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Veröffentlicht am 22.10.2023

Plump, konstruiert, vorhersehbar ... enttäuschend

Der Trip – Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.
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Die forensiche Psychologin Evelyn Jancke hilft der Oldenburger Polizei bei der Ermittlung in einer Mordserie auf Campingplätzen in Norddeutschland. Bisher entkam der Täter immer unerkannt, doch schließlich ...

Die forensiche Psychologin Evelyn Jancke hilft der Oldenburger Polizei bei der Ermittlung in einer Mordserie auf Campingplätzen in Norddeutschland. Bisher entkam der Täter immer unerkannt, doch schließlich gibt es an einem Tatort einen Zeugen, mit dessen Hilfe ein Phantombild angefertigt wird. Als Evelyn Jancke dieses sieht, ist sie wie elektrisiert, denn sie glaubt, in dem Täter ihren seit zwei Jahren vermissten Bruder Fabian zu erkennen. Doch kann es sein, dass er - aus welchen Gründen auch immer - als kaltblütiger Mörder zurückgekehrt ist? Es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden: sie muss ihn finden, bevor die Polizei es tut. Nicht gerade einfach, wenn der beste Freund ausgerechnet einer der ermittelnden Kommissare ist und selbst so einiges zu verbergen scheint ...

Zum Buch:
Arno Strobel hat sich als Thrillerautor in Deutschland einen Namen gemacht. Seine Geschichten sind natürlich so angelegt, zu schockieren und den Leser bis zum Ende bei der Stange zu halten. Um dies zu erreichen, werden im vorliegenden Buch neben einem sehr spannenden Prolog u.a. verschiedene Fährten ausgelegt und mysteriöse Anrufe und Nachrichten eingebaut. Ein manipulativer Psycho spielt ebenso seine Spielchen wie anscheinend Evelyns bester Freund und ehemaliger Lebensgefährte, der angeblich nur aus Sorge um sie so handelt. Die Spannung soll durch einen Perspektivwechsel zwischen der Hauptprotagonistin Evelyn und dem Täter noch erhöht werden. Die Kapitel sind angenehm kurz und enden häufig, wie das bei Thrillern eben üblich ist, mit einem Cliffhanger. Das Finale ist dann jedoch etwas unspektakulär und in der Nachfolge werden die drängensten Fragen aufgelöst.

Persönliche Meinung:
Selten hat mich die Hauptperson eines Romans von Anfang an so dermaßen genervt wie diese Evelyn Jancke. Ich weiß nicht, ob dies vom Autor so beabsichtigt war, aber zumindest hat er sich nicht gerade bemüht, sie mit sympathie- und empathiefördernden Eigenschaften auszustatten. Abgesehen von ihrer Art, das Verschwinden ihres Bruders mit regelmäßigen Abstürzen in den Oldenburger Bars inclusive Abschleppens diverser fragwürder Nachtgestalten zu kompensieren, hinterlässt sie auch beruflich keinen allzu guten Eindruck. Gerade als angeblich so profilierte und mit "messerscharfem Verstand gesegnete" erfahrene forensiche Psychologin springt sie über jedes noch so kleine Stöckchen, dass man ihr hinhält, was mich mit der Zeit immer mehr gegen sie aufgebracht hat. Sämtliche Charaktere sind so angelegt, dass man ihnen nicht trauen kann; das ist schon etwas zuviel des Guten und nicht gerade realistisch. Bei Evelyn selbst kann man sich irgendwann auch nicht mehr sicher sein, was man von ihr halten soll und ob die mysteriösen Dinge nicht doch nur in ihrer Vorstellung geschehen. Auch ihr guter Freund Gerhard Tillmann, ermittelnder Hauptkommissar in der Camper-SoKo, bleibt eine nebulöse Gestalt, der man weder trauen noch große Sympathie entgegenbringen kann. Dazu dann noch Jasper Kriebich, ein gutaussehender reicher Selfmademan mit Villa im besten Viertel, der wie der sprichwörtliche Ritter in weißer Rüstung (nur ohne Pferd) immer im richtigen Moment zur Stelle ist, todesmutig eingreift und nur auf jemanden wie Evelyn gewartet hat? Eine ordentliche Prise Märchen wurde der Mixtur somit also auch beigefügt. Eine große Überraschung war die Auflösung am Ende dann eigentlich nicht, es lief mehr oder weniger von Anfang an daraufhin zu. Ich fand die Motive sowohl von Tillmann aber auch die des Täters ziemlich plump und konstruiert, was mich letzten Endes doch ziemlich enttäuscht hat. Auch blieben nach wie vor einige Fragen offen, was ich persönlich nicht sehr schätze. Ich hätte von einem Bestsellerautor wie Arno Strobel doch etwas raffinierteres und ausgefeilteres erwartet, wenn ich ehrlich bin.

Fazit:
Nette Krimiunterhaltung mit der einen oder anderen Schwäche. Kann man durchaus zwischendurch einmal lesen. Man hat allerdings auch nicht viel verpasst, wenn man es nicht tut.

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Veröffentlicht am 12.10.2023

Fesselnd bis zum eiskalten Ende

Tief im Schatten
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Are/Nordschweden: Gerade haben im beliebten Skiort Are die Sportferien begonnen, als ein kleiner Junge und seine Mutter eines morgens einen grausigen Fund machen. Schnell ist das Opfer identifiziert, es ...

Are/Nordschweden: Gerade haben im beliebten Skiort Are die Sportferien begonnen, als ein kleiner Junge und seine Mutter eines morgens einen grausigen Fund machen. Schnell ist das Opfer identifiziert, es handelt sich um den früheren Weltcup-Skifahrer Johan Anderson, der mit seiner Frau in der Umgebung lebt und inzwischen mit seinem Geschäftspartner einen kleinen Instrallateur-Betrieb führt. Fast zeitgleich verschwindet in einem Nachbarort die Kindergärtnerin Rebekka, die mit dem charismatischen Pastor Ole verheiratet ist. Für Hanna Ahlander und Daniel Lindskog ist es der zweite gemeinsame Fall, der sich schnell zum Wettlauf gegen die Zeit entwickelt, denn Rebecka ist in größter Gefahr...

Zum Buch:
"Tief im Schatten" ist der zweite Band einer neuen Krimi-Serie der beliebten Bestseller-Autorin Viveca Sten mit der Hauptprotagonistin Hanna Ahlander. Die Handlung spielt in Are, einem beliebten Skiort im Norden Schwedens, nahe der Grenze zu Norwegen. Die Spannung baut sich kontinuierlich bis zum fesselnden Ende hin auf. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, legt die Autorin verschiedene Fährten aus und somit gibt es mehrere Verdächtige, die ein Motiv gehabt haben könnten, Johan zu töten. Wie im wahren Leben auch, entpuppt sich beim Blick hinter mancher Fassade entweder pure Verzweiflung oder gar die reinste Hölle und so manch vermeintlicher Gutmensch entpuppt sich als Wolf im Schafspelz und lässt den Leser erschaudern über das abgrundtief Böse, zu dem nur Menschen fähig sind.
Auch die atmosphärische Dichte kommt hier nicht zu kurz: die Schönheit der Natur und die Unbarmherzigkeit der eisigen, schneereichen Nächte im hohen Norden gibt der Story noch das gewisse Extra an Stimmung. Durch die Zeitform Präsens ist alles sehr direkt und unmittelbar und durch die kurzen Kapitel wird das Tempo der Geschichte deutlich forciert.
Themen dieses Buches sind u.a. Häusliche Gewalt, falsch verstandener/gelebter christlicher Glaube, Homosexualität in Institutionen wie der Polizei.

Persönliche Meinung:
Mit Hanna hat die Autorin eine sympathische Figur geschaffen: auf den ersten Blick wirkt sie etwas introvertiert, doch je besser man sie kennenlernt, umso mehr erwärmt man sich für sie, denn sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und hat eine besondere Empathie für Frauen als Opfer von häuslicher Gewalt. Auch der Ermittlungsleiter Daniel Lindskog ist einer der Hauptfiguren und wie Hanna ein Charakter mit Ecken und Kanten. Man fühlt mit, wie er den Spagat zwischen junger Familie und der zügigen Auflösung dieses Falles hinzubekommen versucht. Hanna und Daniel sind schnell zu einem Team zusammengewachsen und ergänzen sich sehr gut. Auch die weiteren Figuren sind gut ausgearbeitet und besonders das Schicksal von Rebecka geht wirklich unter die Haut.
Das Privatleben von Hanna, Daniel und auch Anton nehmen recht viel Raum ein.
Das ist sicher nicht jedermanns Sache bei einem Krimi, bei dem es in erster Linie um Opfer, Täter und Motive geht. Dennoch mag ich persönlich gerade das sehr gerne, da auch Polizisten schließlich nur Menschen sind und somit menschlich (und nicht immer rational) handeln.
Mir hat der zweite Fall mit Hanna Ahlander sogar noch besser gefallen als der erste. Wer den ersten Band nicht gelesen hat, dürfte trotzdem problemlos mitkommen, da die wesentlichen Dinge, die das Verständnis erleichtern, im zweiten Band eingearbeitet wurden.
Ich habe mich wieder sehr gut unterhalten gefühlt und hoffe, die Forsetzung lässt nicht allzu lange auf sich warten. Auch kann ich mir eine Verfilmung dieser Serie jetzt schon gut vorstellen.

Fazit:
Fesselnder und komplexer Krimi von einer Autorin, die ihr Handwerk versteht. Spannende und unterhaltsame Lesestsunden sind garantiert.
Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 26.09.2023

Stimmungsvoller Zug-Krimi in moderner Agatha Christie-Manier

Mord im Christmas Express
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Zur Story:
Am Vorabend von Heiligabend verlässt der Christmas Express London, um seine überschaubare Anzahl an Passagieren ins schottische Fort William zu bringen. Bereits in London hat es zu schneien ...

Zur Story:
Am Vorabend von Heiligabend verlässt der Christmas Express London, um seine überschaubare Anzahl an Passagieren ins schottische Fort William zu bringen. Bereits in London hat es zu schneien begonnen, doch als der Zug die rauen, schottischen Highlands erreicht, wird das Schneetreiben immer dichter und das Vorankommen gefährlicher. Ein auf die Gleise gestürzter Baum verursacht schließlich das Entgleisen des Zugs und die Insassen sitzen weitab der nächsten Stadt fest. Wäre das nicht schon schlimm genug, wird kurz darauf die erste Leiche entdeckt, der noch weitere folgen. Roz Parker, kürzlich pensionierte Detective Inspector bei der Metropolitan Police, ist auf dem Weg zu ihrer in den Wehen liegenden Tochter und sieht durch die Todesfälle ihre Chance auf eine baldige Ankunft in immer weitere Ferne rücken. Da die Rettungskräfte witterungsbedingt nicht in absehbarer Zeit am Unglücksort sein können, versucht sie den Fall zu lösen und kommt der Lösung Stück für Stück näher...

Zum Buch:
Der Klappentext hat hier nicht zuviel versprochen: "Ein Weihnachtskrimi, wie Agatha Christie ihn heute schreiben würde: spannend, originell und absolut zeitgemäß". Das kann ich wirklich bestätigen, denn dieser Krimi enthält alle Zutaten für unterhaltsame Lesestunden: mit den schottischen Highlands ein malerisches Setting, mit dem Schlafwagen-Express ein interessanter Tatort, genug Spannungsmomente, eine scharfsinnige und mit Ecken und Kanten versehende Ermittlerin und ein bunter Mix an Passagieren, von denen so einige bei näherer Betrachtung ein Tatmotiv hätten. Dazu noch eine große Portion Herzschmerz, ein dicker Klecks Trauma- und Vergangenheitsbewältigung und eine Messerspitze Insel-Humor - voilà, fertig ist der gelungene Weihnachtskrimi.
Übrigens ist dieser Krimi nicht sehr "blutig" geschrieben, also keine Gefahr für Alpträume oder verstörenden Bildern im Kopf.

Das Cover ist überaus liebevoll gestaltet und passt perfekt zu dieser Story. Ich hätte mir nur einen höherwertigen Einband statt die Kartonage gewünscht, zumal das Buch schon mit einem Eselsohr bei mir ankam und man nach Beenden des Buches trotz sorgsamer Handhabung sehen konnte, dass die oberen und unteren Kanten Gebrauchsspuren aufweisen, was bei Karton leider sehr schnell der Fall ist.

Persönliche Meinung:
Mir hat neben der Story auch der bildstarke Schreibstil sehr gut gefallen. Man ist sehr schnell in der Geschichte und lernt die unterschiedlichen Protagonisten kennen, wobei sich schnell Sympathien und Antipathien einstellen, die - von der Autorin sicher so gewollt - einen auf die falsche Fährte führen können, denn natürlich traut man eine Greueltat eher denen zu, die von Anfang an unangenehm auffallen und etwas zu verbergen scheinen. Dabei sind es meistens die stillen Wasser, die am tiefsten gründen. So nimmt auch hier die traumatische Vergangenheit von Roz viel Raum ein und man versteht erst im Laufe der Geschichte, warum dies so wichtig zu verstehen ist. Auch Liebe, Familie und Zugehörigkeit spielen eine tragende Rolle und gibt der Geschichte mehr Tiefe. Die Autorin hat recht clevere Ablenkungs- und Täuschungselemente eingebaut, so dass man immer wieder ins grübeln kommt, ob man die richtige Person verdächtigt und hat am Ende doch noch für eine unerwartete Überraschung gesorgt. Ich konnte zwar nicht alle Verhaltensweisen der Akteure nachvollziehen, dennoch wurden die grundlegenden Fragen beantwortet und die Geschichte hat - trotz der Todesfälle - ein rundes, schönes Weihnachts-Happyend gefunden.

Spoiler gefällig? Die mitreisende Katze war's nicht!

Fazit:
Sehr unterhaltsamer, stimmungsvoller und auch tiefgründiger Christmas Krimi, welcher perfekt in die Vorweihnachtszeit passt. Dazu noch eine Tasse heiße Schokolade und feines schottisches Shortbread oder das im Buch so lecker beschriebene Whisky-Taiblet - mehr braucht es wirklich nicht! Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 17.08.2023

Nora, der letzte Raìs - Dieses Buch ist ein kleines Juwel!

Mattanza
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"Dies erzählt meine Geschichte. Sie erzählt, dass ich einen Fluch mitbrachte, der trotz aller Anstrengungen schließlich über die Insel gekommen ist. Denn Legenden lassen sich nicht durch Tricksereien und ...

"Dies erzählt meine Geschichte. Sie erzählt, dass ich einen Fluch mitbrachte, der trotz aller Anstrengungen schließlich über die Insel gekommen ist. Denn Legenden lassen sich nicht durch Tricksereien und Kniffe beeinflussen. Sie erzählt, dass ich in einer Winternacht anstelle eines anderen kam und dass man das Schicksal erzwingen wollte, indem man mir eine Aufgabe übertrug, die nicht meine sein durfte."
Nora, der letzte Raìs von Katria

Auf der kleinen Insel Katria vor der Küste Siziliens hat seit jeher der Thunfischfang für das Leben und Überleben der Inselbewohner gesorgt. Die sogenannte Mattanza ist eine uralte Tradition mit vielen Bräuchen, Legenden und Aberglauben. Einer davon besagt, dass der Anführer der Tonnaroti (Thunfischfänger) - der Raìs - den Stab nur innerhalb seines Blutes weitergeben darf, da ansonsten Unglück über die Insel und deren Bewohner kommen wird. Doch der letzte, sehnlichst erwartete Nachkomme, der in einer kalten Februarnacht 1960 geboren wird, ist wider Erwarten kein Junge, sondern ein Mädchen: Nora. Widerwillig müssen die Tonnaroti akzeptieren, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte Katrias von einer Frau angeführt werden, sobald der jetztige Raìs - Nora's Großvater - es nicht mehr kann. Als kleines Mädchen muss Nora zum Großvater ziehen und wird von ihm ausgebildet, um schließlich - noch in ihren Teenagerjahren - seine Rolle zu übernehmen, als dieser es nicht mehr kann.

„Du wirst in deinem Gesicht die Routen tragen, die du auf dem Meer zurückgelegt hast, die Furchen, die dir die Sonne in die Haut brennt, und eine Zärtlichkeit, die niemand je in dir erkennen wird.“
Andrea Lombardo, Nora's Großvater

Diese Geschichte von Germana Fabiano beruht sowohl auf Fakten und ist zugleich fiktiv. Die Mattanza (wörtl.: Abschlachten der Thunfische), mit allem was dazugehört, gehört dabei auf die Seite der Fakten: Diese wurde über Jahrhunderte auf den Inseln vor der sizilianischen Küste zelebriert, hauptsächlich in der Region um Trapani, wo auch die vermutlich fiktive Insel Katria verortet ist (es könnte sich dabei um die tatsächlich bestehende Insel Favignana handeln, eine der Ägadischen Inseln vor der Westküste Siziliens). Die Geschichte von Nora ist fiktiv, doch durch sie lernt man das Leben der Fischer und Dorfbewohner etwas kennen. Die Geschichte Nora's hat mich wirklich berührt: ein Mädchen im Kindesalter aus ihrer Familie zu nehmen und sie unter die Obhut des Großvaters zu geben, um in der Zukunft über Wohl oder Leid der Inselbewohner zu entscheiden - was für eine große Last und Verantwortung! Misstrauisch beäugt und von den Dorfbewohnern als "Fehler Gottes" betrachtet, die ihr Schicksal in ihren kleinen Händen sehen, sowie distanziert von ihren Eltern und Schwestern erlebt Nora eine einsame Kindheit und Jugend, die sie maßgeblich prägen. Die Autorin hat mit Nora eine Figur geschaffen, mit der man einfach mitfühlen muss. Dennoch bleibt sie flüchtig wie ein Geist: geheimnisvoll und irgendwie nicht ganz zu greifen. Ihre wahren Gefühle blieben mir als Leser weitestgehend verschlossen, was der Faszination aber in keinster Weise abträglich war. Übrigens finde ich das Coverfoto hier sehr stimmig zur Beschreibung von Nora: still und nachdenklich, aber auch kraftvoll, willensstark und geheimnisumwittert.

Was mich wirklich begeistert, ist der Schreibstil der Autorin! Ruhig, bildstark und sehr filigran passt diese wunderbar in die Zeit der 60-er Jahre, in der die Geschichte beginnt. Doch es ist auch eine sehr poetische Sprache und beschreibt Personen und Geschehnisse zwar etwas distanziert-verträumt, aber trotzdem stets mit wenigen Sätzen punktgenau. Einfache, aber wahre Lebensweisheiten sind wunderbar eingewoben und ließen mich immer wieder innehalten. Häufige Perspektivwechsel und ein paar mysteriöse Todesfälle verleihen der Geschichte eine weitere interessante Facette. Auch die starke Liebe zum Meer, der Respekt vor der Natur, den Elementen und der unzähmbaren Gewalt des Ozeans spürt man auf jeder Seite. Man schmeckt fast schon das Salzwasser auf den Lippen und hört die Möwen über sich kreischen...
Ein Namensverzeichnis sowie ein Glossar für die Fischerei-Begriffe und italienischen Bezeichnungen wäre hilfreich gewesen, aber mit der Zeit fiel es leichter, die Dorfbewohner namentlich auseinanderzuhalten. Auch hätte ich mir ein Nachwort der Autorin zu diesem Buch gewünscht, um mehr über ihre Motivation und Hintergründe für das Schreiben dieser Geschichte von ihr zu erfahren.

Diese Geschichte umspannt auf nicht einmal 200 Seiten über fünf Jahrzehnte und endet im Jahr 2012. Ganz klar, dass bei diesem Umfang vieles nur an der Oberfläche kratzt. Dennoch ist die Entwicklung sowohl der Insel als auch der Bewohner von den frühen 60er Jahren bis ins Jahr 2012 sehr gut dargestellt. Bereits in den 90er Jahren ist das Mittelmeer tlw. überfischt und es kommen kaum mehr Thunfischschwärme in Katria an. Stattdessen Flüchtlinge auf maroden Booten, sowohl tot als auch lebendig, die das Leben Katrias für immer verändern. Ihre Insel wird zum Auffanglager, Touristen bleiben fern und Thunfische sowieso ... die Lebensgrundlage der Inselbewohner ist zerstört, doch niemand in der Welt draußen interessiert sich wirklich für ihre Sicht, für ihr Schicksal und wie es für sie weitergehen soll. All das erinnert - sicher nicht ungewollt - auch an Lampedusa.

"Während Nora beobachtete, wie die Flüchtlinge das Schnellboot verließen, musste sie daran denken, dass die Insel zu einer Brücke geworden war. Einer Brücke zwischen zwei Welten, einer Brücke, die aber mitten im Nichts auseinandergebrochen war, weder Anfang noch Ende hatte und nirgendwohin führte..."

Fazit:
Für mich ein echtes Lese-Highlight, sowohl inhaltlich wie auch besonders wegen der wunderbaren Sprache. Ein sehr lesenswertes Buch mit vielen Facetten, welches noch lange nachklingt. Daher eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 09.08.2023

Ein sehr guter Krimi, aber definitiv kein Thriller

Die letzte Nacht
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Die Kinderärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird in einer dramatischen Nacht in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta an ihre schlimmsten Stunden vor fünfzehn Jahren erinnert, als die ...

Die Kinderärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird in einer dramatischen Nacht in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta an ihre schlimmsten Stunden vor fünfzehn Jahren erinnert, als die junge Dani Cooper schwerverletzt eingeliefert wird. Sie flüstert Sara mit ihren letzten Worten zu, was ihr angetan wurde und nimmt ihr das Versprechen ab, den Täter aufzuhalten und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Als es drei Jahre später zum Prozess gegen Tommy McAllister kommt, könnte Sara's Zeugenaussage die entscheidende Wendung bringen, doch Tommys Eltern - ebenfalls angesehene Ärzte und Sara aus der gemeinsamen Vergangenheit wohlbekannt - sind reich und haben viel Einfluss. Da die Beweise nicht ausreichen, bleibt Sara nichts anderes übrig, als mit ihrem Verlobten - GBI Special Agent Will Trent und dessen Partnerin Faith Mitchell - tiefer zu graben und sich ihren finsteren Dämonen zu stellen, um ihr Versprechen an Dani Cooper einlösen zu können.

Was mir gut gefallen hat:
Für mich ist es der erste Roman von Karin Slaughter. Ich kenne daher die Vorgeschichte von Sara Linton und Will Trent nicht, die aus nun elf Bänden der "Georgia-Reihe" besteht. Trotzdem bin ich mühelos mitgekommen, da die Wissenslücken zur Vorgeschichte von Sara und Will im vorliegenden Buch clever geschlossen werden. Die Hauptprotagonisten haben interessante Ecken und Kanten (und davon nicht wenige) und waren mir schnell sympathisch,
so dass ich mich gut in sie einfühlen und mitfühlen konnte. Gerade die persönlichen Interaktionen und Verbindungen mit- und untereinander gefiel mir gut (wenngleich ich es tlw. etwas übertrieben fand, wenn es um Faith als kontrollliebende Löwenmutter ging).
Der Fall war gut aufgebaut und logisch strukturiert, ein Puzzle-Teil nach dem anderen wurde hinzugefügt, bis man das Gesamtbild erkennen konnte.

Was mir weniger gefallen hat:
Eins habe ich wirklich vermisst: SPANNUNG! Das vielversprechende Cover verspricht hier einen Thriller, doch ein Thriller lebt von Action, von dicht aufeinander folgenden nervenzerfetzenden Situationen. Das ist bei diesem Buch leider einfach nicht der Fall! Es ist ein (sehr guter) Krimi, der Stück für Stück in einer Aneinanderreihung endlos langer Diagloge bereits geschehene Taten und einen aktuellen Fall aufdröselt, um den Tätern das Handwerk zu legen. Will und Faith tun nichts anderes, als (hauptsächlich) miteinander und zwischendurch mit einem Angehörigen eines Opfers, einer weiteren Betroffenen und mehreren Verdächtigen zu reden. Mit Ausnahme der dramatischen Einstiegsszene in der Notaufnahme flackert erst wieder ab Seite 450 etwas Spannung auf, als Will und Jeremy in der Bar auf den V-Club treffen, doch auch hier: Spannung Fehlanzeige. Das Finale war durchaus smart und überraschend, doch auch hier hatte ich nicht das Gefühl, es vor Spannung kaum mehr auszuhalten.
Die Thematik Vergewaltigung, Gewalt gegenüber Frauen, Incel und Me-too ist natürlich aktuell wie nie und wird hier gut transportiert.

Fazit:
Ein solider Krimi - zweifellos sehr gut geschrieben incl. einem gewollt-hardboiled Touch sowie interessanten Charakteren - aber eben mit enormen Längen, teilweise ermüdenden Dialogen und kaum Action, welcher erst im letzten Fünftel langsam an Fahrt aufnimmt. Treue Fans der Autorin kommen auch hier sicher wieder voll auf ihre Kosten. Die Kriterien für einen Thriller erfüllt dieses Buch meiner Meinung nach aber nicht.

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