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Veröffentlicht am 11.08.2017

Schicksalhaften Roman um Vergangenheitsbewältigung, Liebe und Vergebung - sehr melodramatisch

Die Zeit der Traubenblüte
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Caterina Rosetta bekommt im Jahr 1956 in San Francisco ein Baby. Die ungewollte Schwangerschaft hat sie sowohl gegenüber dem Vater des Kindes als auch gegenüber ihrer Mutter Ava verschwiegen. Nach der ...

Caterina Rosetta bekommt im Jahr 1956 in San Francisco ein Baby. Die ungewollte Schwangerschaft hat sie sowohl gegenüber dem Vater des Kindes als auch gegenüber ihrer Mutter Ava verschwiegen. Nach der Geburt bringt Caterina es allerdings nicht über das Herz, das Mädchen wie geplant zur Adoption freizugeben.

Sie fährt sodann nach Napa zum Weingut "Mille Étoiles" ihrer Mutter, um ihr von ihrer Enkelin zu erzählen. Diese empfindet das uneheliche Kind wie erwartet als Schande für die Familie und verweist Caterina aus ihrem Zuhause. Vor Ort trifft Caterina auf Santo Casini, ihren Schwarm aus Jugendtagen und Vater des Kindes, der aber inzwischen verlobt ist, weshalb sie ihm gegenüber weiter verschweigt, dass er Vater geworden ist. Zwischen Santo und Caterina knistert es und sie kommen sich sogar während eines Erdbebens wieder näher, aber sie macht sich keine Hoffnungen auf eine Beziehung mit ihm.
Fast zeitgleich erfährt Caterina, dass sie von ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter Violetta Maria Romagnoli Rosetta ein Haus in der Toskana geerbt hat. Caterina ist erschüttert. Sie ist bis zuletzt davon ausgegangen, dass ihre Großmutter wie ihr Vater schon seit Jahren tot ist und dass sie keine Verwandten mehr in Italien hat.

Nach und nach kommen immer mehr Lügen und Halbwahrheiten ihrer sonst so integeren Mutter ans Licht - Familiengeheimnisse, die Caterina endlich lüften möchte. Zusammen mit ihrer Tochter Marisa bricht sie nach Italien auf, um dort das nicht ganz einfache Erbe anzutreten und Licht ins Dunkel der Vergangenheit zu bringen.

"Die Zeit der Traubenblüte" ist eine Familiengeschichte, die sich von 1929 bis zum Ende der 50er-Jahre erstreckt, wobei man nur in einzelnen Rückblenden die Vergangenheit ergründet, und die in Italien bzw. in Kalifornien spielt.
Ein Fokus des Romans liegt auf der detaillierten Schilderung der Bewirtschaftung eines Weinguts, des Lebens als Winzerin bzw. Sommelière und den Geschmäcken der Weine. Daneben gilt es, vertuschte Skandale zu offenbaren und lang gehütete Familiengeheimnisse zu lüften, die aufgrund der antiquierten Moralvorstellungen der damaligen Zeit im Verborgenen bleiben sollten. Da die Familiengeschichte aber prägend für das weitere Leben von Caterina ist, muss sie sich den unbequemen Wahrheiten stellen, um zu ihrem Glück zu finden, auch wenn sie dabei einen Bruch mit ihrer Mutter riskiert.

Mir war der Roman über die unerfüllte Liebe bzw. die Emanzipation von Caterina einen Hauch zu melodramatisch dargestellt. Sowohl Mutter als auch Tochter haben mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen und es scheint sogar, als würde sich die Geschichte wiederholen, als beide alleinerziehend und ohne Partner, die Verantwortung für eine Weingut übernehmen. Zudem finden sich auch beide nur zu gern in ihrer Märtyrerrolle wieder, indem sie Dinge verschweigen, um andere zu schützen und damit aber selbst die ganze Last tragen müssen, für die sie nicht allein verantwortlich sind.

Die Geschichte hätte man deutlich kürzer fassen können, wenn die Autorin nicht in epischer Breite jeden Tag aufs Neue beschrieben hätte, für welche Kleidungsstücke sich Caterina morgens für sich und Marisa entscheidet oder wie friedlich Marisa mit dem Windelhintern in die Höhe in ihrem Bettchen schläft bzw. freundlich vor sich hinquäkt. Das "dunkle Geheimnis" um das Erbe deutet sich auch schon früh an, so dass der Roman etwas langatmig zu lesen ist. Das Ende ist dann an Dramatik kaum mehr zu überbieten und übertrieben Schwarz-Weiß-Malerisch als Duell Gut gegen Böse dargestellt.

Wer allerdings Familiengeschichten mag, die sich über mehrere Generationen erstrecken und in denen starke Frauen die Hauptrolle spielen und dann noch ein Interesse für guten Wein hat, wird sich - bis zum letzten Schluck - mit dem schicksalhaften Roman um Vergangenheitsbewältigung, Liebe und Vergebung gut unterhalten fühlen.

Veröffentlicht am 09.08.2017

Temporeicher, tiefgründiger Roman über den alltäglichen Wahnsinn - trotz aller Übertreibungen sehr authentisch

Sieh mich an
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Katharina ist ungefähr 40 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt an einem Ort an der Ostsee. Ihr Mann Costas hat nach seiner Arbeitslosigkeit eine Anstellung als Architekt in Berlin gefunden ...

Katharina ist ungefähr 40 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt an einem Ort an der Ostsee. Ihr Mann Costas hat nach seiner Arbeitslosigkeit eine Anstellung als Architekt in Berlin gefunden und ist deshalb nur am Wochenende zu Hause. Den Alltag mit all seinen Tücken muss Katha allein bewältigen.
Eine besondere Herausforderung stellt ihre 11-jährige Tochter dar, die unter ADHS leidet und gerade in die Pubertät kommt. Katha schenkt Helli ihre gesamte Aufmerksamkeit, weshalb sie es kaum schafft, den Haushalt zu bewältigen, zumindest stundenweise ein Zubrot als Musikpädagogin zu verdienen, geschweige denn Zeit für sich selbst hat, um einfach nur hinzusitzen oder die Anrufe ihrer Schwester entgegen zunehmen.

"Sieh mich an" schildert einen einzigen Tag in Kathas Leben. Es ist ein Freitag im Winter und das erste Wochenende, an dem Costas nicht nach Hause kommt, da er sich verpflichtet fühlt, zu einer betriebsinternen Weihnachtsfeier zu gehen. Katha nutzt die Gelegenheit, ihren Studienfreund Kilian wiederzusehen, den sie seit Jahren nicht getroffen hat und der an diesem Wochenende in der Gegend ist.

Der Tag beginnt schon denkbar schlecht, als Katha von Hellis Schule gebeten wird, ihre Tochter - mal wieder - wegen Nasenbluten abzuholen. Es folgen ein abgefahrener Seitenspiegel am Auto, ein Trockner, der in Flammen aufgeht und der transsexuelle Nachbar, der sich bei der Reparatur seines Rasenmähers den Daumen abtrennt. In dem ganzen Chaos muss Katha zudem jederzeit mit dem nächsten Ausraster ihrer überdrehten Tochter rechnen.

Scheinbar unberührt - oder einfach schon daran gewöhnt - gehen die Stunden für Katha voran, bis sie am Abend endlich Kilian am Bahnhof abholen kann. Was Katha eigentlich belastet, ist "das Etwas", das sie Tage zuvor in ihrer Brust ertastet hat und dessen gynäkologische Abklärung sie aufgrund ihrer erblichen Vorbelastung vor sich herschiebt.

"Das Etwas sitzt in meiner linken Brust und tut alles, was es nicht tun soll: Es wird nicht kleiner, ist nicht beweglich und schmerzt nicht. Es ist, was es ist. Aber es ist schließlich auch nicht seine Aufgabe, mir Hoffnung zu machen."

Mit Katha möchte man wahrlich nicht tauschen und so ist es bewundernswert, dass sie diese Abfolge an unvorhergesehene Ereignissen mit scheinbar stoischer Gelassenheit erträgt, als gehörten diese zu einem normalen Familienalltag. Tatsächlich hegt sie allerdings Selbstmordgedanken, wobei nicht ganz klar ist, wie ernst es ihr mit einem Abgang, der möglichst schonend für die Hinterbliebenen sein soll, tatsächlich ist.

"Sieh mich an" ist ein tragikomischer Roman über eine Frau, die als Studentin noch so viel vorhatte, aber dann zu früh in die Mutterrolle rutschte und mit zwei Kindern keine Zeit mehr für ihre Dissertation und eine Anstellung als Musikwissenschaftlerin hatte. Die ADHS-Erkrankung ihrer Tochter wurde zu spät erkannt und ihr Ehemann glänzt durch permanente Abwesenheit, weshalb auch er im Alltag keine Hilfe ist. Für ihn ist Katha "nur" Hausfrau, die Stunden der musikalischen Früherziehung, die sie an der Musikschule gibt, erkennt sie ja selbst nicht als berufliche Tätigkeit an. Katha funktioniert nur noch und nur die Liebe zur klassischen Musik und der turbulente Alltag lenken sie ab, damit sie sich nicht mehr Sorgen um ihre Gesundheit machen muss.

Das Thema Brustkrebs bleibt bis zum Ende des Roman eher im Hintergrund, so dass die amüsanten, wenn auch zum Teil bestürzenden Szenen, überwiegen und der Roman insgesamt sehr temporeich und humorvoll zu lesen ist. Als Leser taucht man direkt in die Gedankenwelt von Katha und ihren To-do-Listen ein und nimmt kaum wahr, dass es sich tatsächlich nur um einen Tag im Leben von Katha gehandelt hat und ist geradezu froh, dass man selbst ein so vergleichsweise eintöniges Leben führt.
Am Ende kann Katha ihre Emotionen aber nicht mehr kontrollieren, sie sieht derart pessimistisch in die Zukunft und da ist es plötzlich doch ihr Ehemann, bei dem sie Halt sucht.
"Sieh mich an" ist ein außergewöhnlich geschriebener, tiefgründiger Roman, bei der die Handlung trotz aller Übertreibungen nichts an ihrer Authentizität verliert und der sich mit der Frage beschäftigt, wie viel von der eigenen Individualität im täglichen Wahnsinn noch übrig bleibt.

Veröffentlicht am 07.08.2017

Geschwistertreffen im "Haus der Träume" in Andalusien und Abschied von einer eigenwilligen Mutter

Ein Haus voller Träume
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Hope ist nach kurzer Krankheit in London gestorben, wo sie von ihrer jüngsten Tochter Lucy gepflegt wurde. Die Einäscherung hat bereits stattgefunden und das Testament wurde eröffnet. Anlässlich Hopes ...

Hope ist nach kurzer Krankheit in London gestorben, wo sie von ihrer jüngsten Tochter Lucy gepflegt wurde. Die Einäscherung hat bereits stattgefunden und das Testament wurde eröffnet. Anlässlich Hopes Geburtstag finden sich Freunde und Verwandte, vor allem aber die drei Geschwister in ihrem Haus in Andalusien ein, wo sie als Kinder aufgewachsen sind.

Lucy, die als selbstständige Köchin, schon immer der Mutter in ihrem Bed & Breakfast ausgeholfen hat, bereitet alles für die Abschiedsfeier vor und wartet auf ihre älteren Halbgeschwister. Sie ist diejenige, die am meisten an ihrem alten Zuhause hängt.
Tom reist zusammen mit seiner auf den ersten Eindruck sehr oberflächlich wirkenden, perfektionistischen Ehefrau Belle und den beiden Söhnen Ethan und Alex im Teenageralter an. Er ist wenig begeistert von Hopes Art, Abschied zu nehmen und möchte die ganze Zeremonie sowie den Verkauf des Hauses schnellstmöglich vorantreiben.
Die älteste Tochter Jo trifft als letztes aus London zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter Ivy ein. Auf dem Flug nach Malaga ist Jos Koffer verloren gegangen, in dem die sterblichen Überreste von Hope enthalten sind, die in den Wäldern Andalusiens verstreut werden soll.

Die Geschwister, die alle von unterschiedlichen Vätern sind, haben das Haus in gleichen Teilen geerbt und zusätzlich hat Mutter Hope den dreien noch jeweils eine Überraschung als Abschiedsgeschenk hinterlassen, dass sie bei der Familienfeier lüften sollen.
Während Jo hofft endlich zu erfahren, wer ihr leiblicher Vater ist, den ihr die Mutter all die Jahre vorenthalten hat, hofft Tom nur, dass er das Geld, das er seiner Mutter vor Jahren geliehen hat zurückbekommt.
Lucy dagegen wird vielmehr von ihrem Ehemann Art überrascht, der ihr ein Geständnis zu machen hat. Die Ehe der beiden leidet unter der ungewollten Kinderlosigkeit.

Der Roman handelt an einem verlängerten Wochenende im "Casa de Suenos". Es ist ein Familientreffen von Geschwistern, an welchem sie so manches ungesagte Detail aus der Vergangenheit ihrer Mutter enthüllen werden.
Alle Protagonisten - sogar die zunächst etwas unleidlich wirkende Belle - sind vielschichtig und sympathisch, so dass es beim Lesen Freude macht, die Charaktere, ihre Hintergründe und nicht zuletzt die exzentrische Hope selbst aus Erzählungen und Erinnerungen kennenzulernen.

Anders als in vielen Familiengeschichten, die ich schon gelesen habe, werden im "Haus der Träume" keine versteckten Tagebücher oder Aufzeichnungen Verstorbener entdeckt und hochdramatische, brisante Familiengeheimnisse gelüftet. Es ist ein Geschwistertreffen an dem Ort, an dem sie aufgewachsen sind und an dem sie glücklich waren, bis sie alle nacheinander gezwungen wurden aufgrund einer vermeintlich besseren Schuldbildung nach England zu gehen und dort ihren Weg zu finden. Sie nehmen in Andalusien Abschied von einer Mutter, die ihnen zwar viele Freiheiten ließ, es ihnen aber letztlich nicht immer leicht gemacht hat und vielleicht auch zu wenig gezeigt hat, wie sehr ihre Kinder geliebt hat.
Vor Ort erfahren sie endlich mehr über die Vergangenheit ihrer Mutter und ihrer eigenen Herkunft.
Es ist ein sehr authentischer Roman, der eine interessante Frau porträtiert und eine Familiengeschichte an dem wunderschönen Schauplatz Andalusien erzählt.

Veröffentlicht am 05.08.2017

Charmanter, zauberhafter Roman über einen Hund mit dem Instinkt, für jeden Mensch das passende Buch zu finden

Herzensräuber
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Tobias Griesbart nimmt aus seinem Spanienurlaub einen streunenden Hund mit, der sich ihm treu angeschlossen hat. Zolas Herrchen, Postbote Pepe. war kürzlich verstorben und seitdem war der Hund auf sich ...

Tobias Griesbart nimmt aus seinem Spanienurlaub einen streunenden Hund mit, der sich ihm treu angeschlossen hat. Zolas Herrchen, Postbote Pepe. war kürzlich verstorben und seitdem war der Hund auf sich allein gestellt, musste sich sein Fressen erbellten oder aus dem Müll suchen und sich einem Rudel von Straßenhunden anschließen. Zola braucht jedoch den Menschen. Er verliebt sich geradezu in Tobias und entwickelt einen unwahrscheinlichen Beschützerinstinkt für sein neues Herrchen.

Tobias wurde vor Kurzem von seiner Freundin Vanessa verlassen und auch das Antiquariat läuft mehr schlecht als recht. Tobias ist einfach kein Geschäftsmann und viel zu gutmütig, so dass er sich von den Kunden immer wieder zu unlukrativen Buchtauschs überreden lässt.Selbst Zola fällt auf, wie selten Tobias die Kasse bedient. der Hund entwickelt auch ein Gespür für die Bücher, die er liebevoll als Herzensräuber bezeichnet., Er erschnüffelt die Gefühle, die beim Leser durch die Geschichten geweckt werden und so trägt er nachts schon einmal die Bücher sortiert in unterschiedliche Ecken, wenn die Bücher, die neben seinem Schlafplatz liegen, mit Angst und Schrecken oder Gefahr verbunden sind.

Als das Antiquariat kurz vor der Schließung steht, erbt Tobias überraschend eine Villa in seiner Heimatstadt Heidelberg, die ihm seine Großmutter hinterlassen hat. Das Haus wird allerdings von einer kratzbürstigen Alten und einer alleinerziehenden Mutter bewohnt, die sich dort vor ihrem gewalttätigen Ehemann versteckt hält. In seiner Gutmütigkeit lässt Tobias alle drei auf dem Anwesen wohnen und richtet dort sein Antiquariat ein.

Eigentlich habe ich Vorbehalte Büchern gegenüber, die aus der Perspektive eines Tieres geschrieben sind, mich hat aber bereits die Leseprobe vorab von dem warmherzigen und sehr eingängigen Schreibstil und Zola als einen beeindruckenden Charakter überzeugt. Sehr anschaulich beschreibt die Autorin die Welt aus der Sicht des Hundes und wie dieser gedanklich mit den Menschen interagiert. Zola ist ein guter Hund, der nicht für das Leben auf der Straße geschaffen ist und der sich bedingungslos und treu ergeben seinem Herrchen anschließt.

"Herzensräuber" ist ein positiver Wohlfühlroman, der so liebevoll geschrieben ist, dass es nebensächlich ist, dass die Geschichte vorhersehbar ist, Zola ist der eigentliche Held, der aufgrund seines Instinkts und Geruchssinns Freund und Feind viel schneller unterscheidet und Gefahr wittert, wenn Tobias noch völlig ahnungslos ist.

Die süße Geschichte ist vielleicht nicht ganz realistisch - Zola zu lebensklug, Tobias zu passiv - weshalb der Leser ein Faible für Hunde haben sollte, um sich mit der Geschichte wohl zufühlen.

Der Roman überzeugt weniger durch eine ausgeklügelte,spannende Handlung als vielmehr durch die innige Verbindung zwischen Mensch und Tier, das magische Band, das zwischen Tobias und Zola herrscht und das ihnen in dunklen Zeiten Halt und Kraft gibt. Neben den fantastischen Einblicken in den Hundekopf sind es auch immer wieder die amüsanten Einschübe, die die Beziehung und Missverständnisse in der Interaktion zwischen Mensch und Tier charakterisieren.
Neben der Rolle von Zola hat mir vor allem auch die Idee mit den "Herzensräubern" - für jeden Mensch und jede Stimmung das passende Buch, an das er sein Herz verlieren kann - gut gefallen.

"Herzensräuber" ist vor allem für Hundeliebhaber ein charmantes, zauberhaftes Buch, das mir nur am Ende zu sehr ins Kitschige abdriftete.

Veröffentlicht am 04.08.2017

Wie geht es nach dem Tod Wills mit Lou weiter? Wohlfühlroman mit traurigen, aber auch vielen amüsanten Szenen

Ein ganz neues Leben
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Lou und Will waren nur sechs Monate - "ein ganzes halbes Jahr" - zusammen, bis Will seinem Leben als Tetraplegiker ein Ende setzte.
Knapp zwei Jahr später lebt Louisa allein in einem Apartment in London, ...

Lou und Will waren nur sechs Monate - "ein ganzes halbes Jahr" - zusammen, bis Will seinem Leben als Tetraplegiker ein Ende setzte.
Knapp zwei Jahr später lebt Louisa allein in einem Apartment in London, das sie sich von Wills Erbe gekauft hat und arbeitet als Kellnerin in einem Irish Pub am Flughafen, in dem ein kontrollsüchtiger Chef sie nervt und in welchem sie ein lächerliches Lurex-Kostüm tragen muss.

Nachdem sie bei einem Unfall von der Dachterrasse ihres Wohnhauses gefallen ist und das Krankenhaus und ihre Familie denken, dass sie sich wegen der Trauer um Will das Leben nehmen wollte, geht sie fortan regelmäßig zu einer Selbsthilfegruppe von Trauernden, der "Weiterleben-Gruppe", und lernt auf diesem Weg einen neuen Mann in ihrem Leben kennen. Es ist der Rettungssanitäter Sam, der sie nach ihrem Sturz, den sie nur mit viel Glück überlebt hatte, versorgt hatte.

Das Mädchen, das sie an dem Abend auf der Dachterrasse erschreckt hatte, stellt sich als Wills Tochter heraus, die unvermittelt in Lous Leben tritt, um mehr von ihrem Vater, der nichts von ihrer Existenz wusste, zu erfahren und den anderen Teil ihrer Familie kennenzulernen. Lily ist Will nicht unähnlich und ein sehr schwieriger, trotziger Teenager, der sich ungeliebt von der Mutter und dem Stiefvater in Lous Leben breit macht.

Lous Leben ist fast zwei Jahre nach dem Tod von Will immer noch gezeichnet von ihrer Trauer und einem latent schlechten Gewissen, dass sie ihm nicht helfen konnte. Sie vermisst seine Zuneigung, ihn als Ratgeber und es hat den Anschein, als würde sie es sich selbst nicht gönnen, ein neues Leben zu beginnen und wieder glücklich zu sein. Aus diesem Grund fühlt sie sich verantwortlich für Lily, kümmert sich auch noch um sie, als diese ihre Gutmütigkeit ausnutzt und ihre Familie Unverständnis dafür zeigt. Selbst ein Jobangebot in New York schlägt sie ihretwegen aus.
Sam hält sie unbewusst auf Abstand, womit er nicht umgehen kann und ihr vorwirft, einen Geist zu lieben. Sie scheut sich davor, wieder an jemanden ihr Herz zu vergeben und hat Angst, dass sie auch eine neue Liebe plötzlich verlieren könnte und dann kommt es tatsächlich zu einem Unglück, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wahr werden lässt...

Nachdem Jojo Moyes eigentlich nie eine Fortsetzung von "Ein ganzes halbes Jahr" schreiben wollte, hat sie mit "Ein ganz neues Leben" die Geschichte von Lou doch fortgeschrieben, auch wenn die Messlatte durch ihren Bestseller so hochgesetzt war, dass sie mit einem zweiten Teil nur verlieren konnte.

Für mich ist "Ein ganz neues Leben" aber ein eigener Roman, der sich jedoch kaum lesen lässt, ohne den ersten Band zu kennen. Zu viele Details wie der Charakter von Will oder die Hummelstrumpfhose würden für das Verständnis einfach fehlen. Man kann beide Romane aber nicht miteinander vergleichen, da es schon allein von der Dramatik zwei völlig verschiedene Geschichten sind, weshalb Band 2 nie so herzergreifend tragisch werden konnte wie der Vorgänger.

Wer den Schreibstil von Jojo Moyes mag, wird ihn auch in diesem Roman unweigerlich nach den ersten wiedererkennen und Seite um Seite weiterlesen müssen. Auch wenn "Ein ganzes halbes Jahr" für mich ein in sich geschlossener Roman war, fand ich es interessant zu lesen, wie es mit Lou weitergeht. Gezeichnet von der Trauer herrscht stets eine melancholische Stimmung und man kann nachvollziehen, wie verloren und einsam sich Lou trotz ihrer sehr lebhaften und eigenwillig-herzlichen Familie fühlt. Sie möchte kein Risiko mehr eingehen, geht mit Scheuklappen durchs Leben und wird erst durch die Begegnung mit Lily wieder wachgerüttelt und findet durch die zurückhaltende Zuneigung von Sam wieder zurück ins Leben.

"Ein ganz neues Leben" ist ein Wohlfühlroman mit traurigen, aber auch vielen amüsanten Szenen im chaotischen Leben von Lou. Man begegnet ihrer Familie wieder, Schwester Treena, die zu früh Mutter geworden ist, dem etwas altmodischen Vater und Mutter Josie, die sich zu einer bekennenden Feministen entwickelt hat. Eine Nebenrolle haben auch die Eltern Wills, Camilla und Steven Traynor, die beide ganz unterschiedlich mit ihrer Trauer um den Sohn umgegangen sind und inzwischen getrennte Leben führen.

Im Verlauf der Wochen, die sich nach Lous Unfall ereignen, lernt sie, wie wichtig und normal es auch ist, Trauer zuzulassen, dass man aber auch über den Verlust eines Menschen hinwegkommen kann, indem man ihn loslässt, ohne ihn zu vergessen. Jeder Mensch hat das Recht - und auch die Pflicht - weiterzuleben und glücklich zu sein, ohne dies als Verrat an dem geliebten Toten empfinden zu müssen. All das ist aber nur möglich, in dem man den Mut hat, offen für Neues und das Ungewisse zu sein und Vertrauen in den Rückhalt von Familie und Freunden haben kann.

Ich habe mich gefreut, als ich gelesen habe, dass am 23. Januar 2018 sogar Lou, Band 3 unter dem Titel "Mein Herz in zwei Welten" erscheint, den ich auch wieder verschlingen werde.