Roter Herbst in Chortitza - aufrüttelnd, erschütternd, traurig, aber echt gut
Roter Herbst in ChortitzaTim Tichatzki hat mit diesem Roman ein beeindruckendes Werk über ein dunkles Kapitel europäischer Geschichte erschaffen. Wir lernen Willi Bergen und Maxim Orlow kennen, die in einem mennonitischen Dorf ...
Tim Tichatzki hat mit diesem Roman ein beeindruckendes Werk über ein dunkles Kapitel europäischer Geschichte erschaffen. Wir lernen Willi Bergen und Maxim Orlow kennen, die in einem mennonitischen Dorf in Osterwick in der Ukraine aufwachsen. Willi ist der Sohn deutscher Auswanderer, die dort eine Landwirtschaft betreiben, ihren Glauben ausleben und jede Form von Gewalt strikt ablehnen. Im Jahr 1919 fegt dann ein Bürgerkrieg durch das zerfallende Zarenreich. Als die befreundeten Jungen zwischen den Fronten ein Maschinengewehr finden, ist das der Beginn des Endes ihrer Freundschaft.
Die Mennoniten hatten bereits unter dem Bürgerkrieg an Hunger zu leiden, aber der wirkliche Terror und der Kampf ums Überleben schlägt mit der aufkommenden Sowjetdiktatur und der Willkür Stalins nochmal gnadenlos zu. Wir begleiten in dem Hörbuch „Roter Herbst in Chortitza“ sowohl Willi als auch Maxim, die völlig unterschiedliche Wege gehen, denn Maxim schlägt sich auf die Seite des Regimes. Aber auch hier gilt, man sieht sich immer zweimal und so begegnen sich die einstigen Jugendfreunde wieder – jetzt jedoch auf verschiedenen Seiten.
Mir war gar nicht bewusst, was alles genau im zerfallenden Zarenreich und unter Stalins Regime mit den Menschen geschah. Aber ich war fassungslos, ob des Elends und der Grausamkeiten, die dort zum Alltag gehörten. Und wenn man sich vorstellt, dass das alles nach einer wahren Geschichte erzählt wurde, dann macht das umso betroffener.
Das Buch ist eine echt schwere Kost und es hat mich noch tagelang gedanklich beschäftigt. Der Autor hat schonungslos offen erzählt, was Krieg aus Menschen macht und zu welch unmenschlichen Taten so mancher fähig ist. Auch das System Stalins hat mich sprachlos gemacht. Einmal in den Fängen der Diktatur, ist man ihr wahllos ausgeliefert. Der zweite Weltkrieg hat die Lage nicht verbessert und Willis Entsetzen, als er feststellte, dass er im Ostsektor unter russischer Herrschaft gelandet ist, ist mit den Händen greifbar.
Tim Tichatzki hat die Hauptcharaktere authentisch und glaubwürdig in Szene gesetzt und sich auch jedem Nebencharakter gewidmet und alle diese Personen durch viele Details zum Leben erweckt. Man erfährt ihre Gedanken und Emotionen sowie die Beweggründe ihres Handelns und wird so mit jeder Seite ein Stück mehr in die Geschichte hineingezogen. Das Schicksal von Wills Familie hat mich fassungslos gemacht, aber auch das Schicksal von Maxim, der auf Befehl grausam agiert und im Regime zerrieben wird, hat mich sprachlos zurückgelassen. Und die vielen tausend Menschen, die ihr Leben wegen und durch ein Terrorregime lassen mussten, sprechen eine deutliche Sprache.
Ich habe das Hörbuch gehört, das Makke Schneider hervorragend und absolut überzeugend liest. Man kann sich der Eindringlichkeit seiner Stimme, die absolut passend die Emotionen der Protagonisten interpretiert, einfach nicht entziehen. Und so ist der Hörer noch ein Stück näher an dieser Geschichte dran.
Fazit:
Ein grandioses, aufrüttelndes Werk über ein dunkles Kapitel europäischer Geschichte, schonungslos offen und brutal erzählt. Sehr traurig, aber wahr. Ich kann das Werk jedem historisch Interessierten ans Herz legen, aber es ist nichts für Zartbesaitete