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Veröffentlicht am 13.08.2022

Berlin 1936 einmal anders

Drei Tage im August
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Dieser Roman wirkte auf mich wie ein Episoden-Roman. Er spielt 1936 zur Zeit der Olympiade im nationalsozialistischen Berlin.

Wir erleben drei Tage aus der Sicht verschiedener Akteure.

Die Hauptfigur ...

Dieser Roman wirkte auf mich wie ein Episoden-Roman. Er spielt 1936 zur Zeit der Olympiade im nationalsozialistischen Berlin.

Wir erleben drei Tage aus der Sicht verschiedener Akteure.

Die Hauptfigur ist Elfie Wagner. Sie leitet eine Pralinenmanufaktur in der Straße Unter den Linden. Sie ist hochsensibel, manchmal in depressiver Stimmung und manchmal kommt es mir vor, als hätte sie eine leichte Art von Autismus. Sie selbst bezeichnet sich als seltsam, wie es ihr von Kind an vorgeworfen wurde.

Dann ist da Franz Marcus, ein jüdischer Buchhändler, der es in der Zeit besonders schwer hat. Er hat zwar seinen Laden Unter den Linden noch, sieht jedoch das Unheil immer näher kommen und plant seine Flucht.

Eine dritte sehr wichtige Figur ist Marie Conte, eine sehr alte Frau, zuerst Elfies Kundin, danach Vertraute und fast so etwas wie eine Freundin. Sie erzählt Elfie ihre Geschichte. Die allein ist schon sehr spannend.

Diese Figuren und einige weitere habe ich sehr schnell ins Herz geschlossen. Alle so menschlich in einer dunklen und absurden Zeit. Ich fand es sehr spannend, diese Zeit aus der jeweiligen Sicht der Figuren zu erleben.

Die Autorin hat es geschafft, alles sehr glaubhaft darzustellen, aber eine Kleinigkeit ist Geschmackssache:

Zwischen den Kapiteln mit den konkreten Erlebnissen der Protagonist*innen sind immer wieder Abschnitte eingeflochten, die aus der Sicht der Lindenbäume in der Straße Unter den Linden erzählt werden. Was würden die Linden wohl sagen, wenn sie reden könnten?

Das ist poetisch, aber ich empfand es manchmal als langatmig. Ich wollte endlich wissen, wie es mit den einzelnen Personen weitergeht. Aber ich habe gemerkt, dass ich die Passagen schnell überfliegen konnte, ohne dass mir etwas gefehlt hat.

Fazit: Ein Stück historisches Berlin aus den dreißiger Jahren des 20 Jahrhunderts auf außergewöhnlich schöne Weise greifbar gemacht. Die Geschichte lebt von den Freuden und Sorgen der verschiedenen Charaktere, sehr gelungen geschildert. Hat mich (bis auf die Einschübe) gefesselt von Anfang bis Ende.

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Veröffentlicht am 20.07.2022

Durch den Riss kommt das Licht herein

Die Ewigkeit ist ein guter Ort
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Was ist das Richtige? Was will ich? Das sind Fragen, die sich die Hauptfigur Elke, angehende Pastorin, immer wieder stellt und die ihr Inneres immer mehr durcheinander bringen. Es beginnt damit, dass sie ...

Was ist das Richtige? Was will ich? Das sind Fragen, die sich die Hauptfigur Elke, angehende Pastorin, immer wieder stellt und die ihr Inneres immer mehr durcheinander bringen. Es beginnt damit, dass sie plötzlich alles, was mit Gott und Religion zusammenhängt, einfach vergessen hat oder nicht auszusprechen schafft.

So nimmt sie sich eine Auszeit und pendelt zwischen ihren Wurzeln in Norddeutschland und ihrer Gegenwart in Köln. Sie scheint eine ziemlich chaotische Person zu sein und manche Episoden haben mich zum Schmunzeln, manche aber auch zum Kopfschütteln gebracht.

Nach und nach bekommen wir mit, dass es einige Erlebnisse und frühere Erfahrungen sind, die sie und auch ihre Familie und Freunde wohl noch nicht ganz verarbeitet haben. Es geht dabei vor allem um den Unfalltod ihres Bruders vor etwa fünfzehn Jahren.

Die Geschichte ist sehr lebendig geschildert, sprachlich äußerst gelungen und dabei sehr nahbar. Die Autorin hat ein großartiges Erzähltalent. Ihre Schreibe hat mich so gefesselt, dass ich das Buch fast in einem Rutsch durchgelesen habe.

Es sind darin verschiedene sehr markante und besondere Charaktere gezeichnet und auch diverse originelle Situationen. Das Ganze hat meiner Meinung nach einen sehr starken Symbolcharakter, ohne dabei abgehoben oder durchgeknallt zu wirken. Das Cover passt sehr gut: Die junge Frau, die auf dem Seil balanciert. Das soll sicher symbolisieren, dass es manchmal wirklich ein Balanceakt ist, sich für das Richtige zu entscheiden.

Auch wenn es nach dem Titel so scheint, ist es völlig unwichtig, ob man als Leser*in selbst an Gott glaubt oder irgendwie sonst religiös ist. Es geht nicht darum zu missionieren.

Die wichtigste Botschaft dieses Buches wurde sehr schön durch ein Zitat nach Leonhard Cohen dargestellt: „Es ist ein Riss in allem, so kommt das Licht herein.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

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Veröffentlicht am 17.07.2022

Etwas besser als andere themenverwandte Bücher

Speed-Cleaning
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Positiv aufgefallen ist mir bei diesem Buch vor allem, dass die Autorin nicht – wie es andere tun – behauptet, dass ihre Methode die einzige sei, die funktioniert. Allerdings steht stattdessen eine andere ...

Positiv aufgefallen ist mir bei diesem Buch vor allem, dass die Autorin nicht – wie es andere tun – behauptet, dass ihre Methode die einzige sei, die funktioniert. Allerdings steht stattdessen eine andere zu viel versprechende Botschaft gleich auf dem Cover, und zwar: „In 8 Minuten zur blitzblanken Wohnung“. Das ist natürlich Quatsch.

Sie beschreibt ganz am Anfang eine „Schnellputzmethode“, die im besten Fall wirklich nur 8 Minuten dauert. Allerdings kann von blitzblanker Wohnung danach keine Rede sein, sondern eher von einer Wohnung, die sauberer und ordentlicher zu sein scheint, als sie in Wirklichkeit ist. Das ist als Notlösung für einen „Ich bin grad in der Nähe und komm bei dir vorbei“-Anruf geeignet und besser als nichts. So wird es dann im Buch auch beschrieben.

Dann kommen aber nach und nach Reinigungstipps, für die man mehr Zeit aufwenden muss. Eine Grundidee kann ich jedoch erkennen und die halte ich für sinnvoll: Immer kontinuierlich kleine Putzarbeiten durchführen, um ein gewisses Level an Ordnung und Sauberkeit zu halten. Das ist vollkommen in Ordnung.

Insgesamt hält dieses Buch nicht viel Neues bereit. Es wird zwar betont, dass man bei Putzutensilien auf gute Qualität achten soll, die auch etwas mehr kosten darf. Ich hätte es schön gefunden, wenn dazu etwas mehr ausgeführt worden wäre, woran man gute Qualität erkennt. Der Preis alleine wird es ja nicht sein.

Auch wird gleich am Anfang auf einen späteren Abschnitt zu Raumdüften verwiesen, aber auch der ist mir dann zu allgemein gehalten. Hier hat die Autorin ihr Potenzial, was sie von anderen Putz- und Ordnungsratgebern wirklich hätte unterscheiden können, nicht ausgenutzt.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche Tipps vielleicht doch nicht ganz so ernst gemeint sein könnten, denn bei einigen musste ich schmunzeln. Dass man nicht sehr viele Sorten von Putzmitteln braucht, ist mir klar, aber wenn es nach diesem Buch geht, muss man Essig in großen Fässern einkaufen, denn für fast alles soll der Putzeimer zur Hälfte mit Essig gefüllt werden. Ich weiß nicht, ob es da, wo die Autorin herkommt, keine Essig-Essenz gibt, wovon man dann jeweils nur ein paar Tropfen braucht.

Kurz gesagt: Ein paar Grundlagentipps fand ich ganz sinnvoll. Auch die Schnellputz-Notrettung am Anfang lässt sich sicher in abgewandelter Form anwenden. Auch ist das Buch keine aufgeblähte Selbstbeweihräucherungslektüre, wie andere sie zu diesem Thema schreiben. Ein paar Denkanstöße habe ich bekommen, allerdings muss ich da selbst weiterrecherchieren.

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Veröffentlicht am 14.07.2022

Untypischer Krimi, historischer Roman und Groteske in einem

Samson und Nadjeschda
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Dieser Roman ist mehr als nur ein Krimi. Er ist gleichzeitig ein historischer Roman, der uns nach Kiew ins Jahr 1919 mitnimmt. Andrej Kurkow hat ein Erzähltalent, wodurch ich mich von Anfang an sehr gut ...

Dieser Roman ist mehr als nur ein Krimi. Er ist gleichzeitig ein historischer Roman, der uns nach Kiew ins Jahr 1919 mitnimmt. Andrej Kurkow hat ein Erzähltalent, wodurch ich mich von Anfang an sehr gut in Ort und Zeit, vor allem in die Gepflogenheiten, und natürlich in die handelnden Personen hineinversetzen konnte.

Der Kriminalfall baut sich erst allmählich auf. Eigentlich ist das Ganze mehr eine Geschichte über den Alltag von Samson, der durch Zufall zum Ermittler bei der Miliz wird. Das alles spielt nicht lange nach dem ersten Weltkrieg und der Revolution, in einer Zeit von Chaos und Gefahr durch Banditen und Vertreter verschiedener politischer Gesinnungen.

Einige Szenen, besonders am Anfang, sind erschütternd brutal. Dem Autor gelingt es jedoch, sie so zu schildern, dass mir nicht schlecht wurde, sondern dass ich einfach weiterlesen musste. Besonders interessant – geradezu grotesk fantastisch – entwickelt sich die Sache mit dem abgetrennten Ohr.

Dieser Roman ist sehr schön erzählt und lebt trotz aller Not, Brutalität und Düsternis von etlichen witzigen Details. Dazu gehört auch die Geschichte, wie Samson bei der Miliz landet.

Der Kriminalfall – oder sagen wir besser die Kette von Rätseln – wird durch Samson auf recht unkonventionelle Art und Weise gelöst. Dazu werde ich natürlich nichts Genaueres verraten.

Was ich verraten kann, ist, dass es eine Fortsetzung geben wird. Aber das lässt sich ja bereits aus dem Klappentext entnehmen.

Mein Fazit: Eigentlich ist es gewagt, dieses Buch in die Schublade „Kriminalroman“ zu stecken, denn es ist mehr als das. Kurz und gut: Ungewöhnlich, spannend und witzig. Es hat mich sehr gut unterhalten.

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Für Leser*innen mit Humor und Gerechtigkeitssinn

Richter morden besser
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Amtsrichter Siggi Buckmann befasst sich mit vielen alltäglichen Fällen. Das ist nicht schön, aber nervenaufreibender ist das ganze Drumherum des Justizapparates. Das kann man nur mit Humor ertragen, z. ...

Amtsrichter Siggi Buckmann befasst sich mit vielen alltäglichen Fällen. Das ist nicht schön, aber nervenaufreibender ist das ganze Drumherum des Justizapparates. Das kann man nur mit Humor ertragen, z. T. mit sehr schwarzem. Davon hat Siggi, gemütlicher Zeitgenosse Mitte fünfzig, eine Menge.

Manche nervigen Kollegen oder Vorgesetzen kann er nur aushalten, indem er ihnen passende Spitznamen gibt, wie z. B. Duracell für die überambitionierte Kollegin oder Mr. Burns für einen mürrischen Vorgesetzten.

Siggi und seine Mitstreiter, die ihren Job noch wirklich ernst nehmen, haben es nicht so leicht. Denn im Justizapparat fehlt es an allen Ecken und Enden an Mitteln und es geht auch nicht immer gerecht zu. Da wird gekungelt und gerangelt, so dass die Gerechtigkeit leider oftmals auf der Strecke bleibt, insbesondere wenn es um die wirklichen Verbrecher geht. Also greift Siggi zu eigenen Methoden, bei denen man sich sagt: Wie cool ist das denn!

Dieses Buch ist ein etwas anderer Krimi. Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert. Dieser Siggi Buckmann ist schon eine Marke für sich. Die Geschichte ist überwiegend aus seiner Sicht erzählt und lebt neben ihren Dialogen von Siggis Gedanken. So ist es sehr amüsant, direkt hintereinander zu lesen, was Siggi jeweils denkt und was er seinem Gegenüber antwortet.

Darüber hinaus ist die ganze Geschichte ziemlich spannend. Man merkt, dass sich der Autor sehr gut im „Juristenmilieu“ auskennt – er ist sogar selbst Richter. Zusätzlich verfügt er über ein großartiges Erzähltalent und eine Menge Humor. Das ist die perfekte Mischung, um solch einen Roman zu schreiben.

Ich habe mich köstlich amüsiert und war fast ein wenig traurig, als ich das Buch ausgelesen hatte. Der letzte Abschnitt ist noch ein geheimnisvoller Zusatz, sicher dazu da, um neugierig auf eine Fortsetzung zu machen. Allerdings wird darin kaum ein Bezug zur bisherigen Handlung hergestellt und das ist gut so. Die Geschichte ist schön in sich abgeschlossen, so mag ich das.

Fazit: Cosycrime – sehr witzig und spannend, dabei irgendwie einzigartig. Absolute Empfehlung für Leser*innen mit Humor und Gerechtigkeitssinn.

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