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Veröffentlicht am 27.03.2018

Fünf Tage im Leben des Dr. Schmied

Der Lügenpresser
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"Man glaubt gar nicht, wie naiv Politiker oft sind, wie die sich ihre Welt basteln in ihren Köpfen und die Wirklichkeit nicht sehen!"
Ob Dr. Karl Schmied, tätig als Journalist für den Lokalteil eines ...

"Man glaubt gar nicht, wie naiv Politiker oft sind, wie die sich ihre Welt basteln in ihren Köpfen und die Wirklichkeit nicht sehen!"
Ob Dr. Karl Schmied, tätig als Journalist für den Lokalteil eines Wiener Boulevardblattes, mit seinem Statement recht hat? Wir Leser bekommen an fünf Werktagen des Reporters Einblick in die fantasiereichen Überlegungen des promovierten Historikers und erleben seine „…Gedankenwelt, in der es zugeht wie in der großen.“ Da mischt sich Privates - der 62jährige ist frisch verliebt in Sonja aus Moldawien - mit Beruflichem, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunftsplänen. Die Autorin Livia Klingl, selbst im Journalismusbereich tätig, versteht es wunderbar, einen vielfältigen Strauß an Themen nahtlos miteinander zu verknüpfen. Auf hintergründig witzige, ironische Weise lässt sie Schmieds Ansichten zu aktueller Politik unbekümmert in seine ganz intimen Gedanken über seine Geliebte Sonja übergehen; Alltagsthemen reihen sich assoziativ an seine Kindheitserinnerungen.
Dass er vor einiger Zeit aus seinem Ressort Außenpolitik in den Lokalbereich wechseln musste, schmerzt ihn noch immer, und so spart er nicht mit Kommentaren über die Themenwahl der Medien, das Sortieren von Nachrichten, besonders in der Online-Redaktion: „Und irgendwann sind dann die Realität und die öffentliche Meinung durch die veröffentlichte Meinung zwei vollkommen verschiedene Angelegenheiten.“
Dr. Karl Schmieds Arbeitswoche scheint ganz normal zu verlaufen, bis zwei völlig unerwartete Ereignisse ihn aus dem Konzept bringen.
In gepflegter Umgangssprache und mit lebendigen Elementen Wiener Mundart schafft Klingl es, Schmieds innere Monologe spannend und immer wieder überraschend zu gestalten. Augenzwinkernd gelingt ihr ein sehr unterhaltsamer Roman, in dem sie - wie nebenbei - reichlich Kritik unterbringt. Porträtiert sie hier wirklich nur die österreichische Seele? Wir erkennen: Auch wer zur Bildungsschicht gehört, ist nicht vor Vorurteilen gefeit.

Veröffentlicht am 04.03.2018

Viel mehr als ein Krimi

Ein Job
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Alan, ein kühl berechnender, kurdischer Killer wird nach New York geholt, um einen brisanten Job zu erledigen. Natürlich handelt es sich um sein Spezialgebiet, das Töten. Sein Auftraggeber Mr. Ballinger ...


Alan, ein kühl berechnender, kurdischer Killer wird nach New York geholt, um einen brisanten Job zu erledigen. Natürlich handelt es sich um sein Spezialgebiet, das Töten. Sein Auftraggeber Mr. Ballinger bringt ihn in einem Apartment unter, gibt ihm einige nähere Informationen zu den Opfern und stattet ihn mit einem Handy und einem gelben Taxi aus, das Alans Mobilität garantiert. Nur wenige Tage Zeit bleiben ihm zur Erfüllung seiner Aufgabe, und so beginnt er sofort mit dem Recherchieren. Das wiederum ist nicht so einfach; denn Alan versteht kein Englisch. Welch ein Glück, dass seine Wohnungsnachbarin, Mrs. Allen, eine gebildete Frau ist und zufällig Türkisch spricht…
Aus vielerlei Komponenten konstruiert Irene Dische einen Roman, der vordergründig einen Krimi darstellt, in dem aber sehr viel mehr steckt: Bissige Gesellschaftskritik, Sozialsatire, sogar ein wenig Märchenhaftes. Reichlich schwarzer Humor - wie der Leser es aus ihren Büchern gewohnt ist - würzt den Roman, der im Jahre 1989 den Deutschen Kritikerpreis gewann. Es ist einfach wunderbar, wie Dische mit viel Einfühlungsvermögen das Soziogramm eines kurdischen Pascha wiedergibt, all seine Allüren, Eitelkeit und sein Selbstverständnis als Mann schildert - und dann der Realität einer völlig anderen, Alan unverständlichen Kultur gegenüber stellt. Ist ein von den patriarchalischen Strukturen seiner Heimat geprägter Mann zu einer Wandlung fähig? Das erzählt Irene Dische auf spannende und höchst amüsante Weise in „Ein Job“.

Veröffentlicht am 04.03.2018

Von Zuhause wird nichts erzählt

Von Zuhause wird nichts erzählt
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Eine Autobiografie zu schreiben, ist meist kein leichtes Unterfangen. Und so schrieb Laura Waco die Geschichte ihrer Kindheit „…mit einem ´Kloß im Hals´ und mit vielen Unterbrechungen…“
Strenge und Schläge ...

Eine Autobiografie zu schreiben, ist meist kein leichtes Unterfangen. Und so schrieb Laura Waco die Geschichte ihrer Kindheit „…mit einem ´Kloß im Hals´ und mit vielen Unterbrechungen…“
Strenge und Schläge als Erziehungsmittel waren zwar während der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts durchaus an der Tagesordnung und wurden sowohl im Elternhaus als auch in der Schule als normal angesehen, doch Lauras Vater scheint besonders schnell „Watschn“ verteilt zu haben. Seine Töchter erleben ihn oft strafend und voller Wut und sind erleichtert, wenn er eine Weile nicht zu Hause ist. Die Mutter kränkelt, ist aber auch nicht fähig, ihren Töchtern die Liebe und Nähe zu schenken, die sie nötig haben. Ein Erbe der schrecklichen Zeit, in der beide Eltern Insassen von Vernichtungslagern der Nazis waren? Es ist nicht einfach für Majer Steger und seine Frau Hela, sich nach ihrer Befreiung aus den Kzs Dachau und Bergen Belsen ein bürgerliches Leben zu erarbeiten. Als Überlebende des Holocaust widmen sie sich ihrem Glauben, für den sie interniert wurden. Doch das bleibt eher halbherzig; denn Majer nennt sich um in das deutscher klingende Max Stöger, und auch seine Töchter erhalten Namen, über die andere nicht stolpern. Noch schwieriger aber ist es für ihre älteste Tochter Laura (geb. 1947), sich zwischen den unterschiedlichen Welten ihres Elterhauses und ihrer schulischen Umgebung zurechtzufinden. Außerhalb der eigenen vier Wände ist das Thema Judenverfolgung und Naziverbrechen tabu, darüber herrscht Schweigen. So reichen die Folgen der Ereignisse im Dritten Reich weit, bis in die nächste Nachkriegsgeneration, ein Trauma. Wie kann so ein unbeschwertes Leben möglich sein?
„Das Buch war schon lange in mir drin. Ich wußte nur nicht wie ich das Thema anpacken sollte. Als ich durch meine eigenen Kinder einen so deutlichen Einblick in die Seele und das Wesen junger Menschen bekam, und als mir die Unschuld eines Kindes so sehr bewußt wurde, beschloß ich, mein Buch in der Stimme des Kindes zu schreiben. Dazu mußte ich mich in die Zeit und jede Stufe meiner eigenen Kindheit hineinversetzen und sozusagen darin leben“ berichtet Laura Waco in einem Interview.
Genauso liest sich ihr Buch, die Klarheit und Ehrlichkeit nimmt gefangen. Eine Schilderung ihrer Kindheit, sehr offen und ohne Schuldzuweisungen.

Veröffentlicht am 15.02.2018

Beeindruckende Familiengeschichte

Nachsommer
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Ein schlichter Titel, ein schlichtes Buchcover - nichts lässt erahnen, welch eine dramatische Familiengeschichte sich dahinter verbirgt! Die Brüder Olof und Carl, rein äußerlich und auch charakterlich ...

Ein schlichter Titel, ein schlichtes Buchcover - nichts lässt erahnen, welch eine dramatische Familiengeschichte sich dahinter verbirgt! Die Brüder Olof und Carl, rein äußerlich und auch charakterlich grundverschieden, sehen sich nach vielen Jahren der Trennung erst am Bett der todkranken Mutter wieder. Verdrängte Erinnerungen kommen an die Oberfläche und altes Konkurrenzdenken bricht zwischen den Geschwistern wieder auf. Während Carl sein Leben erfolgreich meistert, hadert Olof mit vertanen Chancen.
In sachlichem Ton und knappen Sätzen schildert Johan Bargum in der Rolle seines Alter Ego Olof eindrucksvoll die aufgeladene Atmosphäre im Elternhaus der Brüder. Recht nüchtern erzählt er von Olofs Affaire mit Klara, Carls Ehefrau, die ihm eigentlich mehr bedeutet als nur eine vorübergehende Liebelei, und von dem Aufenthalt der Familie Carls im Haus der Mutter am Meer. Überzeugend gelingt es dem Autor, die Melancholie zu veranschaulichen, die nicht nur über diesem Spätsommer auf der Insel schwebt, sondern auch über der auseinander gebrochenen Familie liegt und Olofs Gemüt verdüstert. Erinnerungen und Ereignisse bleiben vage; Bargum macht etliche Andeutungen und überlässt es dem Leser, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Mit dem Satz „Weiß man eigentlich jemals, was vor sich geht?“ beginnt Bargum / Olof seinen Roman. Diese Frage stellt sich auch der Leser während der Lektüre immer wieder, und sie lässt ihm auch später, nach Beendigung des Romans keine Ruhe.
Ob Olof es schafft, „sich noch einmal an die Startlinie zu stellen“ , einen Neuanfang für sich zu wagen?
"Nachsommer" ist eine dicht und eng gewobene Erzählung über das komplizierte Geflecht familiärer Beziehungen und seine weitreichenden Folgen, geschrieben von einem der renommiertesten finnland-schwedischen Schriftsteller!

Veröffentlicht am 08.02.2018

Das Ende einer Liebe?

Ein schönes Paar
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Nur wenige Fotos zeugen von dem „schönen Paar“ , das Herta und Georg Karst in jungen Jahren abgaben. Als sie kurz nacheinander sterben und ihr Sohn Philipp das Pflegezimmer, in dem seine Mutter ihre letzten ...

Nur wenige Fotos zeugen von dem „schönen Paar“ , das Herta und Georg Karst in jungen Jahren abgaben. Als sie kurz nacheinander sterben und ihr Sohn Philipp das Pflegezimmer, in dem seine Mutter ihre letzten Jahre verbrachte, und den Bungalow seines Vaters ausräumen muss, wird er noch einmal mit der Geschichte ihrer Ehe und späteren Trennung konfrontiert.
Philipp spürt der Vergangenheit seiner Eltern nach; erzählt von ihrem Kennenlernen kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, ihrer Zeit als junge Eltern in der Sowjetischen Besatzungszone, dem Neuanfang nach ihrer Flucht in den Westen. Dann kam es zu einer plötzlichen Trennung. Gab es dennoch eine Art Beziehung oder Verbundenheit zwischen ihnen, die sie nicht zugeben konnten?
In ruhiger, sensibler Sprache schildert Loschütz die Geschichte einer Liebesbeziehung und die Bemühungen des erwachsenen Sohnes, die Konflikte seiner Eltern zu verstehen; denn deren unbewältigte Probleme zeigen Auswirkungen bis in Philipps gegenwärtiges Leben. Einige Szenen erstehen dabei detailreich und stimmungsvoll, andere Situationen wiederum erscheinen vage, wie es bei Kindheitserinnerungen, die lange zurückliegen, der Fall ist; im kindlichen Gedächtnis abgespeichert, aber nicht wirklich begriffen. Diese Unschärfe macht den Reiz der Geschichte aus und spannend für die Leser: Kann doch jeder nachfühlen, wie schwierig es ist, sich über Fragen, die einen zutiefst beschäftigen, Klarheit zu verschaffen, wenn da niemand ist, der Antworten geben kann - oder will.
Sachlich, ohne Pathos, verfolgt Philipp die Lebensspuren des „schönen Paars“, trägt eigene Kindheitserinnerungen und „erwachsene“ Erkenntnisse zusammen und muss am Ende doch feststellen: nicht alle Motive, die Herta und Georg bewegt haben, lassen sich klären; sie haben manches Geheimnis mit ins Grab genommen.
Ein menschliches, kluges Buch, das tief berührt!