Ausdrucksvoller und interessanter Debütroman
Wenn Martha tanztIm List Verlag erschien am 9.3.2018 Tom Sallers Roman Wenn Martha tanzt".
Thomas Wetzlaff findet in den Hinterlassenschaften seiner Großmutter, Hedi Wetzlaff, ein altes Tagebuch. Es enthält die interessante ...
Im List Verlag erschien am 9.3.2018 Tom Sallers Roman Wenn Martha tanzt".
Thomas Wetzlaff findet in den Hinterlassenschaften seiner Großmutter, Hedi Wetzlaff, ein altes Tagebuch. Es enthält die interessante Geschichte von Martha Wetzlaff, seiner Urgroßmutter. Diese wächst in Türnow im Pommern auf, anders als die Familie besitzt sie kein musikalisches Talent, doch sie kann Musik in geometrischen Formen fühlen und tanzen. In Weimar erhält sie im Bauhaus bei Walter Gropius eine Ausbildung, wird Tänzerin und trifft viele Künstler, die sich auch in ihrem Tagebuch verewigen. Dieses Buch wird bei Sotheby´s in New York zu einem enormen Betrag versteigert. Die Käuferin bittet Thomas Wetzlaff um einen Kontaktbesuch und dort erfährt er die Hintergründe und Wahrheit über seine Familie.
Tom Saller erzählt diese Familiengeschichte in zwei Handlungsebenen. Die aktuelle dreht sich um Thomas Wetzlaff und seine Reise nach New York, die andere bringt Licht ins Dunkel des Lebens seiner Urgroßmutter Martha ab 1900.
Das Tagebuch enthält eine Geschichte, die mit Marthas Geburt im Jahr 1900 beginnt und die damit endet, als sie 1945 für immer verschwand und ihre Tochter Hedi zurückließ. Thomas Wetzlaff hat sie also nie gekannt und auch nie etwas durch seine Großmutter von dieser Martha erfahren. Das Bindeglied zu diesem Tagebuch sind besondere Briefe, die erst die genauen Verbindungen der Hintergründe offenlegen. Gemeinsam mit der Käuferin des Tagebuchs kann Thomas das Geheimnis enthüllen.
Durch Marthas Lebensweg landet man nach ihrer glücklichen Kindheit in Pommern direkt in der Zeit der Weimarer Republik und bekommt einen genauen Eindruck über die Entwicklung des Bauhauses und der damaligen Kunstszene und dem allmählichen Erstarken der Nationalsozialisten. Dabei benutzt Saller eine Sprache, die uns in kurzen, fast abgehackten Sätzen die Ereignisse schildert. Das wirkt fast wie Informationen aus den Nachrichten und man hängt gebannt an den einzelnen Sätzen. Durch diese Sachlichkeit erfährt man zwar die Gegebenheiten und Vorgänge, lernt aber die Person Martha nur ungenau kennen. Die Charakterzüge sind erkennbar, ihre Gedanken und Gefühle bleiben geheimnisvoll und verblassen vor der umtriebigen und besonderen Zeit. Nicht nur die Kunst änderte sich, auch die Lebenstile der Menschen.
An diesem Roman haben mir neben dem besonderen und ausdrucksstarken Schreibstil die wechselnden Erzählperspektiven gut gefallen. Mit den erhellenden Einblicken in die Kunstszene, durch die Lebensumstände und Zeitschilderungen konnte ich mich wie bei einer Zeitreise zu den Orten des Geschehens führen lassen und erlebte die Atmosphäre des Bauhauses authentisch mit. Es ist Aufbruch in ein anderes Zeitalter mit neuen Kunstformen, bei dem auch Frauen ihren Stellenwert in der Kunst erhielten. Doch mit der Schliessung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten wurde dieser emanzipatorische Schritt wieder zunichte gemacht.
Etwas störend finde ich, dass Martha von ihrem toten Bruder Heinz begleitet wird, er ist ihr Engel und irgendwie hält sie mit ihm eine dauerhafte Verbindung, die der Geschichte einen unnötigen mystischen Eindruck verleiht.
Seinen gebührenden Abschluß findet der Roman mit der Offenlegung der wahren Geschichte von Martha und Hedi. Hier schliesst sich ein Kreis, von dem man manches ahnte, aber die Zusammenhänge nicht klar sehen konnte. Mit dieser Auflösung zeigt Saller, wie Frauen in dieser Zeit ungewöhnliche Wege gehen mussten, auch wenn ihr Herz ihnen andere vorschlug. Man kann sich gut vorstellen, dass sich diese Geschichte wirklich so abgespielt haben könnte. Das Leben schreibt schliesslich selbst die besten Geschichten.
Mit diesem lesenswerten Roman macht man nicht nur eine Zeitreise in die Bauhaus-Kunstszene, man entdeckt durch ein Tagebuch verschlungene Lebenswege, wie sie das Leben selbst schreibt.