Alles weg
EigentumDie Mutter, noch täglich vom Pflegepersonal in den Rollstuhl gesetzt, erkennt oft den eigenen Sohn nicht, erinnert sich aber minutiös an ihre Kindheit und Jugend. 95 harte, entbehrungsreiche Jahre, einen ...
Die Mutter, noch täglich vom Pflegepersonal in den Rollstuhl gesetzt, erkennt oft den eigenen Sohn nicht, erinnert sich aber minutiös an ihre Kindheit und Jugend. 95 harte, entbehrungsreiche Jahre, einen Weltkrieg und mehr als einmal die Erfahrung, wie es ist, wenn das Geld plötzlich nichts mehr wert ist. Ein lebenlang hat sie gespart und sich nie den Traum vom Eigentum erfüllen können, bis zu ihrem Tod und dem damit verbundenen Umzug in ihre eigenen 1,7 Quadratmeter.
Es liest sich schon stellenweise etwas schräg, wenn der Autor hier so über seine eigenbrötlerische Mutter schreibt, wie er ihre Lebenserinnerungen wiedergibt. Aber gerade das ist es, was das Buch interessant macht und abhebt vom Mainstream. Die nicht ganz 160 Seiten sind schnell weggelesen, der Stil des Autors macht es einem leicht ihm zu folgen, auch wenn seine Gedankengänge manchmal schon etwas konfus sind und auch die Erinnerungen der Mutter oft leicht wirr daher kommen. Sei es dem Alter geschuldet, oder einfach ihrer Dialektik. In den Ausführungen der Mutter kann es einem dann auch manchmal etwas lang werden, ähnlich wie in einem Gespräch mit der eigenen Großmutter, deren Geschichte vom Gottesdienst zu Ostersonntag, in den sie mit Rock und Strümpfen gezogen sind und bei dessen Ende ein plötzlicher Kälteeinbruch für Schneeverwehungen gesorgt hatte. Alles schon tausendfach in den verschiedensten Varianten gehört und trotzdem muss man Interesse vorgeben und an den richtigen Stellen zustimmend, oder erstaunt murren. Man kennts und mich hat es nicht gestört, wurden diese Episoden doch immer wieder unterbrochen von den Gedankengängen des Sohnes.
Der Autor erzählt auf berührende Weise von einer Frau, die es nie leicht hatte im Leben und die dadurch bis zuletzt geprägt wurde, einer Frau, die Andere mit ihrer offenen, direkten Art oft beleidigt hat, deren Nachhilfeschüler aber allesamt an ihrem Grab geweint haben. Er erzählt eine Lebensgeschichte, wie sie stellvertretend für viele aus dieser Generation ist, einer Generation, die wir bald einzig aus solchen Erzählungen kennen werden.
Das Buch kommt als schmales Hardcover mit Schutzumschlag daher, wobei ich den an braunes Packpapier erinnernden Umschlag jetzt etwas nichtssagend finde, aber man hat sich sicher etwas dabei gedacht. Hier sollte man sich tatsächlich nicht von der Optik abschrecken lassen und dem Buch eine Chance geben.