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Veröffentlicht am 27.10.2022

Komplex

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit
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Eine grandiose historische Fiktion, wohlrecherchiert, mit intelligent durchdachten Zeitreisen, facettenreichen Charakteren, einer leisen Liebesgeschichte und geschickt konzipierten Spannungsbogen. Mein ...

Eine grandiose historische Fiktion, wohlrecherchiert, mit intelligent durchdachten Zeitreisen, facettenreichen Charakteren, einer leisen Liebesgeschichte und geschickt konzipierten Spannungsbogen. Mein Seefahrtsherz ist begeistert.


Dieses Buch wollte ich schon seit dem Erscheinen letztes Jahr lesen; als es nun mit diesem wunderschönen Cover ins Deutsche übersetzt wurde, konnte ich nicht länger widerstehen - Leuchtturm, Zeitreise und eine Autorin, die auch auf der Pelican gesegelt ist; das klingt schon nach einem Buch für mich!

Bereits mit Widmung und Dankwort hatte die Autorin mein Herz berühren können - und auch auf allen folgenden Seiten war herauszulesen, dass sie nicht nur in Büchern über Seefahrt informiert hat, sondern selbst an Bord war. Ich liebe es, wie sie mit ihren Beschreibungen das Setting lebendig machte, mich förmlich zwischen die Seiten sog - das ohrenbetäubende Rattern der Ankerketten, dieses Gefühl, mitten in der Nacht geweckt zu werden und wie man sich dennoch an den Wachrhythmus gewöhnt, das Hochgefühl trotz und wegen der Erschöpfung nach dem Steuern, wie die Seekrankheit im Liegen oder bei Konzentration nachlässt, wie Becher wegen des Seegangs über den Tisch rutschen... Ich hatte das Gefühl, selbst dabei, wieder an Bord zu sein. Und auch die Schlacht- und Kampfszenen sind durch die Details realistisch und bildlich; Schrecken und Verlust liegen die ganze Geschichte über in der Luft und lassen das Grauen von Krieg lebendig werden.

Die Geschichte besteht aus vielen Zeitsträngen und möglichen Verläufen, die die Autorin geschickt umeinander gewoben hat, sodass erst ganz am Ende alle Fragen geklärt sind. Okay, nicht alle, aber dafür müsste ich in die Spoilerkiste greifen:

Geschickt reißt die Autorin etwas an, nur um dann die Szene zu wechseln oder einen Bericht abrechen zu lassen, sodass über das gesamte Buch hinweg viel Ungewissheit herrscht, was genau geschieht. Manches ahnte ich dabei, anderes hingegen konnte ich mir nicht zusammenreimen und oftmals musste ich die Geschehnisse kurz zeitlich lokalisieren, um folgen zu können - eine meisterhaft komplexe, unkonventionelle und spannungsreiche Erzählung! Keine Geschichte, die ich einfach so nebenbei lesen konnte, sondern eine, auf die ich mich einlassen musste und die mich nach Beenden noch immer nicht losließ. Es ist alles erzählt und doch würde ich so gerne noch länger in dieser Welt verweilen, bei liebgewonnenen Charakteren und sicherstellen, dass es ihnen (jetzt) gutgeht...

Denn die Charaktere sind ein weiterer Grund, dieses Buch zu lieben - sie sind vielschichtig und von Schicksal, Krieg und Leid gezeichnet; keine 0815-Figuren, sondern Menschen mit Ecken und Kanten, die sie realistisch und greifbar, liebenswert, machen. Und ja, es gibt eine Liebesgeschichte, die sich durch die Zeitstränge windet, zart und verzweifelt und genau deshalb so berührend. Sie schimmert bis zum Ende immer wieder durch, nimmt aber nie viel Raum ein, sondern taucht nur an den Rändern der Wahrnehmung auf und ist dennoch essentiell. Eine Liebe, die sich langsam entwickelt, die Zeit überdauert und mich auf den letzten Seiten atemlos mitfiebern ließ.

Kurzum, diese unkonventionelle Erzählung hat einfach alles, um mich zu begeistern - authentische Beschreibungen des Lebens auf See, das Spiel mit der Faszination Leuchtturm, Geheimnisse und Zusammenhänge, die erst nach und nach gelüftet und erklärt werden, überzeugende Charaktere, eine berührende Liebesgeschichte, viel Verzweiflung und Action. Spannung von der ersten Seite an.

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Veröffentlicht am 22.10.2022

Zeit(un)gerechtigkeit & was sich verändern muss

Alle_Zeit
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Zeitarmut - was ist das, warum gibt es sie (und für wen!) & was könn(t)en wir dagegen tun? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Teresa Bücker in ihrem Buch.

Ich empfand es ausgesprochen interessant ...

Zeitarmut - was ist das, warum gibt es sie (und für wen!) & was könn(t)en wir dagegen tun? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Teresa Bücker in ihrem Buch.

Ich empfand es ausgesprochen interessant und bereichernd, mit diesem Buch Erwerbsarbeit und (unbezahlte) Care-Arbeit, patriarchale Ausbeutung, Verteilungsungerechtigkeit, Nachhaltigkeit und politische Partizipation aus einer anderen Perspektive, mit einem veränderten Blickwinkel zu betrachten - dadurch entstehen nicht nur ganz neue Erkenntnisse und Fragen, sondern auch ein verändertes Verständnis dafür, was uns von einer besseren, gerechteren, inklusiven und sozialen Gesellschaft trennt. Und das Zeit unfassbar politisch ist.

Ich nehme für mich den Begriff "Zeitkonfetti", die Erkenntnis, dass "Freizeit" nicht unbedingt freie Zeit bedeutet, sondern ein (bewusst?) unglücklich gewählter Begriff für die Zeit außerhalb von Erwerbsarbeit ist und den Wunsch, die aktuelle Zeitkultur (radikal) zu verändern, mit. Spannend fand ich auch den Gedanken eines Mindestmonatslohns statt Mindeststundenlohns, um reduzierte Arbeitszeiten finanziell realisierbar zu machen.

Das Buch bietet viel food for though und reizvolle Gedankenanstöße; ich hätte es mir jedoch auch kürzer, vielleicht sogar in Essayform vorstellen können. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mich mit vielen verknüpften Themen bereits beschäftigt habe und einige Ausführungen nicht gebraucht hätte. Alles in allem bilden fundierte Recherche, angenehmer Schreibstil, interessante Blickwinkel, Forderungen und Ideen eine lesenswerte Lektüre, die sich der Zentrierung um und auf Erwerbsarbeit als Kern von Identität und Lebenszeit mutig entgegenstellt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 24.09.2022

Optisch ein Traum

In 80 Büchern um die Welt
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Ein Schatz für das heimische Bücherregal und eine wahre Freude für Auge und bibliophiles Herz - und für mich dennoch enttäuschend, da ich mit dem Stil der Texte nicht warmwurde. Auch wenn meine Leseliste ...

Ein Schatz für das heimische Bücherregal und eine wahre Freude für Auge und bibliophiles Herz - und für mich dennoch enttäuschend, da ich mit dem Stil der Texte nicht warmwurde. Auch wenn meine Leseliste gefüttert wurde, konnte das Buch keine Euphorie in mir auslösen.


Abenteuerliche Reisen und ganz viele Bücher? Nehmt mich mit; mein Seesack ist gepackt!

Dieses Buch ist eines, bei dem einfach Freude aufkommt, es in den Händen zu halten - äußerst angenehmes Format, das zum Blättern und Lesen förmlich aufruft und einladende Innengestaltung. Mindestens eine Doppelseite pro Buch, auf der stets eine Coverabbildung sowie ein Autor:innenporträt zu finden ist, dazu häufig Fotos, Zeichnungen, Karten oder andere Illustrationen sowie Zitate und Hintergrundinformationen zu Werk und Autor:in. Hier hätte ich mir lediglich gewünscht, das konsequent immer die Lebensdaten am Seitenrand angegeben werden; manchmal fehlten die. Und was mir sowohl bei früheren wbg-Titel als auch bei anderen Bildbänden (negativ) aufgefallen ist: Wenn ein Satz (oder sogar Wort) am Ende der Seite unvollendet bleibt, dann aber erstmal eine illustrierte Doppelseite fehlt - hätte man das beim Drucksatz nicht geschickter lösen können? Aber alles kleine Wehwehchen angesichts ansonsten wundervoller Gestaltung.

Beim Lesen jedoch, denn dieses mal bin ich allen 80 Büchern gefolgt, überkamen mich zunehmend Zweifel. Zweifel an mir selbst. War ich euphorisch durch die Seiten Wonderlands geflogen, wollte der Funke dieses Mal jedoch einfach nicht überspringen. Aber warum, was störte mich; das Buch war doch "von den Machern von Wonderlands", es müsste doch eigentlich genauso nur anders sein?

Well, ich hab dann mal geblättert und recherchiert - auf die Herausgeberin Laura Miller von besagtem anderen Buch stieß ich nicht mehr, die Übersetzer:innen sind bei beiden Titel auch verschieden und Literary Journeys mapping fictional Travels across the World of Literature, wie das Buch im Original heißt, was auch erst in kleinster Schrift der letzten Seite zu entnehmen ist, das habe ich im Netz nicht gefunden. Sehr wunderlich alles. Auf den letzten Seiten werden aber zumindest sämtliche Autor:innen der Texte im Buch vorgestellt; nach einer Autor:innenangabe hatte ich länger gesucht. Worauf sich das "von den Machern von Wonderlands" bezieht, ist mir also nicht klar - einfach den Verlag?

Anyway, mit diesem Wissen im Hinterkopf - die Texte haben andere Leute geschrieben und übersetzt, als die bei Wonderlands, konnte ich mein Unbehagen dann langsam in Worte fassen - ich hatte das Gefühl, im Feuilleton zu blättern. Nur in hübsch gestaltet. Für mich sind die Texte zwar sprachlich anspruchsvoll und grammatikalisch komplex, aber letztlich inhaltloses Getöse. Die meisten enthielten so viele Spoiler, dass ich wenig Lust verspüre, die vorgestellten Bücher noch zu lesen - wofür auch - und gleichzeitig doch unbefriedigend ob fehlender Auflösung zurückbleibe. Wenn mir schon die gesamte Handlung samt Wendepunkten erzählt wird, will ich auch wissen, wie es nun ausgeht. Andere Texte blieben so diffus und vage, dass ich selbst bei Werken, die ich gelesen habe, Schwierigkeiten hatte, den Inhalt wiederzuerkennen geschweige denn bei mir unbekannten Titeln nach Lesen des Textes wiederzugeben, worum es genau geht. Es wird sich in Allgemeinplätzen ergangen und bedeutungsvolle Worte aneinandergereiht, was die Texte für mich anstrengend zu lesen machte, ohne mich zu euphorisieren.

Ich will keinen übellaunigen Eindruck entstehen lassen - die Texte sind nicht schlecht, nein wahrlich nicht; handwerklich sind sie wenig kritisierbar und stets voller literarischer Zuneigung zu Werk und Autor:in; Bibliophilie und Reiselust spricht durchaus aus ihnen - nur waren sie nicht, was ich mir erhofft hatte. Zu viel und gleichzeitig zu wenig; mehr anspruchsvolle Besprechung von Literaturkritiker:innen untereinander, als Vorstellung und Zusammenfassung. Dementsprechend ist meine Enttäuschung auch eine subjektive, die sicher nicht alle (so) teilen und erleben werden.

Gegliedert ist das Buch im Übrigen in die vier (zeitlichen) Abschnitte "Expeditionen und Reisen", "Zeitalter des Reisens", "Postmoderne, neue Wege" und "Reisen in der Gegenwart". Mir ist natürlich bewusst, dass es aus einer Vielzahl von politischen, kulturellen und historischen Gründen vor allem Berichte weißer Männer in das Literaturgedächtnis geschafft haben, hätte mir aber dennoch mehr Vielfalt bei den Werken erhofft. Der Großteil der Reisen dieses Buches findet nicht nur auf europäischem oder nordamerikanischem Boden statt; sie wurden auch aus westlicher Perspektive verfasst. Etwa ein Viertel der Autor:innen, deren Werke vorgestellt werden sind weiblich; nicht einmal ein Fünftel BIPoC - und die wiederum sind fast alle im 20. und 21. Jahrhundert verortet. Ich bin mir sicher, dass auch aus früheren Zeiten vorstellenswerte Werke hätten gefunden werden können. Schade auch, dass bis auf die einmalige Verwendung von "Leser(innen) in der Einleitung konsequent auf das Gendern verzichtet wird und stets von Autor und Leser die Rede ist.

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Veröffentlicht am 22.09.2022

Fast abgebrochen

Mary
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Fast schon verschwörerisch, wie eine Freundin einem vor dem Kamin ein Geheimnis anvertrauen würde, erzählt Anne Eekhout von Mary und enttäuscht trotz exzellenter Atmosphärenkreation, weil einfach nichts ...

Fast schon verschwörerisch, wie eine Freundin einem vor dem Kamin ein Geheimnis anvertrauen würde, erzählt Anne Eekhout von Mary und enttäuscht trotz exzellenter Atmosphärenkreation, weil einfach nichts geschieht. Durchaus unheimliche Szenen, merkwürdige Ereignisse und Unwohlsein erregende Situationen reihen sich einfach einander; der große Knall bleibt aus.


Bei Büchern um und zu Frankenstein, seinem Monster und deren Erschafferin Mary Shelley (sowie deren Mutter!) bin ich stets interessiert und diese Geschichte klang wahrlich vielversprechend...

Doch leider, das nehme ich jetzt einfach mal vorweg, konnte mich das Buch nicht überzeugen und zwischendurch habe ich oft überlegt, es einfach abzubrechen. Die Figuren blieben mir fern, aber vor allem die Handlung war es, die mich einfach nicht zu packen vermochte. Mit jedem Kapitel mehr dachte ich "ja und; passiert jetzt noch was?!" und nur aus der Hoffnung, da käme was, blieb ich dabei.

Es gibt diese zwei Handlungsstränge: Den in Schottland, in dem sich Mary in Isabella verliebt, die beiden in Schauergeschichten und -gefühlen versinken und es viele Spaziergänge und Krankheiten gibt. Und an dessen Ende mir überhaupt nicht klar ist, ob und was Fiktion ist; all diese merkwürdigen Ereignisse und Eindrücke, gestohlene Momente und geteilte Erlebnisse... sind die (so) überhaupt passiert? Der andere Erzählstrang am Genfer See einige Jahre später ist von (Un)wetter, viel Wein und Laudanum geprägt. Offener Liebe, die Mary nicht will und nicht mit ihren Gefühlen vereinbaren kann. Vereinen tun beide Erzählstränge nur der Verlust von Mutter und Tochter - in merkwürdigen vorahnenden Blicken und rückblickenden, auf Situationen, die Mary so nie erlebt hat und haben kann. Sonst führen die beiden "Handlungen" nicht zusammen und nirgendwohin, denn letztlich, ja letztlich passiert einfach nichts. Am Ende des Buches hat Mary wohl mit dem Schreiben begonnen; das Wort Monster oder der Name Frankenstein fielen jedoch nie und ob und was aus Familie Baxter (und Isabella) wurde, wird auch nicht mehr aufgegriffen.

Der unheilvolle Schreibstil kündigt stets von kommendem Unglück und schrecklichen Ereignissen; die Worte bauschen sich und dann geschieht doch stets wieder nichts; der große Knall bleibt einfach aus. Skurrile Ereignisse reihen sich an Spaziergang und Wetterphänomen, viele Gedanken, Strudel aus Eindrücken und teilweise schon abstoßende Szenen; immer wieder was mit Schlangen und Monstern und doch auch nicht - müsste ich eine inhaltliche Zusammenfassung abgeben, könnte ich nur hilflos mit den Schultern zucken.

Ich habe lange mit mir gerungen, wie ich den Roman bewerten soll - der Schreibstil war so vielversprechend und ein Blick auf mein Buch zeigt, dass ich eine Menge Szenen und Sätze markiert habe, die ich eindrucksvoll fand. Aber was nützt der beste Erzählstil, wenn es nichts zu erzählen gibt? Wenn ich mich gelangweilt habe und regelrecht dazu aufraffen musste, wieder zum Buch zu greifen?

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Veröffentlicht am 02.09.2022

Identität(en)

Flüchtige Umarmung
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Eine Verflechtung aus antiken Geschichten und persönlichen Reflektionen, sprachgewaltig und voller Abschweifungen. Schwierig zu lesen und zugleich genau deswegen auch ein Genuss. Ich wollte dieses Buch ...

Eine Verflechtung aus antiken Geschichten und persönlichen Reflektionen, sprachgewaltig und voller Abschweifungen. Schwierig zu lesen und zugleich genau deswegen auch ein Genuss. Ich wollte dieses Buch lieben und zögere dennoch. Es hat mich nicht kaltgelassen und zugleich auch nicht endgültig mitreißen können. Vielleicht muss dieses Buch auch so uneben sein; ein Fragment, viele letztlich.



Mittlerweile schon drei Jahre ist es her, dass Daniel Mendelsohn mich auf eine Odyssee mitnahm und mit seinem Schreib-, seinem Erzählstil beeindruckte. Als ich zufällig über die auf deutsch neuerscheinende Übersetzung seines Debüts stolperte, konnte ich nicht widerstehen!

Ich war bereit, zu lieben. Bereit, dieses Buch von der ersten Seite an zu lieben und mich in die Erzählung fallen zu lassen. Während Mendelsohn erzählerisch durch seine Vergangenheit und die noch länger vergangene Antikenwelt mäandert, fehlte mir als Leserin ein roter Faden, ein Anknüpfungspunkt. Ich genoss das Dahinplätschern der episodenhaften Ausschnitte und Fragmente eines Lebens, fand aber keinen Bezug. Ich bin kein schwuler Mann, ich habe keine Verbindung zu New York, und die 70er, 80er, 90er nicht erlebt - ich blieb unbeteiligte Betrachterin. Dieser "ah, darum lese ich dieses Buch"-Moment wollte bei mir nicht aufkommen.

Zugleich - auch wenn ich passive Leserin blieb - bereitete mir die Lektüre dennoch Freude, ein behagliches Lesegefühl angesichts ausdrucksstarker Sprache, intelligentem Satzbau und beeindruckender erzählerischer Kunst. Mendelsohn versteht es, weite Bögen zu spannen und doch wieder zur Ursprungserzählung zurückzukommen. Das erfordert wachen Geist beim Lesen, hält aber auch die grauen Zellen wach.

Die Liebe zur Antike schlägt auch in diesem Buch erneut durch; immer wieder entführt der Autor in griechische Sagenwelt und römische Dichtung und zeigt: Menschliche Empfindungen aller Art verbinden über Zeiten und Landesgrenzen hinweg.

Dieses Buch besteht aus einer losen Verknüpfung einzelner Erlebnisse aus der queeren Welt und stellt zugleich genau das dar: Eine Perspektive, ein Einblick, eine Facette. Wer genau daran interessiert ist, sich darauf einlassen kann, in ein Leben einzutauchen - dem kann ich dieses wunderbar geschriebene Buch nur ans Herz legen. Tod, Liebe, Identität (und die Suche danach), Schönheit, Sehnsucht, Verlangen, Vaterschaft und Kindheit - viele Themen behandelt und streift das Buch (gegliedert in die Kapitel Geographien, Vielzahlen, Vaterschaften, Mythologien und Identitäten); ich hätte mir hier einen klareren Pfad, ja mehr Resümee, gewünscht.

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