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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.03.2020

Aufwühlend und gewohnt brilliant

Dankbarkeiten
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Michka war eine stets unabängige und selbstständige Frau. Doch im Alter verliert sie immer mehr die Möglichkeit sich auszudrücken. Die Wörter entfallen ihr zusehends, sie findet die richtigen nicht mehr ...

Michka war eine stets unabängige und selbstständige Frau. Doch im Alter verliert sie immer mehr die Möglichkeit sich auszudrücken. Die Wörter entfallen ihr zusehends, sie findet die richtigen nicht mehr und ersetzt sie deshalb durch ähnlich klingende. Als sie dann auch noch immer öfter stürzt, muss sie in ein Altenheim ziehen, ihre einzigen Besucher sind ihre Ziehtochter Marie und ihr Logopäde Jérome. Geplagt von Alpträumen steigt ihre Angst vor der Zukunft und vollends die Kontrolle über ihre Sprache zu verlieren, bevor sie ihren letzten Wunsch umsetzen konnte. Sie wurde als kleines Mädchen von einem ihr unbekannten Ehepaar versteckt und beschützt, doch sie hatte nie die Gelegenheit ihnen zu danken. Dieses Versäumnis nagt sehr an ihr und setzt ihr merklich zu.

Delphine de Vigan hat mit "Dankbarkeiten" wieder ein sehr berührendes Buch geschaffen. Es gelingt ihr meisterhaft auf nur wenigen Seiten ein Gefühl beim Leser entstehen zu lassen. Mit jedem Wort, jedem Satz zerreist mein Herz ein bisschen mehr. Michka verliert nach und nach die Kontrolle, sie hat Angst und versucht alles mögliche um sich ein selbstbestimmtes Ende zu ermöglichen. Der Leser verfolgt Michkas Weg bis zum Ende, ihre Verzweiflung war für mich greifbar und innerlich spürbar. Sie hat mich zutiefst berührt, die tiefe Leere die sich in ihr ausbreitet hat mich zu Tränen gerührt. Auch Marie und Jérome fand ich tief berührend. Ihr Versuch, die alte Frau aufzumuntern, ihr ihre Sprache zurückzugeben und wie sie sich um sie Sorgen. Sie haben eigene Dinge zu bewältigen und fühlen sich doch irgendwie mit Michka verbunden, sie hat einen Platz in ihrem Herzen erhalten.

Delphine de Vigan hat einen einzigartigen Schreibstil, kein Autor/keine Autorin berührt mich mit ihren Büchern so sehr wie sie. Mit nur wenigen Worten schreibt sie sich in mein Herz und nach nur einer Seite nehmen mich ihre Geschichten gefangen. Nie behandelt sie einfache Themen und auch hier sind Themen wie das Vergessen, nicht bewältigte Situationen aus der Vergangenheit, verpasste Möglichkeiten, vertane Chancen keine einfache Kost. Doch de Vigan meistert diese so gekonnt, dass trotz all der Trauer, diebeim Leser aufkommt, die Verzweiflung nie die Oberhand gewinnt. Trotz allem wird auch Hoffnung vermittelt, dass am Ende alles gut ausgehen kann. Auch wenn Michka zunehmend resigniert, gelingt es ihr zu hoffen, dass sie ihr letztes Danke noch aussprechen kann.

"Dankbarkeiten" ist ein Appell Danke zu sagen. Danke für Kleinigkeiten, Danke für Wichtiges, Danke für Unwichtiges, ein Danke das man wirklich so meint, das einen mit anderen verbindet und das es einem ermöglicht am Lebensende vielleicht zufrieden auf die Vergangenheit blicken zu können. Es ist ein unglaublich menschliches Buch, das trotz schwieriger Themen den Leser zum Lachen bringt ohne zu gewollt zu wirken. Es ist ein einzigartiges Buch, berührend, emotional und gewohnt brilliant geschrieben.

Veröffentlicht am 14.03.2020

Die Suche nach der eigenen Mutter

Die Geheimnisse meiner Mutter
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Rose ist bei ihrem Vater Matt aufgewachsen, ihre Mutter verschwand als sie nur wenige Monate alt war. Rose weiß weder warum noch wohin ihre Mutter Elise verschwunden ist und litt in ihrer Kindheit lange ...

Rose ist bei ihrem Vater Matt aufgewachsen, ihre Mutter verschwand als sie nur wenige Monate alt war. Rose weiß weder warum noch wohin ihre Mutter Elise verschwunden ist und litt in ihrer Kindheit lange unter dem Verlust eines Menschen, den sie nie kannte. Irgendwann erzählt ihr Vater von Constance Holden, eine erfolgreiche Schriftstellerin und die letzte Person die Elise vor ihrem Verschwinden gesehen hat.

"Die Geheimnisse meiner Mutter" erzählt die Geschichte von Elise und Rose in zwei Erzählsträngen. Constance Holden bildet dabei die Verbindung zwischen den beiden Frauen. Die Sprache und der Erzählstil hat mir wirklich gut gefallen. Die beiden Erzählstrange werden gekonnt aufgebaut und geschildert und es hat mir größtenteils sehr viel Freude gemacht den Frauen zu schildern.

Die Charaktere sind gut herausgearbeitet auch wenn ich mit Rose wenig anfangen konnte. Hier hätte ich mir mehr gewünscht. Man merkt zwar, dass sie sich verloren fühlt aber so ganz erreicht haben mich ihre Gefühle nicht. Sie blieb etwas blass in allem, scheint im Schatten der anderen Figuren zu bleiben. Auch ihr Handeln konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Als Leser war mir nicht deutlich, wie es sich für sie angefühlt hat ohne Mutter aufzuwachsen, bei einem alleinerziehenden Vater, was sicherlich eine Besonderheit zu der Zeit war. Am besten gefallen hat mir Elise. Ihr Wesen ist tiefgehend und ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Ihre Gefühle und Gedanken und auch ihre Verletzlichkeit haben für mich dieses Buch zu etwas besonderem gemacht. Constance wirkt zunächst sehr unnahbar und egoistisch, sie entwickelt sich jedoch imlaufe des Buches und ich konnte am Ende gut nachvollziehen, warum sie eine solche Anziehungskraft auf ihre Mitmenschen ausübt. Sie ist eine faszinierende Persönlichkeit.

Die Handlung an sich ist gar nicht so stark, es ist nichts super spannendes aber dennoch schafft Burton es, mein Interesse durchgehend aufrecht zu erhalten. Es wird nie langweilig und v.a. Elise hat mich wie magisch an die Geschichte gebunden. "Die Geheimnisse meiner Mutter" handelt tatsächlich sehr viel von Geheimnisse. Aber es ist auch eine Geschichte über Liebe und Freundschaft, über Mütter und Töchter, über das Verlorensein zwischen all den Menschen, über das Sich-selbst-finden, über Beziehungen, Eifersucht und Treue, über Tod und Leben, über Depressionen und Probleme und wie es ist, seine Zulunft nicht sehen zu können. Hin und wieder hat mir ein bisschen was gefehlt aber alles in allem habe ich "Die Geheimnisse meiner Mutter" sehr gerne gelesen.

Veröffentlicht am 06.03.2020

Eine Welt der Düfte

Shadowscent - Die Blume der Finsternis
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Aramtesch ist eine Welt in der sich alles um Düfte dreht, doch die Dufthüterrinnen werden vom König abgelehnt. Sein Sohn, der Kronprinz Nisai ist offener eingestellt doch als er vergiftet wird, fällt der ...

Aramtesch ist eine Welt in der sich alles um Düfte dreht, doch die Dufthüterrinnen werden vom König abgelehnt. Sein Sohn, der Kronprinz Nisai ist offener eingestellt doch als er vergiftet wird, fällt der Verdacht sofort auf die Dufthüterinnen. Rakel, eine Dienerin mit einem ausgeprägten Talent für Düfte und Ash, der Leibwächter des Kronprinzen werden ungewollt zu einem Team auf der Suche nach einem Gegenmittel. Sie entdecken eine geheimnisvolle alte Schriftrolle, die Hinweise auf die Zutaten gibt. Die beiden brechen auf zu einer gefährlichen Reise ins Ungewisse.

"Shadowscent" beginnt sehr schleppend. Die Autorin nimmt sich viel Zeit für die Einführung, erst nach ca.150 Seiten beginnt die eigentliche Handlung von der auf dem Klappentext die Rede ist. Davor plätschert die Geschicte leider nur vor sich hin. Ich finde es normalerweise gut, wenn der Leser zunächst in die Geschichte eingeführt und die Figuren vorgestellt wird. Doch hier nimmt das wirklich sehr viel Raum ein und leider beantwortet die Autorin auch nicht alle Fragen. Es werden nur Bruchstücke erläutert, Hintergründe bleiben weitestgehend verborgen und unerklärt. Das finde ich etwas schade, da hätte man die Einführung auch kürzer ausfallen lassen.

Der Schreibstil an sich ist flüssig und gut zu lesen, nach dem ersten Drittel nimmt die Handlung auch mehr an Fahrt auf. Was den Lesefluss für mich jedoch etwas gebremst hat waren Wortneuschöpfungen/-veränderungen wir zB. stankklar, stickender Stock, stänkender Stund. Sie haben mich beim Lesen immer wieder irritiert anhalten lassen und wären meiner Meinung nach nicht nötig gewesen. Es wird auch so klar, wie wichtig Düfte in der Welt von Arramtesch sind. Die Düfte und alles was damit zu tun hat wird jedoch sehr bildlich und greifbar, man hat fast das Gefühl, sie selbst zu riechen.

Die Suche nach dem Heilmittel fand ich interessant beschrieben, die Reise ist voll von Stolpersteinen doch die beiden meistern alles irgendwie zusammen. Die Nebenfiguren bleiben jedoch etwas blass und mit wenig Tiefe doch Ash und Rakel sind mir schnell sympathisch geworden. Beide haben keine einfache Vergangenheit und die Reise verbindet die beiden trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft. Auf ihrer Suche reisen sie von einem Hinweis zum nächsten,wntdecken neue Rätsel und Unklarheiten und stoßen immer wieder auf Menschen, bei denen sie nicht wissen, ob sie ihnen vertrauen können.

Die Geschichte entwickelt sich zunehmends, am Ende überschlagen sich die Ereignisse und die Spannung steigt. Das Ende wirft nochmals viele neue Fragen auf und macht Lust auf den nächsten Band.

Veröffentlicht am 20.02.2020

Wenn der Glaube lauter schreit als die Vernunft

Ein wenig Glaube
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Peg und Lyle haben lange verzweifelt versucht ein weiteres Kind zu bekommen, nachdem ihr erster Sohn kurz nach der Geburt gestorben ist. Sie hatten schon fast aufgegeben, als sie die Möglichkeit bekamen ...

Peg und Lyle haben lange verzweifelt versucht ein weiteres Kind zu bekommen, nachdem ihr erster Sohn kurz nach der Geburt gestorben ist. Sie hatten schon fast aufgegeben, als sie die Möglichkeit bekamen ein Baby zu adoptieren, Shiloh die fortan ihre Tochter ist. Mittlerweile sind Peg und Lyle im Rentenalter und die Beziehung zu ihrer Tochter ist oftmals angespannt. V.a. seit Shiloh wieder zu ihren Eltern gezogen ist, zusammen mit ihrem Kind Isaac. Peg und Lyle lieben Isaac über alles und freuen sich, ihre Familie wieder um sich zu haben und ein bisschen frischen Wind in ihr Leben zu lassen. Doch ihr Leben wird immer stärker von Sorgen überschattet. Nicht nur, dass sich Shiloh einer sehr radikalen Glaubensgemeinschaft angeschlossen hat, die sie immer mehr vereinnahmt und von ihren Eltern entfremdet. Dann wird auch noch bei Lyles bestem Freund Hoot Krebs im Endstadium diagnostiziert, was Lyle aus der Bahn zu werfen droht.

In letzter Zeit finde ich Geschichten über andere Glaubensgemeinschaften, Sekten etc. sehr interessant. Solche Bücher geben neue Blickwinkel und regen mich v.a. zum Nachdenken an. Als ich mit "Ein wenig Glaube" angefangen habe, war ich mir jedoch zunächst nicht sicher, ob das was wird, da Butler einen sehr detailreichen Schreibstil hat, was oftmals zu viel sein kann. Hier jedoch hat es immer genau das richtige Maß getroffen, ich habe mich nie gelangweilt beim Lesen. Ganz im Gegenteil, Butler schafft es auf sehr berührende Weise, die Figuren aufleben zu lassen und sie in ihrer Umgebung zu verankern. Der Detailreichtum seiner Erzählung und die ausschweifenden Beschreibungen können einen im ersten Moment abschrecken haben am Ende aber genau zu der geshcichte gepasst und sie zu dem gemacht, was sie ist. Es passiert bis ins letzte Vierteil auch eigentlich gar nicht so viel, es ist eher der Alltag den wir erleben, die Liebe von Peg und Lyle zu ihrer Tochter und ihrem Enkelkind, ihre Verzweiflung, die Veränderungen mitansehen zu müssen, ohne etwas tun zu können und schließlich auch die Sorge um Hoot. V.a. letzteres hat mich tief getroffen, denn Butler schildert die Krankheit sehr realistisch. Auch die Überlegungen die in so einer Situation unweigerlich aufkommen, ob es sich lohnt, eine Behandlung anzustreben oder ob man doch lieber die letzten Tage mit seinen Liebsten genießen soll. Lyles Verzweiflung wurde immer deutlich spürbar, auch seine alte Trauer und der Schmerz über den Verlust seines Sohnes, der ihn auch vom Glauben abgebracht hat.

Obwohl es nicht nur darum geht, nimmt der Glaube in diesem Buch natürlich eine sehr große Rolle ein, schwebt er doch über allem anderen. Man fragt sich als Leser selbst, was man in solchen Situationen tun würde, ob man selbst glauben kann an etwas Größeres, an eine höhere Macht. Aber man fragt sich auch, was passieren muss, dass man sich einer solchen Sekte, wie sie hier beschrieben ist, anschließt. Wie es sein kann, dass man sich so im Glauben verliert, dass die Vernunft ausgeschaltet wird. Wie es sein kann, dass man an so etwas wie Gesundbeten oder andere Praktiken glaubt und dabei sogar das Leben anderer Menschen riskiert. Wie man als Mutter so blind sein kann gegenüber den Schmerzen seines eigenen Kindes. Wie man sich als Frau so dem Mann unterordnen kann und dabei sogar seine eigene Persönlichkeit aufgibt. Und wie es sein kann, dass man es zulässt, dass der eigene Glaube die Familie entzweit, nur weil nicht jeder dort den gleichen starken Glauben hat wie man selbst.

"Ein wenig Glaube" ist aber auch ein Familienroman und der Zusammenhalt von Peg und Lyle aber auch von ihren Freunden hat mir sehr imponiert. Sie sind füreinander da, auch wenn es mal nicht gut läuft und stehen stets mit Rat und Tat zur Seite - selbst mitten in der Nacht oder wenn sie gar nicht wissen, was eigentlich los ist. Sie sind einfach da, damit der andere nicht alleine sein muss mit seinen Gedanken. Auch diese Zuneigung und Liebe hat Butler wunderbar beschrieben und man kann sie als leser förmlich fühlen. Alle Figuren fand ich sehr glaubwürdig, selbst, wenn manche nur am Rande auftauchen. Sie haben das Gesamtkonstrukt perfekt ergänzt.

Fazit: Butler hat mit "Ein wenig Glaube" ein tolles Buch geschaffen, dem ich viele leser wünsche. Es lenkt den Blick des Lesers auf andere Glaubensgemeinschaften und bringt ihn zum Nachdenken. Das Buch basiert auf einer wahren Begebenheit, was es noch viel eindringlicher gemacht hat für mich.

Veröffentlicht am 17.02.2020

schwierige Themen und ein ungewöhnlicher Aufbau

Je tiefer das Wasser
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Edith und Mae sind Schwestern, sie leben bei ihrer Mutter Marianne, bis sie nach deren Suizidversuch zu ihrem Vater nach New York ziehen müssen. Die beiden erleben die Welt sehr unterschiedlich. Mae hat ...

Edith und Mae sind Schwestern, sie leben bei ihrer Mutter Marianne, bis sie nach deren Suizidversuch zu ihrem Vater nach New York ziehen müssen. Die beiden erleben die Welt sehr unterschiedlich. Mae hat sich von ihrer Mutter immer eingeengt gefühlt und sieht nun bei ihrem Vater die Möglichkeit, ein neues, freies Leben zu führen. Edith hingegen fühlt sich von ihrem Vater verraten, der sie als Kind verlassen hat, was sie ihm nicht verzeihen kann. Sie buhlte immer um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter und versucht sie verzweifelt am Leben zu halten und ihre Liebe erwidert zu wissen.

Die gesamte Familie hat einen Knacks, jede Figur ist getrieben und dieses Getriebensein äußert sich in verschiedenen Formen. Mae will sich von ihrer Mutter befreien und wirft sich dabei doch nur in eine weitere Abhängigkeit, in dem sie versucht, ihrem Vater zu gefallen und seine Liebe zu erhalten. Doch der ist noch immer gefangen in seiner Liebe zu Marianne und sieht in der Tochter nur deren Ebenbild, nicht jedoch das Mädchen, das sie ist. Zwischen den beiden entwickelt sich eine ungute Beziehung denn Mae würde alles tun, um die Zuneigung und Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken, selbst wenn sie dafür in die Rolle ihrer Mutter schlüpfen muss. Edith hingegen versucht ihre Mutter zu retten und will nicht wahrhaben, dass ihr dies womöglich nie gelingen wird. Sie hebt Marianne in den Himmel und sieht ihre Schattenseiten nicht, sucht eher die Schuld bei sich oder bei anderen. Doch auch die anderen Familienmitglieder und Figuren haben mit den Schattenseiten des Lebens zu kämpfen und fühlen sich oftmals machtlos.

"Je tiefer das Wasser" ist kein klassischer Roman, es ist viel mehr eine Sammlung von Rückblenden der verschiedenen Figuren, die mitunter an Verhörmitschnitte oder Protokolle erinnern. V.a. in der ersten Hälfte hatte ich das Gefühl, einem Film zu folgen, bei dem Außenstehende versuchen eine lang vergangene Situation nachzuvollziehen. Diesen Stil muss man mögen, mir hat er jedoch gut gefallen. Gerade durch die vielen verschiedenen Blickwinkel wird die Gespaltenheit und Widersprüchlichkeit der Erlebnisse deutlich. Jede der Personen, die zu Wort kommen, hat das Vergangene unterschiedlich erlebt, was ich sehr faszinierend fand. Der Schreibstil war oft sehr klar und nüchtern und hielt mich gedanklich auf Abstand, doch dann gab es wieder Passagen, die wie ein Messer unter die Haut fahren und mich aufweckten und erschütterten. Manches wird nicht ausgesprochen, sondern nur angedeutet und am Ende kann sich der Leser eigentlich bei nichts so richtig sicher sein. Durch die Rückblenden hatte ich auch manchmal das Gefühl, etwas übersehen zu haben, da einige Ereignissen vorgegriffen wird. Dennoch entwickelt es auch irgendwie einen Sog, dem ich mich nicht ganz entziehen konnte. Katya Apekina blickt tief in die menschlichen Abgründe und auf psychische Probleme sowie den Umgang mit diesen. Darauf wird der Leser jedoch nicht wirklich vorbereitet und manches Mal wurde ich überrascht von der Wendung und der Intensität, die ich so nicht erwartet hatte an diesen Stellen. Viele Themen tauchen zunächst unterschwellig auf um dann an die Oberfläche zu brechen und den Leser zu schockieren und verstören. Damit muss man umgehen können, was "Je tiefer das Wasser" sicherlich nicht zu einem Buch für jeden macht und was man vor dem Lesen bedenken sollte.