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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.11.2017

Eine düstere Zukunftsvision

Leere Herzen
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Braunschweig im Jahr 2025: Die Besorgte-Bürger-Bewegung hat die Wahlen gewonnen und beschließt ein Effizienzpaket nach dem anderen, das zulasten der Grundrechte geht. Das Bedingungslose Grundeinkommen ...

Braunschweig im Jahr 2025: Die Besorgte-Bürger-Bewegung hat die Wahlen gewonnen und beschließt ein Effizienzpaket nach dem anderen, das zulasten der Grundrechte geht. Das Bedingungslose Grundeinkommen wurde eingeführt. Viele haben sich mit den Umständen abgefunden und den Glauben an eine bessere Zukunft verloren. So auch Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi, beide desillusioniert und pragmatisch. In der Zeit der Perspektivenlosigkeit haben die beiden gemeinsam eine kleine Firma, „Die Brücke“, aufgebaut, die sie unter dem Deckmantel einer Heilpraxis betreiben. In Wahrheit floriert in den unscheinbaren Büroräumen aber das Geschäft mit dem Tod. Alles läuft gut, bis unliebsame Konkurrenz auftaucht. Britta und Babak setzen alles daran, die unbekannten Trittbrettfahrer skrupellos auszuschalten…

Juli Zehs dystopischer Roman „Leere Herzen“ ist Polit- und Psychothriller zugleich.

Meine Meinung:
Erzählt wird die Geschichte in 29 Kapiteln, deren Länge ich als angenehm empfunden habe. Sprachlich konnte mich der Roman absolut überzeugen. Der flüssige Schreibstil wirkt zunächst einfach und nüchtern, ist aber auf den zweiten Blick wesentlich detailreicher und raffinierter.

Schon ab dem ersten Kapitel war die Neugier auf die Geschichte geweckt und Spannung erzeugt, die dafür gesorgt hat, dass ich das Buch kaum zur Seite legen konnte. Das Bild, das von der nicht allzu ferner Zukunft gezeichnet wird, ist provokant und etwas überspitzt, aber grundsätzlich durchaus vorstellbar. Dabei geht es um heute schon aktuelle Themen. Immer wieder kommt die Kritik an der Gesellschaft und deren Politikverdrossenheit durch. Dadurch ist der Roman mehr als nur bloße Unterhaltung. Er hat mich sowohl zum Nachdenken angeregt als auch schockiert. Einen Spiegel will uns die Autorin vorhalten, denn schon ganz am Anfang heißt es: „Da. So seid ihr.“

Mit Britta dreht sich die Geschichte um eine interessante Hauptprotagonistin. Authentisch und facettenreich werden auch die Personen der Geschichte beschrieben. Dargestellt wird eine Generation, deren Herzen leer sind und die ihre Überzeugungen verloren. Sie gibt dem Roman den treffenden, ansprechenden Titel. Inhaltlich passend dazu ist auch das reduzierte Cover, das ich sehr gelungen finde.

Mein Fazit:
Mit „Leere Herzen“ ist Juli Zeh in mehrfacher Hinsicht ein sehr lesenswerter Roman gelungen, der mich absolut überzeugen konnte.

Veröffentlicht am 12.11.2017

Die amouröse Jagd auf die schöne Helene

Metrofolklore
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Als lesbische Archäologiestudentin mit Mitte 20 in Berlin hat man es nicht leicht. Wie erobert man da die schöne, aber heterosexuelle Kommilitonin Helene, die noch dazu mit dem Dekan des Fachs eine Affäre ...

Als lesbische Archäologiestudentin mit Mitte 20 in Berlin hat man es nicht leicht. Wie erobert man da die schöne, aber heterosexuelle Kommilitonin Helene, die noch dazu mit dem Dekan des Fachs eine Affäre hat? Und als wäre die unglückliche Verliebtheit in die unerreichbare Angebetete nicht schon Problem genug, gilt es auch noch, die eigene Partnerin, die ältere Anika, zu besänftigen, die mit ihrem dringenden Kinderwunsch nervt. Ist die Beziehung noch zu retten? Und ob Ovid und Co. wohl Tipps für diese verzwickte Lage parat haben?

Mit „Metrofolklore“ hat Patricia Hempel einen ungewöhnlichen Debütroman vorgelegt.

Meine Meinung:
Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive, gespickt mit originellen Hashtags und Zitaten von Ovid und anderen. Auffallend ist ohne Zweifel der erfrischende, moderne Schreibstil. Die direkte, drastische, teils derbe Ausdrucksweise zieht sich durch alle Seiten und macht sicherlich den Reiz dieses Romans aus. Er hat das Buch für mich zur amüsanten Lektüre gemacht und mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Interessante Wortspiele und -neuschöpfungen haben meinen Geschmack getroffen. Sprachlich gelungen finde ich auch die Kapitelüberschriften.

Die Handlung ist bewusst überspitzt dargestellt. Ihr Buch will Patricia Hempel als Satire auf den Pop-Roman verstanden wissen, als eine Persiflage auf Drogen, Alkohol und andere destruktive Dinge. Dementsprechend viel Raum nehmen diese im Roman ein – meiner Meinung nach ein wenig zu viel, wobei ich die Intention dahinter nachvollziehen kann. Einige Wiederholungen führen auch dazu, dass mich die Handlung, die in Teilen etwas skurril anmutet, nicht ganz so sehr überzeugen konnte wie die Sprache. Den Schluss wiederum fand ich sehr gelungen.

Mein Fazit:
„Metrofolklore“ ist ein Buch, das aus der Masse heraussticht. Für mich ist es eine kurzweilige Lektüre, die alleine schon aus sprachlicher Hinsicht lohnt.

Veröffentlicht am 10.11.2017

Aza und die Gedankenspirale

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
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Wie viele Teenager besucht Aza Holmes eine Highschool in Indianapolis. Doch die 16-Jährige ist anders. Sie leidet unter einer Angststörung, zum Beispiel einer Phobie vor Körperflüssigkeiten, und an Zwängen. ...

Wie viele Teenager besucht Aza Holmes eine Highschool in Indianapolis. Doch die 16-Jährige ist anders. Sie leidet unter einer Angststörung, zum Beispiel einer Phobie vor Körperflüssigkeiten, und an Zwängen. Sie verbinden sich zu einem Gedankenstrudel, der die Halbwaise beschäftigt. Sie möchte sich deshalb zunächst nicht an der Suche nach dem verschwundenen Milliardär Russell Pickett, dem Vater ihres Bekannten Davis, beteiligen. Dieser ist vor einer bevorstehenden Hausdurchsuchung wie vom Erdboden verschluckt. 100.000 Dollar winken als Belohnung für Hinweise. Deshalb überredet ihre beste Freundin Daisy Ramirez sie, das Geheimnis um Pickett aufzuklären. Für Aza beginnt somit ein Abenteuer. Dabei merkt sie, dass es auch eine Reise zu sich selbst ist, nämlich in die Gedankenspirale, der sie entkommen will.

Mit „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ ist John Green wieder ein wundervoller Jugendroman gelungen.

Meine Meinung:
Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive in 24 Kapiteln, die eine angenehme Länge haben. Der Erzählstil ist wieder einmal typisch für den Autor. Sprachlich konnte mich der Roman absolut begeistern. Viele tiefsinnige und zum Teil auch poetische Formulierungen sind darin zu finden.

Aza ist ein ungewöhnlicher, aber sehr reizvoller Charakter. Das Verhalten eines Menschen mit psychischer Krankheit wird sehr authentisch beschrieben. Man kann gut in ihre Gedanken- und Gefühlswelt eintauchen. Für Außenstehenden ist das Verhalten der Hauptprotagonistin schwer zugänglich. Doch der Autor hat es sehr gut geschafft zu vermitteln, wie sich das Leben mit Ängsten und Zwängen gestaltet. Das fand ich sehr berührend und hat mich zum Nachdenken gebracht. Und obwohl Aza durch ihre Krankheit ein schwieriger Mensch ist, wurde sie mir sehr sympathisch.

Die Handlung ist nicht so spannend, wie es zunächst klingt. Dennoch habe ich mich nicht gelangweilt und habe das Buch nur ungern zur Seite gelegt. Das liegt auch daran, dass neben Azas Erkrankung weitere Themen wie Freundschaft und Liebe eine Rolle spielen. Traurige Passagen wechselten sie mit solchen ab, bei denen ich schmunzeln musste. An einigen Stellen wird es auch philosophisch. Diese Kombination habe ich als sehr unterhaltsam und bewegend empfunden.

Die limitierte deutsche Erstauflage ist nach meiner Ansicht von der Gestaltung sehr gelungen. Wenn auch inhaltlich passend, finde ich den deutschen Titel allerdings etwas sperrig.

Mein Fazit:
John Green hat mit „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ einen Roman geschrieben, der auch für Erwachsene eine berührende Lektüre ist. Mich konnte Azas Geschichte begeistern. Ich kann das Buch definitiv empfehlen.

Veröffentlicht am 09.11.2017

Auf der Suche nach dem Glück

Herrn Haiduks Laden der Wünsche
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Herr Haiduk, ein libanesischer Flüchtling, betreibt in Berlin einen kleinen, schmalen Kiosk, den er selbst gerne als Nadelöhr bezeichnet. In dem Laden, in dem es Zeitungen, Zeitschriften, Zigaretten und ...

Herr Haiduk, ein libanesischer Flüchtling, betreibt in Berlin einen kleinen, schmalen Kiosk, den er selbst gerne als Nadelöhr bezeichnet. In dem Laden, in dem es Zeitungen, Zeitschriften, Zigaretten und einiges mehr gibt, genießt er ein ruhiges Leben. Doch eines Tages findet eine schüchterne Stammkundin, die Französin Alma Bonnefoi, vor dem Kiosk eine Lotto-Quittung. Auf den Gewinner wartet ein Jackpot über 13 Millionen Euro. Gemeinsam machen sich die beiden mit Herrn Haiduks Mitarbeiter Adamo auf die Suche nach dem Glücklichen.

Mit „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ hat Florian Beckerhoff einen anrührenden Roman voller Wärme geschrieben.

Meine Meinung:
Erzählt wird aus der Ich-Perspektive in 16 Kapitel – aus der Sicht eines ehemaligen erfolglosen Autors, der die Geschichte von Herrn Haiduk erzählt bekommt. Rückblicke aus der Vergangenheit wechseln sich dabei mit Episoden aus der Gegenwart ab.

Auffallend sind der angenehme, ruhige und liebevolle Erzählstil sowie die detaillierten Beschreibungen. Die Handlung ist nicht so spannend, wie es zunächst klingt. Die Geschichte braucht etwas, um Fahrt aufzunehmen. Dennoch wurde es mir beim Lesen nicht langweilig und ich habe den Verlauf der Handlung gerne weiterverfolgt. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt. Lediglich das Ende hat nicht ganz meinem Geschmack entsprochen.

Gut gefallen haben mir auch die vielfältigen Charaktere. Herr Haiduk und Alma waren mir schnell sympathisch. Daneben tauchen auch einige andere Personen auf, die die Gier auf das Geld verbindet. Sie wirken authentisch und bieten interessante Einblicke in die Gesellschaft. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob Geld wirklich glücklich macht. Durch die unterschiedlichen Charaktere regt der Roman zum Nachdenken an, sorgt jedoch auch für lustige Momente.

Das Cover ist meiner Ansicht nach passend zur Geschichte gewählt.

Mein Fazit:
„Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ ist ein Buch der eher leisen Töne, das mich bewegen konnte und zum Nachdenken gebracht hat. Der Roman hat mir vergnügliche Lesestunden beschert. Ich kann ihn definitiv empfehlen.

Veröffentlicht am 08.11.2017

Eine Wissenschaftlerin, ein Pfarrer und eine unheimliche Schlange

Die Schlange von Essex
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England im Jahr 1893: Nach dem Krebstod ihres Mannes Michael verlässt Cora Seaborne die britische Hauptstadt London, um mit ihrem Sohn Francis und dem Kindermädchen Martha in den Küstenort Aldwinter zu ...

England im Jahr 1893: Nach dem Krebstod ihres Mannes Michael verlässt Cora Seaborne die britische Hauptstadt London, um mit ihrem Sohn Francis und dem Kindermädchen Martha in den Küstenort Aldwinter zu reisen. Die Witwe ist Naturwissenschaftlerin und eine Anhängerin der Thesen von Charles Darwin. Sie hört von der Geschichte um die ominöse Schlange von Essex, die dort gesehen wurde. Ihr Interesse ist geweckt, denn sie hofft auf eine wissenschaftliche Sensation. Doch sie gerät dort auch mit Pfarrer William Ransome aneinander. Obwohl beide in ihren Meinungen grundverschieden sind, fühlen sie sich stark zueinander hingezogen…

Mit „Die Schlange von Essex“ ist Sarah Perry ein preisgekrönter, ungewöhnlicher Roman gelungen.

Meine Meinung:

Mich hat der Roman schon nach wenigen Seiten in seinen Bann gezogen, sodass ich das Buch nur ungern zur Seite legen wollte. Das liegt unter anderem daran, dass die Geschichte sprachlich meisterhaft umgesetzt wurde. Sehr eindringlich und lebhaft sind die Beschreibungen, teilweise sogar poetisch. Durch schöne Sprachbilder entsteht viel Stimmung und Atmosphäre. Trotz der anspruchsvollen Sprache ist der Erzählstil flüssig und angenehm, sodass mein Lesefluss nicht ins Stocken geriet.

Die Handlung beginnt im Januar und setzt sich im Folgenden in den weiteren Monaten des Jahres fort. Dies drückt sich in der Aufteilung der Hauptkapitel aus.

Anders als vermutet geht es in der Geschichte nicht nur um die Protagonisten Cora und Will. Immer wieder springt die Erzählperspektive auch auf die anderen, teils ziemlich speziellen Charaktere, die sehr detailliert geschildert werden und deren Innenleben für mich gut vorstellbar wurde. Durch diesen Umstand entstehen zudem mehrere Handlungsstränge, was die Geschichte für mich reizvoll gemacht hat.

Wer eine seichte, reine Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht. Kunstvoll wird das Thema Liebe mit anderen Lebensbereichen wie Glaube und Wissenschaft verwoben. Auch weitere gesellschaftliche Aspekte der viktorianischen Zeit in England tauchen auf, was für mich sehr interessant und teilweise auch lehrreich war.

Positiv hervorzuheben ist meiner Ansicht nach außerdem das sehr hübsche Cover. Gut gefallen hat mir auch, dass der englische Titel 1:1 übersetzt und somit übernommen wurde.

Mein Fazit:

„Die Schlange von Essex“ ist sicherlich ein historischer Roman, der polarisiert und vom Leser einiges fordert. Zwar hatte ich anfangs andere Erwartungen an die Geschichte. Mich allerdings konnte das Buch von Sarah Perry mit seiner toller Sprache und seiner Tiefgründigkeit absolut begeistern.