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Veröffentlicht am 01.11.2023

Süße Geschichte mit Tiefgang

Dieses schöne Leben
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Clover wächst, nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern, bei ihrem Großvater auf. Umgeben von Büchern und allerlei biologischen Kuriositäten häuft sie viel Wissen an, erlernt aber nie den Umgang mit Menschen ...

Clover wächst, nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern, bei ihrem Großvater auf. Umgeben von Büchern und allerlei biologischen Kuriositäten häuft sie viel Wissen an, erlernt aber nie den Umgang mit Menschen und wird, wie bereits ihr Opa, eine Eigenbrödlerin. Als der Großvater während einer ihrer Auslandsaufenthalte plötzlich verstirbt, steht sie ganz allein da.
Sie wird eine Sterbe-Doula und begleitet Menschen auf ihrem Weg in den Tod. Für sie ist das der ideale Job. Sie kann ihre Gefühle gut verschließen und die Menschen, mit denen sie zu tun hat, leben nicht mehr lange genug um eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Als die sterbendskranke Claudia in ihr Leben tritt und sie sich auf die Suche nach deren Jugendliebe macht, kommt jedoch ganz schön Schwung in ihr Leben.
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Die Geschichte ist wunderschön geschrieben und das Aufwachsen von Clover klingt toll. Auch wenn der Großvater nicht viel von zwischenmenschlichen Beziehungen versteht und seiner Enkelin diese nicht näher bringen kann, wächst sie doch sehr behütet und voller Liebe auf.
Der Job der Sterbenegleiterin wird schön beschrieben. Ich stelle es mir sehr hart vor, ständig von Menschen Abschied nehmen zu müssen und habe viel Respekt vor dieser Arbeit. Viele, gerade alte Menschen, sterben allein und einsam, da ist die Begleitung, sei es auch durch eine fremde Person sehr wertvoll.
Clovers Persönlichkeit ist sehr realistisch beschrieben und es wird schön herausgearbeitet, was es bedeutet in freiwilliger Isolation zu leben. Da sie es nicht anders kennt, vermisst sie auch nichts, ist eher überfordert im Umgang mit anderen Menschen, wurde oft enttäuscht und ist dementsprechend vorsichtig. Auch das Verhältnis zu den Eltern, als diese noch lebten, war eher distanziert, die Tochter wurde oft abgeschoben und diese Distanz abzulegen fällt schwer. Im letzten Drittel kommt hier Bewegung rein, was ich zum einen gut finde, zum anderen in dieser Ausgeprägtheit und Schnelligkeit, allerdings mal wieder für etwas utopisch halte. Ein bisschen weniger Happy End hätte der Geschichte aus meiner Sicht gut getan.
Nichtsdestotrotz ein schöner Roman um Abzuschalten, mit einer guten Story und ein bisschen Romantik.

Veröffentlicht am 25.10.2023

Tiefe Einblicke in die chinesische Gesellschaft und das Frauenbild

Die Gebärmutter
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Das Lesen von „Die Gebärmutter“ hat mir einiges abverlangt. Sheng Keyi umreist in ihrem Roman die Rechte der Frauen, Familienpolitik und Familiengefüge, Geburtenkontrolle und Abtreibung und letztendlich ...

Das Lesen von „Die Gebärmutter“ hat mir einiges abverlangt. Sheng Keyi umreist in ihrem Roman die Rechte der Frauen, Familienpolitik und Familiengefüge, Geburtenkontrolle und Abtreibung und letztendlich die Last einer Gebärmutter in der chinesischen Gesellschaft. Sie beschreibt eine Familie, meist aus weiblicher Sicht, über mehrere Generationen. Dem zu folgen fiel mir nicht immer leicht. Trotz der eingängigen, angenehmen Sprache, hatte ich Probleme mit dem Auseinanderhalten der vielen Protagonist*innen, dies lag zum einen sicher an den sehr ähnlichen Namen, zum anderen auch daran, dass die einzelnen Kapitel fast in sich geschlossene Erzählungen waren, zeitlich nicht linear verlaufen sind und somit die Übersicht ein bisschen gefehlt hat.
Trotz dieser Tatsache bin ich froh den Roman zu Ende gelesen zu haben. Er gibt einen tiefen Einblick in die chinesische Gesellschaft, teilweise wirklich erschreckend. Die Rolle der Frau, auch in den jüngeren Generationen und vor allem bei der Landbevölkerung, lässt einen vermuten man befinde sich irgendwo Anfang des 19. Jahrhunderts und nicht in der Gegenwart. Es gibt viele arrangierte Ehen, eine Vielzahl von Kindern, generationenübergreifende Erziehung, aber keine so richtige Bindung zu den Eltern. Es scheint, als würden nur kleine Arbeitskräfte erschaffen um die „Familienbetriebe“ am Laufen zu halten. Verhütung ist nicht unbedingt üblich und wenn dann allein Frauensache. Ehen werden nur noch geschlossen, wenn eine Fraue bereits schwanger ist, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Eine Frau, die keine Kinder haben will, wird misstrauisch oder mitleidig beäugt.
Alles in allem könnte man die Frauen als reine Gebärmaschinen sehen und es ist erschreckend, dass in einem sonst so fortschrittlichem Land, ein solches Denken noch Gang und Gebe ist.
Keyi zeigt auf, dass zwar ein Wandel im Gange ist, aber übt nach wie vor Kritik an der Gesellschaft. Ihre Schilderungen legen nahe, dass Kinder kriegen oder nicht kriegen, kein persönliches, sondern in China vor allem ein gesellschaftliches und politisches Thema war und immer noch ist.
Ein wirklich guter Roman und eine Empfehlung für alle, die an einem intensiven Einblick in chinesische Familirngefüge interessiert sind. Es erfordert etwas Durchhaltevermögen, aber es lohnt sich auf alle Fälle.

Veröffentlicht am 15.10.2023

Ruhe und die Suche nach dem Selbst

Tage mit mir
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In „Tage mit mir“ erzählt Charlotte Wood die Geschichte einer Frau um die 40, die sich nach einer kurzen Auszeit in einem Kloster dazu entscheidet vorerst zu bleiben. Sie ist nicht gläubig, sie betet ...

In „Tage mit mir“ erzählt Charlotte Wood die Geschichte einer Frau um die 40, die sich nach einer kurzen Auszeit in einem Kloster dazu entscheidet vorerst zu bleiben. Sie ist nicht gläubig, sie betet nicht und doch fühlt es sich für sie an, wie zu Hause zu sein. Das karge Leben, die immer gleichen Abläufe geben ihr Struktur und Halt, schenken ihr innere Ruhe… wäre da nicht eine Mäuseplage und die Ankunft einer Bekannten aus der Vergangenheit, die ihre Welt kurzzeitig ins Wanken bringt.
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Ich hab etwas ganz anderes erwartet, als ich zu dem Buch gegriffen habe. Eine tragische Geschichte, die hinter dem Rückzug steckt, der plötzliche tiefgreifende Glaube an Gott, ein einschneidendes Erlebnis, irgendwas, was Dramatik in das Erzählte bringt. Aber so war es nicht. Wir treffen auf eine Protagonistin, die einfach der Hektik des Alltags entkommen will. Sie fühlt sich getrieben und hat den großen Wunsch nach Stabilität, nach Ruhe.
So wie die Frau Ruhe findet, so tut dies auch der Lesende. Durch die unaufgeregte Erzählweise, den Müßiggang, das Schwelgen in den Erinnerungen der Ich-Erzählerin, setzt beim Lesen eine gewisse Entspannung ein. Die Geschichte kommt ohne großes Tamtam aus, bringt Beruhigung und die Einsicht, dass es manchmal von Nöten sein kann, sich und seine Umwelt zu entschleunigen. Man sollte allerdings keine Angst vor Mäusen haben, da diese schon eine große Rolle spielen.
Sehr schön wird herausgearbeitet, dass ein Rückzug dazu führt, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, das Leben und die Ereignisse Revue passieren zu lassen, Gedanken zu ordnen.
Man könnte jetzt sicher anfangen das Gelesene psychologisch auseinander zu nehmen (etwas was ich eigentlich sehr gern tue). Man könnte erörtern, ob der Rückzug mit dem Tod der Eltern (in kurzem Abstand) zu erklären ist, ob der generelle Wunsch nach Ruhe eine Rolle spielt und natürlich auch, was die Mäuse in diesem Zusammenhang für eine Rolle spielen… Aber manchmal kann man Dinge auch einfach hinnehmen, wertungsfrei betrachten und sich mitziehen lassen.
Ich denke was die Autorin in erster Linie vermitteln will ist Akzeptanz, Annehmen von Gegebenheiten, Hingabe und Respekt vor der Lebensrealität anderer.
Ein tolles Buch um im Alltag mal etwas runter zu kommen, um inne zu halten und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Bekommt eine Empfehlung.

Veröffentlicht am 11.10.2023

Toller Roman über Familiengefüge und Gesellschaft

Zwischen zwei Monden
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Die 17-jährige Amira wächst in Bay Ridge, einem muslimischen Bezirk von New York auf. Gerade hat sie die Schule beendet und startet in den letzten unbeschwerten Sommer, bevor der Ernst des Lebens beginnt. ...

Die 17-jährige Amira wächst in Bay Ridge, einem muslimischen Bezirk von New York auf. Gerade hat sie die Schule beendet und startet in den letzten unbeschwerten Sommer, bevor der Ernst des Lebens beginnt. Doch so unbeschwert wird dieser nicht werden. Mit Beginn des Ramadan wird ihr Bruder nach 4 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Dies zieht Amira den Boden unter den Füßen weg, da schon vor langer Zeit eine Entfremdung zwischen dem Geschwistern stattgefunden hat und sie ihn als Eindringling in der familiären Idylle erlebt. Er verhält sich sehr sonderbar und geheimnisvoll und Amira befürchtet, dass ihre Eltern, die sich sehr um ihn sorgen und möchten das er fortan ein geregeltes Leben führt, daran zerbrechen würden, wenn er wieder in die Kriminalität abrutscht.
Auch ihre Zwillingsschwester Lina ist ihr keine große Stütze. Eher im Gegenteil: sie rebelliert gegen die gesellschaftlich und religiös auferlegten Normen, betrinkt sich, feiert gern, trägt knappe Outfits, wirft sich Männern an den Hals und träumt von einer Karriere als Model.
Amira fühlt sich wie „zwischen zwei Monden“, denn sie ist das gute Kind, dass versucht sich an alle Regeln zu halten.
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Aisha Abdel Gawad hat einen sehr eingängigen, bildlichen Schreibstil und schafft es gut die Atmosphäre des Viertels, in dem die Geschichte spielt, einzufangen. Man hört förmlich die Geräusche, riecht die Gerüche, spürt den Trubel und das Leben, welches in Bay Ridge herrscht. Es ist ein bisschen wie auf dem Dorf… jeder kennt jeden, es wird getratscht, alle passen so ein bisschen auf alle anderen auf. Aber der schöne Schein trügt: das Viertel wird überwacht, durch Kameras und Spitzel, die Anwohner allein auf Grund ihres Glaubens als Bedrohung angesehen. Es ist sicher nicht einfach in einer Welt aufzuwachsen, in der man der permanenten Überwachung ausgesetzt ist und sich nicht den geringsten Fehler erlauben darf.
Über die Darstellung der Gemeinschaft hinaus zeichnet die Autorin ein umfassendes Bild der Familie. In Rückblenden oder durch Erzählungen der Eltern erfährt der Lesende, wie es dazu gekommen ist, dass die Eltern in die USA ausgewandert sind. Auch über die Kindheit der Geschwister wird berichtet und schnell wird klar, warum die Beziehung zwischen dem Bruder und den Schwestern angespannt ist. Es zeigt sich auch, dass das Leben des Bruders wahrscheinlich eine andere Richtung genommen hätte, wenn er im Kindesalter Unterstützung bekommen hätte bzw. wenn die Eltern erkannt hätten, dass er diese benötigt.
Die Autorin fängt den Zwiespalt zwischen traditionellem/religiösem Bewusstsein und dem Wunsch sich selbst zu entfalten bzw. auszubrechen geschickt ein und verdeutlicht dies vor allem in der sehr gegensätzlichen Entwicklung der Zwillinge. Aber auch in Amira selbst herrscht so ein Kampf. Zum einen ist da der Wunsch eine gute Muslima zu sein, zum anderen möchte sie aber auch einfach nur ein amerikanisches Mädchen sein, welches sich frei entfalten kann. Die Diskrepanz die dahingehend im Elternhaus vermittelt wird ( die Mutter legt die Religion sehr viel stringenter als der Vater aus) hilft ihr dabei auch nicht besonders.
Sehr beeindruckt war ich von der Schilderung des Ramadan und den Entbehrungen, die daran hängen. Auch wenn ich prinzipiell weiß wie das Fasten abläuft, so ist es doch etwas anderes darüber zu lesen, wenn an heißen Tagen nicht mal ein Schluck Wasser zu sich genommen werden darf und versucht wird durch Imagination das Durstgefühl zu bekämpfen.
Auch sprachlich fand ich das Geschriebene sehr interessant. Der Wechsel zwischen der sich-Perspektive und dem allwissenden Erzähler hat Abwechslung ins lesen gebracht und mehrere Ansichten auf Situationen ermöglicht.
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Ein toller Roman, der gern noch ein wenig ausführlicher hätte sein dürfen. Vor allem das Ende kam mir dann doch sehr abrupt und hat mich ein wenig ratlos zurück gelassen.
Große Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 11.10.2023

Wichtiges Thema wunderbar umgesetzt

Frag nach Jane
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Angela arbeitet in einem Antiquitätenhandel und findet einen alten Brief, der fälschlicherweise zugestellt wurde. Da die betreffende Person nicht mehr dort wohnt, öffnet sie den Brief, um weitere Anhaltspunkte ...

Angela arbeitet in einem Antiquitätenhandel und findet einen alten Brief, der fälschlicherweise zugestellt wurde. Da die betreffende Person nicht mehr dort wohnt, öffnet sie den Brief, um weitere Anhaltspunkte zur Empfängerin zu bekommen. Was sie findet, rührt sie zu Tränen. In dem Brief gesteht eine Mutter auf dem Sterbebett ihrer Tochter, dass diese adoptiert wurde und bittet sie, sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu machen.
Nancy wird ungewollt schwanger. In den 60er Jahren war es in Kananda noch illegal eine Abtreibung durchzuführen. Viele Frauen starben auf den Liegen von irgendwelchen Scharlatanen. Sie wendet sich an die Janes, ein großes landesweit agierendes Netzwerk, welches sich für sichere Schwangerschaftsabbrüche einsetzt. Jahre später beginnt sie sich selbst dort zu engagieren.
Evelyn wird in ein Heim für ledige Mütter geschickt, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Kurz nach der Geburt wird sie, wie viele andere Frauen auch, dazu gezwungen ihre Tochter zu Adoption freizugeben. Getrieben durch diese Erlebnisse, macht sie es sich zur Aufgabe, werdenden Müttern zu helfen und ihnen die freie Wahl, für oder gegen das Kind, zu ermöglichen. Sie wird Ärztin im Jane-Netzwerk.
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Heather Marshall wirft einen generationenübergreifenden, eindrücklichen Blick auf Schwangerschaft, Mutterschaft und die Rechte und Freiheiten für Frauen. Der Roman spielt in Kanada, aber vieles lässt sich auch auf Länder Europas oder die USA übertragen. Ein großes Kernthema ist das Recht auf weibliche Selbstbestimmung, das Recht darauf selbst zu entscheiden, was mit dem Körper passiert, dass Recht sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden. An vielen Stellen macht dies einfach nur sprachlos und wütend, sowohl wenn man die Vergangenheit betrachtet, als auch mit Blick auf die Gegenwart. Aber dazu später mehr…
Wir folgen den jungen Frauen auf verschiedenen Zeit- und Erzählsträngen, die zum Ende hin auf wunderbare Weise zusammenlaufen und mich in der Auflösung durchaus überrascht haben. Auch an Spannung fehlt es nicht, vor allem im Hinblick auf die Tätigkeiten des Jane-Netzwerks, welches illegal betrieben wurde und somit permanent im Visier der Strafverfolgungsbehörden stand.
Die Reise beginnt zeitlich gesehen 1960 mit der Ankunft von Evelyn im Heim für ledige Mütter. Ungewollt schwanger, vergewaltigt von einem Freund der Eltern, wird sie dort hingeschickt um die Schwangerschaft auszutragen und ihr Kind danach abzugeben. Diese Heime waren zu jener Zeit allgegenwärtig um ungewollte Schwangerschaften im Stillen auszusitzen. Schwangerschaftsabbrüche waren undenkbar und die Heime somit die einzige Alternative für Familien ihr Ansehen aufrecht zu erhalten und sich ungewolltem, unehelichem Nachwuchs zu entledigen. Es war so hart wie es klingt… Die jungen Schwangeren hatten keinerlei Mitspracherecht, durften ihre Kinder nicht behalten, viele sind nach Folge sexueller Übergriffe dort gelandet. Eine psychologische Betreuung gab es nicht, es wurde nicht über Schwangerschaft und Geburt aufgeklärt, die Frauen wurden während der Geburt sich selbst überlassen. Vielen wurde erzählt, dass die Kinder gestorben seien, sie mussten einen Vertrag unterschreiben, dass sie sich nicht auf die Suche nach den Kindern begeben, wenn sie sich geweigert haben, durften sie ihre Kinder gar nicht sehen. Sie mussten sowohl während der Schwangerschaft, als auch danach im Heim arbeiten um ihren Aufenthalt zu finanzieren und die Schulden zu tilgen. Wenn man bedenkt, dass die Kinder größtenteils verkauft wurden, eine weitere Ungerechtigkeit, die auf Leid und Unwissenheit basiert. Auch in Deutschland gehörte diese Praxis lange Zeit der Realität an und es ist einfach nur erschreckend, wie damals mit Frauen umgegangen wurde und welche Traumata diese davon getragen haben.
Wir machen einen zeitlichen Sprung in die Jahre ab 1979 und landen bei Nancy. Als ihre Cousine fast bei einer Abtreibung stirbt, erhält sie im Krankenhaus den Tipp nach Jane zu fragen, wenn sie oder eine Bekannte sich in einer ähnlichen Situation befindet. Ein paar Jahre später wird sie selbst ungewollt schwanger, einen legalen Weg zum Abbruch gibt es nicht und so telefoniert sie die Arztptaxen durch auf der Suche nach der mysteriösen Jane. Sie findet eine Ärztin die den Eingriff durchführt und als sie sie wieder ein paar Jahre später erneut trifft, bietet sie ihre Hilfe an und wird Teil des Netzwerkes. Netzwerke wie dieses gab es in ganz Kanada, den USA und wahrscheinlich auch in Europa. Viele ehrenamtliche Ärzte und Helfer haben es damit Frauen ermöglicht eine ungewollte Schwangerschaft unentgeltlich und sicher zu beenden. Außerdem haben sich diese Netzwerke politisch engagiert und für die Legalisierung gekämpft, sowie Aufklärungsarbeit hinsichtlich Verhütung geleistet. Sie hatten viele Feinde und eine Mitarbeit war nicht ungefährlich. Zum einen war es strafbar, zum anderen gab es die Front der Abtreibungsgegner, die sehr gewalttätig werden konnte. Trotz allem gab es über Jahre hinweg viele Freiwillige, die gekämpft haben, die Frauen geholfen haben ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung durchzusetzen. In Kanada hatten sie damit 1988 Erfolg, als das Gesetz, welches Abtreibungen als Straftat deklarierte, abgeschafft wurde. Somit ist Kanada bis heute eins der wenigen Länder in denen Schwangerschaftsabbrüche legal sind und Frauen eine freie Entscheidung treffen dürfen. Schaut man nach Deutschland, so hat man anscheinend auch eine freie Wahl, aber diese ist trügerisch. Laut Strafgesetzbuch wird hierzulande ein Schwangerschaftsabbruch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe gesühnt. Zwar bleibt er unter bestimmten Voraussetzungen straffrei (z.Bsp. durch Aufsuchen der Schwangerschaftskonfliktberatung und dortiger ausführlicher Darlegung der Gründe), aber dennoch bleibt der fahle Beigeschmack, dass nicht die Frau selbst, sondern andere darüber entscheiden, in meinen Augen ein Unding in unserer angeblich so hochentwickelten, aufgeschlossenen Gesellschaft.
Das Thema Abtreibung ist ziemlich kontrovers. Es gibt viele Gründe die für oder gegen ein Kind sprechen. Es gibt viele Faktoren, die bei einer solchen Entscheidung eine Rolle spielen. Die Gesetzgebung sollte keiner dieser Gründe sein. Bei allem Respekt vor dem ungeborenen Leben, ist es am Ende die Frau, die mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung leben muss und somit sollte sie diese auch aus freien Stücken treffen dürfen.
Marshall schafft es in ihrem Roman die komplexen Zusammenhänge von gewollter und ungewollter Mutterschaft, von gewollter und ungewollter Schwangerschaft, sowie mögliche Intentionen hinter Schwangerschaftsabbrüchen zu beleuchten und zu vermitteln. Überdies stärkt sie die Sichtweise auf Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Körper und zeigt auf, wie durch Solidarisierung, Zusammenhalt und Durchhaltevermögen ein Umbruch möglich ist.
In meinen Augen ein bedeutendes und mit Hinblick auf das Weltgeschehen wichtiges und aktuelles Werk. Von mir gibts eine große Empfehlung.