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Veröffentlicht am 23.08.2017

Der Blick in dein anderes Leben

Der Brief
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"Was wäre wenn" - diese Frage haben wir uns sicherlich alle schon einmal gestellt. Was wäre, wenn ich damals das Studium abgebrochen hätte? Wenn ich woanders hingezogen wäre? Wenn ich mich für einen anderen ...

"Was wäre wenn" - diese Frage haben wir uns sicherlich alle schon einmal gestellt. Was wäre, wenn ich damals das Studium abgebrochen hätte? Wenn ich woanders hingezogen wäre? Wenn ich mich für einen anderen Partner entschieden hätte? Doch wir bekommen die Antworten nicht darauf.

Marie schon. Eines Tages erhält sie einen Brief ihrer alten Schulfreundin, die über ihren Alltag erzählt. Doch obwohl der Brief an sie adressiert ist, könnte ihr der Inhalt nicht fremder sein. Denn Christine erzählt von einer längst verstorbenen Freundin und angeblich würde Marie in Paris leben. Als sie Christine zur Rede stellt, will diese von dem Brief nichts wissen. Doch dabei bleibt es nicht. Es folgen Briefe, Anrufe, Bilder - Marie scheint ein alternatives Leben in Paris zu führen, das so ganz anders verlaufen ist als das, was sie jetzt lebt. Doch woher kommen diese Briefe?

Das versucht Marie in "Der Brief" von Carolin Hagebölling herauszufinden und reist an ihr unbekannte Orte, erlebt Déjà-vus und trifft auf Menschen, die ihr scheinbar bekannt vorkommen. Durch den kurzweiligen Schreibstil lässt sich Maries Reise durch eine gefühlte Paralellwelt, die voller "Waswärewenns" ist, schnell und flüssig lesen. Der Roman kommt knapper daher und umfasst gerade mal 219 recht groß geschriebene und sehr großzügig formatierte Seiten, die nur zwei Stunden Zeit beansprucht haben, um zwischen Paris und Hamburg umherzupendeln.

Der Einstieg ist schnell gegeben, die Geschichte startet sofort und auf knapp zweihundert Seiten ist leider auch kein Platz für zusätzliche Informationen. Hier liegt leider aber auch der größte Schwachpunkt des Buches. Weder Marie noch Christine noch deren Partner erhalten viele Details. Alles wirkt sehr oberflächlich, so als sei nur das Nötigste schnell zusammengeschrieben wurden. Marie, obwohl wir sie komplett begleiten, keine andere Sicht kennenlernen, wirkt mir am Ende des Buches kein Stück näher, kein bisschen sympathischer oder nachvollziehbarer. Entscheidungen oder Fragen sind viel zu oft viel zu schnell beantwortet. Briefe aus einer alternativen Zukunft? Kein Problem, aufkeimende Panik kommt zu keinem Zeit wirklich richtig rüber.

Dabei hat das Buch wirklich Potential. Marie wäre, mit ein paar Zusatzinformationen, eine formidable Protagonistin gewesen. Victor und Johanna hätten wunderbare Nebenschauplätze sein können. Doch bei keiner Person, bei keinem Ort kam Leidenschaft rüber. Das Ende hingegen hätte noch 50 Seiten mehr verkraften können. Carolin Hagebölling hätte hier etwas weiterspinnen können, die Geschichte dort noch mal aufgreifen. Doch da war das Ende viel zu offen, viel zu viele Fragen noch da. Daher war "Der Brief" leider eine kurzweilige, angenehme Unterhaltung, hinterlässt jedoch keinen bleibenden Eindruck.

Veröffentlicht am 22.08.2017

Eine Achterbahn der Gefühle

Sieh mich an
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Katharina schreibt gerne Listen. Was muss heute noch erledigt werden? Welche Musikstücke lösen eine Gänsehaut aus? Welche Fragen kann ich nicht mehr hören? Welcher Spruch wäre passend für den eigenen Grabstein? ...

Katharina schreibt gerne Listen. Was muss heute noch erledigt werden? Welche Musikstücke lösen eine Gänsehaut aus? Welche Fragen kann ich nicht mehr hören? Welcher Spruch wäre passend für den eigenen Grabstein?
Letzteres ist nicht Katharinas makabren Humor geschuldet, sondern dem Knoten in ihrer Brust. Dieser ist das unausweichliche Thema von Mareike Krügels „Sieh mich an“. Doch hier geht es nicht um den Kampf gegen die Krankheit, die Tage nach der Diagnose oder dem Neuanfang nach dem Sieg gegenüber dem Krebs, sondern um einen Tag. Es sind gerade mal 24 Stunden, die wir Katharina begleiten. Doch es ist ein ganzer Tag voller Gedanken, Fragen und Erinnerungen, die sich wie ein Kreis zusammenfügen. Denn wie akzeptiert man dieses Ding in seiner Brust, wenn man nebenbei noch Mutter, Haus- und Ehefrau und Musiklehrerin ist? Wenn man eigentlich sich um die Tochter kümmern müsste, die unter AHDS leidet und schon wieder mit Nasenbluten aus der Schule nach Hause kommt? Oder wenn der Sohn die erste Freundin nach Hause bringt? Oder die SMS mit dem Mann, der auf Dienstreise ist, immer nüchterner und kalkulierender werden? Wenn der ehemalige Mitbewohner aus Studentenzeiten anreist und den Kopf mit Martini und Apfelmus verwirrt? Wie soll man da Zeit haben zu realisieren, verstehen und akzeptieren?
Katharina ist sicherlich kein einfacher Charakter, der zusätzlich in einer schwierigen Situation steckt und sie zusätzlich zum eh schon chaotischen Alltag vollkommen überfordert. Ihre Affinität für abstruse Listen und die Gedanken in alle Richtungen kreisen zu lassen, macht sie auf den ersten Blick nicht sympathisch, aber menschlich. Die kleinen Rückblenden auf die Vergangenheit, sei es Costas und ihre Geschichte oder die Erklärungen ihrer Universitätskarriere, machen so manches Verhalten verständlicher und schaffen einen wunderbaren Rahmen, in dem Katharina nicht mehr nur verzweifelt und zeitweise wunderlich wirkt, sondern man ganz genau die Konsequenzen diverser Schicksalsschläge und Entscheidungen sehen kann. Die Thematik ist hart, Katharinas gedankliche Eskapaden keine leichte Kost und trotzdem kann das Buch nur schwerlich aus der Hand gelegt werden. Durch die Vermischung aus Vergangenheit und Gegenwart erklärt sich Katharinas Geschichte wie von selbst und jede Seite beantwortet wieder ein kleines bisschen mehr. Hinzu kommt Krügels brillanter Schreibstil, der das Buch auch literarisch wertvoll macht.
Doch dann kam das Ende und die Krux ist wie üblich aus einer guten Idee einen guten Abschluss zu schaffen. Leider verliert sich Krügel samt Katharina irgendwo auf einer Autobahn Richtung Berlin. Die letzten dreißig Seiten wirken zu temporeich, zu impulsiv und zu abstrus – für die Autorin und für ihre Protagonistin. Es hinterließ mich mit einem leichten Kopfschütteln und Unverständnis. Nicht weil es ist nicht klar ist, dass traurige Menschen verrückte Dinge anstellen, sondern weil ich mich fragte, was nun die Perspektive für unsere Katharina ist. Warum hat sie das getan? Was passiert nun weiter? Das Ende ist so offen, dass die Fragen, die uns Krügel so beharrlich erklärt hat, wieder offen sind.
Alles in allem hinterlässt durch das seltsame Ende „Sieh mich an“ einen faden Beigeschmack. Als hätte man etwas Wundervolles gefunden, das einem gewaltsam aus den Händen gerissen wurde.

Veröffentlicht am 18.08.2017

Zack - der neue Harry Hole

Die Fährte des Wolfes
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Ein außerordentlich blutiger Mordfall, ein belasteter Ermittler und schon haben wir das perfekte Rezept für einen skandinavischen Krimi, das den Erfolg quasi gepachtet hat. Harry Hole, Jo Nesbos Polizist, ...

Ein außerordentlich blutiger Mordfall, ein belasteter Ermittler und schon haben wir das perfekte Rezept für einen skandinavischen Krimi, das den Erfolg quasi gepachtet hat. Harry Hole, Jo Nesbos Polizist, ist schwerer Alkoholiker, Hjorth und Rosenfeldts Sebastian Bergmann ist durch den Verlust seiner Familie ein Fall für jeden Therapeuten und auch Henning Mankells Wallander reiht sich perfekt in diese Riege ein. Gerade die Polizisten, Berater oder Agenten, die ihr eigenes Päckchen mit sich herumschleppen, die Alkoholiker, schwer traumatisiert oder beziehungsunfähig sind, sind ein Garant für skandinavische Kriminalliteratur. Der Aufmarsch der Antihelden ist kaum zu bremsen und wir alle lieben sie.

Kallentoft & Luttemann haben für ihren ersten Roman Die Fährte des Wolfes genau aus diesem Ideenpool geschöpft und Zack Herry ins Rennen geschickt. Trotz seiner Position in einer Sonderkommission der Stockholmer Polizei, zieht es Zack nächtlich in die Clubs der Stadt. Dort gibt er sich in einer wilden Mischung aus Musik und Kokain hin, die schon die internen Ermittler auf den Plan gerufen hat. Doch zunächst muss er sich um den aktuellen Fall kümmern, in dem mehrere thailändische Frauen kaltblütig ermordet wurden. Trotz Schlafmangel, einiger Drogenexzesse und seiner kontraproduktiven Beziehung findet Zack mit seiner Partnerin Deniz Spuren, die auf viel größere Ausmaße hindeuten. Plötzlich stehen sie vor rivalisierenden Banden, Frauenhandel und mächtigen Geschäftsleuten…

Zack Herry ist sicherlich kein einfacher Protagonist, aber so haben ihn Kallentoft & Luttemann für ihr Debüt auch nicht konzipiert. Trotzdem funktioniert der junge Polizist wunderbar in seiner Rolle. Man merkt wahrlich, dass beide Autoren zwar mit diesem Werk gemeinsam debütieren, aber schon den einen oder anderen Krimi eigenständig verfasst haben. Die Welt und Menschen um Zack sind stimmig und passen perfekt zu seiner Geschichte. Da ist Deniz, seine Partnerin, die versucht ihn auf den richtigen Weg zu führen und ihn in der „realen“ Welt zu verankern. Da ist aber auch Abdula, der Freund aus Kindheitstagen mit dem er auf dem Klo eines Clubs Koks durch McDonalds-Strohhalme zieht. Trotzdem ist die Geschichte von Kallentoft & Luttemann nicht so einfach in schwarz & weiß zu halten. Auch mit Deniz übertritt er die ein oder andere Grenze, in dem sie Zeugen unter Druck setzen, ihre Arbeit bis ans Limit ausführen, während Abdula zeitgleich nicht nur der Drogenfreund ist, sondern Zack in allen Lebenslagen zur Hilfe eilt. Auch weitere Charaktere, wie das Nachbarskind Ester, die Schutz in Form von Zack sucht und zeitgleich für sein eigenes kindliches Ich steht, haben wahnsinnig viel Tiefe und Bedeutung erhalten, so dass jedes Kapitel ein reiner Genuss war.

Das Buch hat Tiefgang und ist gespickt mit vielen kleinen Nebengeschichten, die sich parallel zur Geschichte bis ans Ende entwickeln. Sei es die Geschichte über Zacks Mutter, in der sicherlich die Wurzel all der nächtlichen Ausflüge liegt oder auch die des mysteriösen Chefs, den man immer wieder von gut auf böse verschiebt. Das macht das Buch erinnerungswürdig, voller Inhalt und lebendig. Leider kann man auf 450 Seiten nicht allen losen Fäden gerecht werden, so dass nach der letzten Seite noch offene Fragen zurück blieben. Manche relevant, manche nicht. Das hat keinesfalls das Lesevergnügen geschmälert, doch trotz allem entstand ein rastloses Gefühl, da das Ende sehr temporeich ablief.

Doch trotz kleiner Schwächen war die Fährte des Wolfes mit Sicherheit die größte Überraschung auf dem Krimimarkt. Für ein Debütroman ein wahrlich gelungenes Werk, mit aktuellen Themen, spannenden Irrungen und Wirrungen und einem Protagonisten, der den Originaltitel des Buches definitiv verdient hatte. In der schwedischen Ausgabe ziert nämlich nur sein Name „Zack“, das Cover des Buches. Denn auch, wenn es einen Fall gibt, der spannender nicht sein könnte, so ist Zack der wahre Held oder auch Antiheld des Buches.

Veröffentlicht am 14.08.2017

Du sollst nicht weiter lesen

Du sollst nicht leben (Ein Marina-Esposito-Thriller 6)
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Leider konnte "Du sollst nicht leben" nicht überzeugen. Auch als wahrer Thriller-Enthusiast hat mich das Buch von Tania Carver an den Rand meiner Geduld gebracht.

Die Charaktere sind verwirrend, so dass ...

Leider konnte "Du sollst nicht leben" nicht überzeugen. Auch als wahrer Thriller-Enthusiast hat mich das Buch von Tania Carver an den Rand meiner Geduld gebracht.

Die Charaktere sind verwirrend, so dass man auch nach einiger Zeit sie nur schwerlich auseinander halten konnte. Ich bin immer wieder zurück an einige Stellen, weil ich die Namen nicht auseinander halten konnte, da gefühlt kein Charakter eine tiefgreifende eigene Geschichte hatte, die ihn als Alleinstellungsmerkmal diente. Die Story begann wirklich ansprechend und wirkte gut geplant. Wahrlich Tania Caver hatte da einen guten Einfall. Düster, gruselig und beunruhigend - alleine, einem Opfer die Entscheidung zu lassen und die Wahl, die er selbst dann trifft. Das ging unter die Haut.Aber nach jeder dazukommenden Seite fühlte es sich schlecht ausgeführt an. So als hätte Caver nur die ersten Szenen im Kopf gehabt und wäre dann in der kreativen Phase stecken geblieben.

Schade.

Veröffentlicht am 14.08.2017

Rasanter Thriller mit der perfekten Prise Cross!

Spectrum
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Eine unknackbare, sichere Möglichkeit wertvolle Dinge aufzubewahren, das ist GoBox. Hier kann alles verwahrt werden, was von größter Wichtigkeit ist. Die Tresore liegen unter der Erde, Zugang nur mit Retinascan ...

Eine unknackbare, sichere Möglichkeit wertvolle Dinge aufzubewahren, das ist GoBox. Hier kann alles verwahrt werden, was von größter Wichtigkeit ist. Die Tresore liegen unter der Erde, Zugang nur mit Retinascan und diversen Ausweisen. Aber was, wenn ein paar Kriminelle, gerade dabei sind diesen unknackbaren Tresor auszurauben, es ihnen sogar gelingt und sie dann aus einer vollkommen umstellten Filiale ohne Aufsehen verschwinden? Dann ist sogar das FBI ratlos und zieht ihren neusten Berater Dr. August Burke hinzu. Wunderlich und anders, dafür mit einem Blick für Details, die den meisten verborgen bleiben.

Für den Auftakt seiner neuen Thriller-Reihe „Spectrum“ suchte der Autor der Sheperd-Bücher nach einem neuen noch nicht da gewesenen Protagonisten. Mit Burke, der unter dem Asperger-Syndrom leidet, hat er das geschafft. Es hat ein bisschen was von Sherlock Holmes, die Fähigkeiten durch Verworrenheiten eines Falles sehen zu können, gleichzeitig anderen aber in der sozialen Interaktion mit seinen neuen Kollegen hindert. Das macht das Konzept des neuen Buches aber gleich auch spannender. Burkes agiert nicht alleine, weil – wahrscheinlich auch durch seine Erkrankung – eine allein tragende Rolle zu viel für den Charakter gewesen wäre. Daher schrieb Cross ihm den FBI Agent Carter an die Seite und gesellte noch den Polizisten Nic dazu. Die drei ergeben eine gute Grundlage für ein wildgemischtes Trio und bügeln alle die Schwächen des anderen aus.

Die Geschichte ist typisch Ethan Cross – spannend, verworren und actiongeladen. Letzteres jedoch nicht im Stile von der Sheperd-Reihe, die oftmals wie ein abgelehntes Drehbuch wirkte, das Grundlage für die Romane wurde. Explosionen, wilde Verfolgungsjagden – Seite um Seite wurde aufgetrumpft und es noch gewaltiger gemacht. Während die Reihe um Ackermann zwar stets spannend war, aber oftmals die Substanz fehlte, kommt Spectrum ganz anders daher. Viele Abschnitte sind komplex, keine „schnell-lesen“-Kapitel und brauchen Verständnis und Aufmerksamkeit. Ein schöner neuer Aspekt, der dem Buch den Status der „Eintagsfliege“ genommen hat.
Das Leseerlebnis bleibt aber cross-like. Die Kapitel sind kurz, knackig und eignen sich perfekt, um schnell noch eins zu lesen. Einzig und allein die verschiedenen Handlungsstränge verhindern das sofortige Einfinden in die Geschichte. Die ersten Seiten sind teilweise sehr verworren, da sowohl die Sicht der Täter, der Polizisten und anderen Charakteren, deren Erscheinen erst mit der Zeit Sinn ergibt, beschrieben werden. Doch ist diese Hürde genommen, macht das Buch wahnsinnig Spaß. Burke, Carter und Nic wachsen einem schnell ans Herz und die Geschichte hat genug Drehungen, Irrungen und Wirrungen, so dass die Auflösung lange genug im Dunkeln bleibt.

All das lässt die Vorfreude auf den zweiten Teil wachsen, etabliert Cross auch mit seiner neuen Reihe im Thrillergenre und beweist, dass er auch andere Ideen haben kann.

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