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Veröffentlicht am 24.01.2021

„So tagträume ich mich zurück..."

Vati
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Ebenso schemenhaft und unvollkommen wie Träume gestaltet sich Monika Helfers Roman über ihren Vater. Aus zahlreichen Bildern und Erinnerungsstücken setzt Monika Helfer das Bild ihres Vaters aus ihrem Gedächtnis ...

Ebenso schemenhaft und unvollkommen wie Träume gestaltet sich Monika Helfers Roman über ihren Vater. Aus zahlreichen Bildern und Erinnerungsstücken setzt Monika Helfer das Bild ihres Vaters aus ihrem Gedächtnis zusammen. So sehr sie sich bemüht, es bleibt leicht unscharf, selbst wenn sie so manche Lücke mit ihren eigenen Vorstellungen zu füllen versucht. Auch sind sie und ihre Schwestern bei gemeinsamen Erinnerungen nicht immer einer Meinung; jede hat so manche Episode in einem anderen Licht gesehen: „Ich versuche mich zu erinnern, das muss genügen.“ Doch ist es gerade diese Unschärfe, die Helfers Buch so sympathisch und ihren Versuch, das Wesen ihres Vaters zu erfassen, glaubhaft macht.
Zu Lebzeiten war „Vati" für Monika und ihre Geschwister schwer zu verstehen. Als Kriegsversehrter mit einem amputierten Bein betreibt er mit seiner Frau Grete ein Erholungsheim in den Vorarlberger Alpen. Seine Liebe gilt seiner Frau und den Büchern; seinen Kindern gegenüber scheint er zwar pflichtbewusst, aber recht distanziert zu sein. Nach Gretes frühem Tod zieht er sich längere Zeit völlig zurück - auch von seinen Kindern. Er war schon immer schweigsam, und auch nach seiner zweiten Heirat bleibt er ein stiller, in sich gekehrter Mann, der wenig von seinen Gedanken und Gefühlen preisgibt.
Auch dieser autobiographische Roman, in dem Monika Helfer Leben und Persönlichkeit ihres Vater nachspürt, besticht durch den schlichten, unprätentiösen Stil der Autorin, der schon in ihrem Buch "Die Bagage" so gut zu den geschilderten Personen passte und ihrer Geschichte Authentizität und Nachdruck verleiht.

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Veröffentlicht am 14.01.2021

Eine "neue Rasse"

Gott ist nicht schüchtern
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Dieser Roman lädt absolut nicht zum Entspannen ein, im Gegenteil. Mit der sehr persönlichen Geschichte dreier Flüchtlinge aus Syrien trifft Olga Grjasnowa einen Nerv; denn Situationen, in denen Menschen ...

Dieser Roman lädt absolut nicht zum Entspannen ein, im Gegenteil. Mit der sehr persönlichen Geschichte dreier Flüchtlinge aus Syrien trifft Olga Grjasnowa einen Nerv; denn Situationen, in denen Menschen um ihr Leben fürchten und fliehen müssen, bestehen (leider) in vielen Ländern.
Aber Grjasnowas Buch erzählt mehr als die Flucht von Menschen, die sich in ihrem Land politisch engagieren und dafür Repressalien, Haft und sogar denTod fürchten müssen. Es beschäftigt sich mit den Hintergründen, den Motivationen zum Verlassen des eigenen Landes. Da ist Hammoudi, dem in Paris eine vielversprechende Karriere als Chirurg offensteht. Doch ihm wird bei seiner Besuchsreise in die Heimat die Verlängerung seines Reisepasses verweigert. Gezwungen, in Syrien zu bleiben, engagiert er sich schon bald für verletzte Widerstandskämpfer und zivile Opfer des Terrorregimes Assads. Er gerät ins Visier der regierungstreuen Truppen und muss um sein Leben fürchten. Auch Amal, die bislang ein finanziell abgesichertes Leben führte, drohen wegen ihrer Beteiligung an Demonstrationen Haft und Folter. Und doch wägt sie lange ab, bis sie sich zur Flucht entschließt.
Sehr bildhaft schildert die Autorin die Situation ihrer beiden Hauptfiguren, die sich allerdings erst viel später - bereits im Exil - kurz begegnen. Sie berichtet nüchtern, aber eindrucksvoll von den waghalsigen Fluchtmanövern, in die Türkei, über das Mittelmeer weiter zum europäischen Festland - ein Thema, das bestimmt nicht erfreulich ist, das man aber nicht verdrängen darf. Und schließlich ihr Ankommen in Deutschland. „Ankommen" jedoch nur im physischen Sinn; denn sehr schnell wird ihnen klar, dass sie hier nicht dazugehören: "Die Welt hat eine neue Rasse erfunden, die der Flüchtlinge…“.

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Veröffentlicht am 28.12.2020

Humorvoller Kontrapunkt

Gans ohne Lametta
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Bereits die offensive Gans auf dem Cover zeigt, was den Leser in diesem kleinen Büchlein erwartet: zu besinnlicher Weihnachtsstimmung gesellt sich eine gehörige Portion Ironie. Fünfzehn kurze Geschichten ...

Bereits die offensive Gans auf dem Cover zeigt, was den Leser in diesem kleinen Büchlein erwartet: zu besinnlicher Weihnachtsstimmung gesellt sich eine gehörige Portion Ironie. Fünfzehn kurze Geschichten befreien das Thema Weihnachten von seiner Verklärung und erzählen nüchtern, aber humorvoll von normalen und speziellen festlichen Episoden. Bekannte Größen, vom Klassiker Peter Hacks bis zu akuellen Autoren wie Marc-Uwe Kling, bilden einen humorvollen Kontrapunkt zum weihnachtlichen Pathos, ohne uns jedoch die (Weihnachts-)Stimmung zu verderben. Sie lassen uns eher ein wenig nachdenklich und skeptisch werden gegenüber Konsum und Glitzerhype.
Geschmückt mit vielen humorvollen Illustrationen ist das Büchlein ein schönes Geschenk für Menschen, die das Weihnachtsfest einmal „Gans ohne Lametta" erleben möchten - und für uns selbst!

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Veröffentlicht am 19.12.2020

Un-Ruhestand

Die Alten Knacker. Band 5
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Im Januar 2019 erschien der fünfte Band der "Alten Knacker" im Splitterverlag. Wilfrid Lupano widmet sich hier einem ganz aktuellen Thema, nämlich der Flüchtlingspolitik.
Die alten Knacker sind eine Gruppe ...

Im Januar 2019 erschien der fünfte Band der "Alten Knacker" im Splitterverlag. Wilfrid Lupano widmet sich hier einem ganz aktuellen Thema, nämlich der Flüchtlingspolitik.
Die alten Knacker sind eine Gruppe von Rentnern, die sich zur „Insel der Freibeuter“ zusammengetan haben, um sich politisch zu engagieren. In diesem Fall demonstrieren sie gegen schlechte Behandlung und Abschiebung von Flüchtlingen; aber sie helfen auch ganz praktisch, indem sie Familien ein Dach über dem Kopf verschaffen und sie versorgen. Natürlich handeln sie sich damit so einigen Ärger ein. Und der zurückhaltende Mimile, der eigentlich nur das Fußballspiel Frankreich gegen Australien sehen möchte, verschafft sich sogar einen großen Fernsehauftritt…
Fein beobachtet und mit viel Humor erzählt Autor Lupano von den Rentnern, die sich weigern, Alternteiler zu sein und sich absolut nicht aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Mit ausdrucksstarken Illustrationen setzt Paul Cauuet die Geschichte bildlich um. Seine Zeichnungen sind voller Details und (versteckten) Informationen, die den Text ergänzen. Kein Wunder, dass die „Alten Knacker" und ihre Abenteuer in Frankreich so beliebt sind: es ist wirklich ein Vergnügen, der aktiven Rentner"gang“ zu folgen, die sich weiterhin einmischt und den Un-Ruhestand genießt.

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Veröffentlicht am 12.12.2020

Ohne Lametta

Morgen, Kinder, wird's nichts geben
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„Mehr oder weniger Weihnachtliches“ wird in diesem hübsch illustrierten Büchlein dargeboten. Die Herausgeberin Sylvia List hat eine Auswahl an Texten von Erich Kästner zusammengestellt, die humorvoll und ...

„Mehr oder weniger Weihnachtliches“ wird in diesem hübsch illustrierten Büchlein dargeboten. Die Herausgeberin Sylvia List hat eine Auswahl an Texten von Erich Kästner zusammengestellt, die humorvoll und hintergründig, teilweise sogar recht böse erscheinen.
In seiner unnachahmlich erfrischenden Art schreibt Erich Kästner über durchaus unterschiedliche Weihnachtsfeiern; zum Teil handelt es sich auch um eigene Kindheitserinnerungen, die keineswegs verklärt sind. Das titelgebende Lied etwa ist eine bitterböse Parodie auf das traditionelle Weihnachtslied und spiegelt die desaströse gesellschaftliche Situation der Weimarer Republik wider - Kästner hat es in seinem Gedicht „chemisch gereinigt".
Gedichte und Prosatexte wechseln sich ab, passend illustriert von Cornelia von Seidlein, deren Schwarz-Weiß- Zeichnungen sich dezent einfügen. Bei aller Kritik an seiner Umwelt lässt Kästner doch stets Mitgefühl und Liebe zu seinen Mitmenschen erkennen.
Dies ist ein Buch, welches das Weihnachtsfest aus Glitzer und sentimentalem Kerzenschein heraus rückt. Besinnlich ist es dennoch, wenn auch in einem weiter gefassten Sinn: nicht gemütlich, sondern zutiefst nachdenklich.

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