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Veröffentlicht am 29.09.2021

Im Land der begrenzten Möglichkeiten

Diese Frauen
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In diesem Kriminalroman, der aber kein richtiger Kriminalroman ist, werden sechs Frauen miteinander verbunden: Essie, die Ermittlerin; Feelia, die Davongekommene; eine Mutter, eine Ehefrau, ein Opfer und ...

In diesem Kriminalroman, der aber kein richtiger Kriminalroman ist, werden sechs Frauen miteinander verbunden: Essie, die Ermittlerin; Feelia, die Davongekommene; eine Mutter, eine Ehefrau, ein Opfer und eine Tochter.

Das Ganze spielt in Los Angeles und dort zu leben, erscheint alles andere als wünschenswert. Seite 267: „Die Rinnsteine füllen sich. Es rauscht in den Gullys. Der Müll, der nie entsorgt wird, wirbelt herum, fließt davon. Ein Fluss aus Getränkedosen, Styroporbehältern und Verpackungen strömt am Straßenrand entlang.“

Ein Mann fährt in einem Auto in L. A. herum und DIESE FRAUEN steigen oft ein aber nie wieder aus. Der Mann hat schon viele Frauen umgebracht, aber da es DIESE FRAUEN sind, wird nicht ermittelt. Wird Hinweisen nicht nachgegangen. Werden Anrufe nicht ernst genommen. So landen sie in der Gosse mit durchgeschnittener Kehle und einer Plastiktüte über dem Kopf.

Ivy Pochoda kann schreiben, ist kreativ, hat gute Ideen – ohne Zweifel. Sicherlich hat auch die Übersetzerin ihre Arbeit sehr gut gemacht. Dennoch hat mir etwas gefehlt, vielleicht ein roter Faden, vielleicht hier und da etwas Spannung und manchmal auch die Lust weiterzulesen. Bei dem Vorroman „Visitation Street“ ging es mir genauso. Er war gut geschrieben, die Protagonisten waren perfekt ausgeleuchtet, aber irgendwie fehlte etwas. Es ehrt die Verfasserin, dass sie DIESEN FRAUEN – gemeint sind die, die ihre Körper verkaufen – eine Stimme geben will, sie sichtbar machen will, aber hätte da ein Sachbuch vielleicht eher diesen Zweck erfüllt?

Ich habe mal darüber nachgedacht, was denn nun einen Krimi ausmacht. Und denke, das sind in erster Linie die Ermittlungen, an denen sich der Text entlang hangelt. Hier sind die Ermittlungen eher Nebensache, kommen fast wie zufällig daher. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum mir der rote Faden fehlt. Die Ereignisse wirken wie die aneinander gereihten Lebensgeschichten der sechs Protagonistinnen nebst Familie, Freunden, Kollegen. Mit manchen Sprüngen vor und rück. Da mangelt es an einem durchgehenden Konzept.

Fazit: So wirklich begeistern konnte mich dieser Roman nicht. Auch wenn er uns teilweise die Augen öffnet, wie es im so hoch gelobten Land Amerika in den Großstädten (vermutlich) wirklich aussieht. Da können gut aussehende Frauen ihr benötigtes Geld nur mit Prostitution verdienen und überall stinkt es, brennt es und liegt Müll herum. Na ja, mehr als 3 Sterne sind da nicht drin.

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Veröffentlicht am 15.09.2021

Mit innerer Stärke souverän das Böse überwinden

Junge mit schwarzem Hahn
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Zu Beginn dieses wunderbaren Märchens ist Martin elf Jahre alt. Er ist der einzige Überlebende in seiner Familie, denn sein Vater brachte die Mutter und die Geschwister um. Und sich im Anschluss.

Aber ...

Zu Beginn dieses wunderbaren Märchens ist Martin elf Jahre alt. Er ist der einzige Überlebende in seiner Familie, denn sein Vater brachte die Mutter und die Geschwister um. Und sich im Anschluss.

Aber Martin ist nicht allein, er hat einen einzigartigen Freund: den schwarzen Hahn. Der Hahn fand ihn schon als Baby, zwischen all den Körnern im Hühnerstall und ab da waren sie unzertrennlich. Und Martins Eltern ließen sie, zu dem Zeitpunkt lebten sie ja noch.

Nach dem Attentat lebt Martin mehr schlecht als recht in der Hütte. Die meisten Leute im Dorf sind misstrauisch, sie sind böse und dumm, wollen mit ihren Fehlern in Frieden leben. (S. 53) Und Martin ist klug und gut und das passt nun mal nicht zusammen. Und das nervt sie gewaltig.

Als ein Maler ins Dorf kommt, um ein großes Altarbild zu malen, gehen Martin und der Hahn mit ihm fort, als dieses Werk vollendet ist.

Im Land herrscht Krieg, Elend und Hunger. S. 168: „Weil nur die niedrigste Gesinnung in solchen Zeiten überlebt, denn Güte und Ehre brauchen genug zu fressen.“ Dazu werden in jedem Jahr zwei Kinder geraubt. Ein Junge und ein Mädchen. Die werden später dauer-betäubt und leiden. Und tauchen in der Regel danach nicht wieder auf.

Das Büchlein hat nur 223 Seiten, aber wir alle können viel daraus lernen. Denn Martin meistert seine Lebensaufgabe mit Bravour, Feingefühl und gewaltiger innerer Stärke. Er kann sogar Leben einhauchen. Gottgleich? Er hilft bei einer Geburt, als die Dorfhebamme sich weigert, zu erscheinen. Seite 172: „Sie [gemeint ist hier die Hebamme] kommt nicht, sagt Martin, als er wieder bei Frau und Reiter ist. Und so müssen sie es allein schaffen. Martin voller Mut. Mit diesem Vertrauen in eine Welt, die es nur in ihm gibt. Die er dem Kind einhaucht, das sich mit dem ersten Atemzug schwertut.“

Ich möchte noch den Beginn des Kapitels 22 auf Seite 144 erwähnen: "Nach und nach offenbaren sich die Regeln für das Leben auf der Burg. Wobei beliebig Regeln hinzuwachsen oder verschärft werden, aber nie aufgekündigt. Es gibt ein schwammiges Grundsätzliches, der Rest ist Glück oder Pech, man fährt wohl am besten mit Angst und Misstrauen ..." Hier mag jeder selbst überlegen, ob ihm das irgendwie bekannt vorkommt?

Fazit: Dieses feine Büchlein möchte ich jedem ans Herz legen, denn es macht Mut – gerade in dieser schwierigen Zeit. Es ist wirklich ein außergewöhnlicher Debütroman, eine literarische Entdeckung, wie schon im Klappentext vermerkt und verdient unsere höchste Anerkennung. Glanzvoll verdiente 5 Sterne dafür.


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Veröffentlicht am 11.09.2021

Drei Jungen und ein Hund

Die Überlebenden
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Manchmal sehe ich Dinge, die nicht da sind. Im Roman von Alex Schulman gibt es keine Berufe, dafür wird umso mehr geraucht. Freunde oder sonstige Besucher, bzw. andere Menschen, existieren auch nicht oder ...

Manchmal sehe ich Dinge, die nicht da sind. Im Roman von Alex Schulman gibt es keine Berufe, dafür wird umso mehr geraucht. Freunde oder sonstige Besucher, bzw. andere Menschen, existieren auch nicht oder kaum. Also höchstens unwesentlich.

Es gibt aber das Sommerhaus am See; Vater, Mutter, Benjamin, Pierre, Nils & Molly, den Hund.

Benjamin ist die Hauptfigur, tritt aber nicht als Ich-Erzähler auf. Die Interaktion der Personen fand ich oft seltsam und dennoch nachvollziehbar.

„Die Überlebenden“ beginnt mit dem Ende. Die Asche der Mutter soll unten am See beim Sommerhaus verstreut werden. Das war ihr letzter Wille und das stand in ihrem langen Abschiedsbrief. Zu dem Zeitpunkt lebte der Vater schon längst nicht mehr. Und die Brüder waren sich fremd geworden und hatten kaum noch Kontakt. Nun aber fahren sie gemeinsam, notgedrungen, wieder zum Ort ihrer Kindheit, wo sie zwanzig Jahre nicht mehr waren.

Die ungeraden Kapitel mit Uhrzeit erschließen sich rückwärts im zwei-Stunden-Takt, im zweiten Teil sind sie gerade, aber immer noch rückwärts in die Vergangenheit gerichtet.

In den Episoden dazwischen erleben wir besondere Vorkommnisse, zum Teil sehr intensive, auch sehr grausame, die kaum auszuhalten sind. Hier läuft das Geschehen vorwärts, es sind aber auch Erinnerungen eingestreut.

Was machen drei Brüder und ein Hund da draußen an einem Sommerhaus am See? Sie schwimmen, sie laufen, sie angeln, sie gehen auf Erkundungstour in die umliegenden Wälder.

Ein furchtbarer Unfall passiert, umrahmt von anderen Unfällen, die aber weniger schwerwiegend sind.

Fazit: Ob der Trick, der hier angewandt wird, um dem Roman Leben und Intensität einzuhauchen, legitim ist, das mag jeder Leser individuell entscheiden. Ich jedenfalls war durchaus beeindruckt, hätte an ganz anderer Stelle Mystisches, Verdecktes vermutet. So vergebe ich verdiente vier Sterne.

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Veröffentlicht am 02.09.2021

An der Schwelle in die verengte Zukunft

Die silbernen Felder
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Am Anfang hab ich mich sehr schwer getan mit diesem Buch. Ich fand den Beginn so verquast, dass ich zuerst nicht weiterlesen wollte. Was hat mich dazu bewogen, es dann doch zu tun? Vielleicht lag es daran, ...

Am Anfang hab ich mich sehr schwer getan mit diesem Buch. Ich fand den Beginn so verquast, dass ich zuerst nicht weiterlesen wollte. Was hat mich dazu bewogen, es dann doch zu tun? Vielleicht lag es daran, dass die neuen Bücher noch nicht da waren – und ich war hart zu mir selbst. Manchmal geht das.

Natürlich hat mich das Thema interessiert: Es gibt hier (nur hier?) neue digitale Welten im Transhumanismus, jeder Mensch hat ein digitales Profil, das regelmäßig gepflegt werden muss, inklusive kontinuierlich Gewicht und Herz-Kreislauf-Daten an die Krankenkasse zu übermitteln. (Seite 128)

Das war’s, was ich zuallererst wissen wollte: Wie geht die deutsche Autorin Claudia Tieschky literarisch mit dieser überaus schwierigen dystopischen Zukunft um?

Kommen wir zunächst zu den Protagonisten: Margarethe, die Alleingängerin, sucht ihre Schwester Fiona, die vor Jahren unerwartet Wohnung, Stadt und Familie verließ. Fiona ist nicht mal ihre richtige Schwester. Sie ist sechs Jahre älter und vom Familienoberhaupt mit in die Patchwork-Familie eingebracht. Und dieser Vater ist nicht Margarethes leiblicher Vater. Aber die „Schwestern“ stehen sich sehr nahe und der Verlust trifft M. schwer.

So macht sich M. eines Tages auf, um Konrad im digitalen Nichts zu suchen. Konrad war der jugendliche Liebhaber ihrer Schwester und der hütet jetzt Schafe im Nirgendwo. Dieses Nirgendwo, das waren für mich die SILBERNEN (unbekannten) FELDER. Auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Und ab hier wurde es richtig spannend und auch fast unerträglich, da sich ganz viel an unsere Jetzt-Zeit anlehnt, bzw. darüber hinaus in die „sich abzeichnende verengte Zukunft“ führt. (Seite 178) Die wir Leser im Realen möglicherweise noch vor uns haben, wenn wir uns nicht wehren.

Konrad arbeitete mit Fiona am Projekt „Liebseligkeit“, bis sie es nicht mehr aushielt und sich die Wege der beiden trennten. Vermutlich trennten, M. hat da so ihre Zweifel.

Hat die „Liebseligkeit“ etwa das Potenzial, einmal die Gesellschaft, die wir kennen, durch ein Kontrollsystem zu ersetzen und selbst Regierungen zu entmachten? Und sind die Menschen, die sich nicht ins System fügen, die wertvollsten Datenlieferanten? Ja, es wird unheimlich, sogar sehr unheimlich! Enden wir etwa alle in einem vernetzten Gefüge?

Um dem paranoiden Albtraum zu entgehen, müssen wir klar und überdeutlich NEIN sagen, unseren freien Willen bekunden. Wie das geht, erfahren wir auf den Seiten 149 bis 150. Das war für mich die Kernsequenz dieses Romans und nicht nur das hat mich sehr beeindruckt.

M. hatte mal einen Freund, Hans, und Hans hatte nach M. eine andere Freundin: Marie. M. ist Marie im wirklichen Leben nie begegnet, dennoch war sie fasziniert von ihr und als Leserin bin ich das auch. Denn Marie malt ungewöhnliche Bilder. Seite 127: „Nein, sie [gemeint ist hier Marie] müsse zu einem Ursprung finden, zu etwas quasi Botanischem, sie müsse mit einem Wort so lange beobachten, bis sie etwas finde, das sie nicht verstehe und das ihr zutiefst fremd sei. Nur das sei es wert, abgebildet zu werden.“

Möglicherweise war Hans die große Liebe von M. So philosophiert sie auf Seite 132: „Vielleicht war es irgendwann einfach zu spät dafür zusammenzuleben, selbst dann, wenn man füreinander bestimmt war wie Hans und ich. Vielleicht ist die Zeit ein großer Vernichter nicht nur der Körper, sondern auch der Seelen.“

Fazit: Wenn man den Anfang überlebt und das Buch nicht zur Seite legt, kann man als kritischer Mensch wertvolle Einsichten gewinnen und liest eventuell diesen kurzen Roman nochmal. Empfehlenswert ist auch das Interview mit der Autorin: https://www.buchkultur.net/claudia-tieschky/

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Veröffentlicht am 01.07.2021

Wie gut, dass sie nicht weiß …

Von hier bis zum Anfang
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Da schreibt ein Engländer einen amerikanischen Coming-of-Age-Roman, wie er amerikanischer nicht sein könnte. Denn Chris Whitaker dürfte ein waschechter Engländer sein. Am Anfang war ich so irritiert, las ...

Da schreibt ein Engländer einen amerikanischen Coming-of-Age-Roman, wie er amerikanischer nicht sein könnte. Denn Chris Whitaker dürfte ein waschechter Engländer sein. Am Anfang war ich so irritiert, las also nochmal den hinteren Klappentext – und ja – da steht Cape Haven, Kalifornien. Der Ort, bzw. diese Küste ist fiktiv, denn ich fand kein Cape Haven in Kalifornien. Aber ich folgte Chris Whitaker literarisch nach Cape Haven und zwar begeisterter von Seite zu Seite.

Aber, jetzt geht es von HIER BIS ZUM ANFANG. Wir begleiten Duchess, die Kindfrau, die so gern ein Outlaw sein möchte, ein ganzes Jahr lang. Als wir mit der Lektüre beginnen, ist sie dreizehn Jahre alt, am Ende ist sie vierzehn. Mit etlichen Ortswechseln, da muss sie durch. Und nicht nur da durch.

Die schöne Duchess sorgt hingebungsvoll für ihren kleinen Bruder Robin, der ist sechs Jahre alt. Und Star, die ebenso schöne Mutter, die zwar ihre beiden Kinder innig liebt, ist aber oft unfähig, für sie zu sorgen. Ständig ist das Geld knapp, so singt Star in einer Bar, alle Männer wollen ihr an die Wäsche, aber sie hat andere Vorstellungen. Was für welche, das erfahren wir im Laufe des Romans. In Cape Haven wohnen allerlei zwielichtige männliche Gestalten. Man weiß nicht so recht, was man von denen halten soll, wer ist gut und wer ist böse?

Dreißig Jahre zuvor hat Vincent King Stars kleine Schwester Sissy getötet und sitzt dafür im Knast. Dort bringt er noch einen um, in Notwehr. Nun kommt Vincent King wieder aus dem Knast und ganz Cape Haven gerät aus den Fugen.

Die gute Seele an dieser Küste ist Chief Walker, der furchtlose, aber im Alter kranke Polizist. Vincent King war und ist sein bester Freund, von Kindestagen an, was die ganze Sache für beide nicht einfacher macht.

Die Charakterentwicklung der Figuren ist so wahnsinnig gut gelungen, dass man meinen könnte, man sei ihnen oft in natura begegnet. Ich sehe sie regelrecht vor mir: Duchess, die keine Gefühle zulassen will, weil sie meint, dass es sie schwächt. Ihren kleinen Bruder Robin, den Ängstlichen. Chief Walker, den Guten, der leider mit der Liebe seines Lebens keine rechtzeitige Erfüllung fand. Hal, den Großvater, der früh davon abgehalten wurde, seinen Leuten näher zu kommen. Wir lernen auch fantastische Frauenfiguren kennen: Martha, die Engagierte, Fleißige und Polly, die Unkonventionelle, Warmherzige.

Das Ganze eingebunden in gelbe Leinenstruktur mit wunderbarem Cover und Lesebändchen, so fein gestaltet, wie es nur sein kann.

Fazit: Gern wäre ich noch länger in Cape Haven verblieben und hätte Duchess weiter in ihrer Entwicklung beobachtet. Alle Krimiliebhaber, die es gern literarisch wertvoll haben, die kommen hier voll auf ihre Kosten. Und können hier ein ganzes Buch voll vom harten amerikanischen Traum kosten. 5 Sterne!

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