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Veröffentlicht am 31.10.2020

Raffaella Romagnolo - Dieses ganze Leben

Dieses ganze Leben
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Paola Di Giorgi ist ein typischer Teenager, sie findet sich hässlich, übergewichtig und mit einem Pferdegesicht. Mit ihrer Mutter liegt sie im Dauerclinch und mit den Mädchen aus der Schule kann sie auch ...

Paola Di Giorgi ist ein typischer Teenager, sie findet sich hässlich, übergewichtig und mit einem Pferdegesicht. Mit ihrer Mutter liegt sie im Dauerclinch und mit den Mädchen aus der Schule kann sie auch nichts anfangen, weshalb sie einfach aufhört, mit ihnen zu reden. Nur ihr jüngerer Bruder, Riccardo genannt Richi, versteht sie, dabei versteht er eigentlich nicht so viel mit seiner Behinderung. Bei ihren täglichen Spaziergängen gehen sie auf die Suche nach dem wahren Leben, das sie in ihrer Villa nicht finden. So landen sie auch in der Margeriten-Siedlung, die Costa Costruzioni, die Firma ihrer Eltern, gebaut hat. Dort machen sie mit den Brüdern Antonio und Filippo nicht nur neue Bekanntschaften, sondern entdecken auch ungeahnte Geheimnisse ihrer Familie.

Raffaella Romagnolo hat einen coming-of-age Roman über ein wütendes Mädchen verfasst und greift dabei eine ganze Reihe für Jugendliche essentielle Themen auf: Schönheitsideale, Akzeptanz von sich selbst, Anderssein, Erwartungen der Eltern, aber auch gesellschaftlich relevante Fragen wie der Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Paola ist nicht immer einfach auszuhalten, zugleich tut einem das Mädchen aber auch leid, unverstanden und unsicher wie sie ist.

Lakonisch und idiosynkratisch - so das Urteil eines Psychologen, zu welchem Mutter Di Giorgi ihre Tochter wegen ihres selbstgewählten Mutismus zwingt. Zwischen den Generationen herrscht Schweigen, zu verstockt sind beide Seiten, was der Teenager jedoch nicht sehen kann, ist, dass auch die Mutter Sorgen mit sich trägt, die auch durch ein wohlhabendes Leben in Villa und scheinbar ohne beruflichen Stress nicht verschwinden, sondern schon seit Jahrzehnten belasten.

Richi ist nicht der Junge, den die Eltern sich gewünscht hatten, mit seiner Behinderung erfüllt er nicht die Erwartungen. In Filippo findet er unerwartet einen Freund, der in ihm schlicht den Jungen sieht, der er ist und ihn nicht über Äußerlichkeiten definiert. Die Eltern, insbesondere die Mutter, erscheinen grausam in ihrer Haltung, Paolas Unverständnis ist mehr als nachvollziehbar. Im Laufe der Handlung entwickelt sich jedoch ein differenzierteres Bild, denn so simples wie es zunächst scheint ist die Lage nicht.

Ein ganzes Leben - wann ist es vollständig, wann ist es wertvoll, wie geht man mit dem um, was einem in die Wiege gelegt wurde und mit der Familie, in die man hineingeboren worden ist? Ein Roman über das Erwachsenwerden, aber auch über die Fähigkeit Empathie zu zeigen und über den eigenen Schatten zu springen. Nicht immer leicht zu lesen, aber man entwickelt immer mehr Sympathien für das wütende Mädchen, das lange Zeit nicht aus seiner Haut kann und eigentlich doch nur ein wenig Zuneigung bräuchte.

Veröffentlicht am 27.10.2020

Allie Reynolds - Frostgrab

Frostgrab
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Zehn Jahre ist es her, dass Milla den Winter in den französischen Alpen verbracht hat, um sich auf einen wichtigen Snowboard Wettkampf vorzubereiten. Jetzt erhält sie eine Einladung zum Wiedersehen mit ...

Zehn Jahre ist es her, dass Milla den Winter in den französischen Alpen verbracht hat, um sich auf einen wichtigen Snowboard Wettkampf vorzubereiten. Jetzt erhält sie eine Einladung zum Wiedersehen mit der alten Clique. Sie ist sich nicht sicher, ob sie das wirklich möchte, das Ende ihrer Zeit dort war alles andere als erfreulich. Die Neugier ist jedoch stärker, weshalb sie sich mit Curtis, Heather, Brent und Dale auf eine einsame Hütte begibt, denn die Saison hat noch nicht begonnen. Doch bald schon geschehen seltsame Dinge, die sich die fünf nicht erklären können. Doch nicht nur das ungute Gefühl, dass sie nicht alleine sind, drückt auf die Stimmung, sondern auch die Frage, was damals mit Saskia, Curtis‘ Schwester, geschah, die seither spurlos verschwunden ist.

Allie Reynolds Thriller erzählt parallel die Ereignisse der Gegenwart und Millas Erinnerungen an den Winter ein Jahrzehnt zuvor. Vieles, was die Figuren zunächst von sich geben, bleibt vorerst kryptisch und unverständlich, erst als sich mehr und mehr Puzzlesteinchen in das Bild einfügen, ergibt ihr Verhalten einen Sinn. Doch dies beantwortet noch nicht die Frage, wer hinter der ganzen Aktion steckt und ihnen offenbar Böses will. Der Autorin gelingt es so, die Spannung bis zuletzt hoch zu halten und dann eine saubere und glaubwürdige Lösung zu präsentieren.

Es ist nicht ganz einfach, Sympathien für die Figuren zu entwickeln. Die junge Milla ist zerfressen vom Ehrgeiz und steht ihrer Konkurrentin Saskia damit in nichts nach. Gegenseitig bekämpfen sie sich mit allerlei fieser Tricks, nur um als Siegerin auf dem Podest zu stehen. Auch auf Gefühle jenseits der Ski-Bretter nehmen sie dabei keinerlei Rücksicht. Die bunt gemischte Gemeinschaft lebt das sorglose Dasein der Jugend mit viel Alkohol, Party und wechselnden Bettpartnern. Die Tage werden auf der Piste verbracht und so richtige Sorgen scheinen sie alle nicht zu haben, deshalb machen sie sich selbst welche.

Auch zehn Jahre später werden sie nicht wirklich sympathischer, alle haben offenbar Geheimnisse im Gepäck und sind unfähig einander offen und freundschaftlich zu begegnen. All dies tut der Spannung und Unterhaltung jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil, fast ein wenig schadenfroh sieht man mit an, wie einem nach dem anderen böse mitgespielt wird. Die verzögerte Erzählweise durch die Rückblicke nehmen immer wieder Tempo raus, liefern dafür aber immer weitere Deutungspunkte über den augenscheinlich vorhandenen geheimen Gegenspieler.

Es wird sehr viel über Snowboarden und irgendwelche Sprünge gesprochen, die mir leider gar nichts sagten und deren Schwierigkeit und Raffinesse ich auch nicht im Geringsten einschätzen könnte. Über diese Passagen lässt sich jedoch locker hinweglesen. Insgesamt eine fesselnde Angelegenheit, die wunderbar zum feucht-kalten Herbst oder Winter passt und bestens unterhält.

Veröffentlicht am 25.10.2020

John le Carré - Federball

Federball
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Viele Jahrzehnte hat Nat für seinen Dienst wertvolle Arbeit im Ausland geleistet, Quellen geführt und dazu beigetragen, dass die Lage zwischen Ost und West nicht eskaliert. Seine Frau Prue hat derweil ...

Viele Jahrzehnte hat Nat für seinen Dienst wertvolle Arbeit im Ausland geleistet, Quellen geführt und dazu beigetragen, dass die Lage zwischen Ost und West nicht eskaliert. Seine Frau Prue hat derweil in England die Stellung gehalten, die gemeinsame Tochter großgezogen und sich eine Karriere als Anwältin aufgebaut. Nach seiner Heimkehr ins Mutterland hat Nat auf einen renommierten Posten in der Russlandabteilung gesetzt, aber man schiebt ihn in die schon aufgegebene Unterabteilung „Oase“ ab, ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht. Dort trifft er auf Florence, eine etwas spröde aber ausgesprochen begabte junge Agentin, die bald auch schon mit einer herausragenden Operation ankommt, die jedoch abgebügelt wird. So sehr ihn seine berufliche Situation anödet, so gut läuft es privat, in Ed hat er auch unerwartet einen ebenbürtigen Badmintongegner gefunden. Auch wenn der junge Mann bisweilen seltsame Züge aufweist, fühlt Nat sich doch auch geschmeichelt, ihm auf dem Court noch immer das Wasser reichen zu können. Der Gedanke, dass dies seine Sinne etwas trügen mag, kommt ihm derweil jedoch fatalerweise nicht.

John le Carré schreibt einmal mehr über das, was er am besten kann: Geheimagent, Doppelagenten, Quellen Anwerbung und Aufrechterhaltung, geheime Treffen mit anderen Diensten und dabei einmal mehr ein Protagonist, der zwar treu der Krone gegenüber ist, aber nicht unbedingt jede Vorschrift seines Dienstes billigt und befolgt. Der Roman ist von Beginn an als beichtender Rückblick konzipiert, so dass einem als Leser schnell klar ist, welche Figuren nicht so harmlos sind, wie sie zunächst erscheinen mögen, es bleibt jedoch die spannende Frage, was sie tun werden und vor allem wie sie die Welt der Agenten aufmischen.

Auch im inzwischen sehr fortgeschrittenen Alter hat le Carré kein bisschen nachgelassen und einen spannenden Spionageroman nach recht klassischen Muster, aber mit brandaktueller Thematik vorgelegt. Das globale Mächtegleichgewicht hat sich verschoben und sein Heimatland ist dank des Brexit in eine durchaus prekäre Sicherheitslage geraten. Der Austritt aus der Europäischen Union und damit verbunden die Abkehr von den kontinentalen Freunden stellt das Land vor die Aufgabe, neue Allianzen einzugehen bzw. alte festzuzurren. Unter einem Präsident Trumpf durch aus ein zweischneidiges Vorhaben, das nicht von allen mit Begeisterung aufgenommen wird, schon gar nicht von einem ehemaligen Agenten, der den Kalten Krieg erlebt hat und bekennender Europäer ist.

Vor diesem Hintergrund lässt er seinen alternden Agenten Nat eine neue Aufgabe übernehmen, deutlich unter dem Spektrum, das er bis dato auszufüllen hatte. Man kann ihm Befugnisse wegnehmen, aber sein Spürsinn ist gut wie eh und je und so kann er auch dank alter Kontakte die unglaublichen Pläne aufdecken, die ihm keine Alternative lassen, als selbst aktiv zu handeln und beherzt das zu tun, was für seine Heimat am besten ist.

Kein besonders charmantes Bild seiner Heimat und seines ehemaligen Arbeitgebers zeichnet le Carré, aber wieder einmal hat man keine Zweifel daran, dass all das, was er als Fiktion verpackt genauso auch morgen in den Zeitungen stehen könnte: korrupte Beamte, die zweifelhafte Allianzen eingehen und denen die eigenen Schäfchen näher sind als das Wohl des Landes. Vielleicht nicht ganz so stark wie seine Romane um George Smiley, aber dennoch restlos überzeugend.

Veröffentlicht am 23.10.2020

Ayad Akhtar - Homeland Elegien

Homeland Elegien
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Elegie, die – ein sehnsuchtsvolles Klagelied, das ist es, was Ayad Akhtar auf sein Heimatland USA schreibt. Als Kind pakistanischer Eltern in Amerika geboren und aufgewachsen, sieht er sich zunehmend damit ...

Elegie, die – ein sehnsuchtsvolles Klagelied, das ist es, was Ayad Akhtar auf sein Heimatland USA schreibt. Als Kind pakistanischer Eltern in Amerika geboren und aufgewachsen, sieht er sich zunehmend damit konfrontiert, als Ausländer wahrgenommen zu werden und als ungläubiger Muslim für radikale Islamisten sprechen zu sollen. Die gesellschaftliche Spaltung erlebt er auch in seiner Familie, das einst mit offenen Armen empfangende Einwandererland grenzt immer mehr aus und selbst diejenigen, die schon Jahrzehnte im Land sind und sich eine Existenz aufgebaut haben, beginnen zu zweifeln. Das Land ist tief gespalten, wie auch die Familie des Erzählers, deren Geschichte er erzählt, wobei sich offenbar Fakt und Fiktion locker vermischen, eine eindeutige Antwort auf diese Frage, was wahr und was erdacht ist, bleibt der Autor nämlich schuldig.

Ayad Akhtar ist kein Unbekannter, 2013 erhielt er den Pulitzer Preis für sein Bühnenstück „Disgraced“, in welchem er ebenfalls einen innerlich zerrissenen Charakter in den Mittelpunkt stellt. Sein aktuelles Buch, irgendwo zwischen Memoiren und Roman anzusiedeln, greift die Thematik wieder auf und gibt einen Einblick in die Gedanken- und Erlebniswelt der zweiten Generation von Einwanderern, deren Welt durch die globalen Ereignisse in nachhaltiger Weise erschüttert wird.

Vielfach verläuft der Riss, den der Autor im Land wahrnimmt, auch zwischen ihm selbst und seinem Vater. Jener erfolgreiche Arzt, der den amerikanischen Traum verwirklicht hat und dessen Sohn sich den schönen, aber brotlosen Künsten verschrieben hat. Der Vater 2016 als glühender Anhänger Donald Trumps, seinem einstigen Patienten, der Sohn, der sich derweil um die väterliche mentale Gesundheit sorgt. Aber auch die Entwicklungen mit Mittleren Osten bleiben nicht unbemerkt: die Radikalisierung der Verwandten, deren Abwendung von den USA, die sie nach ihrem Empfinden im Stich gelassen und das Land im Chaos zurückgelassen haben, fordert den Familienfrieden heraus und führen schließlich zur Erkenntnis:

„Wir Muslime lebten in einem christlichen Land, so sahen wir es, jedenfalls in den Familien, die ich kannte. Wir lebten in einem christlichen Land, aber wir verstanden das Christentum nicht. Wir verstanden und respektierten es nicht.“

Viele Jahre des Zusammenlebens haben zu immer mehr Entfremdung geführt, zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch in den Betroffenen selbst. Der ansteigende Rassismus und offene Ablehnung tragen ihren Teil bei.

Ganz unterschiedliche Aspekte greift Akhtar auf, mal persönlicher, mal essayistischer. Sein Denken ist uramerikanisch, leicht kann er sich mit den großen Denkern identifizieren, gehört damit aber immer mehr einer intellektuellen Minderheit an. Seit 9/11 allerdings ist für ihn der Traum ein Stück weit ausgeträumt, er wird nie ankommen in seinem Heimatland, das sich von ihm entfremdet und dessen großer Verheißung er nachtrauert.

Kurz vor den Wahlen eine schmerzhafte Analyse des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, was jedoch immer auch die Möglichkeit des grandiosen Scheiterns eingeschlossen hat.

Veröffentlicht am 21.10.2020

Don DeLillo - Die Stille

Die Stille
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Super Bowl Sonntag im Jahr 2022. Jim Kripps und Tessa Berens sitzen im Flieger aus Paris. Der Langstreckenflug geht an die Substanz, minutiös notiert Jim die ganzen Angaben, die auf dem Bildschirm über ...

Super Bowl Sonntag im Jahr 2022. Jim Kripps und Tessa Berens sitzen im Flieger aus Paris. Der Langstreckenflug geht an die Substanz, minutiös notiert Jim die ganzen Angaben, die auf dem Bildschirm über seinem Kopf erscheinen, auch wenn diese in Französisch sind und er nicht alles versteht. In New York wollen sie gemeinsam mit Freunden das Spiel des Jahres sehen. Diane Lucas und Max Stenner haben schon alles für den Fernsehabend vorbereitet, auch Martin Dekker, ein junger Physiklehrer und Dianes ehemaliger Schüler, ist schon da. Gerade als das Spiel begonnen hat, kommt es jedoch zu einem Stromausfall, der nicht nur Diane und Max‘ Wohnung, sondern ganz New York betrifft. Derweil kommt es auf dem Flughafen zu einer Notlandung, bei der ihre Gäste verletzt werden, die daher zuerst in ein Krankenhaus gebracht werden müssen.

Don DeLillo hat seinen Roman vor Ausbruch der globalen Pandemie beendet, nichtsdestotrotz finden sich durchaus einige Parallelen, vor allem in der Atmosphäre, die geprägt ist von einer gewissen Endzeitstimmung und der Tatsache, dass sich die Figuren einer unkontrollierbaren Situation ausgeliefert sehen. Auch dass es nur sehr wenig Interaktion außerhalb des kleinen Figurenzirkels gibt, spiegelt ebenfalls sehr gut die Lockdown-Situation wieder, die weltweit Millionen, wenn nicht Milliarden zur Kontaktbeschränkung auf den engsten Familien- und Freundeskreis gezwungen hat.

„Die Stille“ bricht plötzlich über die Menschen herein, wirft nicht nur alle Pläne über den Haufen, sondern stellt viele Konzepte der Figuren infrage. Versucht Jim im Flieger noch alles detailreich zu notieren, um später nochmals darauf zurückblicken zu können und sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen zu müssen, sind seine Aufzeichnungen nach dem Crash einfach verloren. All die Mühe war umsonst und an das Ereignis selbst hat er gar keine Erinnerung. Mit einem Wimpernschlag wurde so die Gewissheit des Festhalten-Könnens zerstört.

Die Mitarbeiter im Krankenhaus haben alle Hände voll zu tun und funktionieren roboterartig. Warum Jim eine Wunde am Kopf hat, interessiert sie schon gar nicht mehr, jeder dort hat eine Geschichte zu erzählen, für die jedoch keine Zeit ist. Sie führen mechanisch die zugewiesenen Aufgaben aus und vermeiden das Philosophieren über die Gesamtlage; diese können sie ob ihrer Dimension ohnehin nicht erfassen.

In der Wohnung sieht Martin Dekker in Einsteins Theorie den ultimativen Referenzpunkt während Max noch amüsiert ist und die entstandene Leere mit Parodien der berühmt-berüchtigten Werbeclips des Super Bowl füllt. Die beiden könnten gedanklich kaum weiter auseinanderliegen, zeigen aber so die Spannbreite menschlicher Reaktionen auf eine Ausnahmesituation auf.

Endzeitszenarien haben mehrfach Eingang in DeLillos Romane gefunden, wie etwa ein Störfall in einer Chemiefabrik in „Weißes Rauschen“ oder das Leben nach der Welt, wie wir sie heute kennen, in „Zero K“. In seinem aktuellen Roman bleibt offen, was eigentlich geschehen und wie bedrohlich die Lage tatsächlich ist. Auch bietet er keine klare Deutung seines Textes an, viel Raum lässt er dem Leser selbst etwas aus dem Gelesenen zu machen. Ist es unser Verhältnis zur Technik, von der wir abhängiger sind als wir uns oft eingestehen wollen (und die wir schon lange nicht mehr verstehen – was sollen Jim all die Zahlen sagen und doch fliegt das Flugzeug)? An Martin zeigt er auch, wie die hohe Intelligenz und Bildung eher zur Verzweiflung führen, da die Gedanken in einen unkontrollierbaren Mahlstrom geraten und panisch versucht wird, das nicht Begreifbare zu erfassen. Andererseits auch das bewundernswert pragmatische Anpacke im Krankenhaus, manchmal ist es einfach die beste Lösung, das Naheliegende zu erledigen und mit Scheuklappen umherzugehen.

Don DeLillo gehört zweifelsfrei zu den besten zeitgenössischen Autoren der USA und unwillkürlich ist es ihm wieder einmal gelungen, die Stimmung der Stunde literarisch einzufangen.