Das Unaussprechliche
Ein falsches WortBergljot meidet den Kontakt zu ihrer Familie schon seit einigen Jahren, zu ihren Eltern hat sie ein schwieriges Verhältnis, lediglich mit einer ihrer jüngeren Schwestern tauscht sie ab und zu Emails aus. ...
Bergljot meidet den Kontakt zu ihrer Familie schon seit einigen Jahren, zu ihren Eltern hat sie ein schwieriges Verhältnis, lediglich mit einer ihrer jüngeren Schwestern tauscht sie ab und zu Emails aus. Nachdem die Eltern Details zu ihrem Nachlass andeuten kommt es zu neuerlichen Konfrontationen, aber der Streit um die Überschreibung der Ferienhütten der Familie ist nur die Spitze des Eisbergs.
Ich-Erzählerin Bergljot ist das zweitälteste von vier Kindern der Familie. Zum Zeitpunkt, an dem der Leser in die Geschichte einsteigt, hat sie bereits lange mit ihrer Familie gebrochen, lediglich ihre erwachsenen Kinder haben Kontakt zu den Großeltern und den Tanten. Der Grund für den Bruch wird nicht angesprochen, aber der Leser hat schnell eine Vorstellung vom "Elefanten im Raum" wie die "Sache" im Buch oft genannt wird. In der Familie ist etwas unaussprechliches vorgefallen und der Großteil der Familie hat sich sprichwörtlich dafür entschieden, es nicht aus-, bzw. anzusprechen. Der sich anbahnende Streit ums Erbe bringt nun lange Verschüttetes wieder an die Oberfläche, alte Wunden reißen auf, alte Verletzungen beginnen wieder zu schmerzen. Der Wunsch endlich gehört zu werden, die "Sache" endlich beim Namen nennen zu können, wird immer stärker und als der Vater dann plötzlich stirbt, ist die Gelegenheit gekommen.
In ihren hochgelobten und vielfach ausgezeichneten Roman hat Vigdis Hjorth eine schwierige Thematik eingearbeitet. Wäre Familie allein nicht schon Stoff genug für Dramen und Krisen, spricht die Autorin auch das Thema Gewalt und Missbrauch innerhalb der Familie an, wobei ansprechen nicht unbedingt die richtige Bezeichnung ist, den lange gibt es nur vage Andeutungen. Diese Andeutungen, dieses Umschreiben der Thematik, dieses nicht direkt ansprechen ist quasi ein Stilmittel, mit dem die Autorin den Umgang der Familie mit den Vorwürfen verdeutlicht. Es wird totgeschwiegen, was nie passiert sein kann, es wird verdrängt, Schuld und Verantwortung auf andere verschoben, dem Opfer ein schlechtes Gewissen gemacht, die Geschehnisse seiner blühenden Fantasie, seinem Hang zur Theatralik zugeschrieben.
Leider konnte mich die Autorin, trotz des brisanten Themas, nicht erreichen. Ich habe den Schreibstil als sehr anstrengend empfunden, wie viel davon der Übersetzung geschuldet ist kann ich natürlich nicht sagen. Ich-Erzählerin Bergljot ist in ihrer Art eher nervig und suhlt sich seitenweise in Selbstmitleid. Sie macht es dem Leser sehr schwer sie zu mögen. auch die anderen Figuren, allen voran die Mutter mit ihren ständigen Selbstmordankündigungen und ihrer manipulativen Art, sind durchweg unsympatisch. Vom Vater erfährt man fast nichts, aber das Buch ist durchzogen von einer permanenten Angst vor ihm. Die Geschichte springt immer wieder unvermittelt aus der Gegenwart zu Erinnerungen an vergangene Ereignisse. Diese Sprünge sind nicht direkt zu erkennen, die einzelnen Abschnitte sind nicht betitelt, oder datiert, man muss sich immer erstmal in die neue Situation einfinden. Oft sind die Abschnitte extrem kurz, manchmal nur wenige Sätze, nur ein kurzer Gedanke. Das wörtliche Rede nicht gekennzeichnet ist macht es ebenso schwer lesbar, wie auch die Vielzahl an Personen, bei denen man teilweise nicht genau weiß in welchem Verhältnis sie zur Hauptfigur stehen. Man muss sich das als Leser mühsam erarbeiten und immer aufpassen nicht den Faden zu verlieren.
Recht schnell nach Beginn der Lektüre habe ich begonnen mit dem Buch zu hadern. Da es ja oft so ist, dass man erstmal eine Beziehung zur Geschichte herstellen muss, wollte ich dem Ganzen natürlich eine Chance geben. Leider hat sich mein erster Eindruck aber nicht wirklich geändert. Ich konnte mich schwer auf die Geschichte konzentrieren, war mehr als einmal kurz davor das Buch abzubrechen. Bei Büchern, die von der Kritik so hochgelobt sind wie dieses, suche ich dann meist den Fehler bei mir und versuche noch intensiver die Geschichte zu erfassen, gelungen ist mir dies aber nur zum Teil. Ich verstehe die Intention der Autorin, die Brisanz der Thematik, die daraus resultierenden Auswirkungen auf die einzelnen Personen und letztlich die ganze Familie, komme mit der Umsetzung aber überhaupt nicht klar. Schade.