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Veröffentlicht am 11.09.2017

Sehr solide, spannende und überraschende Krimi-Unterhaltung für zwischendurch

Nun schweigst auch du
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Meine Meinung:
„Alles war möglich, doch nichts war zu beweisen, und scheinbare Fortschritte erwiesen sich in Wirklichkeit als Rückschritte.“ (S. 84)

„Nun schweigst auch Du“ ist der mittlerweile fünfte ...

Meine Meinung:
„Alles war möglich, doch nichts war zu beweisen, und scheinbare Fortschritte erwiesen sich in Wirklichkeit als Rückschritte.“ (S. 84)

„Nun schweigst auch Du“ ist der mittlerweile fünfte Band der „Jahreszeiten“-Kurzkrimi-Reihe um den Nordfriesischen Kommissar John Benthien, die zeitlich vor den Fällen der „langen“ Krimi-Reihe um diesen Protagonisten angesiedelt sind. Der Fall ist in sich abgeschlossen und auch ohne jegliche Kenntnisse der Vorgängerbände gut zu verstehen. Da es sich mit rd. 130 Seiten um einen Kurzkrimi handelt, kommt die Entwicklung der Charakteren hier natürlich ein bisschen kurz, aber das ist nun mal dem Genre geschuldet und für mich hier absolut verschmerzbar. Wenn man bereits einige der sehr empfehlenswerten Krimis um John Benthien kennt, wird man sich aber freuen, dass natürlich neben Benthien selbst wieder einige der altbekannten Charaktere mit von der Partie sind, denn er wird bei diesem Fall von seinen Kollegen Tommy Fitzen (cool wie immer!) Lilly und der Oberstaatsanwältin Thyra Kortum unterstützt.

Der Fall selbst startet ganz klassisch und bringt auf „nur“ 130 Seiten alles mit, was ein guter Krimi für meinen Geschmack braucht. Es beginnt mit dem Auffinden der Leiche von Gertrude Bense, die wie eine Glucke über ihre beiden Häuser in traumhafter Lage am Strand von Föhr und über ihren Sohn Hartmut „Hardy“ Bense geherrscht hat – und über die kaum ein Inselbewohner ein gutes Wort zu verlieren hat („stur wie ein alter Esel“). Entsprechend präsentiert sich den Ermittlern gleich eine ganze Reihe potenziell Verdächtiger, die alle ein mehr oder weniger schwerwiegendes Motiv und allesamt kein belastbares Alibi vorweisen können. Kurzum: Die perfekte Ausgangslage für einen „who-dun-it“-Krimi (eine echte Stärke der Autorin)! So haben die Ermittler um John Benthien im Folgenden auch alle Hände voll zu tun, in mühseliger Kleinarbeit Indizien zu finden und Aussagen zu überprüfen, die sich oftmals gegenseitig widersprechen und einen tiefen Einblick in die Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander zulassen. Dabei kommt es für die Ermittler wie auch für den Leser zu mehr als einer überraschenden Wendung, bis es am Ende doch noch gelingt, Licht ins Dunkel zu bringen und den Fall nachvollziehbar und für mein Empfinden gelungen aufzulösen.

Da es schwierig ist, einen vollständigen Krimiplot mit vielen Verdächtigen und einigen überraschenden Wendungen auf nur 130 Seiten unterzubringen (was ja hier eindrucksvoll gelungen ist!), bleibt neben der Charakterentwicklung auch für eine atmosphärisch dichte Beschreibung der Schauplätze eher wenig Raum. Wenn man Föhr selbst kennt, ergibt sich dennoch auch hier einiges an „Nordsee-Feeling“ – wer aber mehr Atmosphäre haben möchte, sollte zunächst zu den „Vollformat“-Krimis um John Benthien greifen, denn dort beweist Nina Ohlandt echtes Talent für atmosphärische Schauplatze und macht Lust auf den nächsten Urlaub an der See.

FAZIT:
Perfekte Krimi-Unterhaltung für zwischendurch! Für Fans der „John Benthien“-Reihe ein echtes Muss!

Veröffentlicht am 05.09.2017

Albtraumhaft, düster, klaustrophobisch, beklemmend, surreal – und wahnsinnig spannend!

Palast der Finsternis
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Meine Meinung:

Diesen Roman in eine Genre-Schublade zu stecken, ist sehr schwierig - ja eigentlich kaum möglich, da er Einflüsse aus diversen Genres mitbringt. Hier finden sich Elemente von Mystery, Drama, ...

Meine Meinung:

Diesen Roman in eine Genre-Schublade zu stecken, ist sehr schwierig - ja eigentlich kaum möglich, da er Einflüsse aus diversen Genres mitbringt. Hier finden sich Elemente von Mystery, Drama, Young Adult, Thriller und auch ein guter Schuss Horror ist mit dabei. Auf jeden Fall bringt dieses Buch eine sehr düstere, über weite Strecken extrem klaustrophobische Atmosphäre gepaart mit einem schon surreal anmutenden Setting mit. Der Ort der Haupthandlung, der mysteriöse unterirdische Palast der alten französischen Adelsfamilie Bessancourt, insgesamt, und die darin enthaltenen, sehr unterschiedlichen Zimmer und Säle haben mich in Teilen an die phantastischen Gemälde von Salvador Dali oder Max Ernst erinnert. Das Setting und die Atmosphäre gehören für mich auf jeden Fall zu den großen Stärken dieses Romans!

Auch die 17jährige Protagonistin Anouk mit ihrer Kodderschnauze und der sarkastischen Art ist sicherlich keine typische Protagonistin, aber ich mochte sie von Beginn an. Im Vergleich dazu blieben mir viele andere Charaktere ein bisschen zu blass und zweidimensional.

Die Geschichte selbst lebt von einem sich stetig steigernden Spannungsbogen, der stellenweise schon Thrillercharakter aufweist. Spätestens nach rund einem Viertel des Buches, als die kleine Gruppe um die Protagonistin Anouk in die Tiefen des Schmetterlingspalastes hinabgestiegen ist, konnte ich dieses Buch eigentlich kaum noch aus der Hand legen. Ab hier entfesselt der Autor einen wahren Albtraum für die fünf Teenager – denn von nun an bestimmen diverse Gefahren, Unwägbarkeiten, tiefe und nagende Zweifel und auch mehrerer unvorhergesehene Überraschungen das Schicksal der Teens. Als Leser bin ich den Entwicklungen und Geschehnissen in dem unterirdischen Palast atemlos und mitfiebernd gefolgt, habe mich dabei immer gefragt, wie Stefan Bachmann diese Story am Ende wohl auflösen wird. Auch wenn ich zwischendurch einige Entwicklungen vorausgeahnt habe, ist das Buch doch bis zum Schluss extrem spannend und fesselnd geblieben. Zum Finale überschlägt sich die Handlung regelrecht – es passiert wahnsinnig viel in extrem kurzer Zeit. Stefan Bachmann führt alle seine Handlungsstränge zusammen und erklärt durch die Charaktere die ganzen Hintergründe der Geschichte. Dabei läuft man als Leser aber durchaus Gefahr, sich bei den Erklärungen ein wenig zu verzetteln und den Anschluss zu verlieren. Hier hätte sich der Autor für meinen Geschmack mehr Zeit für die Erklärung der Hintergründe nehmen dürfen. Auch die Entwicklung zweier Figuren bzw. deren Background kamen für mich am Ende ein wenig zu kurz. Letztendlich ist es eine phantastische Geschichte, deren Auflösung am Ende nicht immer mit allen Mitteln der Logik nachvollziehbar ist und deren Charaktere auch mal anders handeln und reagieren, als man sich das als Leser selbst vorgestellt hätte. Dennoch ist „Palast der Finsternis“ ein extrem spannendes Buch mit einer faszinierenden wie zugleich abstoßenden Grundidee und einer stets bedrohlichen und zutiefst klaustrophobischen Grundatmosphäre. Dieses Buch hat mich an die Werke Stephen Kings (Pseudonym: Richard BACHMANN!) aus seinen besten Jahren erinnert!

Der Schreibstil des Autors hat mir extrem gut gefallen. Er vermischt Modernes mit Klassischem, ist mal flapsig („Es ist, als würde man Wellen an einem Strand beobachten oder jemanden, der nach einer Party kotzt: Es hört einfach nicht auf, und man fragt sich, wo das alles herkommt.“ S. 37) und dann wieder voller Tiefsinn und poetischer Anklänge („An der Erdoberfläche ist Stille etwas Großes, Volles. Sie lebt, pulsiert mit den Bewegungen des Himmels, der Erde und der Sterne. Hier ist die Stille verschlossen und gespannt.“ - S. 147). Sehr erfrischend zu lesen!

FAZIT:
Sie mögen Mystery und Fantastik, haben nichts gegen eine gute Portion Horror, eine klaustrophobische, albtraumhafte Grundstimmung mit absolut surrealer Atmosphäre? Dann ist der „Palast der Finsternis“ genau das richtige Buch für sie!

Veröffentlicht am 31.08.2017

Im Zeichen der Taube – ein packender Thriller mit polarisierenden Charakteren

Der Totensucher
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Meine Meinung:
Bereits der Prolog ist packend und der absolute Albtraum aller Eltern, denn der Leser erlebt die Entführung der 10jährigen Lucy mit. Der eigentliche Start in die Geschichte, der zeitlich ...

Meine Meinung:
Bereits der Prolog ist packend und der absolute Albtraum aller Eltern, denn der Leser erlebt die Entführung der 10jährigen Lucy mit. Der eigentliche Start in die Geschichte, der zeitlich zwei Jahre nach der Entführung angesetzt ist, ist aber nicht minder spannend und ein klassisches Krimi-Opening: Eine verstümmelte Leiche wird in einem alten Fabrikgebäude aufgefunden und das Team der Ermittler rückt an. Dies nutzt der Autor, um einen großen Teil seiner Charaktere vorzustellen. Zu Beginn schwirrte mir ein wenig der Kopf ob dieser vielen Namen und Figuren. Sehr schnell hat sich aber herausgeschält, welche Figuren zu den Protagonisten gehören. Allen voran ist das natürlich das sehr ungleiche Ermittlerduo aus dem Ersten Kriminalhauptkommissar Robert Bogner sowie dem Kriminalhauptkommissar Adrian Speer, die zusammen mit Oberkommissarin Tina Jeschke die neu geschaffene Mordkommission Acht bilden. Die drei haben wenig gemeinsam – und ergänzen sich so doch ganz hervorragend. Dabei polarisieren Bogner und Speer durch ihre teils privaten, teils dienstlichen Fehltritte und Alleingänge. Auch wenn dies die Figuren nicht immer sympathisch erscheinen lässt, macht es sie doch auf jeden Fall sehr authentisch und plastisch. Dank der tragischen Vorgeschichte Speers (der mittlerweile nur noch ein Schatten seiner selbst ist) um die Entführung seiner Tochter, die diesem Fall als Rahmenhandlung dient, habe ich mit Speer das ganze Buch über mitgefiebert und mitgehofft, dass er auf seiner parallelen Suche nach Lucy Erfolg haben wird.

Der eigentliche Fall um den skrupellosen Mörder ist reinster Thriller-Stoff, der punktuell auch mal schwere Kost ist. Die Ermittler sehen sich einem anscheinend hoch intelligenten, sich selbst als überlegen betrachtenden Killer gegenüber, der sein perfides Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei treibt. Dass Autor Chris Karlden einen parallelen Handlungsstrang aus Sicht des Killers mit eingebaut hat, sorgt dabei für interessante Abwechslung und ein hohes Tempo. Über weite Strecken des Buches scheint der Killer den Ermittlern immer einen Schritt voraus zu sein. Um mit ihm Schritt halten zu können, scheuen sich Bogner & Speer auch nicht, zu außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen und die internen Vorschriften zu ignorieren. Es war extrem spannend zu lesen, wie die Ermittler dabei ein Puzzlestück nach dem anderen freilegen und sich langsam ein Gesamtbild ergibt – natürlich mit einigen handfesten Überraschungen und unvorhergesehenen Wendungen. So schafft es der Autor bis kurz vor dem Ende, seine Leser perfekt zu verwirren. Ich habe selten so ein packendes, spannendes und dramatisches Finale erlebt!

FAZIT:
Ein packender und rasanter Thriller mit vielen Überraschungen und polarisierenden Protagonisten.

Veröffentlicht am 29.08.2017

Über weite Strecken fesselnd aber mit Schwächen in der Auflösung – gute 3 Sterne

Aquila
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Meine Meinung:
„AQUILA“ ist der neuste Jugend-Thriller der österreichischen Bestsellerautorin Ursula Poznanski. Die Grundidee an sich ist einfach, aber fesselnd zugleich. Die deutsche Austauschstudentin ...

Meine Meinung:
„AQUILA“ ist der neuste Jugend-Thriller der österreichischen Bestsellerautorin Ursula Poznanski. Die Grundidee an sich ist einfach, aber fesselnd zugleich. Die deutsche Austauschstudentin Nika Ruland, 19, erwacht in ihrem Zimmer der 2er-WG im italienischen Siena – ohne jegliche Erinnerung an die vergangenen zwei Tage. Sie ist eingeschlossen, ihr Handy und ihr Ausweis sind verschwunden. Auch von ihrer Mitbewohnerin Jenny fehlt jede Spur. Dazu kommt noch eine furchteinflößende Warnung auf dem Badezimmerspiegel, ein zerrissenes und blutbeflecktes Männer-T-Shirt im Bad und ein Zettel, auf dem in Nikas Handschrift mehrere kryptische Notizen gekritzelt wurden, die anscheinend keinerlei Sinn ergeben.

Von hier aus entspinnt sich eine Story, die den Leser zusammen mit der Protagonistin Nika auf eine Spurensuche durch die historische Altstadt Sienas führt, immer im Bemühen herauszufinden, was in den vergangenen zwei Tagen passiert ist – und was Nikas Mitbewohnerin Jenny passiert ist. Dabei füllt sich das große, schwarze Loch Nikas Erinnerungen nur sehr, sehr langsam und absolut Bruchstückhaft. Die ersten kleinen Puzzlestückchen, die Nika mühsam ermittelt, scheinen die Hintergründe des Ganzen eher noch mehr zu verschleiern und weitere Fragen aufzuwerfen, als zur Klärung beizutragen. Parallel hierzu nimmt die Story eine immer stärker werdende, paranoide und latent bedrohliche Grundstimmung an, die mich während des Lesens dazu veranlasst hat, an (nahezu) jedem Charakter und deren Motivationen und Absichten zu zweifeln. Diese Stimmung hat mir extrem gut gefallen und passt perfekt zu einem Thriller. Die „italienische Siena-Atmosphäre“ ist dafür über weite Strecken eher im Hintergrund geblieben (obgleich ich selbst schon mal dort war). Ich kann gar nicht genau sagen, woran das gelegen hat, denn die Autorin führt Nika durchaus an einige mehr und auch weniger bekannte Orte in Siena, wie etwa die Piazza del Campo. Vielleicht liegt es daran, dass man bei den meisten dieser Plätze aufgrund der oft schnellen Handlung eher „durchhetzt“ als verweilt. Lediglich die Szenen in der unterirdischen Kanalanlage „Bottini“ habe ich als extrem atmosphärisch und sehr gelungen empfunden. Dennoch könnte dieser Thriller auch in vielen anderen Städten spielen.

Aber das eher geringe Siena-Feeling ist nicht die Hauptschwäche dieses Thrillers. Am meisten gestört haben mich die Vorhersehbarkeit einiger wesentlichen Charaktere (hier hätte ich die ein oder andere überraschende Wendung erwartet) und am Ende auch die Auflösung der Story. Rückwirkend betrachtet erscheint mir die Auflösung viel zu konstruiert und in Teilen auch zu wenig nachvollziehbar, was die Handlungsweisen wesentlicher Figuren betrifft. Während des Lesens hat mir das Rätselraten um die kryptischen Hinweise auf Nikas Zettel sehr gut gefallen – im Nachhinein musste ich aber feststellen, dass man als Leser so gut wie keine Chance hat, selbst stichhaltige Ideen zu entwickeln, was mit den Hinweisen gemeint sein könnte. Das hat mich schon enttäuscht.

Letztendlich vergebe ich gute drei Sterne, da mich dieses Buch allen Schwächen zum Trotz über weite Strecken sehr gefesselt und spannend unterhalten hat. Bis zur Auflösung des Plots hätte ich 4-5 Sterne vergeben.

FAZIT:
Eine interessante Grundidee sowie eine fesselnde Spurensuche mit zunehmend paranoider Grundstimmung – bei leider enttäuschender Auflösung.

Veröffentlicht am 22.08.2017

Knallharte Action und Hochspannung pur – ein wahrer Pageturner

Projekt Orphan
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„Du bist Frankensteins Monster. Der gefallene Engel.“ (S. 388)

Meine Meinung:
„Projekt Orphan“ ist nach „Orphan X“ der zweite Band des US-amerikanischen Bestseller-Autors Gregg Hurwitz über den „Nowhere ...

„Du bist Frankensteins Monster. Der gefallene Engel.“ (S. 388)

Meine Meinung:
„Projekt Orphan“ ist nach „Orphan X“ der zweite Band des US-amerikanischen Bestseller-Autors Gregg Hurwitz über den „Nowhere Man“. Man muss den ersten, sehr empfehlenswerten Band aber nicht zwingend gelesen haben, da die Geschichte durch Rückblicke auch für „Neueinsteiger“ problemlos nachvollziehbar ist.

Der Start in die Geschichte ist so, wie man es bereits aus dem ersten Band kennt: Evan wird von einer in Not geratenen Jugendlichen um Hilfe gebeten – und der „Nowhere Man“ löst das Problem auf seine ihm ureigene Art: schnell, effektiv und abseits aller Gesetze. Hierbei hat man einen nahtlosen Anknüpfungspunkt an den ersten Teil, was mir einen problemlosen Einstieg in das Buch ermöglicht hat. Doch hier enden auch schon die Übereinstimmungen, denn schnell passiert etwas, was Evan in den letzten Jahrzehnten noch nicht erlebt hat: Er selbst wird zum Opfer und findet sich nahezu von einem Augenblick auf den nächsten in einer absolut ausweglos erscheinenden Situation wieder – vollkommen fremdbestimmt und einer schier unüberwindbaren Überzahl an Gegnern gegenüber. Doch einfach aufzugeben, kommt für Evan nicht in Frage…

Ungewöhnlich ist, dass der Autor seine Story diesmal fast vollständig sehr statisch an einem einzigen, allerdings extrem gelungenen und atmosphärischen Setting spielen lässt. Zunächst hatte ich meine Zweifel, ob dies über rund 400 Seiten nicht zu langweilig werden könnte – aber nein, langweilig ist es an keiner Stelle geworden. Denn bei diesem „David gegen Goliath“-Kampf muss Evan immer wieder derbe Rückschläge einstecken. So sehr er selbst auch austeilt (und das macht er viel und hart!), es scheint über weite Strecken ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Im Verlauf dieses ungleichen Kräftemessens hat der Autor dabei gleich mehrere faustsicke Überraschungen für seinen Protagonisten und seine Leser in der Hinterhand. Dies sorgt dafür, dass man als Leser ständig am Mitzittern, Mitfiebern und Mitfühlen ist – denn der sonst so straighte und taffe Smoak ist hier auf einmal der Underdog und befindet sich dabei auf einem unfreiwilligen Selbstfindungstrip. Zum Finale dieses Pageturners möchte ich nicht allzu viel verraten, vielleicht nur so viel: es ist extrem actionreich, hart und dramatisch sowie voller Tempo und mit einer Überraschung garniert, die einem wahren Paukenschlag gleicht.

Abgesehen von der sehr überzeugenden und packenden Story sind die Charaktere eine weitere große Stärke dieses Buches. Allen voran natürlich der Protagonist Evan Smoak alias „Orphan X“ oder auch „The Nowhere Man“. Er ist ein Held, wie ich ihn mag: Gradlinig, zuverlässig, bestens ausgebildet, extrem schlagkräftig, hoch gefährlich und doch mit Herz. Ein Minimalist, dessen einzige Leidenschaft sehr teure Vodkas sind. Eine moderne Version von Robin Hood, Zorro & Co., der seine gesamten Mittel und sein ganzes Können zum Wohle von in Not geratenen Personen einsetzt („Finde jemand, der mich braucht. Gib ihm meine Nummer.“). Aber auch die weiteren Charaktere sind dem Autor für meinen Geschmack sehr gut gelungen. Der Antagonist, der bisexuelle und extrem eitle René Peter Cassaroy braucht keinen Vergleich mit der Riege der „James Bond Bösewichte“ zu scheuen: Als ungeliebter Sohn einer einst reichen und einflussreichen Familie verfügt er inzwischen über fast endlos erscheinende finanzielle Mittel und ist ein kriminelles Master-Mind – nur eines scheut er wie der Teufel das Weihwasser: das Altern. Auch sein Bodyguard Dex, der Stumme Riese mit den auf den Handrücken auftätowierten „Lächeln des Grauens“ wirkt wie ein aus einem James Bond Film gefallener Oberfiesling. Arrondiert wird diese Riege des Schreckens von weiteren schillernden Charakteren wie etwa Candy McClure („Vorne Playmate, hinten Freddy Krueger“ - S. 117).

Der Schreibstil des Autors passt sehr gut sowohl zur Story als auch zu seinem Protagonisten: Sehr flüssig, präzise und eher nüchtern als blumig. Doch punktuell blitzt auch immer wieder ein oftmals rabenschwarzer Humor („Neben ihnen versuchte David verzweifelt, sich mit dem Rücken durch die Wand zu drücken.“ - S. 244) oder ein markiger Spruch auf („Natürlich hatte ich gehofft, Du hättest noch keine Objektpemanenz entwickelt.“ - S. 450), was mir persönlich sehr gut gefallen hat.

FAZIT:
Hochspannung gepaart mit teilweise harter Action und sehr markanten, schon fast überzeichneten Charakteren – ein Pageturner in „James Bond“- oder „Jason Bourne“-Manier.