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Veröffentlicht am 17.10.2024

Der Zweck heiligt die Mittel – oder doch nicht?

Broken Crystal
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Die junge Milliardärstochter Crystal McCray hat sich den Umweltaktivisten von Eternal Earth angeschlossen. Als sich diese Bewegung zunehmend radikalisiert, beauftragen die besorgten Eltern mithilfe des ...

Die junge Milliardärstochter Crystal McCray hat sich den Umweltaktivisten von Eternal Earth angeschlossen. Als sich diese Bewegung zunehmend radikalisiert, beauftragen die besorgten Eltern mithilfe des FBI einen erfahrenen Söldner. Er soll die Gruppe infiltrieren und Crystal zurück zu ihrer Familie bringen. Was sich nach Routinearbeit anhört, geht spektakulär schief. So landet der Legionär, nennen wir ihn John Doe, ganz oben auf der Abschussliste des FBI.

Das Thema Klimaschutz hat in den letzten Jahren immer mehr die Aufmerksamkeit erhalten, die dringend angebracht ist. Zunehmend stellen sich engagierte Aktivisten die Frage, was sie noch tun können, um die Katastrophe zu verhindern. Tobias Miller wählte dieses Thema für seinen neuen Thriller. Die Eternal Earth-Group wird im Lauf der Geschichte immer militanter und schreckt schließlich auch vor Gewalt gegen Menschen nicht zurück. John Doe versucht, die Dynamik und Struktur der Gruppierung zu verstehen. Wer hat das Sagen? Ist Crystal tatsächlich nur das naive Groupie, wie ihre Eltern glauben? Welche Rolle spielt
das Kokain, das die Gruppe regelmäßig konsumiert? Das FBI nimmt seine Warnungen nicht richtig ernst, sondern rangelt lieber um Kompetenzen und Budgets. John Doe sieht keine Chance, Crystal zu überzeugen, sich von der Gruppe zu lösen und heimzukehren. Also versucht er die Lage zu deeskalieren und findet sich schließlich inmitten toter Aktivisten wieder. Ist Operation Crystal gescheitert?

Die Story beginnt rasant und hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Tobias Miller versteht es glänzend, Spannung aufzubauen und seine Leser zu fesseln. Der Hauptcharakter kommt sehr authentisch bei mir an. Deshalb interessiert es mich tatsächlich, ob er seine Haut retten kann und seine Mission klappt. Das Thema Ökoterrorismus finde ich sehr aktuell und ein für mich spannender Plot. Millers Schreibstil gefällt mir. Er ist prägnant, hat Witz und kommt gleich zur Sache. Das übersichtliche, aber doch raffinierte Cover vervollständigt meinen guten Eindruck. Leider sind die Nebencharaktere eindimensionaler gezeichnet als die Hauptfigur und es gibt einige Längen im Mittelteil. Dafür entschädigt das tatsächliche Ende der Geschichte, das mir sehr gut gefallen hat.

Broken Crystal war mein erstes, aber nicht mein letztes Buch von Tobias Miller. Ich bin schon gespannt auf seinen nächsten Thriller.

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Veröffentlicht am 15.10.2024

Nancys Entscheidung

Die Mitford Schwestern
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Marie Benedict widmet den 6. Band ihrer erfolgreichen Buchreihe „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte“ den schillernden Mitford-Schwestern. Zwischen den beiden Weltkriegen waren die sechs exzentrischen ...

Marie Benedict widmet den 6. Band ihrer erfolgreichen Buchreihe „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte“ den schillernden Mitford-Schwestern. Zwischen den beiden Weltkriegen waren die sechs exzentrischen Töchter von David Freeman-Mitford, dem 2. Lord Redesdale, das skandalöse Zentrum der britischen High Society. Verwandt oder bekannt mit fast allen einflussreichen Größen der damaligen Gesellschaft nahmen sie keinerlei Rücksicht auf Konventionen. Heute wären sie wohl It-Girls oder Influencer. Der Roman umfasst neun Jahre aus dem Leben der Schwester, von 1932 bis 1941.

Zunächst lernen wir die drei älteren Geschwister Nancy, Diana und Unity kennen, die auch das ansprechende Cover zieren. Alle drei befinden sich in einer Umbruchsituation. Diana trennt sich gerade vom millionenschweren Guinness-Erben Bryan, um ganz offiziell als Geliebte des verheirateten englischen Faschistenführers Oswald Mosley zu leben. Nancy wird von ihrem Langzeitverlobten Hamish verlassen, den Diana zu diesem Schritt gezwungen hat. Die Debütantin Unity entdeckt den Faschismus für sich, was dramatische Folgen nach sich ziehen wird. Sie übersiedelt nach Deutschland, um akribisch Hitlers Leben in München zu verfolgen. Mit Strategie und Beharrlichkeit gelingt es ihr nicht nur den Führer kennenzulernen, nein, sie steigt in seinen engsten Kreis auf. Ihre zunehmende Faszination für Hitler bis hin zur Besessenheit verursachte Gänsehaut bei mir. Ähnlich ging es mir mit Dianas Hörigkeit gegenüber Mosley. Eine schöne, selbstbewusste Frau, die alles hat, erträgt jede Erniedrigung, um sich die Gunst ihres Lovers zu bewahren. Sie nutzt Unity und deren Nazifreunde skrupellos aus, um Mosleys Macht in Englands faschistischer Partei zu festigen und ihn so an sich zu binden. Um dieses Ziel zu erreichen, schreckt sie vor nichts zurück. Nancy lebt zunächst ein für ihre Gesellschaftsschicht typisches Leben und hat erste Erfolge als Schriftstellerin. Fatal wird für sie ihr Pech mit Männern, das zeitlebens anhält. Mit zunehmender Sorge beobachtet sie das Treiben ihrer Schwestern, da sie ahnt, dass es zum Krieg kommen wird. Im Lauf der Zeit sympathisieren immer mehr Mitfords mit den deutschen Faschisten, außer ihrer Schwester Jessica. Winston Churchill, der mit Nancys Cousine verheiratet ist und Nancys Zweifel spürt, appelliert an ihre Vaterlandsliebe.
Mit Eintritt Englands in den Krieg eskaliert die Lage. Unity unternimmt einen Selbstmordversuch in München, auf den Diana eher verärgert als mitfühlend reagiert. Nancy überwindet ihre Skrupel und spioniert undercover für Churchill. Sie schätzt Diana inzwischen als echte Gefahr für ihr Land ein. 1940 wird Mosleys Partei BUF verboten, ein Jahr später werden Diana und er interniert.

Die Idee, die einzelnen Kapitel jeweils aus der Sicht einer der Schwestern zu schildern, erweist sich als genial. Durch den Perspektivenwechsel fällt es leichter in die Geschichte hineinzufinden. Dabei ist Nancy die Haupterzählerin. Nur ihre Kapitel sind aus der Ich-Perspektive geschrieben. Der anschauliche, gute Schreibstil und die kurzen Kapitel erlauben ungestörtes Lesen. Benedict gelingt es mühelos, ihre Leser zu fesseln. Sie zeigt glaubhaft, wie sich ihre Hauptcharaktere entwickeln.
Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlich die Schwestern waren. Schade, dass die jüngeren selten erwähnt werden. Gerade Jessica, die sich als überzeugte Kommunistin politisch sehr von ihren Schwestern unterschied und in die USA auswanderte, hätte ich mehr Raum gewünscht. Die Haltung der Eltern war für mich nicht nachvollziehbar. Der Vater entwickelt sich vom „Hunnenhasser“ zum Fürsprecher für Hitler im House of Lords. Die Mutter wird zur glühenden Nazianhängerin. Für meinen Geschmack fällt das Nachwort zu knapp aus. Ich hätte gern mehr Informationen darüber gehabt, was an dem Roman fiktiv ist, gerade, weil schon die reale Geschichte so unglaublich anmutet.

Während des Lesens habe ich mich immer wieder gefragt, wie diese gutsituierten, wohlhabenden Frauen in den Bann derart radikaler politischen Ansichten geraten konnten. Können wir daraus Schlüsse für die aktuelle politische Situation ziehen? Nicht die Altnazis und Skinheads sind die größte Gefahr für unsere Demokratie. Eher die Dianas und Unitys unserer Zeit und ihre männlichen Pendants.

Ich empfinde diesen Band nicht als den besten der erfolgreichen Reihe. Trotzdem ist er, besonders für Geschichtsinteressierte, sehr lesenswert. Ich gebe gute 4 von 5 möglichen Sternen.

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Veröffentlicht am 02.10.2024

Ein wirklich perfider Mord

Wilder Wein
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Sein 8. Fall führt Commissaire Luc Verlain nach Sauternes, dem Mekka des Süßweins. Eine junge Ökowinzerin, Charlotte Malroix, wurde Opfer einer Gärgasvergiftung. Die Polizei vor Ort behandelt den Tod als ...

Sein 8. Fall führt Commissaire Luc Verlain nach Sauternes, dem Mekka des Süßweins. Eine junge Ökowinzerin, Charlotte Malroix, wurde Opfer einer Gärgasvergiftung. Die Polizei vor Ort behandelt den Tod als Unfall. Lucs Intuition sagt etwas Anderes und so beginnen er und sein Kollege Commandant Yacine Zitouna zu ermitteln.

Eigentlich hat sich Luc auf ein paar ruhige Tage gefreut, denn Anouk, seine Chefin und Lebensgefährtin, ist mit dem gemeinsamen Töchterchen Aurelie für ein paar Tage zu ihrem Vater nach Venedig gefahren. Doch die tote Winzerin sabotiert seine Pläne. Im Weindorf stoßen die Ermittler auf eine Mauer des Schweigens. Das Opfer, das Glyphosat und Pestizide bekämpfte, eckte nicht nur bei den konventionellen Winzern an. Charlotte hatte viele Feinde. Wurde einer davon zum Mörder? Eine ambitionierte Spurensucherin und der junge Gerichtsmediziner können den Tathergang rekonstruieren. Charlotte wurde tatsächlich ermordet. Lucs Bauchgefühl war richtig. Gemeinsam mit seinem Partner Yacine ermittelt er in verschiedene Richtungen. Eine heiße Spur entpuppt sich als falsch. Wurden die Ermittler gezielt in die Irre geführt? Mit der tatkräftigen Unterstützung von Anouk und des Journalisten Robert Dubois gelingt es Luc Verlain den kniffligen Fall zu lösen.

Das einladende Cover verlockt zur Reise nach Frankreich. Alexander Oetker versteht es einmal mehr, dem Leser französisches Lebensgefühl zu vermitteln. In jedem Kapitel spürt man seine hervorragende Kenntnis der Grande Nation und ihrer Bewohner. Seine Charaktere vermitteln uns ihr Savoir-vivre und die französische Mentalität. Luc hat seinen Platz im Leben gefunden, privat wie beruflich. Seine Lebensgefährtin Anouk, die jüngste Polizeichefin des Landes, genießt es bei diesem Fall, ihren Schreibtisch zu verlassen und mal wieder aktiv zu ermitteln. Yacine, der Pariser, hat sich nach knapp sechs Monaten bestens in Bordeaux eingelebt und bildet mit Luc ein harmonisches, erfolgreiches Team. Brigadier Hugo Pannetier wird dieses Mal von einer Grippe ausgebremst, lässt es sich aber nicht nehmen, quasi vom Krankenbett aus die nötigen Recherchen durchzuführen.

Der Autor hat gut recherchiert. Ganz nebenbei erfährt der interessierte Leser, warum in Sauternes im Château d’Yquem der teuerste Wein der Welt gekeltert wird (u.a. bis zu 13 Lesegänge pro Jahr, einzigartiges Mikroklima) oder welches der beste Jahrgang des 19. Jahrhunderts war. Auch die kulinarischen Kenntnisse von Alexander Oetker sind vom Feinsten. Nicht von ungefähr hat er ein preisgekröntes Kochbuch geschrieben. Luc und sein Team speisen vorzüglich, da läuft dem Leser das Wasser im Mund zusammen. Über allem kommt der Kriminalfall für meinen Geschmack dieses Mal ein wenig zu kurz. Es hat mich aber nicht groß gestört, denn für Spannung ist durchaus gesorgt. Mehrere Tatmotive werden aufgedeckt und es gibt mindestens eine falsche Fährte. Am Ende wird der Mord lückenlos aufgeklärt und alle Fragen beantwortet.

Eines steht jedenfalls fest. Ich werde Luc auch bei seinem 9. Fall begleiten. Vielleicht führt uns dieser ins französische Baskenland? Im Epilog bittet ein alter Bekannter, Commissaire Etxeberria aus Biarritz, Luc um Amtshilfe.

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Veröffentlicht am 01.10.2024

Immer wieder Agatha!

Agatha Raisin und der tödliche Biss
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„Es gibt keine Tollheit, deren eine verliebte Frau nicht fähig wäre“. Das Zitat des Schriftstellers W. M. Thackeray beschreibt haargenau Agatha Raisins aktuellen Zustand. Sie hat sich in Carselys Gärtner ...

„Es gibt keine Tollheit, deren eine verliebte Frau nicht fähig wäre“. Das Zitat des Schriftstellers W. M. Thackeray beschreibt haargenau Agatha Raisins aktuellen Zustand. Sie hat sich in Carselys Gärtner George Marston verguckt. Und wie immer, wenn sie verliebt ist, macht Aggie sich total zur Närrin.

Leider scheint Marston der begehrteste Junggeselle der gesamten Region zu sein. Nicht nur Carselys Frauenwelt wetteifert um seine Gunst. Doch Agatha übertrifft alle Konkurrentinnen. Zuerst zertrümmert sie ihre Bücherregale, um George mit der Neuanfertigung zu beschäftigen. Dann nimmt sie sich eine Auszeit von der Detektei, um mehr Zeit für ihren Schwarm haben. Zuletzt organisiert Aggie einen Wohltätigkeitsball, weil George ihr den ersten Tanz versprochen hat. Als er sie versetzt, macht sie sich enttäuscht und wütend auf die Suche. Doch dieses Mal hat der Gärtner eine glaubwürdige Entschuldigung. Agatha findet ihn tot in seinem Komposthaufen, auf äußerst niederträchtige Weise ermordet. Sie ist zutiefst erschüttert und beginnt sofort mit den Ermittlungen.
George Marston war ein echter Womanizer. Daher sind etliche Einwohnerinnen Carsleys scheinbar mordverdächtig. Aber auch an Marstons früherem Wohnort sind nicht alle gut auf ihn zu sprechen. Agatha und ihr Angestellter Simon werden Opfer von hinterhältigen Attacken. Kommen sie dem Täter zu nahe? In Carsley geht das Töten weiter. Diese Mordserie erweist sich als bisher kniffligster Fall der Detektei Raisin. Doch Agatha entlarvt trotz Anschlägen auf Leib und Leben bravourös den Killer und schwört – mal wieder – sich künftig weniger obsessiv zu verlieben.

M. C. Beatons Schreibstil ist flott und witzig, wie gewohnt. Dieses Mal war die Autorin in absoluter Hochform. Agathas Wahnvorstellungen von Schlangen im Reetdach fand ich so anschaulich beschrieben, einfach gruselig. Ich war direkt froh über unser Ziegeldach :) Ebenso treffend ihr Humor. „Die Stimme aus dem Grab“ war eines meiner Highlights. Auch das schöne, leicht altmodische Cover passt hervorragend zu diesem Krimi, einer bestens gelungenen Mischung aus Spannung und britischem Humor.
Beatons Charaktere sind wunderbar divers. Die schrille Agatha. Sie kämpft stets mit Selbstzweifeln und sucht fast schon manisch den nächsten Ehemann. Allein in diesem Band kann sie sich gleich mit drei (!) Männern (George, Charles und Jimmy) eine Heirat vorstellen. Andrerseits erweist sie sich erneut als kompetente, hartnäckige Ermittlerin. Auch die anderen haben es in sich. Sarah, die scheinbar biedere, aber pfiffige Pfarrersfrau, die alles souverän im Griff hat. Sir Charles, zwar geizig und sprunghaft, aber der einzige, der Agatha auch unangenehme Wahrheiten sagt. Der exzentrische Roy, schnell beleidigt und süchtig nach Aufmerksamkeit. Die Detektive, die unterschiedlicher nicht sein könnten, vom liebenswerten Phil über die taffe Toni, den Ex-Polizisten Patrick bis hin zum unbedarften Simon, der ebenso leicht entflammbar scheint wie seine Chefin. Der etwas steife Ex, der zuverlässige Bill, der ewig missgünstige Wilkes sowie die skurrile Dorfgemeinschaft Carsleys vervollständigen das kleine Raisin-Universum, in das ich immer wieder gern zurückkehre. Bei Beaton entwickeln sich die Charaktere weiter (Toni!), was ich sehr schätze und im Krimi-Genre eher selten finde.

Wie immer war es ein großer Spaß, zusammen mit Agatha zu ermitteln. Erneut konnte sie mir beweisen, dass die Raisin-Reihe beispielhaft für gelungene Cosy Krimis ist. Wie beruhigend, dass noch einige Bände M. C. Beatons auf ihre Übersetzung ins Deutsche warten.


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Veröffentlicht am 30.09.2024

Louisianas vergessene Frauen

La Louisiane
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Der 18. Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika, Louisiana, war von Ende des 17. Jahrhunderts bis 1803 eine Kolonie Frankreichs. 1699 wurde das Gebiet erstmals dauerhaft besiedelt. Dazu wurden ...

Der 18. Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika, Louisiana, war von Ende des 17. Jahrhunderts bis 1803 eine Kolonie Frankreichs. 1699 wurde das Gebiet erstmals dauerhaft besiedelt. Dazu wurden dringend „Ehefrauen für die Kolonie“ benötigt. Im Pariser Hospital La Salpêtrière, einem Sammelbecken unangepasster Frauen und Mädchen, für die es in der französischen Gesellschaft keinen Platz gibt, werden sie rekrutiert. Hier beginnt Julie Malyes Roman.

Im ersten Teil, der 1720 spielt, wird die Selektion der neunzig Frauen für Louisiana beschrieben, ihre Reise von Paris bis zum Meer, dann die beschwerliche Schiffspassage. Die Ereignisse sind aus der Sicht der Freundinnen Geneviève, Petronille und Charlotte beschrieben, deren Vorgeschichte wir hier erfahren. Sie überstehen die beschwerliche Reise und überleben einen Piratenüberfall. Die Gefahren und Entbehrungen schweißen sie zusammen. Im sumpfigen Louisiana erwartet sie eine Seuche, der einige der Frauen zum Opfer fallen. Teil 2 erzählt, was die Frauen in der neuen Welt erwartet. Die Überlebenden werden wie geplant mit Siedlern verheiratet, die händeringend nach Ehefrauen suchen. Die Freundinnen verlieren sich aus den Augen. Geneviève lebt mit ihrem Mann, einem Pelzhändler, in Illinois. Charlotte und Petronille bleiben in Louisiana, leben aber an verschiedenen Orten. Nachdem Genevièves erster Mann stirbt, kehrt sie zu ihren Freundinnen zurück. Im 3. Teil kommt eine wichtige vierte Stimme zu den Dreien dazu. Utu’wv Ecoko’Nesel ist eine Heilerin des indigenen Volks der Natchez und schildert die Lage aus Sicht der Ureinwohner.

Julie Malye schreibt die Geschichte längst vergessener Frauen, die große Gefahren auf sich nahmen, um zu überleben. Sie versteht es, mit ihrem lebendigen Schreibstil die Leser zu fesseln. Dank ihrer anschaulichen Beschreibungen fiel es mir sehr leicht, in die Geschichte hineinzufinden. Ich fühlte mich seekrank, habe mich vor den Piraten gefürchtet und spürte die Willkür und Unsicherheit, denen die Frauen konstant ausgesetzt waren. Der Autorin gelingt es mühelos, Spannung aufzubauen. Die Geschichte hat mich sofort gepackt.

Die drei Hauptcharaktere sind sehr verschieden. Da ist Petronille, die verarmte Adlige, die durch ein großes Muttermal im Gesicht gezeichnet ist. Geneviève, die ungewollt Schwangeren hilft und Frauen liebt und Charlotte, die zarte zwölfjährige Waise mit der schönen Singstimme, die bisher nur die Welt von La Salpêtrière kennt. Gemeinsam überwinden sie alle Schwierigkeiten, werden immer stärker und tun, was sie tun müssen, um zu überleben in einer Welt, in der sie kaum mehr als eine Ware sind. Die gut gezeichneten und vielschichtig angelegten Charaktere in den Haupt- und Nebenrollen verleihen der Erzählung Authentizität und Tiefe.

Das Cover gefällt mir sehr gut. Es zeigt das Porträt einer jungen Frau, die angespannt, ja fast erschrocken wirkt. Sie könnte eine der ausgewählten "Ehefrauen für die Kolonie" sein (s. "Junge Waise auf dem Friedhof" von Eugène Delacroix ). Die Idee, die Kapitel mit einem Pelikan, dem Wappentier Louisianas, zu schmücken, passt sehr gut.

Julie Malye hat ein wichtiges Buch geschrieben, das den längst vergessenen mutigen Frauen Louisianas und stellvertretend auch anderen in ähnlicher Lage, ein Denkmal setzt. Ich habe das Buch verschlungen und vergebe 5 von 5 möglichen Sternen.

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