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Veröffentlicht am 25.06.2024

Tiefe Einblicke in die Geschichte von Simbabwe

Haus aus Stein
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Zamani wächst ohne weitere familiäre Bindung bei seinem Onkel auf. Die Mutter ist während Gukurahundi getötet wurden, zum Vater besteht kein Kontakt. Als der Onkel stirbt, zieht Zamani zur Untermiete bei ...

Zamani wächst ohne weitere familiäre Bindung bei seinem Onkel auf. Die Mutter ist während Gukurahundi getötet wurden, zum Vater besteht kein Kontakt. Als der Onkel stirbt, zieht Zamani zur Untermiete bei Familie Mlambo ein, freundet sich mit deren Sohn an und wird bald als Familienmitglied gesehen.
Bukhosi, der Sohn der Familie, schließtsich, wie auch Zamani der Mthwakazi-Bewegung an und verschwindet auf einer Kundgebung spurlos. Anstatt den Eltern die Wahrheit zu erzählen, sieht Zamani die Chance endlich eine richtige Familie zu haben und tut alles um als Ersatzsohn anerkannt zu werden. Unter dem Deckmantel der Hilfe bei der Suche nach dem verschwundenen Sohn, drängt sich Zamani immer mehr auf, nährt den Alkoholismus seines „Ersatzvaters“ Abednego, um sich die Familiengeschichte zu erschließen, und nutzt dessen Gewaltausbrüche um seiner „Ersatzmutter“ Agnes näher zu kommen und auch ihr Informationen zu entlocken.
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Novuyo Rosa Tshuma erschafft mit ihrem Roman einen tiefen Einblick in die Geschichte von Simbabwe.
Die Erzählung über den toxischen, höchst berechnenden, Zamani bildet dabei nur den Rahmen, der zwar spannend zu lesen ist, für mich aber nicht die Essenz des Werkes ausmacht. Durch seine, zweifelsohne hartnäckige Vehemenz, die auch nicht vor Verrat und Erpressung zurückschreckt, entlockt er seinen selbstgewählten „Ersatzeltern“ deren Geschichte, die geprägt ist von Gewalt, Unterdrückung, Verlust. (Eventuell könnte man sein Handeln auch als Metapher für die Geschichte Simbawes betrachten)
Gerade diese Sequenzen, die von Krieg, Völkermord, Vertreibung, Enteignung und Flucht, von Armut und Lebensmittelknappheit, sowie auch über die Auswirkungen in die Gegenwart berichten, zeigen ein umfassendes, realistisches Abbild der jüngeren Geschichte des „Haus aus Stein“, lassen mich als Lesende tief in die grausamen Geschehnisse eintauchen und machen den wahren Kern des Gesellschaftsromans aus.
Die Autorin zeigt anhand der Einzelschicksale von Abednego und Agnes die Politik der letzten Jahrzehnte auf, die menschenverachtend und von Angst geprägt ist und thematisiert ein weiteres Problem: Das Schweigen. Die Geschehnisse werden sowohl von den Herrschenden, als auch von der Bevölkerung tabuisiert und totgeschwiegen, was zu der Weiterreichung transgenerationaler Traumata führt.
Schon allein aus diesem Grund halte ich das Buch für sehr wichtig, da es genau mit diesem Schweigen bricht, da es die Geschichte sichtbar macht und zur Aufarbeitung beiträgt. Es gab in der letzten Zeit sehr wenige Bücher, die mich so berührt und weitreichend haben recherchieren lassen.
Ein sprach- und bildgewaltiger Roman, dem ich viel Aufmerksamkeit wünsche und euch ans Herz legen möchte. Ganz große Empfehlung.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Trauer und Wut und ganz viel Meer

Windstärke 17
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„𝘜𝘯𝘥 𝘪𝘤𝘩 𝘩𝘢𝘣𝘦 𝘯𝘶𝘳 𝘥𝘪𝘦𝘴𝘦𝘯 𝘞𝘶𝘵𝘬𝘭𝘶𝘮𝘱𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘪𝘦 𝘚𝘤𝘩𝘢𝘮 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘪𝘦 𝘵𝘰𝘵𝘦 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘦𝘯 𝘨𝘢𝘯𝘻𝘦𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘦𝘪ß, 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘢𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘴𝘰 𝘶𝘯𝘧𝘢𝘪𝘳, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘳 𝘥𝘦𝘯 𝘞𝘶𝘵𝘬𝘭𝘶𝘮𝘱𝘦𝘯 𝘢𝘮 𝘭𝘪𝘦𝘣𝘴𝘵𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴 𝘥𝘦𝘮 𝘉𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘳𝘢𝘶𝘴𝘴𝘤𝘩𝘯𝘦𝘪𝘥𝘦𝘯 𝘸𝘶̈𝘳𝘥𝘦. 𝘜𝘯𝘥 𝘪𝘤𝘩 𝘧𝘳𝘢𝘨𝘦 ...

„𝘜𝘯𝘥 𝘪𝘤𝘩 𝘩𝘢𝘣𝘦 𝘯𝘶𝘳 𝘥𝘪𝘦𝘴𝘦𝘯 𝘞𝘶𝘵𝘬𝘭𝘶𝘮𝘱𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘪𝘦 𝘚𝘤𝘩𝘢𝘮 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘪𝘦 𝘵𝘰𝘵𝘦 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘦𝘯 𝘨𝘢𝘯𝘻𝘦𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘦𝘪ß, 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘢𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘴𝘰 𝘶𝘯𝘧𝘢𝘪𝘳, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘳 𝘥𝘦𝘯 𝘞𝘶𝘵𝘬𝘭𝘶𝘮𝘱𝘦𝘯 𝘢𝘮 𝘭𝘪𝘦𝘣𝘴𝘵𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴 𝘥𝘦𝘮 𝘉𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘳𝘢𝘶𝘴𝘴𝘤𝘩𝘯𝘦𝘪𝘥𝘦𝘯 𝘸𝘶̈𝘳𝘥𝘦. 𝘜𝘯𝘥 𝘪𝘤𝘩 𝘧𝘳𝘢𝘨𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘸𝘪𝘦 𝘭𝘢𝘯𝘨𝘦 𝘮𝘢𝘯 𝘮𝘪𝘵 𝘴𝘰 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘞𝘶𝘵𝘬𝘭𝘶𝘮𝘱𝘦𝘯 𝘪𝘮 𝘉𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘩𝘢𝘶𝘱𝘵 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘭𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘬𝘢𝘯𝘯.“ - 𝘚.128

Idas alkoholkranke Mutter ist gerade gestorben und ihre Welt steht Kopf. Zwischen Trauer, Wut und Schuldgefühlen versucht sie irgendwie weiter zu funktionieren, kommt aber irgendwann an den Punkt, wo nichts mehr geht. Sie kündigt die Wohung und entscheidet sich auf dem Weg nach Hamburg zu ihrer Schwester Tilda, kurzerhand einfach im Zug sitzen zu bleiben. Ohne Geld und nur mit einem kaputten Koffer landet sie letztendlich auf Rügen wo sie auf ziemlich selbstzerstörerische Art ihren Körper an sein Limit bringt. Nach einem Zusammenbruch wird sie von … , einem netten älteren Ehepaar, aufgenommen und kommt langsam wieder zur Ruhe. Auch die Freundschaft mit Laif trägt dazu bei. Die nächste Krise steht allerdings schon vor der Tür.
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Mit Ida als Protagonistin treffe ich auf eine alte Bekannte. Damals noch ein kleines Mädchen, ist aus ihr mittlerweile eine junge Erwachsene geworden. Eine Erwachsene mit wahnsinnig viel Wut…
Caroline Wahl beschreibt nicht einfach nur den Trauerprozess der mit dem Tod eines nahen Angehörigen einhergeht, sondern schafft es auch sehr gut den ambivalenten Gegühlen Idas bezüglich ihrer Mutter Ausdruck zu verleihen. …
Durch die jahrelange Co-Abhängigkeit und das damit einhergehende starke Bedürfnis Verantwortung für eine Person zu übernehmen, die eigentlich in der Lage sein müsste, sich um sich selbst zu kümmern bzw. durch die Umkehr der Verantwortung, ist Ida sehr gespalten. Sie möchte die Mutter vermissen, sie möchte sie lieben, aber andererseits ist sie enttäuscht, wütend (auf alle, aber vorallem auf sich selbst), hilflos. Sie hat nie gelernt mit diesen Gefühlen umzugehen und richtet die Wut gegen sich selbst.
Das was mir bei „22 Bahnen“ an emotionaler Tiefe gefehlt hat, holt Wahl mit der Fortsetzung definitiv auf. Ansonsten bleibt sie ihrem Stil treu und vor allem die immer wiederkehrende Zwiesprache der Protagonistin mit sich selbst, hat mir wahnsinnig gut gefallen.
„Windstärke 17“ ist ein wunderbarer Roman voll vom großen Emotionen, der eindrücklich zeigt, welche Auswirkung Traumata haben kann und wie schwer es ist auch für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Ich kann hier eine riesengroße Empfehlung aussprechen und hoffe das noch viele weitere Bücher der Autorin folgen werden.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Psychische und physische Krankheit

Weltalltage
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Die Erzählerin und Max sind seit der Schulzeit befreundet und wohnen jetzt zusammen in einer WG.
Sie, von Kindheit an chronisch krank, sieht in Max immer den funktionierenden Menschen, der sie auch gern ...

Die Erzählerin und Max sind seit der Schulzeit befreundet und wohnen jetzt zusammen in einer WG.
Sie, von Kindheit an chronisch krank, sieht in Max immer den funktionierenden Menschen, der sie auch gern wäre. Er passt auf sie auf, macht sogar den Rettungsschwimmer, damit sie schwimmen gehen kann, bastelt einen Fahrradanhänger, um sie rumzukutschieren…
Nach dem Suizid von Max Onkel, ziehen dunkle Wolken auf und verändern dieses jahrelang gut funktionierende Freundschaftsgefüge von jetzt auf gleich. Die Rollenverteilung wird umgekehrt und auf einmal ist Max auf Hilfe angewiesen, was alles irgendwie in Frage stellt.
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Ich hab schon ein paar Mal dazu angesetzt diese Rezension zu schreiben, aber irgendwie fehlten mir immer die richtigen Worte.
Auch jetzt tu ich mich noch sehr schwer damit. Warum? Weil „Weltalltage“ einfach so viel mehr ist als ein Roman über eine außergewöhnliche Freundschaft und die Angst, dem Geschriebenen nicht gerecht zu werden, mich begleitet. Während ich einen Satz ausformuliere drehen sich schon zehntausend andere Gedanken in meinem Kopf.
Während des Lesens habe ich soviele Markierungen gesetzt, wie schon lange nicht mehr. Ich habe mich verstanden gefühlt, konnte mich sowohl in die Protagonistin, als auch in Max hineinversetzen und mitfühlen.
Paula Fürstenberg schreibt über körperliche und seelische Krankheit, über Gesundheit, Familie, Aufwachsen, über die Tatsache, wenn man nicht weiß, was mit einem los ist, über Akzeptanz, über das Betroffener-Sein, ebenso wie darüber Angehöriger zu sein. Sie schreibt über Suizid und dessen Auswirkungen auf das Umfeld, über Work-Live-Balance, Einsicht, Rücksichtnahme, familiären und gesellschaftlichen Druck, Aufopferung und Abgrenzung.

Außerdem schreibt sie über Feminismus und vor allem die Rolle weiblicher Körper in der medizinischen Forschung.
Eigentlich stört es mich meist, wenn Autor*innen versuchen möglichst viele Themen in einen Roman zu packen, hier fand ich es absolut passend. Alles spielt mit allem zusammen und Fürstenberg macht eine emotionsgeladene und einfühlsame Erzählung daraus.
Auch der Stil hat mich angesprochen. Neben der tollen sprachlichen Umsetzung ist der Aufbau des Romans mehr oder weniger in Form von Listen gehalten (ich mag Listen…) und bildet auch irgendwie die Geschichte, wie es überhaupt zu dem Buch gekommen ist, quasi die Entstehungsgeschichte des Romans im Roman, ab.
Um nichts vorweg zu nehmen, würde ich nicht im Einzelnen auf oben genannte Themen eingehen.
Zu guter Letzt bleibt mir nur zu sagen: Lest das Buch unbedingt!

Veröffentlicht am 25.06.2024

Männerlose Gesellschaft

Die Schattenmacherin
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„Wir wollten Menschen sein. Keine Frauen.“ (S.183)

Dies wäre ein perfekter letzter Satz gewesen… sagt er doch soviel auf einmal, brüllt einem die Missstände förmlich ins Gesicht, erklärt, prangert an ...

„Wir wollten Menschen sein. Keine Frauen.“ (S.183)

Dies wäre ein perfekter letzter Satz gewesen… sagt er doch soviel auf einmal, brüllt einem die Missstände förmlich ins Gesicht, erklärt, prangert an und lässt doch wahnsinnig viel Interpretationsspielraum.

Aber beginnen wir am Anfang:
Es ist das Jahr 2068, die Menschheit ist knapp an ihrer Auslöschung vorbeigeschrammt, die Überlebenden sind ausschließlich weiblich.
Jahrzehnte zuvor hat erst die Klimakrise und später eine Seuche, die nur Männer befallen hat, für eine starke Minimierung gesorgt. Seitdem erfolgt die Fortpflanzung nur noch per Reagenzglas, die Bevölkerung zählt derzeit 283469 Personen.
Das Zusammenleben ist von starren Regeln begleitet („Wir machen die Regeln, wir halten uns an die Regeln, wir kennen die Konsequenzen. Und manchmal zerbrechen wir daran.“ (S.125)) und wird durch eine Führungselite kontrolliert. Dieser Elite steht Ruth vor, welche allerdings in einem Alter ist, in dem es Zeit wird, ihre Aufgabe abzugeben. Als Nachfolgerin wurde die junge Ania, welche männliche Personen nur aus Erzählungen kennt, gewählt und soll nun auf ihren Posten vorbereitet werden. Kein leichtes Unterfangen, da die beiden Frauen ein gänzlich unterschiedliches Wahrnehmen bezüglich der Welt, wie sie jetzt ist und wie sie vielleicht werden könnte, haben. Anias Bestreben die männlichen Personen zurück zu bringen, stößt bei Ruth auf taube Ohren und bringt sie letztendlich sogar in Lebensgefahr.
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Eine Welt ohne Männer… Utopie oder Dystopie? Dies lässt sich nur sehr individuell beantworten.
Im Mittelpunkt von „Die Schattenmacherin“ steht aber in meinen Augen die Frage: „Wäre die Welt eine bessere, wenn es keine Männer mehr gäbe?“ und die Antwort lautet in diesem Fall ganz klar Nein. Es geht nicht darum, ob eine rein weibliche Welt existieren könnte, denn daran habe ich keinen Zweifel, sondern viel eher darum ob Machtmissbrauch, Gewalt und Unterdrückung ein rein männliches Problem ist.
Die beschriebene Gesellschaft wirkt auf den ersten Blick sehr friedlich, achtet aufeinander und die Natur, bedingt aber auch sich unterzuordnen, nicht zu hinterfragen, sondern zu gehorchen. Individualität scheint nicht gewünscht, viel eher geht es um ein Funktionieren.
Dass das patriarchale System problembehaftet ist, steht nicht zur Diskussion und Gollackner schafft es sehr klar und nachvollziehbar darzulegen, warum vor allem die älteren Frauen nicht mal in Erwägung ziehen, dass man versuchen sollte wieder männliche Nachfahren zu gebären. Immer wieder wird das „Davor“ eingestreut… Misogynie, körperliche und sexuelle Gewalt, Ausbeutung sind Themen, die in der ganzen Überlegung nicht außen vor gelassen werden können. Zugleich wird aber auch die Fragestellung in den Raum geworfen, in wieweit bestimmte (männliche) Eigenschaften angeboren oder anerzogen sind.
„Wer wir sind, ist ein soziales Konstrukt, geformt und gefestigt von den Beziehungen, die wir eingehen.“ (S.76) oder halt von der Sozialisierung derer wir ausgesetzt sind.
Aber nicht nur das. Auch eine gewisse Notwendigkit oder einfach nur die Gelegenheit, kann dazu führen, dass man sich über andere erhebt.
„Um die Menschheit vorwärtszubringen, braucht es immer Opfer, und ja, es wird immer mit hohen moralischen Ansprüchen argumentiert, doch in Wirklichkeit ist es brutaler, nackter Verteilungskampf, und niemand kommt da ohne Blut an den Händen lebend raus.“ (S.181) -> Diese, von Ruth getätigte Aussage, führt gut vor Augen, dass das Problem ein ganz anderes ist und zwar die Entscheidungsgewalt in den Händen einer einzelnen Person, die durch die Entscheidungsbefugnisse, die sie sich genommen hat, wiederum zu Machtmissbrauch, wenn auch unter dem Deckmantel zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln, neigt.
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Die Idee der männerlosen Gesellschaft, die Lilly Gollackner hier aufgreift, ist keinesfalls neu, sie schafft es aber auf gerade mal 192 Seiten soviel Komplexität einzubauen, dass ich mit vielschichtigen Fragen und einer gewissen Unentschlossenheit zurück bleibe. Ihr mitreißender Stil, ein konstanter Spannungsbogen und ein Plottwist sorgen ein für in tolles Leseerlebnis und eine Leseempfehlung meinerseits.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Wenn nur das Wünschen bleibt

Wünschen
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»Ich muss oft daran denken, wie viel Liebe verloren geht, während schwule Kinder groß werden. Man beraubt uns der Möglichkeit, die Unschuld jugendlicher Verliebtheit zu erleben, weil man die ganze Zeit ...

»Ich muss oft daran denken, wie viel Liebe verloren geht, während schwule Kinder groß werden. Man beraubt uns der Möglichkeit, die Unschuld jugendlicher Verliebtheit zu erleben, weil man die ganze Zeit Angst hat und mit dem Stress beschäftigt ist, die Fassade aufrechtzuerhalten.« (S.272)

Obiefuna wächst im konservativen Nigeria der Neuzeit auf. Von klein an ist er anders, interessiert sich nicht wie die anderen Jungen für Fußball und Machtkämpfe, sondern tanzt lieber und entdeckt früh, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Er pflegt ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter, welches ein jähes Ende findet, als der Vater ihn mit einem anderen Jungen erwischt. Er schickt ihn auf ein christliches Internat, wo „er wieder zu sich finden soll“.
Zwischen Religion und seinem Begehren fühlt sich Obiefuna hin und her gerissen, versucht sich anzupassen, tritt nicht für sich ein.
Während des Studiums scheint er sich endlich so zu akzeptieren, wie er ist. Während jedoch in Amerika die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt wird, stellt die nigerianische Regierung Homosexualität unter Strafe und sein Weltbild wird erneut in Frage gestellt.
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Chukwuebuka Ibeh ist ein tiefgründiges, detailiertes Portrait eines jungen Mannes gelungen, der auf der Suche nach Zugehörigkeit und Identität ist. Die innere Zerissenheit des Protagonisten Obienfuna ist quasi greifbar. Lange versucht er sich anzupassen, sich zu verleugnen und im Glauben Hilfe zu finden.
Seine Jugend ist geprägt von gegensätzlichen Erkenntnissen und Gewalt. Während er auf der einen Seite Erfahrungen mit anderen Jungen sammelt, wird ihm aus dem Elternhaus, dem Internat und auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis immer wieder suggeriert, dass sein Begehren falsch ist… dass er falsch ist. Die Unbeschwertheit, die das Erwachen seiner Sexualität mit sich bringt, wird ihm verwehrt. Er gibt vor jemand anderes zu sein, beteiligt sich sogar an „Vergeltungsaktionen“ gegenüber anderen homosexuellen jungen Männern, nur um nicht aufzufallen. Er lebt in der permanenten Angst „enttarnt“ zu werden.
Auch in späteren Jahren wird klar, dass es nicht leicht ist er selbst zu sein, vor allem unter dem Aspekt der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten.
Für mich war es sehr erdrückend zu lesen, wie vor allem der Vater hier reagiert. Er versucht nicht mal auf seinen Sohn einzugehen, mit ihm zu sprechen und vielleicht ein bisschen zu verstehen, sondern akzeptiert nur seine vorgefertigte Meinung. Ab es aus Angst vor der Reaktion anderer ist oder wirklich seinen konservativen Einstellungen entspringt, lässt sich schwer sagen, ist aber auch absolut irrelevant. Anstatt sein Kind so zu akzeptieren, wie es ist, schickt er es weg… Die Mutter hingegen nimmt hier den Gegenpart ein, ist verständnisvoll und urteilt nicht, leider ist es Obienfuna selbst, der hier für die Entfremdung sorgt, weil er annimmt, dass sie die Meinung des Vaters teilt.
Ich denke der Roman ist ein gutes Abbild dessen, was es mit einem Kind macht, wenn es sich nicht akzeptiert fühlt, wie stark Selbstzweifel ausgebildet werden, wie einsam es sich fühlt und welche Auswirkungen dies auch auf das spätere Leben hat. Ibeh hat dies wahnsinnig einfühlsam beschrieben und ich kann euch dieses Debüt nur allen ans Herz legen.