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Veröffentlicht am 04.08.2021

Janine Adomeit - Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen

Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen
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Das kleine Städtchen Villrath florierte wunderbar, dank seiner Heilquelle lockte es Besucher von nah und fern an. Doch dann kam vor 17 Jahren nachts ein Erdbeben und die Quelle versiegte. Mit ihr auch ...

Das kleine Städtchen Villrath florierte wunderbar, dank seiner Heilquelle lockte es Besucher von nah und fern an. Doch dann kam vor 17 Jahren nachts ein Erdbeben und die Quelle versiegte. Mit ihr auch der Geldfluss und zunehmend ging es bergab. Bauarbeiten an der nahegelegenen Bahntrasse befördern jetzt unerwartet einen neuen Zugang zu dem heilenden Wasser hervor. Bei den Bewohnern weckt dies hohe Erwartungen: der Bürgermeister will wieder Glanz in seiner Stadt sehen; Vera will die heruntergekommene Kneipe gegen einen Friseursalon eintauschen und den feinen Damen die Haare legen; der alte Kamps wünscht sich einfach nur Ordnung und Sauberkeit zurück und dass jemand etwas gegen die Diebesbanden tut, die sich des nächstens herumtreiben. Johannes ist zu jung, um sich an die alten Zeiten zu erinnern, der Schüler träumt nur von einem eigenen Motorrad und davon, dass ihn seine Mutter und die Lehrer in Ruhe lassen. Kann das kleine Rinnsal die großen Erwartungen erfüllen?

Janine Adomeit fängt in ihrem Debütroman das Kleinstadtleben ein, ein Leben, in dem die Erinnerung an die vergangene, einstmals glanzvolle Zeit der einzige Lichtstrahl im Alltag ist. Kleine Menschen mit bescheidenen Träumen, die doch eigentlich gar nicht zu viel vom Leben erwarten und doch auch immer wieder von selbigem enttäuscht werden. Die Chance tut sich auf, sie wollen sie packen, doch wie ein glitschiger Aal flutscht sie ihnen durch die Hände.

Vera war die letzte Nixe, die die Stadt repräsentieren durfte. Doch ihre Amtszeit wurde jäh verkürzt und nun hofft sie auf die zweite Möglichkeit im Paillettenkostüm zu repräsentieren. Auch aus ihrem erlernten Beruf als Friseurin konnte sie nichts machen, stattdessen führt sie nach der Scheidung und dem Umzug der Mutter ins Altenheim deren Kneipe weiter, wo sich der Bodensatz der Stadt allabendlich versammelt. Mit der neuen Quelle keimt die Hoffnung, das alte Haus verkaufen und einen Neustart wagen zu können. Ihr Sohn Johannes ist schon im ersten Nebenjob gescheitert, zu langsam ist er beim Einräumen der Supermarktregale, doch dann trifft er einen Lumpensammler, der ihm für seine Hilfe nicht nur das lange gewünscht Motorrad in Aussicht stellt, sondern auch noch cool und so ganz anders ist als die anderen Erwachsenen. Auch seine Träume scheinen plötzlich in greifbarer Nähe.

Der alte Kamps kann nur noch in der Erinnerung leben, seit seine Angelika verstorben ist, hält er sich mental gerade so über Wasser, beobachtet aber, wie der Ort langsam verfällt. Ausgerechnet in den Jugendlichen aus dem Umweltschutzcamp, die gegen die Bahntrasse protestieren, findet er plötzlich Gleichgesinnte, doch diese schwache Verbindung kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Zeit - und auch die von Villrath - vorbei ist.

So schrullig die Figuren sind, mag man sich doch gerne leiden und wünscht ihnen eigentlich das bescheidene Glück, von dem sie träumen. Sie verlangen gar nicht viel vom Leben, kein großer Reichtum oder Ruhm, aber eben ihr kleines Quäntchen, das ihnen zusteht. Überzeugend gelingt es der Autorin, dies einzufangen. Ein Roman mitten aus dem Leben, eine kurze Phase von Hoffnung und Erwartung, bevor sich vielleicht wieder der dunkle Schleier über alles legt und der Verfall doch unaufhaltsam weitergeht.

Ein großer Roman von der Hoffnung auf das kleine Glück.

Veröffentlicht am 01.08.2021

Alex Michaelides - Die verschwundenen Studentinnen

Die verschwundenen Studentinnen
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Der Anruf ihrer verstört wirkenden Nichte Zoe bringt die Psychotherapeutin Mariana zurück an ihr ehemaliges College in Cambridge. Tara, Zoes Freundin ist bestialisch ermordet worden. Zoe musste bereits ...

Der Anruf ihrer verstört wirkenden Nichte Zoe bringt die Psychotherapeutin Mariana zurück an ihr ehemaliges College in Cambridge. Tara, Zoes Freundin ist bestialisch ermordet worden. Zoe musste bereits als Kind den Verlust ihrer Eltern ertragen, nur wenige Monate zuvor kam Marianas Mann bei einem Schwimmunfall ums Leben; ein Trauerfall, den beide noch nicht ganz verarbeitet hatten. Doch nun geht die Angst in der berühmten Universitätsstadt um. Ein exzentrischer Professor lenkt Marianas Aufmerksamkeit auf sich, nicht nur, weil Zoe ausgesprochen negativ auf ihn reagiert, sondern auch, weil er fast guruhaft hübsche Studentinnen um sich schart, eine davon war Tara. Als eine zweite junge Frau aus dem erlesenen Zirkel ebenfalls ermordet wird, ist für Mariana die Schuld des Dozenten offenkundig. Nur leider steht sie mit ihrer Meinung ziemlich alleine da.

Vor zwei Jahren hat Alex Michaelides mit seinem Debütroman „Die stumme Patientin“ bereits für Aufsehen gesorgt. Sein zweiter Thriller – mit bemerkenswert ähnlichem Cover ausgestattet – ist für mich sogar noch ein Stück überzeugender. Wieder steht im Zentrum die Frage danach, was einen Menschen zu einem brutalen Mörder macht. Die Erfahrungen des Autors aus seiner Arbeit als Psychiater waren sicherlich auch dieses Mal entscheidend für die Gestaltung der Figuren. Die Hauptfigur ist wieder vom Fach und nähert sich dem Täter entsprechend weniger aus polizeilicher denn aus psychoanalytischer Sicht und zeigt einmal mehr, wie anfällig der Mensch doch sein kann, für scheinbar perfekt zusammenpassende Puzzleteilchen.

Als geübter Krimi- und Thrillerleser ist man naturgemäß skeptisch, wenn einem der Täter so klar auf dem Serviertablett präsentiert wird. Zwar scheint der beliebte Professor durchaus einiges zu verbergen zu haben und die Spuren, die auf ihn hindeuten, sind überzeugend platziert, Alex Michaelides liefert jedoch auch noch einige Nebenfiguren, die schnell stutzen lassen – der aufdringliche Doktorand Fred, der junge Portier Morris, vielleicht sogar der Forensiker Julian – und denen man im Laufe der Handlung schlichtweg alles zutraut. Geschickt werden Fährten gelegt, die einem auf Abwege bringen, bevor man – ebenso wie Mariana - vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen kann und sich verrennt.

Spannend und temporeich erzählt mit einer starken Protagonistin, die die Handlung trägt und den Leser in ihrer Neugier auf den Fall schnell mitreißen kann.

Veröffentlicht am 28.07.2021

Katrine Engberg - Das Nest

Das Nest
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Ein Teenager, der am Wochenende nicht nach Hause kommt. Grund zur Beunruhigung oder völlig normales Verhalten? Oscars Eltern sind besorgt, zwei Jahre zuvor waren die Inhaber eines erfolgreichen Auktionshauses ...

Ein Teenager, der am Wochenende nicht nach Hause kommt. Grund zur Beunruhigung oder völlig normales Verhalten? Oscars Eltern sind besorgt, zwei Jahre zuvor waren die Inhaber eines erfolgreichen Auktionshauses schon einmal bedroht worden und ein mysteriöser Brief lässt sich nur schwer deuten. Jeppe Kørner und Anette Werner begeben sich auf die Suche, unsicher, was sie von den Eltern mit seltsamen Erziehungsansichten halten sollen. Als in einer Müllverbrennungsanlage eine Leiche auftaucht, befürchten sie Schlimmstes, doch der Fall ist viel komplexer als sie anfangs vermuten.

Bereits zum vierten Mal lässt Katrine Engberg ihr Ermittlerduo in Kopenhagen auf Verbrecherjagd gehen. Neben dem undurchschaubaren Fall geraten beide auch in emotionale Verwirrungen und stellen ihre Beziehungen in Frage. Mit jedem Band gewinnen Jeppe und Anette an Facetten hinzu ohne dabei in bekannte und schon abgedroschene Schemata zu passen. Menschliche Schwächen lassen sie authentisch wirken ohne dabei auf Kosten der Spannung zu gehen.

Der Fall wird ist clever konstruiert und schon zu Beginn schickt sie die Leser geschickt auf eine falsche Fährte, die sich zwar rasch auflöst, aber nur um durch weitere Fragezeichen ersetzt zu werden. Es ist nicht das eine Motiv, die eine Tat, die die Geschichte antreibt, es sind niedere menschliche Instinkte, Ursünden, denen gleich mehrere Figuren verfallen und denen sie sich ergeben, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, wer die Opfer ihrer Taten sein werden.

Es braucht keine detaillierten Beschreibungen von brutaler Gewalt, um das alltägliche Grauen, das sich hinter hübschen Fassaden versteckt, zu visualisieren. Katrine Engberg nutzt das alltägliche Grauen, das so naheliegt und von dem man sich kaum distanzieren kann, um die Spannung zu erzeugen und den Leser zu erschüttern. Dies gelingt ihr auch in diesem Band fraglos hervorragend.

Veröffentlicht am 28.07.2021

Daniela Krien - Der Brand

Der Brand
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Viele Jahrzehnte schon gehen Rahel und Peter gemeinsame Wege, doch nachdem die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, haben sie immer weniger gemeinsam. Rahel hofft, im Urlaub wieder zueinander zu finden. ...

Viele Jahrzehnte schon gehen Rahel und Peter gemeinsame Wege, doch nachdem die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, haben sie immer weniger gemeinsam. Rahel hofft, im Urlaub wieder zueinander zu finden. Drei Wochen werden sie auf dem Bauernhof eines befreundeten Paares verbringen und sich dort um alles kümmern, während diese in einer Reha sind. Sie schätzen und respektieren sich, aber die Liebe, die einmal da war, scheint sich verflüchtigt zu haben, in getrennten Betten liegen sie wach, sinnieren über sich, ihr Leben, ihren jeweiligen Beruf und natürlich auch darüber, was die Pandemie so verändert. Mal scheinen sie sich anzunähern, dann jedoch driften sie so weit auseinander, dass das Hand Reichen unmöglich erscheint.

Daniela Krien greift in ihrem Roman ein schwieriges Thema auf: wie geht man nach mehreren Jahrzehnten gemeinsamem Leben mit möglichen Rissen in der Beziehung um? Kann man jenseits der Mitte des Lebens nochmal neu beginnen, allein oder zu zweit, was ist wirklich wichtig, wenn plötzlich gleich von mehreren Seiten Bedrohungen aufziehen? Rahel wie auch Peter sind reflektierte Akademiker, die sich nicht von ihren Emotionen leiten lassen, im Gegenteil, diese scheinen oftmals gar nicht zugänglich, doch nicht auf alle Fragen des Lebens gibt es rationale Antworten.

Als Leser ist man bei Rahel, die als Psychoanalytikerin täglich ihren Klientel hilft klar zu sehen, Konflikte zu erkennen und zu lösen, in ihrer eigenen Beziehung, aber auch jener zu ihrer Tochter, ebenso hilflos dasteht, wie diejenigen, die bei ihr Hilfe suchen. Sie liebt Peter immer noch, ist sicher aber unsicher, ob er das genauso empfindet. Ihr Körper sendet Signale aus, doch sie kann sie nicht lesen und so auch kaum Antworten darauf finden, wo sie selbst steht.

Der Alltag auf dem Bauernhof ist konkret, die Pflanzen müssen gegossen, die Tiere versorgt werden, so ganz anders als ihr theoretisches Dasein Zuhause. Aber der idyllische, einfache Hintergrund liefert auch Ablenkung und Flucht, so dass sie kaum dazu kommen das anzusprechen, was besprochen werden muss. Es ist ein zögerlicher Tanz, keiner von beiden will verletzen oder Grenzen übertreten, doch genau das Unausgesprochene verursache gleichermaßen Schmerz.

Die Autorin fängt die widersprüchlichen Empfindungen, die feinen Wahrnehmungen und Verletzlichkeiten der Figuren überzeugend ein. Gerade die Unfähigkeit die großen Gefühle anzusprechen setzt sie so überzeugend um. Rahel wie auch Peter wirken authentisch, ebenso ihre Konflikte. Eine detailgenaue Studie menschlicher Empfindungen an einem möglichen Wendepunkt im Leben.

Veröffentlicht am 28.07.2021

Petros Markaris - Das Lied des Geldes

Das Lied des Geldes
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Lambros Sissis, bester Freund von Kommissar Charitos, kann das Elend im Obdachlosenheim nicht mehr mitansehen. Seine politischen Ideale sind gestorben, es bleibt nur noch die Linke, die seiner Ansicht ...

Lambros Sissis, bester Freund von Kommissar Charitos, kann das Elend im Obdachlosenheim nicht mehr mitansehen. Seine politischen Ideale sind gestorben, es bleibt nur noch die Linke, die seiner Ansicht nach auf ganzer Breite versagt hat, zu Grabe zu tragen. Er organisiert einen Trauerzug samt Sarg durch Athen, was ihm entsprechende Aufmerksamkeit einbringt. Die Armen verbünden sich, nicht mehr nur die Obdachlosen am unteren Rand der Gesellschaft, auch die Flüchtlinge und die ehemalige Mittelschicht leiden und schließen sich der neuen Protestbewegung an. Zu Charitos‘ Schrecken sind auch seine Frau Adriani und Tochter Katerina aktiv im Kampf gegen die Kapitalisten. Und diese müssen sich auch ganz konkret fürchten, denn ein Mörder scheint es gezielt auf ausländische Investoren abgesehen haben. Erst ein saudi-arabischer Bauunternehmer, dann ein chinesischer Unternehmer werden heimtückisch in eine Falle gelockt und erstochen. Der Beginn einer Serie? Offenkundig, denn stets wird am Tatort auch ein Lied vernommen, ein Lied, das von Geld und Gier erzählt.

Immer wieder hat Petros Markaris in seiner Reihe um den Athener Kommissar Kostas Charitos gesellschaftliche Entwicklungen aufgegriffen und sich deutlich positioniert. Wurde im vorausgehenden Band die Heuchelei der griechischen Elite kritisiert, greift er nun in „Das Lied des Geldes“ sowohl die drängende Armut, die nach der Finanzkrise weite Teile der Bevölkerung erfasst hat, auf und thematisiert, wie die Not von geschäftstüchtigen, ausländischen Investoren ausgenutzt und dadurch noch weiter verschlimmert wird.

Es braucht nicht viel, um Lambros Sissis‘ Resignation nachvollziehen zu können. Das Leid unmittelbar vor Augen, ohne jede Hoffnung auf Besserung, kann man nur noch mit einem gewissen Zynismus reagieren, wenn man nicht vollends verzweifeln möchte. Dass er schnell aus allerlei Richtungen Unterstützer findet, ist nicht verwunderlich, sondern verstärkt eher das Gefühl von Machtlosigkeit ob der schon seit Jahren andauernden Krise. Der friedliche Protest glückt und gewinnt die Sympathien. Dass dies einigen jedoch vielleicht zu wenig ist, kann man menschlich nachvollziehen.

Geschickt wird so der Bogen zur eigentlichen Krimihandlung geschlagen, deren Opfer zu der Riege der Profiteure der Notlage gehören und die sich auf Kosten der Schwächsten bereichern. Auch wenn Charitos im Sinne der juristischen Gerechtigkeit unterwegs ist, bleibt die moralische eine gänzlich andere Frage.

Markaris erzählt nicht die nervenzerreißenden Geschichten, sondern jene zutiefst menschlich motivierten, die mit langsamerem Tempo jedoch deutlich mehr Tiefgang erreichen und die Finger in die Wunden legen, wo es weh tut. Seine authentischen Figuren sind die einfachen Menschen, die trotz mancher Widrigkeit versuchen, den Alltag zu meistern und ein rechtschaffenes Leben zu führen, bis ihnen das jedoch nicht mehr gelingt. Die Täter sind oft die eigentlichen Opfer und so zeigt auch „Das Lied des Geldes“, dass die Realität komplexer ist als nur schwarz und weiß und dass die Frage nach dem, was richtig und was falsch ist, durchaus moralisch herausfordernd werden kann.

Einmal mehr ein aufrüttelnder Roman, der Spannung mit Sozialkritik verbindet.