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Veröffentlicht am 16.06.2024

Zauber und Entzauberung

Simón
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Als Kind träumt sich Simón aus der Bar seiner Eltern in die Welt von Dumas` Abenteuerromanen fort. Den Glanz und die Euphorie seiner Heimatstadt entdeckt er dagegen nur, wenn ihn sein älterer Cousin Rico ...

Als Kind träumt sich Simón aus der Bar seiner Eltern in die Welt von Dumas` Abenteuerromanen fort. Den Glanz und die Euphorie seiner Heimatstadt entdeckt er dagegen nur, wenn ihn sein älterer Cousin Rico zu einem durch die Straßen Barcelonas mitnimmt. Doch Rico verschwindet eines Tages spurlos, und Simón muss auf sich allein gestellt erproben, ob sich die Magie der Literatur als gutes Rüstzeug für die Herausforderungen des Erwachsenwerdens erweist.
Dieser Klappentext des Romans „Simón“ von Miqui Otero sprach mich damals richtig an. Ich liebe Bücher, in denen die Literatur eine zentrale Rolle spielt. Umso größer war die Vorfreude auf diese Erzählung. Und die ersten Kapitel haben meine Erwartungen auch voll erfüllt. Der Beginn machte richtig Spaß, war eine gelungene Hommage an die Literatur, voller Liebe zum Detail, mit einem Hauch Poesie. Die Hauptfigur Simón absolut hinreißend.
Dieses gute Gefühl beim Lesen hielt aber nicht lange an. Der Zauber verflog und die Geschichte bekam eine Art Schwere, die bis zum Ende blieb. Stellenweise war mir das Buch zu langatmig, teilweise sogar zu wirr – als hätte ich eine entscheidende Information überlesen. Doch das hatte ich nicht. Und obwohl einerseits viel passiert, hat man den Eindruck, dass der Protagonist immer nur auf einer Stelle stehenbleibt und sich nicht weiterentwickelt. Das war irgendwie zermürbend.
Eigentlich bringt es die spanische Zeitung El Mundo ganz gut auf den Punkt: „Der große Roman einer Generation und der Stadt Barcelona – versehen mit einer Prise Zauber und Entzauberung.“ Für mein Empfinden war die Prise Entzauberung dann allerdings doch etwas zu groß.

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Veröffentlicht am 08.10.2023

Als Hörbuch nicht optimal

Wenn du erzählst, erblüht die Wüste
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Dieses Buch steckt voller Geschichten. Geschichten, die ausnahmsweise mal nicht aus der Feder des Erzählkünstlers selbst stammen, sondern „nur“ von ihm bewahrt und weitergegeben werden. Das verrät er den ...

Dieses Buch steckt voller Geschichten. Geschichten, die ausnahmsweise mal nicht aus der Feder des Erzählkünstlers selbst stammen, sondern „nur“ von ihm bewahrt und weitergegeben werden. Das verrät er den Lesern bzw. Zuhörern zu Beginn des Buches. Als Vorlage diente ein handschriftliches Buch aus der Bibliothek seines Vaters in Damaskus. Eines der wenigen Werke, die den Krieg überdauert hatten, angefertigt von einem Kopisten nach einem Original von Anfang des 19. Jahrhunderts. Rafik Schami setzt mit diesem Buch die Tradition des Erzählens fort und hüllt die mehrere Jahrhunderte alten Geschichten in ein modernes Gewand.

Eingebettet ist die Fülle an Geschichten in eine einfach gestrickte Rahmenhandlung: Eine unglücklich verliebte Königstochter wendet sich nach dem Unfalltod ihrer Mutter vom Leben ab. Der König versucht mit allen Mitteln, seine Tochter aus ihrer Schwermut zu befreien, doch nichts zeigt Wirkung. Kaffeehauserzähler Karam hofft, die Königstochter durch Geschichten wieder fürs Leben begeistern zu können. Abend für Abend veranstaltet er Erzählabende, an denen die Einwohner dazu eingeladen sind, das Publikum mit ihren Geschichten zu unterhalten. Heraus kommt eine wahre Schatztruhe an orientalischen Geschichten, die bereits Generationen überdauern. Eine Huldigung an die Tradition des Erzählens. Das ist wunderschön und berührend – und doch hatte ich beim Hören des Hörbuchs so meine Probleme. Bei dieser Fülle an Geschichten – noch dazu ähneln sich viele Geschichten stark – passierte es im Verlauf des Buches immer häufiger, dass ich mich nicht mehr auf das Gesagte konzentrieren konnte. Noch dazu rückte die Rahmenhandlung immer weiter in den Hintergrund. So erfuhr man z.B. so gut wie nie, wie der traurigen Prinzessin die Geschichten gefielen. Kurz gesagt, ich fühlte mich beim Zuhören nach einiger Zeit etwas verloren und hatte nicht mehr so viel Spaß wie am Anfang.

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Veröffentlicht am 08.09.2022

Nähe und Distanz

Intimitäten
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„Zwischen einzelnen Wörtern, zwischen zwei oder mehr Sprachen konnten sich ohne Vorwarnung Abgründe auftun.“

Intimitäten. Für mich ein Werk voller (gewollter) Widersprüche, die sich im gesamten Spektrum ...

„Zwischen einzelnen Wörtern, zwischen zwei oder mehr Sprachen konnten sich ohne Vorwarnung Abgründe auftun.“

Intimitäten. Für mich ein Werk voller (gewollter) Widersprüche, die sich im gesamten Spektrum zwischen Nähe und Distanz, Intimität und Fremdheit bewegen. Da hätten wir z.B. die Arbeit der weiblichen Hauptfigur. Als Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof kommt sie den Personen, für die sie übersetzt, auf eine sehr außergewöhnliche Weise sehr nah. Oft flüstert sie ihnen sogar direkt ins Ohr. Trotz dieser Nähe bleibt auf allen anderen Ebenen eine große Distanz zu diesen Personen. Und während sie sich auf das gerade Gesagte konzentriert und es übersetzt, verliert sie sich in dessen Details und kann diese nicht mehr ins große Ganze einordnen, sodass sie am Ende oft nicht einmal wiederholen könnte, was eigentlich gesagt wurde.

Ein Widerspruch findet sich auch in der Hauptfigur an sich. Wir begleiten sie ein paar Monate in ihrem Leben und doch lernen wir sie nicht wirklich kennen. Wir erfahren, was sie denkt, bleiben aber auf Distanz. Auch der Freund und der Freundeskreis waren für mich nicht wirklich greifbar, hinterließen teilweise sogar eher ein ungutes Gefühl. Wie intensiv diese Beziehungen sind, musste ich oft nur erahnen.

Umso länger ich über die 220-Seiten-Werk nachdenke, umso mehr zielgerichtet platzierte Widersprüche fallen mir noch ein. Das ist wirklich sehr raffiniert umgesetzt, birgt aber auch die Gefahr, dass man beim nicht ganz so aufmerksamen Lesen, viele dieser Gegensätze gar nicht wahrnimmt.

Nachhaltig beeindruckt haben mich bei diesem Buch aber vor allem die vielen Schilderungen zur Arbeit eines/er Dolmetscherin, auch wenn diese teilweise sehr sachlich wiedergegeben werden. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wie intim der Prozess des Übersetzens ist. Nicht nur, weil es ja bestimmten Personen vorbehalten ist und alle anderen ausschließt, sondern auch, weil der/die Dolmetscherin alle Nuancen des ursprünglich Gesagten mit in die Übersetzung einfließen lassen muss. Das heißt: Gefühle, Stimmfarbe, Stottern, Pausen, die Auswahl bestimmter Begriffe und Redewendungen… Und das alles nahezu ohne Zeitverlust. Wie wahr das oben genannte Zitat ist und wie komplex und vielschichtig Sprache ist, wird hier besonders deutlich.

Nichtsdestotrotz konnte das Buch meine Erwartungen, die ich aufgrund des Klappentextes hatte, nicht umfänglich erfüllen. Die Kurzbeschreibung des Buches ist nicht falsch, trifft aber meiner Meinung nach den Kern des Buches nicht so wirklich. Dafür dominiert auf vielen unterschiedlichen Ebenen im Buch dann doch zu sehr die Distanz, überwiegt das Ungesagte, bleiben Fragen offen. Die Tiefe und das Zwischenmenschliche rücken in den Hintergrund.

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Schicksalhafte Begegnung

Reise mit zwei Unbekannten
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Die neunzigjährige energische Maxine ist aus dem Seniorenheim ausgebüxt, um ihr Ableben selbstbestimmt zu regeln. Der schüchterne und an einer Depression erkrankte Student Alex flüchtet vor seinem eigenen ...

Die neunzigjährige energische Maxine ist aus dem Seniorenheim ausgebüxt, um ihr Ableben selbstbestimmt zu regeln. Der schüchterne und an einer Depression erkrankte Student Alex flüchtet vor seinem eigenen Leben. Ein Mitfahrportal führt beide zusammen, und in Alex' uraltem Twingo brechen sie zu einer Fahrt durch Frankreich nach Brüssel auf. Schon bald vertrauen sie einander Gedanken an, die sie niemals zuvor preisgegeben haben und stellen sich gegenseitig vor immer neue Herausforderungen. Während das Duo von der Polizei gesucht wird und die Öffentlichkeit glaubt, dass Maxine von Alex entführt wurde, erfahren sie auf ihrem Roadtrip, was das Leben ihnen noch alles zu bieten hat.

Zoe Brisby hat mit „Reise mit zwei Unbekannten“ einen kurzweiligen Roman erschaffen, der neben Humor auch eine große Portion Tiefe und stellenweise sogar Sozialkritik im Gepäck hat. Für mich war die Geschichte aber auch an einigen Punkten zu überzogen und zu vollgepackt, an anderen Stellen dann fast schon wieder ein bisschen zu oberflächlich. Doch die Grundidee des Romans finde ich großartig. Manchmal braucht es nur einen neuen Menschen, eine neue Sichtweise, einen neuen Impuls im Leben, um scheinbar vorbestimmte, vielleicht sogar aussichtslose Wege zu verlassen und eine neue Richtung einzuschlagen. Manche Begegnungen sind Schicksal, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommen.

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Veröffentlicht am 29.03.2022

Zu einseitig

Geschichte einer großen Liebe
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„Geschichte einer großen Liebe“ ist mein erster Roman von Susanna Tamaro. Die Bestsellerautorin ist besonders bekannt für ihren poetischen Schreibstil. Und auch in ihrem neuesten Werk enttäuscht sie hinsichtlich ...

„Geschichte einer großen Liebe“ ist mein erster Roman von Susanna Tamaro. Die Bestsellerautorin ist besonders bekannt für ihren poetischen Schreibstil. Und auch in ihrem neuesten Werk enttäuscht sie hinsichtlich dieses Punktes nicht. Dadurch bekommt die Story, die Überwiegend in Rückblicken erzählt wird, einen ganz besonders melancholischen Touch. Allerdings ist mir der Blickwinkel der Erzählfigur alles in allem häufig zu einseitig, zu rosa-rot. Keine Frage, das Buch ist emotional – dennoch fehlt mir die Tiefe, die thematische Auseinandersetzung, eine andere Sichtweise. Wirklich eingetaucht in die Story bin ich leider nicht und auch mit den Figuren bin ich nicht richtig warm geworden. Das lag unter anderem aber auch daran, dass der Leser zu Beginn des Buches rätselt, wer denn die Geschichte erzählt. Und ich empfand diese große Liebesgeschichte insgesamt als eher unausgewogen und einseitig. Das wiederum kann aber auch an der Erzählform liegen.

Die Story nimmt so ihren Lauf – allerdings ohne wirkliche Spannungspunkte. Denn über allen Aufs und Abs im Leben des Protagonistenpaares liegt im Rückblick betrachtet ein Schleier der Melancholie und des Verlustes. Andrea ist gefangen in seiner Vergangenheit und kämpft sich Stück für Stück wieder in die Gegenwart zurück. Edith, seine Frau und große Liebe, wird für mich das ganze Buch über nicht richtig greifbar. Wer ist diese – anscheinend oftmals sehr widersprüchliche und zweifelnde – Frau? Ihre Sichtweise und Gedanken fehlen mir an einigen Stellen – scheinen sie doch oftmals völlig im Gegensatz zu Andreas‘ zu stehen.

Ich habe beim Lesen manchmal etwas mit mir ringen müssen. Einerseits wollte ich wissen, wie die Geschichte weitergeht und endet. Andererseits packte sie mich nicht so richtig. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, ein paar Seiten vorzublättern, um schneller ans Ziel zu kommen. Keine Angst, ich habe es nicht getan, aber es fiel mir nicht leicht.

Und betrachte ich alle Aufs und Abs, bekommt das Buch von mir 3,5 Sterne.

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