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Veröffentlicht am 27.07.2024

FeelGood-Roman mit kleinen Abzügen in der B-Note

Der Wal und das Ende der Welt
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Kaum ein Buch ist mir in den letzten Jahren so häufig begegnet und ans Herz gelegt worden, wie „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger, der Roman, der wie eine wahr gewordene Prophezeiung daherkommt, ...

Kaum ein Buch ist mir in den letzten Jahren so häufig begegnet und ans Herz gelegt worden, wie „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger, der Roman, der wie eine wahr gewordene Prophezeiung daherkommt, und bereits auf den ersten Seiten stellte sich ein leises Gefühl von Verstehen ein. Rachel Joyces „Harold Fry“ kam mir prompt in den Sinn, „Bären füttern verboten“ von Rachel Elliott ebenso; Feel Good-Romane in sehr britischem Stil mit einem leicht bissigen, ironischen Humor und viel Herz und Empathie.

Eine Legende ist Joe Haak, der Mann, der eines seltsamen Tages an der Seite eines Wales am Strand eines Fischerdorfes in Cornwall angespült wurde. Wie ein Wunder, oder wenigstens ein Wink des Schicksals, erscheint beider Auftauchen den 307 Einwohnern des Dorfes St. Piran und schon bald gewinnt der Investment-banker aus London ihr Vertrauen - und das Herz einer jungen Dame namens Polly. Als seine Analysen eine weltweite Grippe-Epidemie vorhersagen, trifft Joe aufgrund eines alten Versprechens eine folgenschwere Entscheidung, die die Gemeinschaft auf die Probe stellt; die Kraft aller ist gefragt- und der unbedingte Glaube an die Menschlichkeit.

Wie David gegen Goliath oder wie die aufmüpfigen Gallier gegen Cäsars Imperium mutet der Widerstand dieses kleinen Dorfes gegen eine existenzielle, alles bedrohende Krise an, die unserer aktuellen Situation wirklich beängstigend nahe kommt. Der Blick Ironmongers auf die Menschen hat dabei etwas Zärtliches, Märchenhaftes; er sieht sie in der Idealvorstellung einer besseren Welt, an die ich wider besseren Wissens gerne glauben möchte. Eine Parabel auf das Leben und die Menschlichkeit aber auch eine kluger Blick auf unsere globalisierte Welt und wie alles bis ins Kleinste zusammenhängt. Auch von mir gibt es das Prädikat Lesenswert - mit kleinen Abstrichen in der B-Note wegen ein paar Längen im Mittelteil, des mitunter etwas liederlich anmutenden Frauenbildes, das der Autor hier vermittelt und des, für meinen Geschmack, etwas zu kitschigen Endes.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Berührend und inspirierend

Der Salzpfad
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„Der Salzpfad“ von Raynor Winn ist ein besonderer Reisebericht, spiegelt er doch neben der Wanderung entlang des South West Coast Path auch das Leben und die alltäglichen Sorgen Obdachloser wieder. Raynor ...

„Der Salzpfad“ von Raynor Winn ist ein besonderer Reisebericht, spiegelt er doch neben der Wanderung entlang des South West Coast Path auch das Leben und die alltäglichen Sorgen Obdachloser wieder. Raynor und Moth verloren durch eine unkluge Investition und den anschließenden Verrat eines guten Freundes ihre Farm, die Heim und Einkommen bedeutete, ihr Vermögen, einfach jede Sicherheit und Existenzgrundlage. Die CBD-Diagnose Moths bringt das Leben beider zusätzlich ins Wanken und mehr einer inneren Eingebung als dem klaren Verstand folgend brechen sie, mit nichts als einem kleinen Rucksack auf dem Rücken und einer gehörigen Portion Optimismus im Gepäck auf, Englands längsten Wanderweg zu beschreiten, dem Ungewissen entgegen.

Es handelt sich hierbei nicht um ein Wohlfühl-Reise-Tagebuch. Die Autorin schildert mitunter wirklich schwierige Umstände, die mich, in Anbetracht der Erkrankung ihres Mannes, das eine oder andere Mal an dem Sinn der ganzen Aktion haben zweifeln lassen und mein Verständnis dafür durchaus (über)strapazierten. Es wird gehungert und nach Medikamenten gegen körperliche Schmerzen gelechzt, Essen gestohlen und heimlich auf Campingplätzen übernachtet, leicht verächtlich über unsympathische Mitmenschen und unfreundliche Hundehalter gesprochen, denen sie unterwegs begegnen. Diese Dinge lesen sich unbequem und schaffen doch eine gewisse Nähe zu der Geschichte, fühlen sich wenn auch nicht angenehm doch authentisch an.

Sehr schöne, bildhafte Naturbeschreibungen katapultierten mich direkt an die raue Küste Cornwalls und in den Rhythmus der Gezeiten; die kleinen Glücksmomente einer überraschenden Mahlzeit oder einfachen Geste freundlicher Menschen, des klaren Lichts eines neuen Tages habe ich im eigenen Leib spüren können, haben auch meine Stimmung ein wenig aufgehellt. Mein Fazit: Nach anfänglicher Skepsis (sicher auch verstärkt durch einige kritische Rezensionen) bot sich mir eine wirklich lesenswerte Geschichte, die mich berühren und inspirieren konnte.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Atmosphärische Geschichte

Piz Palü
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„Piz Palü“ war nach „Wolf“ mein zweiter Roman Marie Brunntalers und erneut hat mich der besondere, atmosphärische Stil überzeugen können. Der Autorin gelingt es, auf wenigen Seiten eine komplexe, spannende ...

„Piz Palü“ war nach „Wolf“ mein zweiter Roman Marie Brunntalers und erneut hat mich der besondere, atmosphärische Stil überzeugen können. Der Autorin gelingt es, auf wenigen Seiten eine komplexe, spannende Geschichte zu erzählen, die ihren ganz eigenen charakteristischen Klang hat. Dabei beweist sie abermals ein gutes Händchen und feines Gespür für das Setting - bereits nach wenigen Seiten fand ich mich mitten im Geschehen wieder. Im Schweizer Traditionshotel „Grand Arnold“ treffen im Sommer 1957 die unterschiedlichsten Persönlichkeiten aufeinander; illustre Gäste, wie der berühmte Schauspieler Fischer und der etwas zwielichtige Hellseher Ostia ebenso wie die von Hoppes (sie eine gebürtige Arnold, er Staatssekretär mit brauner Vergangenheit, beide recht gelangweilt voneinander) samt der jungen Gesellschafterin Corinne. Innerhalb kürzester Zeit werden die verworrenen, undurchsichtigen Familienverhältnisse deutlich und als erst zwei Kinder verschwinden und kurz darauf ein Mord geschieht ist klar, dass in dieser Familie nichts ist, wie es scheint; jeder sein eigenes Ziel vor Augen hat, Intrigen spinnt und eigene Motive verfolgt.

Ich musste beim Lesen sofort an den Film „Knives Out“ denken, der mir auch sehr gut gefallen hat. Die Aufklärung eines Mordfalles innerhalb kurzer Zeit als Handlungs-rahmen, ein opulentes Haus als nahezu einziger Schauplatz, eine große Familie, in der keine/r und gleichzeitig jede/r ein Motiv hat - kurzum eine ziemlich klassische Kriminalgeschichte. Mit feinen Antennen für die menschlichen Eigenschaften entwickelt Brunntaler neben dieser auch die Persönlichkeiten der Figuren, die mir zuerst etwas nebensächlich erschienen, am Ende aber ein rundes, sehr stimmiges Bild ergaben.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Lässt mich nicht los

Der Verdacht
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Eine Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann. Ein Kind, das das Böse in sich tragen soll. Und die logische, nur konsequente Frage: ist beides wie bei einer Marionette miteinander verknüpft, hängt das eine ...

Eine Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann. Ein Kind, das das Böse in sich tragen soll. Und die logische, nur konsequente Frage: ist beides wie bei einer Marionette miteinander verknüpft, hängt das eine untrennbar mit dem anderen zusammen? Können wir unserer eigenen Geschichte entfliehen, hinauswachsen über das, was wir erlebt haben, was unser Erbe ist; uns besser verhalten als sich uns gegenüber verhalten wurde, einfach besser sein?

„In diesen schlaflosen Nächten […] begriff ich allmählich, dass wir alle aus etwas gewachsen sind. Dass wir die Saat weitertragen und dass ich Teil ihres Gartens war.“ S. 57

Ich habe selten ein Buch gelesen, das so starke, ambivalente Gefühle in mir ausgelöst und ein so körperliches Unbehagen bereitet hat wie „Der Verdacht“ von Ashley Audrain. Ich habe drei Kinder, hatte relativ problemlose (von Kind zu Kind leichtere) Geburten und von Anfang an keinerlei Bindungsschwierigkeiten. Mir ist klar, dass das nicht immer und bei jeder Frau so reibungslos abläuft und ich bin ehrlich und immer wieder aufs Neue dankbar für dieses Glück. Dennoch - oder gerade deswegen - ist es mir anfangs schwer gefallen, mich auf dieses Buch, diese wirklich grausame Geschichte einzulassen. Kurz gesagt - ich wollte sie eigentlich nicht (weiter)lesen. Bereits nach wenigen Seiten sträubte sich alles in mir instinktiv dagegen diese Worte in meinen Kopf hinein und bis runter in mein Herz sinken zu lassen. Ich wollte einfach nur meine Kinder in den Arm nehmen und ihnen sagen, wie lieb ich sie habe; wollte das Thema gar nicht näher an mich heran lassen. Und doch konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, war wie gebannt von diesem intensiven, aufwühlenden Pageturner und habe ihn letztendlich geradezu verschlungen. Eine klare Leseempfehlung von mir und gleichzeitig eine große Warnung vor der ganzen Thematik - die Geschichte arbeitet auch jetzt, Tage später, noch ganz arg in mir und lässt mich nicht los.

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Veröffentlicht am 27.07.2024

In kleinen Häppchen ein Genuss!

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
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Ich bin schwer angetan von dieser eigensinnigen, kraftvollen Stimme und welch eine Empörung diese Schrift, dieser im Stil eines Tagebuchs gehaltene Monolog zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung 1902 ausgelöst ...

Ich bin schwer angetan von dieser eigensinnigen, kraftvollen Stimme und welch eine Empörung diese Schrift, dieser im Stil eines Tagebuchs gehaltene Monolog zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung 1902 ausgelöst haben muss! Mit einer Inbrunst, die mir Bewunderung abringt, wartet die junge Mary auf den Teufel, der ihr das lang ersehnte und vor allem verdiente Glück bringen soll, nein, muss. Sie ist ein Genie; noch verkannt und unverstanden aber ohne jeden Zweifel ein großes Genie unter einfachen Menschen, mit denen sie rein gar nichts verbindet.

Wenn sich die erste Empörung oder vielmehr das Erstaunen über Marys grenzenlose Selbstliebe und über alle Maßen egozentrisches Naturell gelegt hat, spürt man schnell das unverstandene, traurige Kind dahinter; einen hochsensiblen Freigeist, der sich von der Welt abgrenzen muss, um nicht an dessen Lieblosigkeit zu zerbrechen. Mary wirkt in einem Satz wie ein trotziges, eigensinniges Kind, das mit dem Fuß aufstampft, und im nächsten Gedanken so weise und scharfsichtig wie ein Greisin, die schon alles gesehen und jeden erkannt hat. Faszinierend und inspirierend, ohne Frage. Mit klugem Scharfsinn und aus einer gewissen Distanz beobachtet sie die Gesellschaft und übt offen Kritik an dessen offensichtlichen Kleingeist. Völlig ungefiltert und ehrlich sind ihre Gedanken, nicht abgeschwächt oder angepasst durch gesellschaftliche Konventionen und Erziehung; sie vermitteln eine starke, alles durchdringende Sehnsucht nach mehr Weite, mehr Erfahrungen, mehr Leidenschaft, mehr Leben… Glück.

Kurz mal wegsnacken, den kleinen Leckerbissen, dachte ich. Hat mich dann doch etwas länger begleitet, denn dieses schmale Büchlein hat es in sich und bot eine so anregende wie anstrengende Lektüre; jede Empfindung der Autorin ist so düster wie tief, jedes Gefühl ein einziges Superlativ. Also, Tempo rausnehmen, Pausen machen und siehe da - in kleinen Häppchen ein Genuss!

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