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Veröffentlicht am 10.11.2020

Historie trifft Moderne

Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
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Seit etlichen Jahren verbucht Ben Aaronovitch viel Erfolg mit seiner Serie um mysteriöse (Mord-)Fälle in London und den magisch begabten Polizisten Peter Grant.
In seinem neuen Roman greift der Autor ...

Seit etlichen Jahren verbucht Ben Aaronovitch viel Erfolg mit seiner Serie um mysteriöse (Mord-)Fälle in London und den magisch begabten Polizisten Peter Grant.
In seinem neuen Roman greift der Autor die Idee einer „Analytical Engine“ auf, die Ada Lovelace bereits im 19. Jahrhundert entwickelte, und lässt im modernen Computerzeitalter zwielichtige Gestalten damit experimentieren. Grant, diesmal als Undercoveragent bei der Serious Cybernetics Corporation tätig, ermittelt auf seine gewohnt saloppe Art. Aber seine Gegner sind nicht zu unterschätzen…
Wie schon in den früheren Büchern kommen wir auch in seinem neuen Kriminalroman in den Genuss von Aaronovitchs trockenem, recht schwarzen Humor, mit dem er seine Geschichten würzt. Der locker geschriebene Mix aus Krimi, Magie und Zeitgeschichte ist nicht so ohne weiteres in eine Schublade einzuordnen; auf der einen Seite erzeugt der Autor viel Spannung, auf der anderen Seite lässt er ebenso viel Ironie und Spitzen einfließen. Und während wir Leser dem sympathischen Protagonisten bei seinen Ermittlungen folgen, bleiben uns am Ende doch noch ein paar offene Fragen zum Spekulieren, denn wir „...wären überrascht, wie oft die Polizei einen Fall nicht bis in die letzten Details lösen kann.“
Ein echtes Lesevergnügen!

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Was bleibt?

Was dir bleibt
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Das Leben auf Rädern spielte einst eine wichtige Rolle in Gladys´ Leben, und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie gegen Ende ihres Daseins noch einmal eine Eisenbahnreise macht - allerdings, ...

Das Leben auf Rädern spielte einst eine wichtige Rolle in Gladys´ Leben, und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie gegen Ende ihres Daseins noch einmal eine Eisenbahnreise macht - allerdings, ohne sich von ihren Freunden und Bekannten zu verabschieden. Ein Rätsel für die Zurückgebliebenen: Will Gladys ihre einzigartige Kindheit noch einmal nachvollziehen? Oder ist sie auf der Suche nach etwas völlig anderem?
Bedächtig, ohne Eile gestaltet die kanadische Schriftstellerin Jocelyn Saucier ihren Roman um die 76 Jahre alte Gladys Comeau, die völlig unerwartet ihr bisheriges Leben ebenso wie ihre lebensuntüchtige Tochter hinter sich lässt.
Die Autorin wählt eine (zunächst) unbeteiligte Person, einen Lehrer, der die Vorgänge nüchtern recherchiert und seine Erkenntnisse in ruhigem, um Sachlichkeit bemühten Ton dem Leser vorträgt. Geschickt vermeidet sie so jegliche Sentimentalität, die sich ansonsten in ihre Erzählung einschleichen könnte. Einzig aus seinem Blickwinkel lesen wir den Bericht, der im Verlauf seiner Ermittlungen etwas an Distanz verliert. Sauciers schöner, bildreicher Schreibstil macht das Lesen zu einem Vergnügen und lässt die eigentliche Thematik des Romans, die Frage nach dem "Was dir bleibt", beinahe vergessen. Eine schlüssige Antwort hierauf gibt Saucier nicht, die muss jeder Leser für sich selbst finden; denn vermutlich lautet sie für jeden Menschen etwas anders.


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Veröffentlicht am 15.10.2020

Ein außerordentlich erfolgreiches Debüt ...

Meine Schwester, die Serienmörderin
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… ist Oyinkan Braithwaites "Meine Schwester, die Serienmörderin": ihr erster Roman hat bereits den britischen Preis „Crime & Thriller Book of the Year“ 2020 gewonnen.
Für ihren Erstling hat die Autorin ...

… ist Oyinkan Braithwaites "Meine Schwester, die Serienmörderin": ihr erster Roman hat bereits den britischen Preis „Crime & Thriller Book of the Year“ 2020 gewonnen.
Für ihren Erstling hat die Autorin ein Thema aus dem Kriminalgenre gewählt. Es geht um zwei sehr unterschiedliche Schwestern. Die ältere, Korede, ist Krankenschwester von Beruf, zwar nicht hübsch, aber äußerst verantwortungsbewusst; die jüngere Ayoola ist eine Schönheit, die jedoch keine Empathie zu haben scheint. Ihr ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und der Beschützerinstinkt ihrer Schwester gegenüber zwingen Korede, Dinge zu tun, die ihr Gewissen belasten. Ihr kommt zwar der Gedanke, aus diesem Muster auszubrechen, doch letztendlich erweist sich, dass „Blut dicker als Wasser“ ist.
Braithwaites Roman dreht sich jedoch nicht nur um Bluttaten und deren Verschleierung. In sehr unterhaltsamer Weise webt sie soziale Aspekte ein, wie sie in der nigerianischen Gesellschaftsstruktur zu finden sind. In sachlicher, schnörkelloser Sprache deutet sie immer wieder an, aus welchem Grund die so verschiedenen Schwestern bei aller Rivalität solidarisch sind. Sarkastisch nimmt sie das Patriarchat aufs Korn. Auch zwischen den Zeilen findet der aufmerksame Leser Hinweise, die Charakter und Handlungsweise der Schwestern erklären können. Insgesamt bietet ihr Roman einen unterhaltsamen Mix aus Krimi und Familienroman, mit Anklängen an eine Liebesgeschichte und etlichen überraschenden Wendungen.

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Veröffentlicht am 13.10.2020

Zeitlos

Der Krieg der Armen
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Das Leben und Wirken Thomas Müntzers, der die Bauernaufstände zu Beginn des 16. Jahrhunderts angeführt hat, ist Thema in Vuillards neuem Buch. Doch lediglich als Biografie hat der Autor seine Novelle nicht ...

Das Leben und Wirken Thomas Müntzers, der die Bauernaufstände zu Beginn des 16. Jahrhunderts angeführt hat, ist Thema in Vuillards neuem Buch. Doch lediglich als Biografie hat der Autor seine Novelle nicht geplant; denn der Lebensweg Müntzers wird nur flüchtig und äußerst knapp dargestellt. Viel wesentlicher ist der soziale Aspekt, Müntzers Aufruf an seine Landsleute, sich gegen die Unterdrückung und Ausbeutung durch die weltlichen und kirchlichen Machthaber zur Wehr zu setzen.
Vuillards extrem kurze Novelle schildert auf nur 64 Seiten die Fakten und Müntzers Anliegen. Allerdings ist sie nicht so einfach „herunter" zu lesen; der Autor wählt einen knappen Schreibstil, seine Sprache wechselt zwischen altertümlich und modern. Immer wieder bezieht er sich auf historische Ereignisse und Namen, die man als Leser seines Buches kennen sollte.
Müntzer war beileibe nicht der erste, der gegen die Willkür von Reichen und Mächtigen predigte und zum Widerstand gegen die Obrigkeit aufrief. So erzählt Vuillard in aller Kürze von seinen Vorgängern in anderen Ländern, etwa John Wyclif in England und Johannes Hus in Prag. Und es gibt moderne Nachfolger, die zwar keine Aufstände geführt, aber ihre revolutionären sozialen Ideen in Schriften festgehalten und veröffentlicht haben: Namen wie Marx, Bloch oder Nietzsche, die Vuillard in seine Erzählung einflicht, holen den Leser immer wieder in die Gegenwart zurück und lassen ihn über die heutigen Verhältnisse nachdenken. Wie ist Besitz in unserem Zeitalter verteilt? Wie stehen wir zu den Ungerechtigkeiten und der tiefen Kluft zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht?


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Veröffentlicht am 09.10.2020

Politik, Liebe, Tod

Die rechtschaffenen Mörder
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„Im Antiquariat Paulini … erlebte ich, was Hingabe an die Literatur bedeutete.“
Aus dem Blickwinkel des jungen Schultze, der seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, erfolgreich in die Tat umsetzt, nehmen ...

„Im Antiquariat Paulini … erlebte ich, was Hingabe an die Literatur bedeutete.“
Aus dem Blickwinkel des jungen Schultze, der seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, erfolgreich in die Tat umsetzt, nehmen wir an dem Leben des Dresdner Antiquars Norbert Paulini teil. Der junge Paulini wächst in der DDR auf, buchstäblich zwischen den zahlreichen Büchern seiner Mutter, die zu Lebzeiten ein kleines Antiquariat führte. Paulini setzt diese Tradition fort, weitet sein Angebot auf Autorentreffen und -lesungen aus und muss sich gegen vielerlei Hindernisse behaupten. Als schließlich die Wiedervereinigung stattfindet, fühlt er sich von einigen seiner Autorenfreunde verraten: sie ziehen in den Westen und machen in der BRD Karriere.
In seinem gehobenen, aber gut und flüssig lesbaren Stil schildert Schulze, wie nach und nach Paulinis rechte Gesinnung und die seines Sohnes Julian sichtbarer und zunehmend radikaler werden. Er lässt zwar autobiografische Details in seinen Roman einfließen, ist jedoch nicht mit dem Ich des Erzählers identisch. Politik, eine verwickelte Liebesgeschichte und schließlich sogar krimihafte Details werden von Schulze zu einem vielschichtigen Roman verabeitet, der wirklich lesenswert ist.

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