensiv: Was ist damals mit Ana passiert?

„Kathedralen“ ist ein Roman von Claudia Piñeiro.

Meine Meinung:
Der Roman verfügt über einen interessanten Aufbau. Er umfasst sechs Teile, die wiederum in Kapitel untergliedert sind, sowie einen Epilog. Erzählt wird in jedem der Teile aus einer anderen Perspektive. Dabei gibt es zwei Stränge: einerseits die gegenwärtigen Entwicklungen und andererseits das Geschehen vor rund 30 Jahren. Die Handlung spielt größtenteils in Argentinien, aber auch in Europa.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman sehr facettenreich. Die unterschiedlichen Perspektiven sind variantenreich herausgearbeitet. Auch stilistisch hat er vielerlei zu bieten: Unter anderem sind Briefe, Tagebucheinträge und Dialoge in Reinform eingefügt. Die Metapher der titelgebenden Kathedralen zieht sich durch den ganzen Roman.

Angelegt ist die Geschichte als eine Art von Spannungsroman. Auf den rund 300 Seiten gelingt es der Autorin in der erste Hälfte, mit dem Rätsel um Anas Tod zu fesseln. Spätestens in der zweiten Hälfte ist die Auflösung jedoch sehr offensichtlich. Vor allem das letzte Drittel ist vorhersehbar und hält wenig Neues bereit. Das wiegt für mich jedoch nicht schwer, da das Buch nicht als Krimi oder Thriller vermarktet wird.

Inhaltlich hat mich der Roman jedoch dennoch enttäuscht. Dem Geheimnis um Anas Tod liegt ein interessantes, diskussionswürdiges Thema von politischer und gesellschaftlicher Bedeutung zugrunde. Mit ihrer Geschichte wollte die Autorin unverkennbar die entsprechende Debatte in ihrem Heimatland beeinflussen und einen Beitrag zu einer Gesetzesänderung leisten. Das ist kein anrüchiges Anliegen, sondern in diesem Fall meiner Ansicht nach sogar zu begrüßen. Leider schießt die Autorin allerdings über das Ziel hinaus.

Die Figuren, insbesondere jene, die den gläubigen Katholiken zuzuordnen sind, sind gnadenlos überzeichnet, schablonenhaft und eindimensional. Über Grautöne verfügen nur die Charaktere, die der Kirche zumindest skeptisch gegenüber stehen. Zwar legt die Autorin offenbar Wert darauf, das Handeln der Protagonisten ausführlich zu erklären. In der Ausgestaltung hat mich aber nur eine einzige Figur überzeugt: Anas Freundin.

Auch unabhängig von den Personen ist der Roman sehr plakativ und unglaubwürdig. Einige Übertreibungen und absurde Details sollen keine Zweifel zulassen. Der Katholizismus wird als absolutes Feindbild aufgebaut. Die Botschaft des Romans mit dem Holzhammer mehrfach wiederholt. Dadurch hat bei mir nicht nur zunehmend das Lesevergnügen abgenommen, sondern die Geschichte leider auch ihre emotionale Wirkung verfehlt. Weniger wäre hier mehr gewesen.

Das düstere Cover mit verwelkten Blüten passt sinnbildlich gut. Der spanischsprachige Titel („Catedrales“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.

Mein Fazit:
„Kathedralen“ von Claudia Piñeiro ist ein Roman, der leider hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist. Die wichtige Thematik hätte eine differenziertere Auseinandersetzung verdient gehabt. Ein Buch jedoch, das unterhaltsame Lesestunden bieten kann.

Veröffentlicht am 07.03.2023

Das Leben ist (k)ein Videospiel

Morgen, morgen und wieder morgen
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Durch einen Zufall lernen sich Sadie Green und Sam Masur in einem Krankenhaus in Los Angeles kennen. Sam hat gerade einen Unfall erlitten und muss wegen der Verletzungen behandelt werden. Sadie ist nur ...

Durch einen Zufall lernen sich Sadie Green und Sam Masur in einem Krankenhaus in Los Angeles kennen. Sam hat gerade einen Unfall erlitten und muss wegen der Verletzungen behandelt werden. Sadie ist nur in der Klinik, um ihrer krebskranken Schwester Alice Gesellschaft zu leisten. Beide Teenager stellen sofort fest, dass sie Videospiele lieben. Jahre später begegnen sich Sadie und Sam erneut und starten ein ehrgeiziges Projekt…

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist ein Roman von Gabrielle Zevin.

Meine Meinung:
Der Aufbau des Romans ist recht komplex und beeindruckend. Die Geschichte ist ein wenig verschachtelt und bei genauerem Hinsehen raffiniert komponiert. Der Roman umfasst zehn Teile, die wiederum in mehrere Kapiteln untergliedert sind. Die Handlung erstreckt sich über mindestens 20 Jahre: vom Ende der 1980er-Jahren bis ins 21. Jahrhundert. Sie spielt vorwiegend in Kalifornien und an der Ostküste der USA. Es gibt mehrere Zeitsprünge und in der ersten Hälfte des Romans zudem Rückblenden. Erzählt wird aus einer auktorialen Perspektive.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman unauffällig und ziemlich gewöhnlich. Viele Dialoge und teils ausführliche, teils ein wenig belehrend klingende Beschreibungen wechseln sich ab. Positiv zu erwähnen ist, dass die Geschichte trotz der vielen Passagen zum Thema Video- und Computerspiele auch für Nicht-Gamer gut verständlich ist.

Sam und Sadie werden mit viel psychologischer Tiefe und absolut lebensnah dargestellt. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Allerdings wurden mir die Protagonistin und der Protagonist zunehmend unsympathisch. Nicht alle Verhaltensweisen konnte ich nachvollziehen. Auch die übrigen Figuren wirken - jede für sich genommen - realitätsnah und ausreichend ausgestaltet.

Inhaltlich nehmen die Computerspiele und ihre Entwicklung viel Raum ein. In zweiter Linie steht jedoch die Freundschaft zwischen Sam und Sadie im Fokus der Geschichte. Verschiedene Traumata, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte, und dramatische Momente rufen Emotionen hervor, sind aber auch der Grund dafür, dass der Roman immer wieder düster wird.

Thematisch deckt die Geschichte viele Themen ab und ist damit sehr facettenreich. Feministische Aspekte werden aufgegriffen. Die Charaktere sind sehr divers ausgestaltet. Die Verschiedenartigkeit in Bezug auf Religionen, sexuelle Orientierungen, biologische Abstammungen, körperliche Merkmale, Geschlechtsidentitäten usw. ist jedoch so stark ausgeprägt, dass es mir in der Masse zu viel und zu unglaubwürdig war. Es entsteht beim Lesen zunehmend der Eindruck, die Autorin wollte sämtliche Punkte der Political Correctness abhaken.

Auf den fast 500 Seiten ist die Geschichte erstaunlich kurzweilig und weist nur wenige Längen auf. Mehrfach schafft es die Autorin, mit unerwarteten Wendungen zu überraschen. Die Geschichte erzeugt einen Lesesog, dem ich mich nur schwer entziehen konnte.

Das auffällige, interessante Cover besteht aus dem Gemälde „The Great Wave“ von Katsushika Hokusai, das in der Geschichte Erwähnung findet. Eine gute Wahl. Auch der kreative Titel erschließt sich während der Lektüre und passt zum Roman. Was dahintersteckt, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.

Mein Fazit:
Mit „Morgen, morgen und wieder morgen“ hat Gabrielle Zevin meine hohen Erwartungen nicht in Gänze erfüllt. Trotz kleinerer Schwächen hat mich der Roman allerdings gut unterhalten, sodass ich ihn empfehlen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Thema
Veröffentlicht am 01.03.2023

Ein schweres Erbe

Männer sterben bei uns nicht
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Großmutter ist tot. Aus Anlass des Trauerfalls kommt die Familie zusammen. Das Ereignis ruft viele Erinnerungen wach. Auch Enkelin Luise (30), die das Anwesen am See erben soll, macht sich Gedanken: Wieso ...

Großmutter ist tot. Aus Anlass des Trauerfalls kommt die Familie zusammen. Das Ereignis ruft viele Erinnerungen wach. Auch Enkelin Luise (30), die das Anwesen am See erben soll, macht sich Gedanken: Wieso sind die Männer der Familie abhanden gekommen? Was ist mit ihrer Schwester Leni?

„Männer sterben bei uns nicht“ ist ein Roman von Annika Reich.

Meine Meinung:
Der Roman beinhaltet 44 kurze Kapitel. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Luise. Dabei gibt es zwei Erzählstränge, die sich abwechseln: einerseits die Vergangenheit, vorwiegend Luises Kindheit, und andererseits die Gegenwart mit den Ereignissen rund um den Tod der Großmutter. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman begeistert. Der Schreibstil ist sehr atmosphärisch und bildstark.

Weibliche Figuren dominieren die Geschichte, und zwar die Frauen unterschiedlicher Generationen einer Familie. Die Charaktere wirken realitätsnah. Besonders nahe kommt man Luise, die im Zentrum des Romans steht.

Inhaltlich geht es, wie der Titel bereits andeutet, vordergründig um mehr oder minder mysteriöse Todesfälle. Hintergründig spielen weitreichende Themen wie patriarchale Strukturen, feministische Bemühungen und der Umgang zwischen den Geschlechtern eine große Rolle.

Vor allem die erste Hälfte des rund 200 Seiten umfassenden Romans hat mich überzeugt. Zum Schluss hin fällt die Geschichte hingegen ab. Das sehr offene Ende lässt viele Fragen unbeantwortet.

Das Titelmotiv, das auf einem Gemälde von Paulette Tavormina basiert, passt inhaltlich gut und greift die Atmosphäre des Romans prima auf. Der ungewöhnliche Titel ist ebenfalls eine gelungene Wahl.

Mein Fazit:
„Männer sterben bei uns nicht“ von Annika Reich ist ein Roman, der mich sprachlich beeindruckt, aber inhaltlich ein wenig enttäuscht hat. Eine Lektüre, die ich mit Einschränkungen empfehlen kann.

Veröffentlicht am 23.02.2023

Gefährliche Männlichkeit

Young Mungo
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Die Stadt Glasgow in den 1990er-Jahren: Der protestantische Mungo Hamilton und der katholische James werden in zwei unterschiedlichen Welten geboren. Beide eint jedoch ein soziales Umfeld, das ihnen übertriebene ...

Die Stadt Glasgow in den 1990er-Jahren: Der protestantische Mungo Hamilton und der katholische James werden in zwei unterschiedlichen Welten geboren. Beide eint jedoch ein soziales Umfeld, das ihnen übertriebene Männlichkeit abverlangt. Eigentlich sollten sie sich als Feinde fühlen. Doch sie werden Freunde…

„Young Mungo“ ist ein Roman von Douglas Stuart.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 28 Kapiteln und zwei Teilen, wobei der erste davon recht kurz ist. Erzählt wird auf zwei Ebenen.

Der Schreibstil ist atmosphärisch, eindringlich und bildstark. In sprachlicher Hinsicht fällt auf, dass es immer wieder dialektale Einschübe aus dem Schottischen gibt. Das trägt nicht zur besseren Lesbarkeit bei, macht die Geschichte aber authentisch.

Die Figuren sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Sie wirken realitätsnah. Im Mittelpunkt steht Mungo, ein vielschichtiger und sympathischer Charakter.

Mit seinem Debüt „Shuggie Bain“ hat der neue Roman von Douglas Stuart eine Gemeinsamkeit: Er liefert eine umfassende und anschauliche Sozialstudie und schafft es, über einzelne Schicksale hinweg, gesellschaftliche und politische Umstände aufzuzeigen. Die Probleme, die in der Geschichte auftauchen, wiederholen sich zum Teil: beispielsweise Armut und Alkoholismus. Die wiederkehrenden Motive haben mich jedoch keineswegs gelangweilt. Sie werden durch weitere Themen ergänzt, allen voran der Schwerpunkt Homophobie.

Trotz der knapp 400 Seiten bleibt die Lektüre kurzweilig und fesselnd. Dramatische Sequenzen werden gut dosiert eingefügt. Anders als bei Stuarts Debüt hat mich die Geschichte um Mungo zwar ebenfalls bewegt, allerdings emotional weniger stark mitgenommen.

Die Ästhetik des deutschen Covers, insbesondere die Farbwahl, sagt mir leider nicht zu. Das Motiv ist dennoch sehr passend. Der Titel wurde wörtlich aus dem englischsprachigen Original übernommen. Er könnte allerdings falsche Assoziationen wecken.

Mein Fazit:
Auch mit „Young Mungo“ ist Douglas Stuart ein lesenswerter und beeindruckender Roman gelungen.