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Veröffentlicht am 20.06.2019

Su Turhan – Die Siedlung: Sicher bist du nie

Die Siedlung – Sicher bist du nie
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Der Wohnraum der Zukunft: „Himmelhof“ könnte Vorbild für die durch Technik optimierte Wohnform werden. Von überall aus der Welt kommen Besuchergruppen, um sich ein Bild von der Siedlung bei Augsburg zu ...

Der Wohnraum der Zukunft: „Himmelhof“ könnte Vorbild für die durch Technik optimierte Wohnform werden. Von überall aus der Welt kommen Besuchergruppen, um sich ein Bild von der Siedlung bei Augsburg zu machen, wo selbstfahrende Fahrzeuge, per Spracheingabe agierende Smarthomes und ausgeklügelte Überwachungssysteme das Leben nicht nur angenehmer, sondern auch sicherer machen. Helen Jagdt und ihr Kollege Walter Fromm wollen sich als Gäste ebenfalls ein Bild vom Leben im Idyll machen. Aber eigentlich sind sie in geheimer Mission für die Kreuzer Holding unterwegs, die Adam Heise, dem Herrscher über die Siedlung, durch großzügige Geldgabe das Projekt erst ermöglichte. Neben den Meldungen über die fantastischen Errungenschaften treten nämlich auch eine Reihe von Gerüchten über seltsame Machenschaften, medizinische Experimente und das unerklärliche Verschwinden von Bewohnern an die Öffentlichkeit außerhalb von Himmelhof.

Su Turhan, erfolgreicher Regisseur und Autor, hat das klassische Science-Fiction Setting gewählt: eine von Technik gesteuerte Umgebung, die von einem größenwahnsinnigen Individuum überwacht und gelenkt wird. Neben den positiven Absichten wirken auch dunkle Abgründe, die jedoch tief im Untergrund verborgen sind und nie für die Öffentlichkeit gedacht waren. Eine vielversprechende Konzeption, die jedoch in der Umsetzung nicht ganz überzeugend gelungen ist.

Als Antagonisten stehen Adam Heise und Helen Jagdt – für meinen Geschmack eine etwas zu plakative telling name Anlage, aber das ist sicher Geschmackssache - im Zentrum der Handlung. Er der geniale Kopf hinter Himmelhof, sie die attraktive Verführerin, die ihm die Geheimnisse entlocken soll. Beide sind mir aber etwas zu wenig konsequent und unscharf angelegt; vor allem hätte ich mir von einer starken weiblichen Figur gewünscht, dass sie nicht ganz so dümmlich daherkommt, wie es bei Helen oft der Fall ist. Die anderen Figuren blieben leider völlig blass, weshalb man auch nur wenig Verbindung zu ihnen aufbauen konnte und ihr mysteriöses Verschwinden einem nicht so getroffen hat, wie es vermutlich intendiert war. Gut gefallen haben mir allerdings die Ideen für die Ausgestaltung der Smarthomes, vor allem die selbstputzenden Roboter hatten einen gewissen Charme. Die medizinische Forschung, die im Tunnelsystem unter der Siedlung durchgeführt wird, konnte mich leider gar nicht überzeugen, was vor allem daran lag, dass sie irgendwie nicht richtig zum Rest der Geschichte passen wollte. Sie blieb als Einzelaspekt immer etwas diffus und unmotiviert.

Der Plot hat durchaus Potenzial, aber irgendwie ist der Roman für mich holprig geblieben und nur teilweise plausibel und fesselnd.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Friedrich Ani – All die unbewohnten Zimmer

All die unbewohnten Zimmer
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Drei Schüsse aus einer Wohnung, eine Frau ist tot, Chaos bricht aus. Das K111 hat scheinbar einen einfachen Fall, trotz schwieriger Personalkonstellation, denn Fariza Nasri ist wieder da, die einst im ...

Drei Schüsse aus einer Wohnung, eine Frau ist tot, Chaos bricht aus. Das K111 hat scheinbar einen einfachen Fall, trotz schwieriger Personalkonstellation, denn Fariza Nasri ist wieder da, die einst im K112 unter Jakob Franck ermittelte und nun Polonius Fischer zugeteilt ist. Dann noch ein Mord, dieses Mal an einem Polizisten und Tabor Süden, Ex-Polizist und nun privater Detektiv, muss sich einmal mehr auf die Suche nach Vermissten machen. Derweil gerät die Polizei immer weiter unter Druck durch die Presse und die Zeugen wollen alle nichts gesehen haben und nichts wissen - die Lage ist schon kompliziert genug, da muss man sich nicht auch noch einmischen und die Ordnungsmacht auf einem aufmerksam machen.

Ein gewagtes Unterfangen unternimmt Friedrich Ani in seinem neuen Roman, der trotz der Morde und Ermittlungen nur wenig von einem Krimi hat: Er lässt dieses Mal die Wege seiner bekannten Figuren kreuzen und so treffen Tabor Süden, Polonius Fischer und Jakob Franck aufeinander und ermitteln parallel in München. Doch nicht nur das, die Fälle sind eingebunden in hochaktuelle politische Diskussionen um Ausländer, prekäre Lebensverhältnisse und die Überforderung der Polizei.

Ein anspruchsvoller Plot, den der Autor da kreiert hat und der aufgrund seiner Komplexität auch nur wenig Spannung aufkommen lässt. Ani springt zwischen den Figuren und Handlungssträngen hin und her und verliert sich so für mein Empfinden immer wieder. Die Idee und natürlich auch die Relevanz der Nebenkriegsschauplätze sind ohne Frage die Grundlage für einen großen Roman, aber mich konnte er nicht erreichen. Das Potenzial für drei unabhängige Geschichten wurde hier leider verschenkt, eigene Bücher, die durch Stringenz und ein konzertiertes Erzählen dieser Geschichte sicherlich packender und überzeugender hätten sein können. Obwohl ich ein großer Freund eines unaufgeregten Erzähltons bin und keineswegs eine ruhigere Gangart verabscheue, dieses Buch hat meinen Atem doch sehr herausgefordert und immer wieder brauchte es längere Lesepausen, weil es mich nicht wirklich begeistern konnte.

Veröffentlicht am 09.06.2019

Alexander Oetker – Zara & Zoë: Rache in Marseille

Zara und Zoë - Rache in Marseille
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Ein komplizierter Fall lässt die beiden Europol Kommissare Zara von Hardenberg und ihren Kollegen Per Isaakson in Zaras provenzalische Heimat kommen. Der Tod eines Mädchens ist verdächtig und Zara spürt, ...

Ein komplizierter Fall lässt die beiden Europol Kommissare Zara von Hardenberg und ihren Kollegen Per Isaakson in Zaras provenzalische Heimat kommen. Der Tod eines Mädchens ist verdächtig und Zara spürt, dass ein großer Anschlag kurz bevorsteht. Die Ermittlungen kommen nur schwer voran, die Polizei von Marseille ist offenbar tief korrupt und in der Cité ist ohnehin niemand bereit, mit den Ermittlern zu kooperieren. Zara bleibt keine Wahl, sie muss das tun, was sie immer vermeiden wollte: sie muss ihre Schwester um Hilfe bitten. Nur Zoë kann herausfinden, was bevorsteht, denn im Gegensatz zu Zara hat sie ganz andere Möglichkeiten. Zoë nicht irgendwer, sie ist die Königin der Mafia, die die Drogengeschäfte und Waffenlieferungen kontrolliert und der sich niemand in den Weg stellt. Nach vielen Jahren ohne Kontakt stehen sich die Zwillinge nun wieder gegenüber – aber dieses Mal gemeinsam im Kampf.

Alexander Oetker kennt als ehemaliger politischer Korrespondent das schwierige Pflaster von Marseille, der französischen Stadt, die lange Zeit im Ruf stand, rein von Mafiabanden kontrolliert zu werden und wo sich Polizisten selbst bewaffnet nicht in manche Stadtviertel wagten. Der ideale Schauplatz für einen Thriller, der die eskalierende Gewalt und Kriminalität ins Zentrum stellt.

Die Handlung hat ein enorm hohes Tempo und ist insgesamt sauber und überzeugend konstruiert. Die verfeindeten Banden, die den finalen Kampf ums Revier vorbereiten, dazu die nach den zahlreichen Attentaten in Frankreich aufgeheizte Stimmung – all das wird geschickt genutzt und lässt den Fall authentisch wirken. Stärker noch als die Geschehnisse reizt das ungleiche Schwesternpaar. Zwar etwas klischeehaft gezeichnet – Zara die fleißige und gute Tochter, die einen Job bei den Strafverfolgungsbehörden annimmt einerseits, andererseits die wilde Zoë, die schon früh den Reiz der illegalen Geschäfte erkennt und rasch in der Mafia aufsteigt – gibt ihr doppeltes Spiel doch der Geschichte eine ganz eigene Note.

Rundherum ein überzeugender Thriller, der hoffentlich als Auftakt einer Serie weitere so überzeugende und unterhaltsame Bände folgen lässt.

Veröffentlicht am 30.05.2019

Deborah Levy – Was das Leben kostet

Was das Leben kostet
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Bücher von Deborah Levy, in denen die Autorin ihr Leben und ihre Erlebnisse zum Thema macht, sind nie leicht zu fassen und zu rezensieren. So auch „Was das Leben kostet“, in dem sie die Trennung von ihrem ...

Bücher von Deborah Levy, in denen die Autorin ihr Leben und ihre Erlebnisse zum Thema macht, sind nie leicht zu fassen und zu rezensieren. So auch „Was das Leben kostet“, in dem sie die Trennung von ihrem Ehemann und den Tod ihrer Mutter verarbeitet. War es in „Was ich nicht wissen will“ noch die Sprachlosigkeit, aus der sie einen Ausweg sucht, sind es nun die plötzlich entstehenden Lücken, die sie füllen muss. Ein neues Heim, das nicht heimelig werden will; die Definition des Ich, das nicht mehr (nur) Gattin und Mutter ist, sondern Frau in einer Welt, die scheinbar viel zu sehr von misogynen Männern dominiert wird; der Tod der Mutter und die darauf folgende Orientierungslosigkeit – mit dem Schreiben verarbeitet sie ihre Emotionen und die Suche nach Struktur und Sinn im neuen Dasein.

Vor allem ihre Begegnungen mit Männern haben beim Lesen einen ausgesprochenen Reiz. Womöglich übt sie eine besondere Anziehungskraft auf diejenigen Exemplare aus, die in einem - positiv formuliert – traditionellen Weltbild gefangen sind und Frauen nur als dekoratives Element wahrnehmen und denen jeder Horizont fehlt, das Gegenüber als gleichwertigen Gesprächs- und Lebenspartner anzuerkennen. Ohne Frage hat der gesellschaftliche Wandel, den die Frauen im 20. Jahrhundert erstritten haben, nicht jeden erreicht und stellt so manchen Mann vor große Herausforderungen, wenn an ihrem Weltbild gerüttelt wird und sie sich nicht in der Rolle wiederfinden, die sie sich qua Geschlecht zuschreiben.

Aber auch ihr Fahrrad, symbolisches Kampfmittel, an und mit dem sie ihre Wut und Energie zu kanalisieren versucht, nimmt eine interessante Rolle ein. Die neugewonnene Freiheit durch den Elektroantrieb ermöglicht die Mobilität im chronisch verstopften London bei gleichzeitig allen damit verbundenen Nachteilen wie erfrorene Finger im Winter und dem mühsamen Transport der Einkäufe. Aber es ist auch das Gerät, das ihr als Person die Schau stiehlt und die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zieht.

„Freiheit ist nie umsonst. Wer je um Freiheit gerungen hat, weiß, was sie kostet.“

Als Kind ist Deborah Levy mit ihren Eltern aus Südafrika geflüchtet, nun flüchtet sie mit Anfang 50 aus dem Leben in Ehe und steht wieder vor dem Neuanfang und dem Aufbau nicht nur einer Ordnung, sondern auch des eigenen Ichs. Die Introspektion durch die Personalisierung des eigenen Ichs im Schreiben erlaubt es ihr, auch kritische und angreifbare Gedanken zu verbalisieren und ihr Leben neu zu strukturieren. Ein harter und steiniger, aber interessanter Weg, dem man als Leser gerne folgt.

Veröffentlicht am 28.05.2019

P.B. Vauvillé – Ein kunstvoller Mord

Ein kunstvoller Mord
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Die Pariser Kunstszene ist in heller Aufregung als eine der berüchtigtsten Performance Künstlerinnen heimtückisch vergiftet wird. Nicht nur der Mord an sich, sondern die Tötung während einer geheimen Inszenierung ...

Die Pariser Kunstszene ist in heller Aufregung als eine der berüchtigtsten Performance Künstlerinnen heimtückisch vergiftet wird. Nicht nur der Mord an sich, sondern die Tötung während einer geheimen Inszenierung ist rätselhaft. Rosa Kontrapunkt war live dabei und die ältere Artistin ist sichtlich mitgenommen, jedoch hält das sie und ihren Sohn Quentin Belbasse nicht davon ab, selbst Ermittlungen zu tätigen. Auch Lieutenant Brossard erkennt, dass es ohne die beiden wohl schwierig werden wird, hinter die Fassaden der Kunst zu blicken und Zugang zu den eigensinnigen Menschen zu bekommen.

Der zweite Band der Reihe um das Privatdetektivgespann aus Mutter und Sohn verspricht eine interessante Kombination aus Krimi und Kunst zu werden. Der Fall hat tatsächlich auch einiges zu bieten, wenn auch die Kunst eher von der sehr speziellen Sorte ist und letztlich ganz andere Aspekte im Vordergrund der Ermittlungen stehen. Insgesamt glaubwürdig und nachvollziehbar konstruiert, aber mir fehlte es doch etwas an Spannung und die Figuren hätten etwas mehr Persönlichkeit haben können, um mit gänzlich zu überzeugen.

Für mich reiht sich der Roman in die Riege der cosy crime Storys ein: nicht die ganz große Spannung, dafür mehr Lokalkolorith. Davon hätte es mir durchaus etwas mehr sein dürfen, man liest es gerne, aber der Funke wollte nicht recht zünden. Die Künstlerszene wird immer wieder angerissen, aber ihr Protest bleibt etwas zu oberflächlich. Auch kann mich die Rolle von Quentin nicht ganz überzeugen, welcher Polizist würde sich von einem Zivilisten einfach so in die Arbeit pfuschen lassen und die Ermittlungsergebnisse teilen? So richtig erschließt sich mir nicht, wie diese Zusammenarbeit zustande kommt. Ganz klar punktet die Geschichte mit den vielen Spuren und Verwicklungen, die der Fall zu bieten hat. Hier hat das Autorenpaar sich eine sehr clevere und komplexe Konstellation ausgedacht, für die sich der Krimi die Sterne verdient.