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Veröffentlicht am 21.07.2024

Das Wandern ist des Müllers Lust

Du wirst nicht alt im Thüringer Wald
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Tja, wenn das Rotkäppchen den Wolf im Thüringer Wald trifft und sie dann auch noch tiefsten Dialekt spricht, kann es schon sein, dass der Wolf nur Bahnhof versteht. Aber Wölfe sind im Thüringer Wald eh ...

Tja, wenn das Rotkäppchen den Wolf im Thüringer Wald trifft und sie dann auch noch tiefsten Dialekt spricht, kann es schon sein, dass der Wolf nur Bahnhof versteht. Aber Wölfe sind im Thüringer Wald eh nur auf der Durchreise, würden ja auch die ganzen Wanderwütigen stören, die täglich laut und textsicher das Rennsteiglied singend über die Wanderwege stürmen.

Andre Kudernatsch, der sehr auf die richtige Aussprache seines Namens bedachte Autor von Kolummnen, hat hier einige seiner Schätze zu einem Buch versammelt. Neben den Erlebnissen rund ums Wandern, erzählt er hier aber auch von kulinarischen Höhenflügen im Home Office während Corona und gibt Tipps zum richtigen Aufbau der Weihnachtskrippe in Zeiten steigender Inzidenzzahlen.

Mit unglaublich viel Humor gibt der Autor hier seine Erlebnisse zum Besten und das eben nicht nur rund um sein Lieblingshobby. Mehr als einmal hab ich bei der Lektüre schallend gelacht, nicht zuletzt, weil man sich in der ein, oder anderen Episode vielleicht wiederfindet. Herrlich selbstironisch und witzig, gehört das Buch einfach in jeden Wanderrucksack (fast so wichtig wie das Handtuch).

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Veröffentlicht am 21.07.2024

Ängste einer Mutter

Kleine Monster
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Ein Anruf aus der Schule löst bei den meisten Eltern selten Begeisterung aus und so sitzen auch Pia und Jakob mit einem unguten Gefühl im Klassenraum ihres Sohnes. Es soll einen beunruhigenden Vorfall ...

Ein Anruf aus der Schule löst bei den meisten Eltern selten Begeisterung aus und so sitzen auch Pia und Jakob mit einem unguten Gefühl im Klassenraum ihres Sohnes. Es soll einen beunruhigenden Vorfall gegeben haben zwischen ihrem Sohn Luca und einer Mitschülerin, doch wärend Jakob das Ganze eher unter kindlichem Forscherdrang verbucht, ist Pia zunehmend beunruhigt.

Autorin Jessica Lind beschreibt eine typische kleine Bilderbuchfamilie, Mutter, Vater, Kind. Das Leben nimmt seinen gewohnten Gang bis zu jenem Anruf aus der Schule, der alles verändert. Was sich genau zugetragen hat erfährt der Leser nicht, aber natürlich macht man sich anhand der Andeutungen seine Gedanken. Fast schon klischeehaft reagieren die Eltern auf die Vorwürfe, Vater Jakob tut das Ganze eher ab, Mutter Pia will zwar nicht glauben, dass ihr Sohn etwas angestellt hat, zweifelt aber dann doch, einfach weil sie mehr Zeit allein mit ihrem Sohn verbringt und ihn oft anders erlebt als sein Vater. Befeuert werden ihre Zweifel durch traumatische Erlebnisse rund um den Tod ihrer Schwester in ihrer eigenen Kindheit.

Recht schnell merkt der Leser, dass es eher um Pia geht in diesem Buch, um die Beziehung zu ihren Eltern, um die zu ihrer Adoptivschwester, um die zu ihrem Mann und ein kleines bisschen auch um die zu ihrem Sohn, den sie als Projektionsfläche für ihre Vergangenheit nutzt. Ganz allmählich arbeitet sie die Ereignisse rund um den Tod ihrer Schwester und das Danach auf. Die Autorin zeigt dabei, wie Erinnerungen im Laufe der Zeit verzerrt werden, wie der Geist sich Dinge zurechtrückt, um sie besser erklären und verarbeiten zu können, wie Erinnerungen selektiert werden und manche glasklar, wie ein Foto im Gedächtnis haften, wärend wir andere vollkommen verdrängen.

Die Geschichte wird eindringlich und emotional erzählt, verliert mich aber in ihrem Verlauf dann doch ein wenig. Es gibt immer wieder diese Andeutungen auf das "Böse" das in einem unschuldigen Kind schlummert ähnlich wie in Filmen wie "Das Omen", wenn Pia das Verhalten ihres Sohnes analysiert. Die Geschichte suggeriert mir eine Richtung, die sie aber gar nicht einschlägt und lässt mich so mit einem unberfriedigten Gefühl zurück. Ich kann nicht sagen, ob die Autorin beabsichtigt hat, bei ihren Lesern diese Erwartunghaltung zu schüren, oder ob es letztlich nur mir, mit meiner kruden Fantasie so geht.

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Veröffentlicht am 26.06.2024

Vielbeachtetes Körperteil

Brüste
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Brüste, jeder Mensch hat welche (selbst Männer und die könnten, wie ich nach der Lektüre nun weiß, sogar stillen, denn alles was Frau dazu braucht, ist bei ihnen auch angelegt). Während allerdings die ...

Brüste, jeder Mensch hat welche (selbst Männer und die könnten, wie ich nach der Lektüre nun weiß, sogar stillen, denn alles was Frau dazu braucht, ist bei ihnen auch angelegt). Während allerdings die männliche Brust nur selten Gegenstand weitreichender Betrachtungen ist, wird um die weibliche Brust ein riesiges Buhei betrieben. Sie wird instrumentalisiert, sexualisiert, kommerzialisiert, ihr wird künstlerisch gehuldigt. Sie existiert in den verschiedensten Formen, meist weit entfernt vom Idealbild. So bald sie sich zeigt quetscht man sie, den Konventionen folgend, in enge Büstenhalter, wenn die Natur ihren Lauf nimmt wird gecremt, massiert, Sport getrieben und ganz Mutige operieren um zu optimieren.

In Büchern kann man viel über Brüste lesen, sie kommen in Krimis genauso vor wie in romantischen Komödien, oder Liebesdramen. Hier haben nun Linus Giese und Miku Sophie Kühmel eine Anthalogie zusammengestellt, in der es um Brüste geht, allerdings ist hier die Betrachtungsweise mal eine ganz andere. Zwölf helle Köpfe, inklusive der Herausgeber, teilen hier ihre Gedanken zum Thema und das teilweise aus sehr interessanten Blickwinkeln heraus. Da widmet sich Bettina Wilpert zum Beispiel dem Thema Stillen und beginnt ihren Text mit der Erwähnung des berühmten Gemäldes La Barbuda, ein Bild, über das ich kurz vorher in einem anderen Zusammenhang etwas gelesen hatte. Linus Giese beschreibt wie befreiend, für ihn als trans*Mann, die Entfernung der Brust war. Etwas im Kontrast dazu die Erfahrungen von Kirsten Achtelik, der nach ihrer Tumordiagnose eine Brust entfernt werden muss und die sich gegen eine Rekonstruktion entscheidet. Nils Pickert schreibt sehr treffend von der großen Bedeutung, die Brüste in der Welt von heterosexuellen sis Männern einnehmen. "In der Welt, in der ich lebe, gelten Brüste als Kommunikationsmittel für heterosexuelle sis Männer über Handlungen, zu denen sie verbal weder eingeladen noch aufgefordert wurden."

Das schmale Büchlein bietet interessante Einblicke, regt zum Nachdenken an, macht teilweise betroffen und traurig. Ich muss zugeben, dass ich eine solche Auseinandersetzung mit der Thematik gar nicht erwartet hatte und bewundere den Mut der Schreibenden, teilen sie doch oft sehr Intimes mit dem Leser. Abgerundet wird das Ganze mit Informationen zu den einzelnen Autoren.

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Veröffentlicht am 17.06.2024

Ein Kind verschwindet

Dorf unter Verdacht
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In London ist die Stimmung gedrückt, hunderte Eltern bringen ihre Kinder zum Bahnhof, um sie vor den drohenden Bombenangriffen der Deutschen in Sicherheit zu bringen. Die Kinder fahren aufs Land, in die ...

In London ist die Stimmung gedrückt, hunderte Eltern bringen ihre Kinder zum Bahnhof, um sie vor den drohenden Bombenangriffen der Deutschen in Sicherheit zu bringen. Die Kinder fahren aufs Land, in die vermeintliche Sicherheit, leider aber gilt das nicht für alle.

Das Buch ist bereits das 10. aus der Reihe rund um Autorin Josephin Tey und den Ermittler Archie Penrose, ich hatte bisher keines davon gelesen. Der Stil der Autorin hat mich direkt abgeholt. Das Setting des Buches rund um das beschauliche englische Dorf in den 1930er/1940er Jahren, hier direkt zu Beginn des 2. Weltkriegs, hat mich stark an die Bücher von Agatha Christie und auch G. K. Chesterton erinnert, obwohl hier natürlich die Leichtigkeit und der unterschwellige Humor fehlen. Stattdessen erwartet den Leser eine klassisch aufgebaute Kriminalgeschichte, mit viel Spannung, eingebettet in die Dorfidylle mit ihren Bewohnern als Verdächtigen.

Die Figuren, allen voran die auf einer echten Person basierende Josephin sind sehr gut gezeichnet und direkt sympatisch. Auch wenn man keine Vorkenntnisse zu den Hintergründen hat baut man eine Beziehung zu ihnen auf. Auch für die Dorfbewohnern werden schnell Sympathie und Antipathie geweckt. Wie von der Autorin beabsichtigt zieht man als Leser schnell Schlüsse zu möglichen Verdächtigen und ihren Motiven. Die Autorin versteht es hier exzellent falsche Spuren zu legen und den Leser so lange im Unklaren zu lassen. Der Spannungsbogen entwickelt sich stetig nach oben, um dann eine überraschende, oder vielleicht auch doch nicht so überraschende Wendung zu bringen, hatte ich doch ganz, ganz kurz mal eine Vermutung in diese Richtung.

Was ich an diesem Krimi unglaublich gut gemacht finde, ist die Grundstimmung. Der Leser spürt die allgegenwärtige Angst vor dem bevorstehenden Krieg. Auch die dörfliche Idylle, das sonnige Wetter, schaffen es nicht die Erinnerungen der Ältern an die Ereignisse 20 Jahre zuvor zu verdrängen, als man schon einmal in einem verheerenden Krieg Väter, Brüder, Söhne verloren hat. Ein Zitat zum bevorstehenden Eintritt Großbritanniens in den Krieg hat mich hier leider sehr an die aktuellen Ereignisse unserer Zeit erinnert -

"Das kommt davon, wenn man tatenlos zusieht, wie etwas Schreckliches passiert, selbst wenn es einen nichts angeht."

Auch die Emotionen rund um das Verschwinden des Kindes sind unglaublich nachvollziehbar dargestellt, die Ängste der Eltern, die Vorwürfe die man sich in einer solchen Situation macht, der Eifer der Polizei und der Suchtrupps, ihre beginnende Resignation, aber auch das Misstrauen und die Verdächtigungen innerhalb der Dorfgemeinschaft, die tiefliegenden Argwohn und alte Feindschaften offenlegen.

Bevor ich dieses Buch gelesen habe, habe ich die Reihe, auch auf Grund ihres Covers, in die Abteilung "cosy Crime" gesteckt. Diese Einschätzung muss ich hiermit redigieren, cosy ist an diesem Fall so gar nichts, im Gegenteil. Das beschriebene Szenario ist emotional aufgeladen, düster und bewegend, die Bezüge zu realen Ereignissen, deren Verlauf der Leser kennt machen die Geschichte greifbar. Definitiv nicht das letzte Buch der Reihe für mich.

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Veröffentlicht am 17.06.2024

Berührend

Morgen und Abend
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Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. ...

Fischer Johannes wacht morgens auf und beginnt seinen Tag, so wie er ihn immer beginnt, seit seine Frau Erna verstorben ist. Aufstehen, erstmal eine rauchen, Kaffe und schauen, was wie das Wetter aussieht. Allerdings ist heute irgendwas anders als sonst.

"Morgen und Abend" ist ein recht dünnes Büchlein von nur 122 Seiten und erzählt von Johannes, einem alten Mann. Zu Beginn des Buches wird der Leser Zeuge seiner Geburt, danach triff man ihn erst wieder als alten Mann am Ende seines Lebens, man begleitet ihn durch seinen Tag, begleitet ihn in seinen Erinnerungen durch sein Leben, begleitet ihn auf seinem letzten Weg. Dem Leser ist dabei vom ersten Moment an klar, wohin die Reise geht, Johannes selbst wird es erst recht spät klar.

Autor Jon Fosse schreibt seine berührende Geschichte in einem sehr speziellen, einzigartigen Stil, der Leser ist hier gefordert und muss sich auch ein Stück weit darauf einlassen. Im Groben könnte man sagen, die gesamte Geschichte besteht aus einem einzigen Satz. Es gibt Kommas, ab und an ein Fragezeichen, aber ansonsten kein Satzzeichen. Ab und zu sind einzelne Wortgruppen durch Einrückung gekennzeichnet, es gibt auch Großschreibung, die einen neuen "Satz" ankündigt, aber im Grunde ist der gesamte Roman eine einzige Aneinanderreihung von Worten. So muss es wohl aussehen, wenn man einen Untertitel für die eigenen Gedanken erstellten würde, der wie ein Liveticker unten durchläuft. Sehr speziell und so noch nie gesehen. Im ersten Moment dachte ich fast an einen Druckfehler, bis ich gemerkt habe, dass das ein stilistisches Mittel des Autors ist.

Die Geschichte ist sehr berührend. Dieser letzte Tag, durchzogen von Erinnerungen, vom Wiedersehen mit Freunden, von einer gewissen Leichtigkeit, aber auch von so viel Trauer geht nicht spurlos am Leser vorbei und am Ende musste ich auch kurz mal schniefen. Zu Recht hat dieses Buch den Nobelpreis für Literatur gewonnen.

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