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Veröffentlicht am 20.09.2021

Ein Familiendrama mit Thrillerelementen

Die andere Tochter
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Toni, Inhaberin einer Entrümpelungsfirma, erleidet bei einem Unfall schwere Verätzungen an den Augen. Nach einer erfolgreichen Transplantation erhält sie ihre Sehfähigkeit zurück, das Ereignis hinterlässt ...

Toni, Inhaberin einer Entrümpelungsfirma, erleidet bei einem Unfall schwere Verätzungen an den Augen. Nach einer erfolgreichen Transplantation erhält sie ihre Sehfähigkeit zurück, das Ereignis hinterlässt in ihrem Leben jedoch nachhaltige Spuren. Als sie den Angehörigen der Spenderin in einem Brief ihren Dank übermittelt, erhält sie überraschend eine persönliche Antwort. Als Toni sich entschließt, die Mutter der jungen Frau, der sie ihre neue Sehkraft verdankt, persönlich kennen zu lernen, taucht sie tief in das Leben der Spenderin ein. Es scheint sich der Glamour, der diese kreative junge Frau umgeben hat, auch auf Toni auszuwirken, sie bekommt im wahrsten Wortsinn den Eindruck, durch deren Augen sehen zu können. In den Flashbacks, die sie seit der Operation heimsuchen, meint sie deren Botschaften erkennen zu können. Ihre Fixierung auf die fremde Familie reißt gleichzeitig alte Wunden in der Beziehung zu ihren leiblichen Eltern auf. Zu spät begreift sie, in welchem Ausmaß sie manipuliert wurde, und dass auch in ihrer eigenen Familie ein Geheimnis schlummert, dem sie sich stellen muss, um ihre Probleme zu lösen.
Der Roman ist einerseits sehr intensiv durch die Nähe zu der Hauptfigur Toni, an deren Gefühlen der Leser unmittelbar teilhat. Andererseits waren ihre Gedanken und Gefühle für mich oft nicht nachvollziehbar, die Art und Weise, wie die tote Spenderin auf Tonis Wesenszüge Einfluss nimmt, waren mir zu esoterisch und abstrakt.
Der Schreibstil hat mir gut gefallen, ebenso der Aufbau des Buches, der sich in 2 Zeitschienen der Wahrheit hinter den zum Teil verstörenden Ereignissen nähert. Die Schilderungen sind oft sehr bildhaft und lassen die Geschichte lebendig wirken, die Erfahrung der Autorin im Verfassen von Drehbüchern für Kriminalfilme wirkt sich hier positiv aus und sorgt dafür, dass man beim Lesen klare Bilder vor Augen hat.
Die verarbeiteten Themen um Organspende, Beutekunst der Nazizeit und die Auswirkungen von Traumata, sind sehr ambitioniert und informativ, jedoch fast etwas viel für ein einziges Buch.
Auch wenn die Handlungen der Charaktere für mich nicht immer nachvollziehbar waren, hat mich diese sehr emphatisch erzählte Geschichte berührt und in seinem Verlauf immer wieder überrascht.

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Veröffentlicht am 10.08.2021

eine beklemmende Familiengeschichte

Die Überlebenden
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Alex Schulmans Roman „Die Überlebenden“ ist fiktiv aber autobiographisch inspiriert, beim Lesen habe ich mich oft gefragt, wie viel dieser beklemmenden Familiengeschichte wohl aus persönlichen Erfahrungen ...

Alex Schulmans Roman „Die Überlebenden“ ist fiktiv aber autobiographisch inspiriert, beim Lesen habe ich mich oft gefragt, wie viel dieser beklemmenden Familiengeschichte wohl aus persönlichen Erfahrungen entstammen mag, für den Autor hoffe ich, nicht allzu vieles.
In zwei Zeitschienen bekommt der Leser einen Eindruck vom Leben dreier Brüder und ihrer Eltern in der Vergangenheit und der Gegenwart. Dabei werden die Szenen in der Gegenwart in umgekehrter Reihenfolge wiedergegeben und mit Rückblenden eines schicksalhaften Sommers durchsetzt.
Beide Zeitstränge beginnen am selben Ort, an dem Sommerhaus der Familie am Ufer eines schwedischen Sees, zu dem die Brüder Nils, Benjamin und Pierre als Erwachsene zurückkehren, um dort die Asche ihrer verstorbenen Mutter zu verstreuen.
In der Vergangenheit sind die Jungen sieben, neun und 13 Jahre alt, und schon zu dieser Zeit zeigt sich das ambivalente Verhältnis der Familienmitglieder zueinander, das am Ende des Sommers weitere Risse bekommt. Die Idylle am See ist trügerisch, die Jungs buhlen um Aufmerksamkeit durch ihre Eltern, die jedoch meist mit sich selbst beschäftigt sind, kurze gemeinsame Aktionen und Zuneigungsbekundungen können nicht über das allgemeine Desinteresse der Eltern an ihren Söhnen hinwegtäuschen. Der Vater schürt eher noch den Wettbewerb unter der Jungen, wobei sein durch Alkohol getrübtes Urteilsvermögen zu einigen kritischen Situationen führt.
Es ist oft beklemmend zu lesen, wie ratlos die Kinder dem unberechenbaren Verhalten ihrer Eltern ausgesetzt sind, sie einerseits aufeinander angewiesen sind, dann aber wieder in Streit und Rivalität verfallen, sowohl in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Liebe und Verrat liegen stets dicht beieinander.
Die Stärke des Romans liegt insbesondere in den Szenen der Vergangenheit, die bildhaften Darstellungen muten filmisch an, die Gegenwartsschiene erschient etwas distanzierter.
Die Schilderungen wirken erschreckend authentisch, obwohl man wenig über die Charaktere erfährt und nur nach und nach einige wenige Informationen über die Geschichte der Familie erhält. Das Buch ist keine leichte Kost, insbesondere bei der rückwärts erzählten Geschichte der Gegenwart drohte ich manchmal den Faden zu verlieren.
Insgesamt hat mich der Roman sprachlich und inhaltlich mit seiner Ausdrucksstärke beeindruckt, auch nach Beendigung des Buches hallt seine Düsternis nach und lässt mich die Geschichte nicht los.

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Veröffentlicht am 05.08.2021

ein verdient preisgekrönter Roman

Der Nachtwächter
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In ihrem Roman „Der Nachtwächter“ weckt die bekannte amerikanische Autorin Louise Erdrich nicht nur die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Epoche in der Geschichte der Native Americans, sondern ehrt auch ...

In ihrem Roman „Der Nachtwächter“ weckt die bekannte amerikanische Autorin Louise Erdrich nicht nur die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Epoche in der Geschichte der Native Americans, sondern ehrt auch den Einsatz ihres Großvaters für sein Volk.
Seit dem 19.Jahrhundert wurden die amerikanischen Ureinwohner in Reservaten zusammengedrängt, oft auf zu kleinen Landflächen schlechter Qualität. Dort kämpfen sie ums Überleben, sind gezwungen, sich dem Lebenswandel und den Ideologien der Weißen anzupassen, und versuchen dabei, ihre eigene Identität und ihre Gebräuche aufrechtzuerhalten. Anfang der 1950er Jahre wird vom Kongress ein Gesetz verabschiedet, dass die zugesicherten Anrechte der Native Americans zurücknimmt, sie zur Zahlung von höheren Steuern verpflichten soll und zur Umsiedelung in die Städte bewegen, was einer Auslöschung der Stämme gleichkommt.
Dies betrifft auch den Stamm der Turtle Mountain Band of Chippewa, dessen Vorsitz Louise Erdrichs Großvater zu dieser Zeit innehatte. Im Roman lebt Thomas Wazhashk diese Rolle, er kümmert sich um seine Farm, die Belange seines Stammes und schreibt während seiner Nachtwachen in der Lagersteinfabrik Briefe an öffentliche Stellen und Personen, um für ihre Rechte einzustehen. Als er von dem geplanten Terminierungsgesetz hört, kann er den Inhalt zunächst nicht glauben, setzt sich dann intensiv damit auseinander und organisiert eine Delegation nach Washington, um dort ihr Anliegen zu vertreten.
Neben diesem Hauptthema gibt die Autorin einen Eindruck in das Leben der Chippewa zu dieser Zeit. Der Leser nimmt an den Gedanken und Eindrücken mehrerer Stammesmitglieder teil aber auch einiger Weißer, die im Reservat leben oder dieses besuchen. Es wird eindrucksvoll vermittelt, wie die verschiedenen Personen und unterschiedlichen Generationen mit dem Umbruch in ihrer Gesellschaft umgehen, sich der Lebensweise der Weißen anpassen oder an den Anforderungen scheitern, sich zum christlochen Glauben bekennen und dennoch ihre alten Gebräuche und Ahnen ehren. In vielen Szenen und Gesprächen zeigt sich, wie unterschiedlich die Werte der Weißen und der Chippewa sind, wie anders ihr Blick auf die Welt und ihr Umgang mit der Natur.
Mich hat das Buch sowohl inhaltlich als auch sprachlich beeindruckt. Trotz der vielen Charaktere hatte ich nie den Eindruck, den Überblick zu verlieren. Die Autorin weckt auf sensible Weise Verständnis für das Leben und Denken der Native Americans für das Leid, dass sie erfahren haben, aber sie zeigt auch die Stärken auf, die in der Gemeinschaft einer Familie oder eines Stammes stecken können. Diese wunderbar feinsinnige Geschichte hat mein Interesse geweckt, noch weitere Geschichten dieser Autorin zu entdecken.

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Veröffentlicht am 04.08.2021

eine enttäuschend konstruiert wirkende Geschichte mit unglaubwürdigen Charakteren

Die Verlorenen
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Da mir Simon Becketts Reihe um David Hunter sehr gut gefallen hat, war ich neugierig auf seinen neuen Thrille „Die Verlorenen“, das Lesevergnügen blieb jedoch schnell auf der Strecke.
Jonah Colley, Hauptfigur ...

Da mir Simon Becketts Reihe um David Hunter sehr gut gefallen hat, war ich neugierig auf seinen neuen Thrille „Die Verlorenen“, das Lesevergnügen blieb jedoch schnell auf der Strecke.
Jonah Colley, Hauptfigur des Auftakts der neuen Krimireihe des Autors, ist Mitglied einer bewaffneten Londoner Polizeieinheit. Zehn Jahre lang hat er nichts von seinem ehemaligen besten Freund Gavin gehört, als dieser ihn unvermittelt in einem Anruf um Hilfe bittet, da Jonah in seiner aktuellen Situation die einzige Person sei, der er noch trauen könne. Doch als Jonah den Treffpunkt am Slaughter Quay erreicht, gerät er in eine Falle, findet Gavin ermordet vor, wird selbst niedergeschlagen und schwer verletzt.
Hinweise vom Tatort lassen Jonah hellhörig werden und auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. Vor 10 Jahren ist Jonahs Sohn Theo von einem Spielplatz spurlos verschwunden, er wurde nie gefunden, Jonah leidet schwer an seiner Mitschuld daran. Kann es sein, dass Gavin etwas zu dieser Sache herausgefunden hat? Wieso taucht in den aktuellen Ermittlungen der Name Owen Stokes auf, der schon beim Verschwinden Theos kurz als Verdächtiger galt?
Der Krimi beginnt spannend, entwickelt sich aber zunehmend zu einer Farce. Die Charaktere wirken sehr klischeehaft und reagieren unglaubwürdig. Dass Jonah Colley einer Eliteeinheit der Polizei angehört, wird zu Beginn erwähnt, sein Verhalten passt in keiner Weise zu diesem Berufsbild. Er agiert naiv, begibt sich blind in offensichtliche Gefahrensituationen, erscheint dann wieder als eine Art Superheld, wenn er trotz schwerer Verletzungen und heftiger Prügeleien mit einem sowieso schon zertrümmerten Knie, weiter macht, als wäre nichts gewesen. Ich konnte die Figur Jonah Colleys, der immerhin im Mittelpunkt dieser neuen Krimiserie stehen soll weder ernst nehmen, noch konnte er Sympathien bei mir wecken. Bei den anderen Personen sieht es nicht viel besser aus, sie erfüllen Stereotypen, reagieren gerne mal cholerisch, voreingenommen und wenig nachvollziehbar.
Auch inhaltlich zeigt die Geschichte Schwächen. An der David-Hunter-Reihe von Beckett hat mir neben dem Schreibstil besonders gut gefallen, wie sorgsam recherchiert die Krimis wirkten, schlüssig aufgebaut und mit interessanten Hintergrunddetails. Das alles fehlt hier, stattdessen wirkt die Handlung sehr konstruiert, Spannung wird aufgebaut, in dem Fragen bewusst nicht beantwortet werden, die Charaktere Wissen zurückhalten. Dadurch wirken beispielsweise die Ermittlungsarbeiten der Polizei, die insgesamt nur eine Nebenrolle spielen, sehr unprofessionell.
In einer Art Showdown am Ende des Buchs, versucht der Autor, die Fäden irgendwie zusammen zu führen, die Erklärungen wirken aber ebenso wenig glaubhaft wie der Rest des Krimis. Die Motivation hinter den Taten wirkt an den Haaren herbeigezogen und lässt diesen Auftaktband endgültig zu einer Enttäuschung werden.

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Veröffentlicht am 23.06.2021

ein emotional berührender Roman zwischen Thriller und Familiengeschichte

Von hier bis zum Anfang
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Nach der Lektüre von Chris Whitakers Roman „Von hier bis zum Anfang“ bin ich froh, dass ich mich vom dem sehr pathetisch bis kitschig klingenden Klappentext nicht habe abschrecken lassen, denn ansonsten ...

Nach der Lektüre von Chris Whitakers Roman „Von hier bis zum Anfang“ bin ich froh, dass ich mich vom dem sehr pathetisch bis kitschig klingenden Klappentext nicht habe abschrecken lassen, denn ansonsten hätte ich einen außergewöhnlichen und bewegenden Roman verpasst.
Der Autor ist Brite, sein Roman spielt jedoch in Amerika in der fiktiven kalifornischen Kleinstadt Cape Haven, in der Jeder Jeden zu kennen scheint. Vor dreißig Jahren wurde der damals 15-jährige Vincent King des Mordes an der 7-jährigen Sissy Radleys angeklagt und verurteilt. Nun hat er seine Strafe abgesessen und kehrt in seine Heimatstadt zurück, doch die Menschen dort haben seine Tat weder vergessen noch vergeben sie ihm. Nur der Polizist Walker, Vincents Freund aus Kindertagen, hält weiter zu ihm. Walk ist so etwas wie die gute Seele des Ortes, versucht Frieden zwischen den Bewohnern zu halten und zu verhindern, dass sich der Ort verändert. Die Rückkehr Vincent Kings reißt alte Wunden auf, der Tod Sissy Radleys hat nicht nur Vincents Leben nachhaltig verändert.
Die Familie des Mädchens ist durch ihren Tod zerbrochen, der Vater weggezogen, die ältere Schwester Star Radley und damalige Freundin Vincent Kings leidet an Depressionen, verfällt immer wieder dem Alkohol und schafft es nicht, sich um ihre beiden Kinder Duchess und Robin zu kümmern. Walk hält ein Auge auf die kleine Familie, die Hauptlast trägt jedoch die 13-jährige Duchess, die sich rührend um ihren kleinen Bruder kümmert und sich mit ihrer schroffen Art eine Fassade geschaffen hat gegen die Anfeindung und Ablehnung ihrer Mitschüler.
Es gibt einige tragische Helden in dieser Geschichte, Walk und Duchess sind zwei davon, sie erzählen abwechselnd aus ihrer Perspektive von den Ereignissen, die Vincent Kings Rückkehr auslöst und das Leben der Radley-Kinder nachhaltig beeinflusst.
Mich hat der Stil der Erzählung beeindruckt, der mit knappen und präzisen Sätzen eine eindrucksvolle Atmosphäre und eine intensive Nähe zu den Hauptfiguren schafft. Insbesondere Duchess ist ein bemerkenswerter Charakter, sie erscheint aufgrund ihrer Lebensumstände älter als 13 Jahre, und ist in anderen Situationen wiederum ein trotziger Teenager, der seinen Platz im Leben sucht.
Vieles wirkt überspitzt, die Zahl der involvierten Personen ist sehr begrenzt, dennoch wirkt der Roman nie unglaubwürdig, die Figuren wirken im Gegenteil so real, dass man meint sie über die Straßen spazieren zu sehen und ihnen im Kopfkino zu folgen. Die Stimmung ist eher düster, dennoch gibt es ebenso ans Herz gehende Szenen wie solche zum Schmunzeln.
Vieles in der Geschichte ist nicht so, wie es zu Beginn der Geschichte scheint, der Autor überrascht den Leser immer wieder mit unerwarteten Wendungen, erst ganz zum Schluss offenbaren sich die tatsächlichen Zusammenhänge und das ganze Ausmaß der tragischen Umstände.
Für mich ist dieser Roman sowohl inhaltlich als auch sprachlich eines der Lese-Highlights des Jahres.

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