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Veröffentlicht am 09.03.2020

Intensives Leseerlebnis

Dankbarkeiten
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Es passiert ohne Ankündigung. Michèle Seld, eine „alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens“, kann nicht mehr selbständig in ihrer Wohnung leben und bezieht ein Zimmer im Altenheim. Zum Glück ist ...

Es passiert ohne Ankündigung. Michèle Seld, eine „alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens“, kann nicht mehr selbständig in ihrer Wohnung leben und bezieht ein Zimmer im Altenheim. Zum Glück ist da Marie, die ihr zur Seite steht und sie regelmäßig besucht. Doch Michka wird immer unsicherer, es fällt ihr zunehmend schwerer, sich auszudrücken, die Wörter „flüchten“, sie werden verwechselt oder fehlen ganz. Von den Übungen des engagierten Logopäden Jérôme, die ihre Aphasie so lange wie möglich aufhalten sollen, ist Michka nicht immer angetan, doch sie fasst Vertrauen zu dem jungen Mann und verrät ihm ihren Herzenswunsch: sie möchte das junge Ehepaar, das sie als Kind vor Verfolgung gerettet hat, finden und ihm dafür danken, wozu sie bis jetzt keine Gelegenheit hatte. Und Jérôme hat eine Idee…
Sehr ruhig und behutsam erzählt Delphine de Vigan die Geschichte eines langsamen, aber unaufhaltsamen Abschiednehmens. Voll Empathie schildert sie die Beziehungen, die zwischen Michka und den jungen Leuten Marie und Jérôme entstanden sind. Viel Verständnis und warmherziges Zugewandtsein bestimmt ihr Verhältnis - dabei spielt nicht nur Maries Dankbarkeit Michka gegenüber eine Rolle, die ihr während ihrer problematischen Kindheit die Liebe und Fürsorge hat zukommen lassen, die sie brauchte. Das Thema, Michkas Lebensretter Nicole und Henri endlich zu finden und ihnen für ihre Selbstlosigkeit danken zu können, ehe es für sie zu spät ist, zieht sich durch den ganzen Roman.
„Dankbarkeiten“ ist ein Roman der leisen Töne, dennoch ausdrucksstark und intensiv, der lange nachklingt.

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Veröffentlicht am 30.01.2020

Ein "E-Mail-Roman"

An Nachteule von Sternhai
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Hier ist ein Jugendbuch, das ganz dem Trend unserer Zeit angepasst ist: ausschließlich in Form von E-Mails, SMS bzw. auch herkömmlichen Briefen erzählen zwei Autorinnen die Geschichte von der Entstehung ...

Hier ist ein Jugendbuch, das ganz dem Trend unserer Zeit angepasst ist: ausschließlich in Form von E-Mails, SMS bzw. auch herkömmlichen Briefen erzählen zwei Autorinnen die Geschichte von der Entstehung einer tiefen Freundschaft. Avery Bloom und Bett Devlin leben Tausende von Kilometern voneinander entfernt - die eine in New York, die andere in Kalifornien - und sind zufrieden mit ihren alleinerziehenden Vätern und ihrem Leben, so wie es ist. Doch als sich ihre Väter eines Tages begegnen und beschließen, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, wollen ihre Töchter das nicht akzeptieren. Um ihre Heiratspläne zu verhindern, treten sie in einen intensiven E-Mail-Kontakt und treffen sich sogar in einem Feriencamp. Nach und nach bröckelt die Distanziertheit der Mädchen, ihr Vertrauen zueinander wächst. Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes…
Neben den Themen Freundschaft und Zusammenhalt stellen die Autorinnen Meg Wolitzer und Holly Goldberg Sloan vor allem den Aspekt von Toleranz und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt ihres Romans; Rassengleichheit und Homosexualität sind als ganz selbstverständliche Aspekte der Gesellschaft in die Geschichte integriert. Mit der Form des Briefromans oder besser gesagt „E-Mail-Romans“ und ihrem der jugendlichen Ausdrucksweise entsprechenden Schreibstil wecken sie gezielt das Interesse junger Menschen, für die digitale Textnachrichten selbstverständlich sind. Jeder Charakter kann so seine Perspektive verständlich machen. Flott geschrieben, mit etlichen unerwarteten Wendungen im Geschehen, sorgt die Geschichte für sehr unterhaltsame Lesestunden.

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Veröffentlicht am 26.01.2020

Wer wehret dem, der seine Verbrechen mit Stärke verbindet …

1794
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… wird Isak Reinhold Blom zitiert, der in Natt och Dags Roman Polizeisekretär und Freizeitdichter in einer Person darstellt. Intrigen, Macht und Geld sind tatsächlich Hauptthemen des Buches, in dem der ...

… wird Isak Reinhold Blom zitiert, der in Natt och Dags Roman Polizeisekretär und Freizeitdichter in einer Person darstellt. Intrigen, Macht und Geld sind tatsächlich Hauptthemen des Buches, in dem der Kriegsveteran und Häscher Jean Michael Cardell (wie schon im Vorgängerroman "1793") eine Hauptrolle spielt. Auch einigen anderen „alten Bekannten“ aus Natt och Dags erstem Kriminalroman begegnen wir wieder. Vor dem Hintergrund der düsteren Realität eines Stockholm gegen Ende des 18. Jahrhunderts konstruiert Natt och Dag äußerst plastisch eine teuflische Intrige, deren Opfer Erik, ein sehr junger, unerfahrener Mann ist. Der Autor konfrontiert den Leser ungeschönt mit den sozialen Missständen und brutalen Methoden jener Zeit und schildert den Verlauf der Geschichte aus der jeweiligen Sicht seiner Hauptcharaktere. So erfahren wir auch einiges aus dunklen Zeiten der tropischen Insel St. Barthelemi, einer schwedischen Kolonie, die ihren Wohlstand in erster Linie dem Sklavenhandel verdankt. Überhaupt flicht der Autor immer wieder diverse Details aus der schwedischen Historie ein, überaus bildstark, jedoch ganz nebenbei, ohne dass der Leser das Gefühl hat, belehrt zu werden.
Packend geschrieben, atmosphärisch echt, spricht "1794" vor allem die etwas härter gesottenen Krimifans an. Zwar ist die Geschichte ohne weiteres zu verstehen, auch ohne den Vorgängerroman zu kennen - doch wer bereits "1793" kennt, ist, was etliche Feinheiten betrifft, deutlich im Vorteil.

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Veröffentlicht am 14.01.2020

Letzte Zeitzeugen

Seht zu, wie ihr zurechtkommt
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Eines Tages steht vermutlich jeder vor der schweren Entscheidung: wie werden meine alten Eltern am besten versorgt, wenn sie nicht mehr allein in ihrem bisherigen Zuhause leben können? Sebastin Schoepp, ...

Eines Tages steht vermutlich jeder vor der schweren Entscheidung: wie werden meine alten Eltern am besten versorgt, wenn sie nicht mehr allein in ihrem bisherigen Zuhause leben können? Sebastin Schoepp, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, muss diese Frage klären, als er gerade im Begriff ist, die Karriereleiter emporzusteigen und als Korrespondent nach Südamerika zu ziehen. Schweren Herzens entschließt er sich, zu verzichten und stattdessen die Pflege seiner Eltern zu organisieren, zunächst in ihrem eigenen Haus, später im Heim. Bürokratie, fehlende Pflegekräfte, die Suche nach einem geeigneten Heim - sehr anschaulich beschreibt er seine „Odyssee durchs Gesundheitssystem“, die jeder durchaus so nachvollziehen kann, der sich schon einmal in einer solchen Lage befunden hat.
Doch nicht allein die Sorge um die Pflege von Vater und Mutter und das Wissen um den nahen endgültigen Abschied treibt Schoepp um. Erst jetzt wird ihm eine gewisse gefühlsmäßige Distanz zu seinen Eltern richtig bewußt. Woher kommt sie? Die Eltern haben nie viel von ihrer Vergangenheit erzählt, und so versucht Schoepp nun, in vorsichtigen Gesprächen und aus alten Dokumenten und Briefen, die er auf dem Dachboden des Elternhauses entdeckt, mehr über ihre Kindheit und Jugend zu erfahren. Seine Recherchen bleiben lückenhaft. Dazu kommen Überlegungen, ob und inwieweit er das Recht dazu habe, mit seinen Fragen schlimme Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft auszulösen, während sie vermutlich ihre Erfahrungen jener Zeit verdrängen wollten. Immerhin gehören seine Eltern zu den letzten Zeitzeugen. Welche „Altlasten“ hat er als Sohn zu tragen?
Auf eine ansprechende, sehr direkte Art widmet sich Schoepp gleich zwei komplexen Themen, die jedes für sich Gewicht haben. Ein umfangreiches Register gibt weitere Literatur-Empfehlungen für Leser, die sich darüber hinaus informieren möchten.

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Veröffentlicht am 10.01.2020

Hommage an Charles Dickens

Golden Darkness. Stadt aus Licht & Schatten
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Es ist ganz offensichtlich, dass Brennans Jugendroman ein berühmtes Vorbild hat, nämlich Charles Dickens´ „Eine Geschichte zweier Städte“. Wie die Schriftstellerin auch selbst anmerkt, basiert ihr Konzept ...

Es ist ganz offensichtlich, dass Brennans Jugendroman ein berühmtes Vorbild hat, nämlich Charles Dickens´ „Eine Geschichte zweier Städte“. Wie die Schriftstellerin auch selbst anmerkt, basiert ihr Konzept auf diesem Klassiker. Den Namen der Protagonistin und deren Herkunft hat Brennan direkt übernommen: Lucie Manette, Tochter eines Arztes, der aus seiner Stadt flüchten musste, wird hier allerdings zu einer jungen Frau, die über magische Fähigkeiten verfügt. Lucie zieht mit ihrem Vater aus der Dunkelstadt Brooklyn, der Heimat der armen, unterprivilegierten Bevölkerung und der Dunklen Zauberer, in die Lichtstadt Manhattan, in der die Reichen und Mächtigen leben und die Lichtmagier. Da sie mit Ethan, dem Sohn eines der regierenden Mitglieder des Lichtrates, liiert ist, scheint ihr Leben zunächst sorglos. Doch als Ethan eines Tages als Verräter denunziert wird, beginnt für sie ein Albtraum. Die lange unterdrückten Bewohner der Dunkelstadt drängen ins Licht, eine Revolution bricht aus.
Die Schrecknisse der revolutionären Ereignisse lässt Sarah Rees Brennan in der (geteilten) Stadt New York geschehen, in einem verarmten dunklen Brooklyn und einem reichen hellen Manhattan. Recht eindrücklich schildert sie die Auswüchse von Hass und Gewalt, zu der Menschen fähig sein können. Die junge irische Autorin erzählt auf packende Weise aus Lucies Sicht und versteht es, den Leser mitzureißen in den Strom der Ereignisse, die das Leben ihrer Protagonistin auf den Kopf stellen. Wer Dickens´ Klassiker gelesen hat, wird viele der Handlungsstränge wiedererkennen, die Brennan zwar als Idee übernommen, aber „verfremdet“ und mit fantasievollen Zusätzen ausgestattet hat. Ihr Roman ist zeitlos. Sie hat ihn – im Gegensatz zu Dickens - in keine bestimmte Zeit gesetzt; eine solch düstere Szenerie ist immer möglich. Und er enthält eine Mahnung: „Die Leute finden immer tausend Gründe dafür, anderen die Menschenwürde abzusprechen, aber darauf darf man nicht hören.“

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