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Veröffentlicht am 07.07.2020

Packend von Anfang bis Ende

Paradise City
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„Paradise City“ von Zoë Beck ist ein Thriller, der in einem Deutschland der Zukunft spielt. Ich habe mich von der ersten bis zur letzten Seite „hindurchgesüchtelt“.

Die Hauptfigur, Liina, ist Rechercheurin ...

„Paradise City“ von Zoë Beck ist ein Thriller, der in einem Deutschland der Zukunft spielt. Ich habe mich von der ersten bis zur letzten Seite „hindurchgesüchtelt“.

Die Hauptfigur, Liina, ist Rechercheurin bei einer der letzten unabhängigen Nachrichtenagenturen. Diese haben neben den staatlichen Medien nur noch eine Art Alibi-Funktion. Wir lernen Liina bei einer ziemlich unsinnig erscheinenden Recherche in der Uckermark kennen.

Sie kommt in die Hauptstadt, Frankfurt am Main, zurück und ist zunächst wütend auf ihren Chef, der sie zu der Recherche geschickt hatte, obwohl sie eigentlich an einer viel interessanteren Story arbeiten sollte.

Allerdings muss sie bestürzt feststellen, dass ihr Chef nach einem vermeintlichen Unfall im Koma liegt und eine Kollegin tot ist. Was steckt dahinter? Gemeinsam mit anderen Kollegen beginnt sie, die Hintergründe Stück für Stück zu rekonstruieren.

Obwohl niemals erwähnt wird, wann genau dieser Roman spielt, merkt man schnell, dass es sich um eine nicht allzu ferne Zukunft handeln muss. Ich habe den Eindruck, dass die Autorin die heutige Gesellschaft und die bereits heute selbstverständliche Alltagstechnik nur etwas weitergedacht hat. Das Ganze hat sie mit einer Portion trockenen Humors bis zu leichtem Sarkasmus etwas gewürzt. So ist ein überaus interessantes und dazu noch unterhaltsames Bild einer Zukunft entstanden.

Darin leben die meisten Menschen in den Mega-Citys. Frankfurt am Main, was inzwischen das ganze Rhein-Main-Gebiet umfasst, ist die Hauptstadt. Berlin ist vor allem Touristenattraktion, aber es leben dort nicht mehr viele Menschen. Ländliche Gegenden sind nur noch sehr dünn besiedelt, wenn überhaupt. Das Klima hat sich zwar verändert, es ist insgesamt heißer, aber es wird nicht zur Katastrophe.

In den Mega-Citys funktioniert alles wie am Schnürchen: Autos gibt es nur noch in Ausnahmefällen. Das öffentliche Verkehrsnetz ist rund um die Uhr verfügbar und wird gesteuert von KI. Vollzeitarbeit bedeutet Zwanzig-Stunden-Woche. Die Leute haben genug Freizeit und auch Geld, diese zu genießen. Ein Bilderbuch-Gesundheitssystem: schnelle Behandlung ohne Wartezeiten. Das bekommt man alles erst nach und nach „serviert“, so dass man, obwohl man aus einem sehr kritischen Blickwinkel startet, durchaus etwas ambivalente Ansichten zu allem haben kann.

Was ist der kritische Aspekt? Hinter allem steckt ein System, gegen dessen Datensammelwut und Kontrollbestreben die heutigen sozialen Medien und Google geradezu harmlos wirken. Die totale Überwachung. Profile und Sozialpunkte.

Die Geschichte ist sehr geradlinig aufgebaut. Wir begleiten die ganze Zeit die Hauptheldin Liina. Durch passende kurze Rückblenden innerhalb der Haupthandlung erfahren wir alles Drumherum, was wichtig ist. Dadurch ist die Story abwechslungsreich, ohne verworren zu werden. Alles fügt sich nach und nach schlüssig zusammen.

Die Autorin hat einen lockeren und sympathischen Schreibstil. Die Figuren sind gut gezeichnet und ihre Handlungen nachvollziehbar. Sehr gefallen haben mir auch verbale Illustrationen, die dem Ganzen meiner Meinung nach noch ein „Sahnehäubchen“ aufsetzen, wie z. B. Papageien oder große Schmetterlinge, die herumfliegen, oder die Erwähnung einer Erlebnistour „Berlin 1989“, die auf die Kinder „verstörend“ wirkte.

Das Wichtigste ist für mich, dass es eine schlüssige und zufriedenstellende Auflösung gibt – möglichst nicht vorhersehbar. Das ist meines Erachtens bei „Paradise City“ der Fall.

Fazit: Spannend und unterhaltsam von der ersten bis zur letzten Seite.

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Veröffentlicht am 19.06.2020

Eine Sammlung außergewöhnlicher Geschichten

Ozelot und Friesennerz
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In „Ozelot und Friesennerz“ erzählt Susanne Matthiessen Geschichten aus dem Sylt der 70er Jahre. Das macht sie ziemlich gekonnt. Sie selbst ist auf Sylt geboren und hat in genau der Zeit dort ihre Kindheit ...

In „Ozelot und Friesennerz“ erzählt Susanne Matthiessen Geschichten aus dem Sylt der 70er Jahre. Das macht sie ziemlich gekonnt. Sie selbst ist auf Sylt geboren und hat in genau der Zeit dort ihre Kindheit verlebt. Ihre Geschichten sind witzig und schockierend zugleich. Sie erzählt sowohl aus der Sicht eines Kindes als auch mit dem augenzwinkernden Verstand eines Erwachsenen. Sie charakterisiert oft mit nur wenigen Worten sehr treffend, z. B. „Schenkelschande und Bauchblamage“.

Ich selbst habe keinerlei Beziehung zu Sylt. Deshalb war ich zunächst skeptisch, ob mich dieses Buch wirklich unterhalten oder berühren könnte. Ich lese jedoch gern spannende und kuriose Geschichten aus anderen Zeiten, und genau die habe ich hier gefunden und ganz nebenbei eine Menge über Sylt erfahren.

Als zentraler Ort – oder besser gesagt als zentrale Institution – fungiert dabei das elterliche Pelzgeschäft in Westerland, in dem alles einkauft, was Rang und Namen hat. Alle Kapitel tragen die Überschrift „Die Sache mit dem/der …“, wobei jeweils eine bestimmte Pelzsorte genannt wird, z. B. „Die Sache mit dem Seelöwenpelz“, „Die Sache mit der Luchskatze“ und so weiter. Diese spielt dann zwar meistens im Verlauf der Geschichte eine wichtige Rolle, lässt jedoch genügend Raum für viel mehr. Die Pelze bilden also einfach den roten Faden für das Buch.

Die Geschichten basieren auf wahren Begebenheiten und nebenbei schweift die Autorin immer wieder in historische Fakten ab – nach meinem Geschmack in passender Dosierung. Sie nimmt jeweils rechtzeitig die Kurve zurück zur Story. Schon das erste Kapitel „Die Sache mit dem Seelöwenpelz“ – fast ein Krimi – ist ein gutes Beispiel dafür.

Allerdings würde ich dieses Buch nicht wirklich als Roman bezeichnen, wie der Untertitel „Roman einer Sylter Kindheit“ ausweist. Die Kapitel sind in meinen Augen eher einzelne Geschichten. Und so ausgesprochen gut mir die auch gefallen, so schwach finde ich Prolog und Epilog. Diese hat die Autorin offensichtlich als Klammer gedacht, um alles zusammenzuhalten.

Sie beschreibt im Prolog, wie sie heute Sylt besucht, dort an einer typischen Feierlichkeit teilnimmt und alte Freunde und Bekannte wiedertrifft. Nach acht Kapiteln mit den eigentlichen Storys aus ihrer Kindheit kommt sie im Epilog wieder auf die Gegenwart zurück und beschwert sich seitenweise über die heutige Sylter Lokalpolitik. Ich kann verstehen, dass ihr das alles sehr am Herzen liegt und dass da die Journalistin „durchbricht“. Aber meiner Meinung nach schmälert es die Wirkung der tollen Storys.

Fazit: Dieses Buch ist eine Sammlung außergewöhnlicher Geschichten, die den Leser auf eine kurzweilige Reise ins Sylt der 70er Jahre mitnehmen. Wer gern unterhaltsame Geschichten liest, wird es lieben. Den Prolog und den Epilog kann man getrost weglassen.

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