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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.08.2021

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Viktor
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Auf zwei Zeitebenen erzählt Judith Fanto hier eine jüdische Familiengeschichte, die vermutlich viele autobigraphische Aspekte enthält. Es geht um Viktor, der im Wien der 1914er Jahre aufwächst und langsam ...

Auf zwei Zeitebenen erzählt Judith Fanto hier eine jüdische Familiengeschichte, die vermutlich viele autobigraphische Aspekte enthält. Es geht um Viktor, der im Wien der 1914er Jahre aufwächst und langsam das Erstarken des Nationalsozialismus miterlebt. Gleichzeitig ist er das schwarze Schaf der Familie, denn er will sich nicht an Regeln anpassen, die ihm sinnlos erscheinen. Die Familie kann schlussendlich vor den Nazis fliehen, doch die Vergangenheit schwebt wie ein dunkles Stück Stoff über ihnen. Damit ist der Leser im "Jetzt" bei Geertje angelangt. Sie möchte zu ihrem Judentum stehen, und hat doch überhaupt keine Ahnung, was es heißt und hieß jüdisch zu sein. Nur langsam entdeckt sie die Geheimnisse ihrer Familie und versteht dabei vielleicht auch sich selbst besser.

Judith Fanto hat einen recht leichten und flüssigen Schreibstil, der auch das schwere Thema gut erfasst. Doch leider hatte ich (vieleicht dadurch?) auch immer das Gefühl, dass mir die Figuren zu unnahbar bleiben. Geertje, die mit ihrem Umbenennen in Judith die Familie vor den Kopf stößt bleibt mir zu flach in ihrer Suche nach der eigenen Identität sowie der der Familie. Ich konnte ihr Handeln nur bedingt nachvollziehen und ich hätte mir hier eine etwas tiefergehende Ausarbeitung gewünscht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie und dem Judentum bleibt etwas auf der Strecke, da dieser Erzählstrang Viktors unterbrochen wird. So erscheint manchmal das Erzählte etwas unzusammenhängend.
Viktors Erzählperspektive gefiel mir da etwas besser, er wirkt realer auf mich. Die Reaktionen der Juden auf die Nazis, ihr Glauben an Vernunft fand ich sehr gut dargestellt. Niemand wollte glauben, was passiert und nicht jeder hatte am Ende soviel Glück wie Familie Rosenbaum.

Fanto schreibt in "Viktor" über eine jüdische Familie, die nice jüdisch sein wollte und mit dem Nationalsozialismus Hitlers konfrontiert in ihrer Abneigung bestärkt wird. Es geht um die Frage von Schuld und um die Aufarbeitung der Vergangenheit. "Viktor" ist gut und leicht geschrieben, ich hätte mir jedoch an manchen Stellen etwas mehr gewünscht.

Veröffentlicht am 05.08.2021

Machtmissbrauch

Komplizinnen
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"Ich muss dir etwas sagen." Immer wieder hat Cléo diesen Satz gedacht und ihn doch nie ausgesprochen. Ein Geständnis für das sie nach fast 40 Jahren endlich bereit zu sein scheint. Ein Geständnis, das ...

"Ich muss dir etwas sagen." Immer wieder hat Cléo diesen Satz gedacht und ihn doch nie ausgesprochen. Ein Geständnis für das sie nach fast 40 Jahren endlich bereit zu sein scheint. Ein Geständnis, das auch so viele andere Frauen betrifft. Frauen, die einmal Mädchen waren, mit einem Traum vom Erfolg.

Alles beginnt mit einem solchen Mädchen, Cléo gerade 12 Jahre alt, entdeckt das Tanzen für sich, den Jazztanz, bei dem sie frei sein kann und sich gut fühlt. Sie wird entdeckt, von einer schönen und eleganten Frau, die ihren Traum von der erfolgreichen Tänzerin befeuert, die ihr von einer Stiftung erzählt. Natürlich kann Cléo nicht anders, sie ist begeistert und will sich Cathy und der Stiftung gegenüber beweisen. Was dann folgt war unglaublich hart zu lesen, so intensiv schildert Lola Lafon das Geschehene. Sie schreibt von Machtmissbrauch alter reicher Männer, die sich am Anblick der kleinen Mädchen aufgeilen, sie dazu aufforden "ihre Reife zu beweisen" und dabei weit über das Anschauen hinaus gehen. Lafon betitelt nichts direkt, was das Geschehene noch eindrücklicher werden lässt, da man die Zweifel und die Schan, die Verunsicherung Cléos am eigenen Leib zu spüren meint. Man erlebt mit, wie sie sich an die Hoffnung klammert, irgendwann "reif genug" zu sein, sieht, wie sie selbst zur Komplizin wird und andere Mädchen dazu verdammt, das gleiche zu erleben.

Dann kommt ein Bruch, Cléo wird älter, es kommen andere Akteure ins Spiel. Hier verliert mich Lafon ein klein wenig, der Roman verzweigt sich in Nebenwegen, die zwar durchaus interessant sind, mich aber nicht ganz so sehr begeistern konnten. Es geht um Judentum, um Religion, um Zugehörigkeit aber auch um Hass und Ausgrenzung. Und natürlich steht hinter allem die Scham und Schuld, die Cléo empfindet, Geheimnisse die sie seit ihrer Kindheit mit sich herum trägt. Doch schon beim Lesen merkt man, diese anderen Themen bleiben eher an der Oberfläche, sie können aufgrund des Romanumfangs nicht auserzählt werden und bleiben so eher Randfiguren, die Spieler im Hintergrund, die kaum einer sieht.

Dennoch kann ich am Ende sagen, dass Lafon mit "Komplizinnen" ein intensiver Roman gelungen ist. Sowohl Sprache als auch Stil haben mich vom ersten Moment an für sich eingenommen und auch wenn der Mittelteil ein wenig schwächer war, schließt Lafon am Ende den Kreis, die kleine unerfahrene Cléo wird zur Frau, die auf die Vergangenheit blickt und sich öffnet. Wer sich für die angesprochenen Themen interessiert und nicht vor den sehr eindringlichen Schilderungen am Anfang zurück schreckt, dem sei dieser Roman wärmstens empfohlen.

Veröffentlicht am 29.07.2021

Sachlich aber auch persönlich

Was fehlt dir
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Was fehlt dir? Fehlt dir etwas? Eine Frage, die wir alle schon einmal gestellt oder beantwortet haben. In Sigrid Nunez neuem Buch geht sie dieser Frage auf die Grund und was das Schicksal anderer mit einem ...

Was fehlt dir? Fehlt dir etwas? Eine Frage, die wir alle schon einmal gestellt oder beantwortet haben. In Sigrid Nunez neuem Buch geht sie dieser Frage auf die Grund und was das Schicksal anderer mit einem selbst macht. Die Protagonistin begleitet eine schwer kranke Freundin auf deren letztem Weg und versucht ihr einen fast unvorstellbaren Wunsch zu erfüllen. Für sie da zu sein und ihr bei einem selbstbestimmten Sterben zur Seite zu stehen.

Ich glaube, die vielen negativen Rezensionen entstanden aus falschen Erwartungen. "Was fehlt dir" ist kein Roman, es ist nicht mal wirklich eine Geschichte. Wer das erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht sein mit dieser Lektüre. Es ist viel mehr ein tagebuchartiges Essay, ein unverstellter Blick auf das Leben und das Sterben, der sich nicht darum schert, was der Leser davon hält. Es ist der Versuch, einen Menschen zu betrachten, der sterben muss, der leidet und Schmerzen hat und der das Ende selbst wählen möchte. Doch was macht ein solcher Wunsch mit anderen Menschen? Was macht es mit der Protagonistin?

Hier passiert nichts spannendes, es passiert nahezu überhaupt nichts. Stattdessen bekommt man alltägliche Schilderungen auf dem Weg der beiden Frauen. Und das alles mit einer sehr klaren aber anspruchsvollen Sprache. Für mich gestaltete sich dieses Buch als sehr persönlich und eindrucksvoll. Nunez schildert Schmerz, Krankheite und Alter in der reinsten Form, die man sich vorstellen kann, sie beschreibt, ohne zu werten und öffnet dadurch ihr Innerstes.

Ich habe mit "Der Freund" die Sprache und Schreibart von Sigrid Nunez lieben gelernt und wurde auch von "Was fehlt dir" nicht enttäuscht. Themen wie Trauer, Tod, Krankheit und Schmerzen sind in diesem Buch stets präsent, doch Nunez versinkt nicht in Sentimentalität oder ähnlichem. Stattdessen knüpft sie Verbindungen aus Vergangenheit und Gegenwart, aus literarischen Anspielungen und Momentaufnahmen, aus den eigenen Empfindungen und denen der anderen. "Was fehlt dir" istvein ruhiges Buch, das mich in seiner Mischung aus Sachlichkeit und persönlicher Schilderungen begeistern konnte. Erwartet keinen Roman, dann könnt ihr dieses Buch vielleicht genauso sehr genießen wie ich.

Veröffentlicht am 26.07.2021

Auszeit?

Auszeit
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In einer Ferienhütte im Bayerischen Wald trauert Henriette um ihr ungeborenes Kind. Was derLeser schnell erfährt: Henriette hat eine alkoholgetränkte Nacht mit ihrem Chef verbracht, wird ungewollt schwanger ...

In einer Ferienhütte im Bayerischen Wald trauert Henriette um ihr ungeborenes Kind. Was derLeser schnell erfährt: Henriette hat eine alkoholgetränkte Nacht mit ihrem Chef verbracht, wird ungewollt schwanger und entscheidet sich schließlich für eine Abtreibung. Um diese Entscheidung zu verarbeiten, macht sie mit ihrer Freundin Paula besagten Trip in die Abgeschiedenheit des Bayrischen Waldes.

Selten habe ich ein Buch mit so einem enttäuschten und v.a. wütenden Gefühl zugeschlagen. Henriette ist eine Frau, die nicht weiß, wo sie mit ihrem Leben hin will, die das noch nie wusste. Dass man an seinem Beruf Spaß haben kann, ist ihr unbegreiflich, die eigene Promotion wird ihr immer mehr zur Last. Als sie ungewollt schwanger ist, ist sie zuerst entsetzt, dann fühlt sie sich kurz glücklich, denkt, dass dieses Kind die Lösung ist und treibt dann doch ab. Schnell bereut sie diese Abtreibung wieder, fühlt sich schlecht, trauert um das Kind, das sie nicht bekommen wird. Natürlich ist eine Abtreibung keine einfache Entscheidung und wird sicher noch in den Gedanken weiter gehen. Doch Henriette suggeriert für mich mit ihren Worten, dass eine Abtreibung furchtbar ist, dass sie ein Kind umgebracht hat, dass sie etwas schlechtes getan hat und kein Recht zu trauern. Das empfinde ich persönlich als unverantwortliche Message.

Henriette ist offensichtlich in einer depressiven Stimmung. Dass dann ihre Freundin Paula ständig mit ihrem Esoterikgehabe nach dem Motto "Geh raus in die Natur, besinne dich auf dich selbst und deinen Körper", getoppt mit Energietherapie und Handauflegen daher kommt, hat mich anfangs genervt und irgendwann geärgert. Klar mag Yoga, Spatieren und Natur gut sein um abzuschalten und die Gedanken zu ordnen, ist aber sicherlich kein Allheilmittel. Stellenweise hatte ich jedoch das Gefühl, dass man mich hier bekehren möchte.

Es geht ähnlich weiter, auch der im Klappentext angekündigte Freund inklusive haarsträubendem Schluss passt gut in das Bild, das der Roman vorgibt. Dass das ganze dann als "die Träume und Ängste einer Generation um die dreißig, die alles zu haben scheint, aber der sich das Glück doch immer entzieht." verkauft wird, finde ich ziemlich schwach. Denn das ist kein Blick auf eine Generation um die dreißig, wie ich sie kenne, sondern viel mehr die Erzählung einer egoistischen Frau, die sich kaum um ihre Mitmenschen schert und die nichts mit sich und ihrem Leben anfangen kann.

Veröffentlicht am 26.07.2021

Liebesdrama

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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Olga, Tochter georgisch-griechischer Einwanderer, will sich von ihrer familie lösen und scheint es endlich geschafft zu haben: Ihr Medizinstudium hat siw fast abgeschlossen, den reichen Arztsohn mit einsilbigem ...

Olga, Tochter georgisch-griechischer Einwanderer, will sich von ihrer familie lösen und scheint es endlich geschafft zu haben: Ihr Medizinstudium hat siw fast abgeschlossen, den reichen Arztsohn mit einsilbigem Nachnahmen (und dann auch noch ein van davor!) hat sie sich auch geangelt. Blöderweise trifft sie im Zug Jack, der sofort hingerissen ist von seiner Aztekenprinzessin (?!) und sofort um sie wirbt. Als sie kurzfristig nach Georgien zur Familie reisen muss, folgt er ihr wenige Tage später nach.

Tja also. Dieses Buch konnte mich leider überhaupt nicht begeistern. Ich konnte weder Humor noch irgendwelche Spannung finden, es liest sich v.a. am Anfang recht langweilig und unspektakulär. Die Informationen, die man zu Georgien erhält sind allerdings sehr interessant und ich finde auch gut dargestellt. Man spürt deutlich den Konflikt der Generationen, die Eltern udn Großeltern, die noch in der Heimat aufgewachsen sind, die die alten Traditionen hochhalten und für die eine 30-Jährige unverheiratete Tochter ein großes Drama darstellt. Im Gegensatz dazu, besagte unverheiratete, 30-jährige Tochter, die gerne die georgischen Wurzeln mit einem deutschen Nachnamen ausmerzen möchte, die sich schämt für die Eltern und die Familie, die das alles vergessen und verschweigen möchte. Auch den Aufenthalt in Georgien empfand ich als sehr interessant, fast schon erschreckend, wie leichtfertig hier manche längst überholte Traditionen weiterhin begangen werden und wie wenig die Frauen dort oft noch gelten.

Das gekünstelte Liebesdrama um Olga, Felix und Jack hat mich allerdings komplett kalt gelassen. Olga, die Felix doch wirklich so gerne lieben würde aber die immer wieder an Jack denkt. Jack, der auf den ersten Blick in Liebe entflammt und ihr dann hinterherrennt und sie fast schon stalkt. Und dann Felix, der liebe nette gutue Junge, der einem fast schon leid tun kann und dann völlig überzogen auf manche Dinge reagiert? Irgendwie alles unrealistisch und langweilig.

Alles in allem bin ich froh, dass es nun fertig ist, die Infos zu Georgien waren interessant, den Rest hätte es nicht gebraucht.