Profilbild von nathi_taiwan

nathi_taiwan

Lesejury Profi
offline

nathi_taiwan ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit nathi_taiwan über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.09.2021

Nüchtern und doch spannend erzählt – mit dem Fahrrad durch das winterliche Jakutsien

Eis. Abenteuer. Einsamkeit
0

Zimniks (Eiswege); das zugefrorene Polarmeer; Siedlungen, deren Geschichte vor 70 bis 80 Jahren im Zuge des Bergbaus begann, die ihre Blütezeit jedoch längst hinter sich haben; das halb-nomadisch lebende ...

Zimniks (Eiswege); das zugefrorene Polarmeer; Siedlungen, deren Geschichte vor 70 bis 80 Jahren im Zuge des Bergbaus begann, die ihre Blütezeit jedoch längst hinter sich haben; das halb-nomadisch lebende Volk der Ewenen; die Begegnung mit vielen gastfreundlichen und neugierigen Russinnen und Russen – all das waren für mich ganz wunderbare und faszinierende Einblicke in ein Land, das ich kaum kenne und das ich noch nie bereist habe. (Wobei ich gestehen muss, dass es mich nicht unbedingt im Winter für eine Fahrradtour nach Russland zieht).
Besonders spannend fand ich die Begegnungen mit den russischen Gesetzeshüter:innen, deren unsinnige Befragungen und das Misstrauen ggü. ausländischen Touristen soziopolitisch betrachtet ein spannendes Relikt aus Sowjetzeiten sind (und die mich doch sehr an meine eigenen Erfahrungen mit der chinesischen Polizei, der Gong An, erinnert haben).
Die Art, wie der Autor berichtet hat, war sehr angenehm zu lesen: keine Prahlerei, keine leeren Worthülsen, sondern ganz nüchtern und auf den Punkt gebracht, schildert er von seiner Reise, den Dummheiten und Tiefpunkten, ebenso wie von seinem Ehrgeiz und dem finalen Erfolgsgefühl.

Großartige Gestaltung des Buches: In der Klappbroschüre vorne ist die exakte Reiseroute durch die sibirische Arktis nachgezeichnet. In der Klappe am Buchende bekommt man einen Einblick in die bisherigen Reiserouten und Abenteuer, die ihn in von einsamen Waldgebieten in Skandinavien bis hin zu entlegenen Gebieten in Ostrussland verschlagen haben.
Es besteht ein gutes Verhältnis zwischen Text und Bild, die Seiten wirken nicht überladen. Manchmal hätte ich mir etwas „photogenere“ Bilder gewünscht (manche Bilder wirkten nicht besonders „klar“, hier weiß ich nicht, ob es an der Qualität der Fotos oder des Drucks liegt). Es muss jedoch klargestellt werden, dass es sich bei diesem Buch eindeutig um einen Reisebericht und nicht (!) um einen Fotoband handelt – wer schöne Schneelandschaften aus Russland betrachten möchte, muss anderweitig suchen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.09.2021

Liebevoll gestaltet und erzählt

Spielst du mit, kleines Schaf?
0

Schlicht und doch berührend erzählt die Illustratorin Miriam Zedelius die Geschichte vom kleinen Schaf. Während die anderen Tiere – angefangen von der kleinen Tanzmaus, über das Schlauschwein bis hin zum ...

Schlicht und doch berührend erzählt die Illustratorin Miriam Zedelius die Geschichte vom kleinen Schaf. Während die anderen Tiere – angefangen von der kleinen Tanzmaus, über das Schlauschwein bis hin zum Boxbären – selbstbewusst ihre Fähigkeiten und Talente vorstellen, schaut das kleine Schaf begeistert zu. Als die anderen Tiere dann jedoch beschließen einen Zirkus zu gründen und herausfinden, dass das kleine Schaf keine präsentierbaren Talente aufzuweisen hat, schließen sie es aus. Verletzt und zutiefst traurig schleicht sich das kleine Schaf davon…
Die liebevoll gestalteten Illustrationen unterstreichen die sehr einfache und alltagsnahe Geschichte, die eine Situation schildert, die viele Kinder bestimmt in ähnlicher Form erleben oder erlebt haben. Die Geschichte verdeutlicht auf eine sehr mitfühlende Weise, dass auch die Kunst des Zuhörens und Zusehens gewürdigt und gewertschätzt werden sollte; denn wenn alle sich in den Vordergrund drängeln, gibt es schließlich niemanden, der Beifall spenden und Lob verteilen kann. Zudem stellt die Geschichte Gruppenzugehörigkeiten in Frage und gibt erste kleine Ansatzpunkte, wie Kinder selbstbestimmt handeln und miteinander umgehen können.
Eine sehr empfehlenswerte Geschichte für Kinder ab 3 Jahren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2021

Viel Klischee, wenig Mythologie

Der Schwur der Göttin, Band 1: Beyond Eternity
0

Nach einem tragischen Autounfall scheint sich alles verändert zu haben. Auf einmal ist da diese unerklärliche Wut in Nayla, gleichzeitig gelingen ihr die unmöglichsten Dinge. Etwa zur selben Zeit tauchen ...

Nach einem tragischen Autounfall scheint sich alles verändert zu haben. Auf einmal ist da diese unerklärliche Wut in Nayla, gleichzeitig gelingen ihr die unmöglichsten Dinge. Etwa zur selben Zeit tauchen zwei mysteriöse Typen bei ihr an der Highschool auf, die ganz offensichtlich nicht die sind, die sie vorgeben zu sein. Besonders zu dem unnahbaren Cyrian fühlt Nayla sich hingezogen…

Nach dem Klappentext und der Leseprobe war ich davon überzeugt, dass es sich bei diesem ersten Band einer Romantasy-Dilogie um eine nicht sehr originelle Liebesgeschichte mit Fantasy-Elementen handelte. Aufgrund vieler begeisterter Rezensionen, die den Bezug zur römischen und griechischen Mythologie betonten, schwankte ich als großer Percy Jackson-Fan in meinem Vorsatz und griff zum Buch – und wurde erneut enttäuscht! Der Mythologieanteil wirkte wie lose gestreute Blütenblätter, die der Geschichte wohl das gewisse Etwas geben sollten. Denn wer steht denn nicht auf attraktive Typen mit göttlichen Kräften? Leider wirkte die Geschichte derart konstruiert und zurechtgebogen, um dem Liebespaar ein möglichst tragisches Setting zu geben, dass von den mythologischen Elementen kaum etwas bis auf die Gründungsgeschichte Roms übrigblieb.
Ein weiterer großer Schwachpunkt war, dass es kaum Handlungselemente gab, die die Geschichte vorangebracht haben. Viele Szenen trugen nicht zum Fortgang der Handlung bei, so dass im Endeffekt bestimmt 40% des Buches hätten gestrichen werden können. Alles in allem leider nicht das richtige Buch für mich – wer sich ein originelles Re-telling der Göttergeschichten wünscht, ist hier definitiv falsch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2021

Bis(s) zum fiesesten Cliffhanger

Crave
0

Nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern zieht Grace zu ihrem Onkel nach Alaska, wo dieser – fernab von jeglicher Menschenseele – ein Internat leitet. Die Spannung im Internat zwischen verschiedenen Cliquen ...

Nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern zieht Grace zu ihrem Onkel nach Alaska, wo dieser – fernab von jeglicher Menschenseele – ein Internat leitet. Die Spannung im Internat zwischen verschiedenen Cliquen von Schüler:innen ist geladen und aggressiv, ja fast gewalttätig, insbesondere der düstere Jaxon. Ehe Grace sich versieht, wird sie Teil dieses Machtkampfes, deren Hintergründe sie jedoch überhaupt nicht versteht. Doch eines ist für sie klar: Eine normale Highschool ist das definitiv nicht!
Der Einstieg ins Buch gelang problemlos aufgrund des jugendlichen und erfrischend humorvollen Schreibstils, der perfekt zu Graces Charakter passt. Denn obwohl Grace noch immer versucht zu lernen mit dem Tod ihrer Eltern umzugehen, ist sie gleichzeitig auch schlagfertig, mutig und immer für einen schlechten Witz zu haben! Und obwohl sie manchmal sehr naiv handelt (was mich bei weiblichen Protas oft stört), fand ich es super, dass ihr immer auch selber bewusst war, wie sie gerade agiert. Beispielsweise ist den Leser:innen natürlich dank des blutigem Covers – spätestens aber wenn Grace Twilight liest – klar: An diesem Internat treiben Vampire ihr Unwesen. Grace hingegen weiß nicht, wie ihr Buchcover aussieht und braucht ziemlich lange (nach ca. 55% des Buches) bis sie auf des Rätsels Lösung kommt. Die ganzen Vampiranspielungen, die die Autorin immer wieder einstreut (Twilight!), fand ich genial da sie oft sehr ironisch waren und vom Humor der Autorin zeugen. Mein persönliches Highlight waren die Kapitelüberschriften, die mich oft zum Schmunzeln gebracht haben.
Negativ sind mir zwei Dinge aufgefallen. Zum einen ging mir einiges zu schnell: So nehmen die ersten drei Tage von Graces neuem Schulalltag etwa 50% des Buches ein, was zuerst sehr langatmig klingt, wenn man sich das vor Augen führt – tatsächlich hatte ich aber nicht das Gefühl, dass es sich gezogen hat. Stattdessen fiel es mir schwer der stetig ernster werdenden Beziehung zwischen Grace und Jaxon nachzuvollziehen, da sie sich ja erst seit drei Tagen kennen. Zum anderen hat es mich gestört, dass sehr wenig Hintergrundinformationen über Vampire und die anderen Gangs an der Schule vermittelt wurden, da hätte ich nämlich gerne mehr erfahren.

In aller Kürze:
Jugendlicher und humorvoller Schreibstil, der einen durch die Seiten fliegen lässt. Witzige und fiese Charaktere, die auf den ersten Blick oberflächlich erscheinen, im Laufe des Buches aber an Tiefe gewinnen. Zum Teil vorhersehbarer Plot, der aber durch einen sehr unerwarteten und fiesen Cliffhanger am Ende an Komplexität gewinnt.
Das Buch hat mich nicht komplett überzeugt, dennoch möchte ich gerne wissen, wie es weitergeht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.08.2021

Ein bildgewaltiger Ritt durch den Wilden Westen

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
0

Das Geschwisterpaar Lucy und Sam wachsen im amerikanischen Westen, dem berüchtigten „Wilden Westen“, im ausgehenden 19. Jahrhundert in bitterer Armut und umgeben von Brutalität auf. Der Vater, der mit ...

Das Geschwisterpaar Lucy und Sam wachsen im amerikanischen Westen, dem berüchtigten „Wilden Westen“, im ausgehenden 19. Jahrhundert in bitterer Armut und umgeben von Brutalität auf. Der Vater, der mit seiner Tätigkeit als Goldschürfer und als Tagelöhner kaum die Familie ernähren kann, verfällt nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol. Nach dem Tod des Vaters wiederum machen sich die beiden charakterlich sehr ungleich Geschwister auf die Suche nach sich selbst, einem Zuhause und ihrem Platz in einem Land, in dem sie „anders“ sind. Der Ritt durch die Ödnis und Härte des Wilden Westens verändert die beiden von Grund auf…
Der Einstieg in den Roman fiel mir aus zweierlei Gründen nicht leicht: Zum einen setzt die Handlung unmittelbar ein, ohne viel zu erklären; zum anderen wird das Lesevergnügen durch die sehr bildliche und intensive Sprache der Autorin C Pam Zhang beeinflusst, was in den zwei letzten Teilen besonders beeindruckend, im ersten Teil des Buches jedoch äußerst ekelerregend ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mir das letzte Mal beim Lesen fast übel geworden ist aufgrund einer Beschreibung. Dennoch hat mich die Intensität mit der C Pam Zhang das Setting des Wilden Westens vermitteln konnte sehr beeindruckt. Ihre bildgewaltige Sprache stand dabei immer wieder in einem starken Kontrast zur Grausamkeit und Härte der Handlung.
Was mich von Beginn an begeistern konnte, war die Einbettung von chinesischen Wörtern und Eindrücken in den Fließtext, insbesondere in die wörtliche Rede – und zwar auf eine Weise, die es auch allen, die nicht der Chinesischen Sprache mächtig sind, ermöglicht, sich diese Wörter aus dem Kontext zu erschließen. Das habe ich bis jetzt so noch bei keinem anderen Roman gesehen!
Von besonderem Interesse war für mich die literarische Auseinandersetzung mit der chinesischen Diaspora, die im mittleren und ausgehenden 19. Jahrhundert das Kaiserreich verließ und dem Ruf des Goldes und die Vereinigten Staaten folgte. Aufgrund meines sinologischen Hintergrunds hatte ich mir hier mehr Informationen und Bezüge dazu gewünscht, zum Beispiel wie die Nachricht vom Gold die Menschen in China erreicht hat, oder wie sie nach ihrer Ankunft von Menschenhändler-ähnlichen Strukturen als Arbeiter ausgebeutet wurden.
Tatsächlich lag der Fokus des Romans jedoch eher auf der Auseinandersetzung mit aktuellen Diskursen zu Identität, Rassismus und Zugehörigkeit, die anhand von Lucy und Sam, aber auch ihrer Eltern aufgegriffen wird, da sie auf mehreren Ebenen aufgrund ihrer äußeren Merkmale einer bestimmten Herkunft und Gruppe zugeordnet werden, der Anschein jedoch trügt! Das war für mich als Leserin spannend, weil die eigene Meinung immer wieder redigiert werden musste – ähnlich einer Vorurteilsbrille, die mich vorschnell zu einer Tatsache finden lässt, und die mir immer wieder vorgehalten wurde. So gehe ich aus diesem Leseerlebnis mit einem Zitat raus, welches mehrfach im Roman fiel und doch nicht oft genug gefragt werden kann: „Was macht ein Zuhause zu einem Zuhause?“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere