Profilbild von readingstar

readingstar

Lesejury Star
offline

readingstar ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit readingstar über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.07.2023

Tolles Debüt

22 Bahnen
0

Um dieses Buch kommt man irgendwie nicht drum herum, hat es doch einen rießen Hype ausgelöst. Und so hat es auch den Weg zu mir gefunden.

Tilda ist Studentin, könnte eigentlich ein sorgenfreies, durch ...

Um dieses Buch kommt man irgendwie nicht drum herum, hat es doch einen rießen Hype ausgelöst. Und so hat es auch den Weg zu mir gefunden.

Tilda ist Studentin, könnte eigentlich ein sorgenfreies, durch Lernen und Partys geprägtes Leben führen, wäre da nicht ihre alkoholkranke Mutter und ihre kleine Schwester Ida, um die sie sich kümmern muss, da die Mutter dazu nicht in der Lage ist.
Entspannung und einen freien Kopf bekommt sie nur beim fast täglichen Schwimmbadbesuch, wenn sie ungeachtet aller anderen, ihre Bahnen zieht.
Eines Tages trifft sie dort auf Viktor und so allmählich lernt sie wieder zu lächeln.
-
„22 Bahnen“ ist keine Liebesgeschichte, auch wenn dies natürlich eine Rolle spielt.
Caroline Wahl beschreibt eine dysfunktionale, durch die Krankheit der Mutter geprägte, Familienkonstruktion, in der die große Schwester die Verantwortung für die Kleinere übernehmen muss. Eine Familie in der die Kinder, keine Kinder sein dürfen, weil dafür einfach kein Platz ist.
Tilda ist nahezu permanent in Alarmbereitschaft, kehrt sofort nach der Uni oder der Arbeit nach Hause zurück um Ida vor ihrer unberechenbaren Mutter zu schützen. Sie zeigt das typische Verhalten einer jungen Frau, die viel zu schnell erwachsen werden musste. Ihren Faible für Mathematik, der sich auch an der Supermarktkasse immer wieder zeigt, fand ich klasse.
Auch Ida ist viel zu erwachsen für ihr Alter und ich hätte sie anfangs älter geschätzt. Sie ist sehr verschlossen, verdrängt, redet nicht und flüchtet sich in ihre Zeichnungen, mit denen sie versucht ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Die Beschreibungen und Interpretationen der Bilder, die dabei entstehen, fand ich sehr eindrucksvoll.
Sehr gut hat mir die langsame Annäherung von Tilda und Viktor gefallen. Eine Romanze die der Geschichte einen Rahmen gibt, sich aber nicht in den Vordergrund drängt und angepasst ist, an die Geschehnisse die beide zu verarbeiten haben, passte sehr gut zu dem Roman.
Wahl‘s Schreibstil fand ich sehr angenehm, anfangs aber auch ein wenig gewöhnungsbedürftig, auf Grund der Gespräche, denen aber immer der Name vorangestellt war, was den Lesefluss ein wenig behindert hat.
-
Ist der Hype jetzt gerechtfertigt?
Sagen wir es so: Ich fand das Buch sehr gut, für ein Highlight fehlte mir ein wenig Tiefe und auch mit der „Lösung“ war ich nicht wirklich zufrieden. Um nicht zu spoilern, möchte ich darauf nicht weiter eingehen, und an der Stelle sollte sich jede*r ein eigenes Bild machen.
Nichtsdestotrotz ist es ein tolles Debüt und eine große Empfehlung meinerseits.

Veröffentlicht am 21.07.2023

Gelungene Auseinandersetzung mit Schuld und Mutterschaft

Nur eine weitere Geschichte
0

Suzy ist Journalistin und kümmert sich allein um ihre Tochter Maddy, was manchmal viel Organistation erfordert. In ihrem Job ist sie zufrieden und gut, bis sie eines morgens vom Suizid einer Frau erfährt, ...

Suzy ist Journalistin und kümmert sich allein um ihre Tochter Maddy, was manchmal viel Organistation erfordert. In ihrem Job ist sie zufrieden und gut, bis sie eines morgens vom Suizid einer Frau erfährt, die kürzlich Gegenstand ihrer Enthüllungsgeschichte war. Sie gibt sich selbst die Schuld, ist einer Hasstirade im Netz ausgesetzt und zieht sich, nachdem auch noch die Affäre mit ihrem Chef auffliegt, aus der Branche zurück. Zu etwa dieser Zeit bekommt sie erste Päkchen mit persönlichen Gegenständen der Verstorbenen Tracey. Kurz darauf wird sie von deren Mutter aufgesucht, die von ihr verlangt, dass sie noch eine Geschichte über Tracey schreibt… ihre wahre Geschichte.
-
„Nur eine weitere Geschichte“ hat mich in vielen Punkten berührt.
Zum einen ist es eine wirklich gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen:
Offensichtlich wird die Thematik am Beispiel von Suzy, die sich für den Tod von Tracey verantwortlich fühlt, aber ist dem so? Sie hat nichts Verwerfliches getan, lediglich eine Lügnerin ihrer Lügen überführt und es ist auch fraglich, ob der Suizid überhaupt mit dem Artikel in Verbindung steht, da Tracey, wie wir im Verlauf des Buches erfahren, schon seit jeher eine labile Person ist, die zu selbstzerstörerischen Verhalten neigt.
Auch die Schuldfrage hinsichtlich der Mutter wird betrachtet, da diese sehr früh gemerkt hat, dass Tracey’s Verhalten auffällig war, aber nichts dagegen unternommen hat, aus Überforderung mit ihrem eigenen Leben.
Der Vater, ebenfalls ein notorischer Lügner, wird ins Spiel gebracht und in Hinblick auf die kindliche Entwicklung hinsichtlich Vorbildwirkung erörtert.
Und nicht zuletzt wird auch Tracey’s Schuld aufgeworfen, die mit ihrer erfunden Krebserkrankung und der weit hergeholten Heilung sicher den ein oder anderen Menschen auf dem Gewissen hat.
Somit ergibt sich ein unglaublich komplexes Bild und was bleibt ist die Erkenntnis, dass ein Ereignis sicher immer durch sehr viele Faktoren bestimmt ist, aber am Ende der erwachsene Mensch selbst die Entscheidung trifft.
Weiterhin fand ich die Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft sehr gut. Suzy ist als Alleinerziehende jeder Menge Probleme ausgesetzt. Das beginnt bei der Kinderbetreuung, die permanent abgesichert sein muss, da Maddy noch sehr klein ist, geht über Zeitmanagement, Geldprobleme, die Flucht in bedeutungslose Affären, bis hin zu Situationen der Überforderung, Wut (auf sich selbst, das Kind, den Partner, der nicht mehr da ist), Ohnmacht. Ich finde Maley hat hiermit ein großartiges Statement abgegeben. Mutterschaft ist nicht immer schön… man darf als Mutter wütend sein, man darf verzweifelt sein, man darf keinen Ausweg wissen und trotzdem liebt man sein Kind.
Jacqueline Maleys Buch ist nur eine weitere Geschichte, aber eine die ich sehr gern gelesen habe, die mich sehr berührt hat, die mich zum Nachdenken gebracht hat und die ich euch sehr ans Herz legen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.06.2023

Überleben oder Leben ?

Macht
0

Liv lebt ein beschauliches Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Oslo.
Alles scheint perfekt, wären da nicht ihre Ängste und Erinnerungen an eine Tat, die sie immer wieder einholen und ihr gewisse ...

Liv lebt ein beschauliches Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Oslo.
Alles scheint perfekt, wären da nicht ihre Ängste und Erinnerungen an eine Tat, die sie immer wieder einholen und ihr gewisse Handlungsweisen aufzwingen.
Vor Jahren wurde sie vergewaltigt, schweigt beharrlich, versucht das Geschehene zu vergessen und zu verdrängen, bis sich durch die Ankunft einer neuen Patientin, in dem Pflegeheim, in dem sie arbeitet, die Bilder und Eindrücke wieder aufdrängen.
-
Heidi Furres Buch ist intensiv. Es schildert eindrücklich das Leben nach dem Erleben von sexueller Gewalt.

„𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘣𝘭𝘦𝘪𝘣𝘵 𝘯𝘢𝘤𝘩 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘝𝘦𝘳𝘨𝘦𝘸𝘢𝘭𝘵𝘪𝘨𝘶𝘯𝘨 𝘭𝘪𝘦𝘨𝘦𝘯. 𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥. 𝘈𝘭𝘭𝘦 𝘴𝘵𝘦𝘩𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘧. 𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘩𝘰̈𝘳𝘵 𝘥𝘢𝘯𝘢𝘤𝘩 𝘢𝘶𝘧, 𝘔𝘦𝘯𝘴𝘤𝘩 𝘻𝘶 𝘴𝘦𝘪𝘯.“ (𝘚. 88)

Und doch geht man als Mensch verändert aus einer solchen Tat heraus. Genau darum geht es in dem Erzählten. Es steht nicht die Tat, sondern das Erleben, das Weitermachen, der Versuch der Verdrängung und Verarbeitung im Vordergrund.
Furre zeigt auf, dass Verdrängung nicht funktioniert, zumindest nicht auf Dauer. Sie thematisiert viele Gefühle die Überlebende durchmachen. Scham, Selbstzweifel, Wut, Ekel sind nur ein paar Emotionen, die auftreten. Aber auch Gedankengänge, allen voran die Auseinandersetzungen bzgl. der Kinder, fand ich sehr eingängig. Die Frage, wie man einen Sohn erzieht, damit er nicht zum Täter wird… Die Frage, was man tun kann, um seine Tochter zu schützen…
Ohnmacht spielt eine große Rolle, die nüchterne Feststellung, dass man nirgends sicher ist, dass es jede Frau treffen kann.

„𝘋𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘥𝘪𝘦 𝘌𝘪𝘯𝘻𝘪𝘨𝘦 𝘣𝘪𝘯. 𝘋𝘢𝘴𝘴 𝘦𝘴 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘮𝘰̈𝘨𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘴𝘵, 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯 𝘖𝘳𝘵𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘧𝘻𝘶𝘩𝘢𝘭𝘵𝘦𝘯, 𝘢𝘯 𝘥𝘦𝘯𝘦𝘯 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘱𝘢𝘴𝘴𝘪𝘦𝘳𝘦𝘯 𝘬𝘢𝘯𝘯.“ (𝘚. 7)

Liv, als Protagonistin, ist mir ein wenig fremd geblieben. Sie verfällt regelrecht in einen Kauf- und Schönheitswahn, um das Geschehene zu kompensieren. Ein Verhalten, dass ich zwar in Verbindung mit den Ereignissen durchaus nachvollziehen kann, welches mir persönlich aber absolut fremd ist.

„𝘋𝘢𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘪𝘯 𝘝𝘦𝘳𝘴𝘶𝘤𝘩, 𝘒𝘰𝘯𝘵𝘳𝘰𝘭𝘭𝘦 𝘻𝘶 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘯𝘦𝘩𝘮𝘦𝘯. 𝘋𝘢𝘴 𝘌𝘬𝘭𝘪𝘨𝘦 𝘷𝘰𝘯 𝘮𝘪𝘳 𝘧𝘦𝘳𝘯𝘻𝘶𝘩𝘢𝘭𝘵𝘦𝘯, 𝘪𝘴𝘵 𝘯𝘪𝘦 𝘦𝘯𝘥𝘦𝘯 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘦𝘯𝘥𝘦 𝘊𝘢𝘳𝘦-𝘈𝘳𝘣𝘦𝘪𝘵.“ (𝘚. 24)

Damit wird klar, dass die Tat nie wirklich weg ist. Es zeigt sich in Kleinigkeiten, wie dem Telefonat mit dem Ehemann, wenn sie auf dem Nachhauseweg ist und in großen Dingen, wie der Wahl der Lage des Hauses (kurzer Weg zu Bushaltestelle, kein Wald). Es dringt ins Leben ein… ein In-Schach-halten erfordert permanente Anstrengung.
-
Das Buch ist ein Befreiungsschlag, es ist ein Appell dafür, das Schweigen zu brechen, es ist die Aufforderung, die Augen zu öffnen.
Mit der, in weiten Teilen fast sachlichen Schreibweise, lässt sich die Geschichte gut lesen und schafft genug Abstand, damit man nicht daran zerbricht.
Von mir gibts eine große Empfehlung für diesen Roman.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.06.2023

Schwer zu fassen

Liebewesen
1

In „Liebewesen“ treffen wir auf Lio und Max.
Lio stammt aus einem dysfunktionalen Elternhaus, ist traumatisiert und hat dadurch ein sehr gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Gedanken.
Max ...

In „Liebewesen“ treffen wir auf Lio und Max.
Lio stammt aus einem dysfunktionalen Elternhaus, ist traumatisiert und hat dadurch ein sehr gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Gedanken.
Max scheint behütet aufgewachsen zu sein, leidet aber darunter, dass der Vater die Familie verlassen hat. Er verfällt immer wieder in depressive Phasen, welche fast schon von Manie abgelöst werden.
Die beiden verlieben sich, führen eine (toxische) Beziehung, versuchen einander Halt zu geben. Als Lio schwanger wird, beginnt sie zu hinterfragen, ob dies die Zukunft ist, die sie sich vorstellt.
-
Ich hab das Buch vor 2 Wochen abgeschlossen und musste es erstmal eine ganze Weile setzen lassen. Es ist keine Liebesgeschichte, es ist kein Befreiungsschlag, es ist einfach ein Aufzeigen, ein Einfühlen in eine Beziehung, die so nicht funktionieren kann.
Schmitt‘s Schreibstil ist klar und auf den Punkt. Es wird nicht viel drum herum geredet, es darf auch mal wehtun und es ist einfach sehr authentisch.
Wir verfolgen eine Beziehung, die vielleicht gar nicht mal so unüblich ist. Beide Handelnde haben psychische Probleme, beide sehen nicht das sie Hilfe brauchen, stützen sich auf die andere Person, versuchen dadurch zu heilen und scheitern schlussendlich.
Lio hat durch ihre gewalttätige Mutter und eine Vergewaltigung ein sehr unwirkliches Verhältnis zu ihrem Körper. Sie mag keinen Körperkontakt, selbst Umarmungen von Freunden empfindet sie als unangenehm. Auch neigt sie dazu alles mit sich selbst auszumachen, es anderen Recht zu machen und ihre Bedürfnisse hinten an zu stellen. Sie zeigt selbstverletzendes Verhalten und gibt sich für alles die Schuld. Während Max mir anfangs sehr sympathisch war und ich das Gefühl hatte, dass er eine Unterstützung für Lio sein könnte, wurde im Verlauf immer mehr klar, dass er durch sein Verhalten nur Öl in die Wunde gießt. Er ist sehr egoistisch, übergeht Lio, hintergeht sie und am besten sollen immer alle Rücksicht auf ihn nehmen.
Die ungewollte Schwangerschaft setzt dem ganzen dann die Krone auf. Lio will das Kind nicht, scheint auch vor sich selbst die Schwangerschaft zu leugnen, mag sich gar nicht so recht vorstellen, wie es wäre das Kind zu bekommen und hat Angst eine schlechte Mutter zu sein. In dieser Beziehung verhält sie sich wie ich finde sehr erwachsen, ist sehr reflektiert, etwas das mir in der restlichen Geschichte etwas gefehlt hat.
Die Erzählung gibt auch tolle „Nebenrollen“ her. So mochte ich Mariam mit ihrer quirligen Art und ihrem unbrechbaren Optimismus, sowie ihrer Loyalität wahnsinnig gern. Auch Karin, Max‘ Mutter ist toll und ich hätte gern noch ein bisschen mehr von ihr gelesen.
-
Ich hab mich schwer damit getan mir überhaupt eine Meinung zu dem Buch zu bilden und diese auch niederzuschreiben. Auch jetzt fällt es mir schwer, anschließend etwas dazu zu sagen. Ich glaube dies liegt daran, dass ich es einfach nirgends einordnen kann. Es ist einfach die schonungslose Schilderung einer toxischen Beziehung zweier Menschen, die schon mit sich selbst überfordert sind. Und wenn ich es als genau das sehe, fand ich es sehr gut und kann es guten Gewissens weiterempfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Themen
Veröffentlicht am 21.06.2023

Interessant und schockierend

Über den Fluss
0

Eine Psychologin, gerade frisch mit der Uni fertig, tritt eine Stelle in einer Erstaufnahmeeinrichtung an. Sie hat den Anspruch zu helfen, möchte das System, welches in ihren Augen absolut dysfunktional ...

Eine Psychologin, gerade frisch mit der Uni fertig, tritt eine Stelle in einer Erstaufnahmeeinrichtung an. Sie hat den Anspruch zu helfen, möchte das System, welches in ihren Augen absolut dysfunktional ist, sozusagen von innen umkehren, muss aber schon bald feststellen, dass ihr die Hände gebunden sind. Sie ist dort lediglich dazu da Ruhe rein zu bringen und den „Gästen“ das Versprechen anzunehmen, sich für die Zeit der „Behandlung“ nichts anzutun. Therapiert wird nicht wirklich, da dies niemand zahlt und wenn man überhaupt von Behandlung sprechen kann, dann höchsten mit dem Verschreiben von Medikamenten. Dies alles führt dazu, dass sie irgendwann abstumpft und einen folgenschweren Fehler begeht.
-
In diesem Buch treffen Welten aufeinander. Auf der einen Seite ist da die namenlose Protagonistin, die tief in ihrem Kern die Welt verbessern will. Auf der anderen Seite befindet sich die harte Realität.
Die Schilderungen der Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung schockieren: viele Menschen auf engstem Raum, Ungeziefer, Lautstärke, keine Privatsphäre, schlechte medizinische Versorgung… auch die Einblicke ins Asylsystem und die Behandlung von Menschen, die sich hier ein besseres und vor allem sicheres Leben erhoffen und dabei oft Monate, manchmal Jahre in einer solchen Einrichtung ausharren, machen wütend. Und ich denke das beides sehr realistisch dargestellt ist.
Man erfährt von vielen Einzelschicksalen, von vielen psychischen Erkrankungen, die die Flucht, die Erlebnisse, welche dazu geführt haben und die Isolation mit sich bringen. PTBS und Depressionen kommen verhältnismäßig häufig vor und das schlimmste für mich war zu lesen, wie damit umgegangen wird. Die Personen werden mit vielen Medikamenten ruhig gestellt, im Zweifel in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, aber wirkliche Hilfe findet nicht statt.
Trotz der Anonymität der Protagonistin konnte ich mich gut in ihre Lage versetzen, ihr Entsetzen teilen und auch die Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber dem System spüren.
Pleitner versteht sich gut darauf, Gefühle zu beschreiben und nichtsdestotrotz eine gewisse Disstanz zu dem Geschriebenen zu wahren. Ihr Schreibstil liest sich sehr leicht, kommt ohne große Ausschmückung und Drama aus, was mir gut gefallen hat.
Das Ende kam mir dann doch etwas zu überstürzt, fühlte sich irgendwie nicht richtig auserzählt an, passt aber in der Retrospektive ganz gut zu dem Buch.
-
Eine Empfehlung für alle die sich für das Thema interessieren und einen Blick über den Tellerrand werfen wollen.